| Pressemeldung

Zur Verantwortung des christlichen Glaubens für den Frieden

Festvortrag von Kardinal Karl Lehmann anlässlich der Feier des 25jährigen Bestehens des Instituts für Theologie und Frieden am 27. Juni 2003 in Hamburg-Barsbüttel

Es gilt das gesprochene Wort!
I.
Am 1. Juni 2002 fand hier in Hamburg-Barsbüttel eine nicht-öffentliche Tagung statt, die das Institut für Theologie und Frieden gemeinsam mit dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz ausgerichtet hatte. Eingeladen waren Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aus mehreren Ländern Europas und Nordamerikas. Ebenso nahmen Vertreter der Bischofskonferenzen aus den USA, England, Frankreich und Deutschland teil. Monate bevor die Irak-Krise international Wellen schlug, wurde bei dieser Konferenz versucht, die schwierige politische Lage zu analysieren und Eckpunkte einer gemeinsamen kirchlichen Position zu formulieren. Dies ist - wie die Stellungnahmen der Bischofskonferenzen in der Folgezeit erwiesen - auch recht gut gelungen. Zwar hatten die klaren, wegweisenden und hoch engagierten Worte von Papst Johannes Paul II. ganz ohne Zweifel den größten Anteil am einheitlichen Erscheinungsbild der Katholischen Kirche in der Irak-Frage. Die Bedeutung des Dialogs der Ortskirchen untereinander sollte hier jedoch ebenso wenig unterbewertet werden wie der Austausch mit der wissenschaftlichen Friedensethik und den benachbarten politik- und humanwissenschaftichen Fächern.Die Irak-Konferenz des letzten Sommers bietet somit ein aktuelles Beispiel für die Relevanz des Instituts für Theologie und Frieden, dessen 25jähriges Bestehen wir heute begehen. Diese Wirksamkeit des Instituts im kirchlichen Leben ist umso erforderlicher, als es in der Kirche in Deutschland nur wenige Orte der kontinuierlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Fragen von Frieden und Sicherheit gibt. Diese Wahrnehmung eines empfindlichen Defizits steht auch schon am Beginn der Gründungsgeschichte des Instituts. Zwar gab und gibt es an den Theologischen Fakultäten eine Reihe von Lehrstühlen für Christliche Gesellschaftswissenschaften und Sozialethik, die auf die Formulierung der gesamtkirchlichen Soziallehre auch beachtlichen Einfluss nehmen konnten. Deren wissenschaftlicher Schwerpunkt lag jedoch traditionellerweise auf der Bearbeitung wirtschaftlicher und sozialer Probleme; Friedensthemen lagen eher am Rande. Auch das im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils besonders in Deutschland sich dynamisch entwickelnde Interesse an der so genannten Dritten Welt und an Fragen der internationalen Gerechtigkeit rückte die ausdrückliche Friedensethik zunächst eher weiter an den Rand. Denn die in den 60er und 70er Jahren leitende Vorstellung besagte, dass die Überwindung der sozialen Misere in den Entwicklungsländern quasi automatisch auch zur Überwindung des Unfriedens führen werde. Entsprechend wurde auch das berühmte Wort Papst Pauls VI., Entwicklung sei der neue Name für Frieden, im Sinne eines einlinigen Kausal- und Wirkungszusammenhangs und nicht als programmatischer Aufruf für eine stärkere Integration sozial- und friedensethischer Inhalte und Fragestellungen aufgefasst. Lediglich der 1968 ins Leben gerufene Katholische Arbeitskreis Entwicklung und Frieden (später in Deutsche Kommission Justitia et Pax umbenannt) war hier um eine stärkere Differenzierung bemüht. Vor diesem Hintergrund erfolgte am 15. Juli 1978 die Gründung des Instituts für Theologie und Frieden, das sowohl mit der Dokumentation friedensethischer Forschung als auch mit eigener wissenschaftlicher Arbeit beauftragt wurde. In gewissem Sinne handelt es sich also um einen "Nachkömmling" in jener Welle von Neugründungen kirchlicher Organisationen, die die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils im Institutionengefüge des deutschen Katholizismus strukturell verankerte. Als Gründungsväter und entschiedene Förderer des Instituts verdienen der Bischof und spätere Kardinal Dr. Franz Hengsbach und sein Nachfolger im Amt des Militärbischofs, Erzbischof Dr. Elmar Maria Kredel, die Militärgeneralvikare Prälat Dr. Martin Gritz und Prälat Dr. Ernst Niermann, sowie - nicht zuletzt - der erste Leiter des Instituts, der früh verstorbene Professor Dr. Dr. Ernst-Josef Nagel, dankbare Erwähnung. Diese Dankbarkeit gilt dem weiten Blick, der sie die Notwendigkeit eines solchen Instituts erkennen ließ. Sie gilt aber ebenso der Umsicht, mit der sie das Institut, das in der Trägerschaft der katholischen Militärseelsorge steht, von Anfang an in der Mitte der Kirche ansiedelten. Denn in den unruhigen 70er und 80er Jahren, in denen die Kriegdienstverweigerung zu einem Massenphänomen unter den Abiturienten wurde und heftige gesellschaftliche sowie auch innerkirchliche Auseinandersetzungen über die so genannte "Nachrüstung" und die sittliche Verantwortbarkeit der atomaren Abschreckung geführt wurden, drohte ein bei der Militärseelsorge angesiedeltes wissenschaftliches Institut bei vielen von vornherein in eine bestimmte Ecke hineingestellt und diskreditiert zu werden. Es gab auch solche Stimmen. Darum musste klargestellt werden: Keine Denkfabrik der Militärseelsorge war geplant, schon gar nicht ein den Streitkräften nahe stehender think tank, sondern ein inmitten der ganzen Kirche verankerter Ort friedensethischen Forschens und Lehrens. Mit großem Nachdruck erklärte Erzbischof Kredel bei der Gründung des Instituts, dieses werde "sich nicht abkapseln, sondern den offenen und öffentlichen Dialog suchen".Die dafür erforderliche Einbindung des Instituts in die überdiözesanen Strukturen der Kirche in Deutschland wurde zum einen dadurch erreicht, dass die Verantwortung, die die katholische Militärseelsorge für das Institut wahrnimmt, im Sinne einer Aufgabenverteilung unter den deutschen Bistümer institutionalisiert wurde. So gesehen, ist das Institut für Theologie und Frieden also auch eine Einrichtung aller Bischöfe und der gesamten Kirche in Deutschland. Dies schlägt sich konkret auch in der Besetzung des Wissenschaftlichen Beirates nieder. Durch institutionelle Vorkehrungen ist zum anderen von Anfang an dafür Sorge getragen worden, dass die Freiheit von Forschung und Lehre, die ein Merkmal auch der kirchlich gebundenen Wissenschaft ist, nie in Zweifel geraten konnte. Die Ebene rechtlicher Regelungen war jedoch nur die eine Seite. Wie überall, kam es auch beim Institut für Theologie und Frieden ebenso sehr auf die Personen an, die die Strukturen mit Leben erfüllen und die Unabhängigkeit der Institution mit dem Nachweis ihres unabhängigen Geistes beglaubigen mussten. Dankbar kann man heute feststellen, dass sowohl Professor Ernst-Josef Nagel, der das Institut bis 1995 geleitet hat, als auch sein Nachfolger, Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven, durch Sachkundigkeit und geistige Freiheit zum Ansehen des Instituts innerhalb und außerhalb der Kirche wesentlich beigetragen haben. Ganz zweifellos gilt das auch für weitere Wissenschaftler, die hier am Institut gelernt und geforscht haben und sich - teilweise auch an anderem Orte - hohe wissenschaftliche Reputation erwerben konnten.
II.
Ich habe eben angedeutet, dass sich die Gründung des Institutes für Theologie und Frieden mindestens in einem weiteren Sinne der Erneuerungsbewegung des Zweiten Vatikanischen Konzils verdankt. Fraglos gilt dies gerade auch für das Profil des Instituts. Entscheidend sind dabei weniger die Aussagen, die das Konzil unmittelbar zum Problemkreis von Krieg und Frieden und daran anknüpfend zum "Aufbau der internationalen Gemeinschaft" gemacht hat. Diese Ausführungen gehören für sich genommen vielleicht nicht einmal zu den stärksten Texten der Kirchenversammlung. Auch manche wohlmeinenden Kommentatoren sprechen lediglich von einem "für die damalige Zeit machbaren und tragfähigen Kompromiss" (Helmut Weber) und weisen auf manche Unschärfen hin. Für die Entwicklung der katholischen Friedensethik und für die Profilbildung des hiesigen Institutes von sehr viel größerer Bedeutsamkeit sind demgegenüber einige der grundlegenden Orientierungen, die das Konzil der Kirche in vielen Texten auf den Weg gegeben hat.So hat das Zweite Vatikanum zum einen der Neuentdeckung der kirchlichen und theologischen Tradition in ihrer ganzen Breite Auftrieb gegeben und damit das Quasi-Monopol bestimmter Schultheologien beendet. Es ist dieses Anliegen, nämlich ein vertieftes und systematisches Verständnis des Glaubens in der Auseinandersetzung mit seinen vielfältigen Ausprägungen und Zeugnissen zu gewinnen, dem sich auch das Institut für Theologie und Frieden in besonderer Weise verpflichtet weiß. Davon zeugt die seit nunmehr 16 Jahren andauernde Arbeit im Forschungsbereich "Theologische Reflexion über Krieg und Frieden in der Geschichte der Kirche". Die Studien und Symposien zeigen eine beachtliche Vielfalt. Über prägende Gestalten der Theologiegeschichte wie Thomas von Aquin, Francisco de Vitoria und Bartolomé de Las Casas hat das Institut umfangreiche Untersuchungen vorgelegt. Immer wieder griffen Tagungen die Friedenslehre der Kirche in den verschiedenen geistesgeschichtlichen Epochen auf. Die Lehre vom Krieg in der Antike ist intensiv bearbeitet worden. Schwierige Themen wie die Kreuzzüge wurden dabei nicht ausgespart. Von großem Wert ist auch die Herausgabe anderweitig oft nur schwer zugänglicher Quellen, die so der weiteren wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich gemacht werden. Die bibliografische Datenbank "Theologie und Frieden" auf CD-Rom ist eine unentbehrliche Hilfe.Bei alledem ist entscheidend, dass das Institut in seiner Arbeit kein bloß historisches Interesse - so legitim dies auch sein mag - verfolgt. Es geht ihm vielmehr um die Aussage des Glaubens selbst, um die Frage, was der Glaube über den Frieden zu sagen weiß. In diesem Interesse liegt der Grund für die Hinwendung zur Geschichte der Kirche. Denn diese ist die Geschichte des Glaubens selbst, und er ist deshalb nicht anders zu erfahren als in den Zeugnissen dieser Geschichte. Der Glaube ist Glaube in der Geschichte. Viele Untersuchungen des Instituts haben geholfen, ihn unter der Leitfrage des Friedens aufzuhellen und dabei auch wichtige Impulse für die heutige Zeit freigelegt. Die Reihen "Theologie und Frieden" und "Beiträge zur Friedensethik" haben sich einen Namen gemacht.Noch in einer anderen Weise hat sich die Lehre des Konzils von Beginn an prägend und fruchtbar auf die Friedensethik und auch auf die Arbeit des Instituts ausgewirkt. Das Zweite Vatikanum nämlich hat die kirchliche Diskussion über die Gestaltung der gesellschaftlichen und auch weltgesellschaftlichen Angelegenheiten wesentlich geöffnet und sozusagen in die Weite geführt, indem es einem neuen Wirklichkeitsverständnis Bahn gebrochen hat. An einer entscheidenden Stelle der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes", die sich mit dem "tief gehenden Wandel der Situation" befasst, heißt es, dass "die Menschheit einen Übergang [vollzieht] von einem mehr statischen Verständnis der Ordnung der Gesamtwirklichkeit zu einem mehr dynamischen und evolutiven Verständnis. Die Folge davon ist eine neue, denkbar große Komplexheit der Probleme, die wiederum nach neuen Analysen und Synthesen ruft". Damit ist eine geistes- und theologiegeschichtliche Situation beschrieben, die mit dem klassischen kirchlichen Instrumentarium quasi "überzeitlicher" Ordnungsprinzipien allein weder begrifflich angemessen gefasst noch praktisch überzeugend bewältigt werden kann. Die theologische Ethik muss sich deshalb in neuer und offener Weise ihrer eigenen Verstehensbedingungen und ihres Welt-Verhältnisses vergewissern, ja diese sogar ständig neu erarbeiten. Vor allem heißt das: Sie weiß sich - auch auf die neueren - philosophischen Erkenntnisse und Erkenntnisweisen ebenso verwiesen wie auf die Ergebnisse der säkularen Wissenschaften, wenn sie ihrem eigenen Gegenstand gerecht werden will. Vor diesem Hintergrund wird dann auch noch einmal vertieft verständlich, warum die Kirche im Konzil so nachdrücklich ihre Bereitschaft zu einem umfassenden "Dialog ... über all diese verschiedenen Probleme" der heutigen Welt bekundet, wobei die Human- und Sozialwissenschaften ausdrückliche Erwähnung finden.Dies ist die Grundlage des Instituts für Theologie und Frieden bei der Auseinandersetzung mit den vielfältigen aktuellen Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik. Neben der historischen Grundlagenforschung ist dies die zweite Säule der wissenschaftlichen Arbeit. Stichworte aus den letzten Jahren sind hier die humanitären Interventionen, die Reform der Vereinten Nationen, der internationale Terrorismus und der Irak-Krieg. Stets ist man dabei um das interdisziplinäre Gespräch bemüht, das vor allem Politik- und Sozialwissenschaften, Völkerrecht, Philosophie und Geschichte einbezieht. Oft wird dabei auch die internationale Kooperation gesucht, wobei besonders intensive Beziehungen zu Forschungseinrichtungen in den Vereinigten Staaten bestehen.
III.
Wir alle erinnern uns wahrscheinlich noch recht genau an die oft heftigen Diskussionen, die vom Spätsommer des vergangenen bis zum Frühjahr dieses Jahres über einen Krieg gegen den Irak geführt wurden. Die Katholische Kirche war in dieser Debatte weltweit überaus präsent - angefangen von den drängenden Friedensaufrufen des Papstes und seiner engsten Mitarbeiter über die zahlreichen Botschaften von Bischofskonferenzen und einzelnen Bischöfen bis zu den vielfältigen Friedensaktionen in den Gemeinden. In den Medien und auch in der Politik sind diese Initiativen mit großer Aufmerksamkeit registriert worden. Sie lösten Dankbarkeit und auch Kritik aus, manches Mal hoffentlich auch Nachdenklichkeit. Das öffentliche Interesse, das der Kirche in diesem Konflikt entgegengebracht wurde, sollte uns indessen nicht täuschen. Interessant war wohl vor allem das konkrete Votum in einer Streitfrage und der damit verbundene Einfluss auf die gesellschaftlich-politische Debattenlage. Die ganze mehrmonatige Diskussion hat demgegenüber wahrscheinlich kaum dazu beigetragen, die kirchliche Friedenslehre in ihrer Ganzheit oder doch wenigstens in ihren tragenden Grundzügen der Öffentlichkeit oder auch den politischen Entscheidungsträgern besser zu vermitteln. Ja, man wird wohl sogar feststellen müssen, dass die zugespitzte Frage, um die gerungen wurde - also: Militärschlag gegen den Irak: ja oder nein? - genau jene Engführung der friedensethischen Debatte aufleben ließ, um deren Überwindung das kirchliche Friedensdenken so nachdrücklich bemüht ist. Viel war in jenen Tagen vom "gerechten Krieg" (oder eben auch vom "ungerechten Krieg") die Rede, und so gerieten auch die kritischen Rückfragen der Kirche zur Legitimität eines militärischen Einsatzes in den Sog dieses Wahrnehmungsrasters. Grundlagen, Horizont und Perspektiven der kirchlichen Friedensverkündigung aber kamen auf diese Weise gerade nicht zum Vorschein.Gerade deshalb möchte ich die heutige Gelegenheit gerne nutzen, wenigstens in groben Strichen an einige zentrale Aussagen der kirchlichen Friedenslehre zu erinnern und die ihnen zugrunde liegende Denkbewegung zu skizzieren. Ich greife dabei auf die beiden großen Dokumente zurück, die die deutschen Bischöfe in den letzten 20 Jahren vorgelegt haben: auf das 1983 erschienene Wort "Gerechtigkeit schafft Frieden" und auf das Wort "Gerechter Friede" aus dem Jahre 2000. Es wird nicht überraschen, dass bei der Vorbereitung dieser Bischofsworte in beiden Fällen auch der jeweilige Direktor des Instituts für Theologie und Frieden mitgewirkt hat. Auch auf diesem Wege hat das Institut wertvolle Dienste für die ganze Kirche geleistet.
IV.
Als die Deutsche Bischofskonferenz vor zwei Jahrzehnten ihr Wort "Gerechtigkeit schafft Frieden" vorlegte, war ihr das gespannte Interesse der Öffentlichkeit gewiss. Es war die Zeit heftiger Auseinandersetzungen über die so genannte "Nachrüstung", also die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen als Antwort auf die massive Aufrüstung des Warschauer Paktes mit atomaren Raketen mittlerer Reichweite. An dieser konkreten Streitfrage machte sich indes ein sehr viel tiefer reichender Konflikt fest: In Frage stand die Legimität atomarer Rüstung überhaupt und ein Abschreckungskonzept, das die fragile Stabilität zwischen den Blöcken sichern sollte. Auch unter den Bischöfen gab es dazu keine ganz einhellige Auffassung. Wie sollte man dem ethischen Dilemma entkommen, dass der Einsatz von Massenvernichtungswaffen in jedem Falle moralisch unzulässig wäre, die Drohung mit diesen Waffen jedoch immerhin eine Situation relativer Sicherheit hervorbrachte oder doch mindestens begünstigte? Die Bischöfe haben damals die grundsätzlichen und schwerwiegenden ethischen Probleme der Strategie nuklearer Abschreckung deutlich beim Namen genannt, ebenso aber auch die Gefahren, die mit einem sofortigen Ausstieg aus diesem Konzept verbunden gewesen wären. Dies führte zu dem Gedanken, dass die Abschreckung mit Atomwaffen ethisch als befristet tolerierbar angesehen werden könne - dies allerdings unter der Bedingung, dass nachdrückliche Anstrengungen unternommen würden, um sie in einem Prozess beiderseitiger Abrüstung und der Suche nach alternativen Sicherheitsstrategien zu überwinden. Leider sind in der breiten Öffentlichkeit fast ausschließlich diese Überlegungen zur nuklearen Abschreckung wahrgenommen worden. Tatsächlich ging es den Bischöfen in "Gerechtigkeit schafft Frieden" jedoch um eine tief greifende Analyse der gesamten Friedensproblematik und um eine umfassende ethische Orientierung der Friedenspolitik sowie des gesellschaftlichen und kirchlichen Friedenshandelns. Die Sicherheitspolitik wurde dabei ausdrücklich "im Rahmen der Friedenspolitik" verortet und die alle öffentliche Aufmerksamkeit okkupierende Friedenssicherung auch mit militärischen Mitteln wurde im Gesamtzusammenhang der Bemühungen um ein verträgliches Miteinander der Menschen der Friedensförderung nachgeordnet. Schon der Titel des bischöflichen Wortes - "Gerechtigkeit schafft Frieden" - verweist auf die Fundamente, auf denen der Friede aufruht und denen deshalb besondere Aufmerksamkeit zu gelten hat. Vor allem drei Felder der Friedensförderung werden in "Gerechtigkeit schafft Frieden" einer eingehenden Betrachtung unterzogen: die Achtung und die Förderung der Menschenrechte, das Bemühen um größere internationale Gerechtigkeit und schließlich der Aufbau einer Weltfriedensordnung, wozu u.a. eine Stärkung der Vereinten Nationen und die Weiterentwicklung der internationalen Rechtsordnung, einschließlich der Einrichtung eines Weltgerichtshofes, gehören sollten. Vieles davon klingt auch heute - zwanzig Jahre nach "Gerechtigkeit schafft Frieden" - erstaunlich, vielleicht beängstigend aktuell. Es bleibt noch vieles zu tun.
V.
Der Zusammenbruch des Kommunismus und das Ende des Blockkonfrontation zu Beginn der 90er Jahre haben die internationale Lage jedoch in einer Weise verändert, die auch ein erneutes kirchliches Nachdenken erforderlich machte. Ich will hier festhalten: Diese Entwicklungen waren Anlass zur Freude, und sie sind es auch heute noch. Ebenso wenig aber kann man übersehen, dass sich seither und teilweise im Gefolge des weltpolitischen Umbruchs erhebliche Erschütterungen eingestellt haben und destruktive Kräfte gewaltigen Ausmaßes freigesetzt wurden.Vor allem ethnisch motivierte oder aufgeheizte Konflikte eskalierten. Selbst in Europa wurden Minderheiten vertrieben und massakriert. Besonders in Afrika nahm die Zahl innerstaatlicher gewaltsamer Auseinandersetzungen dramatisch zu. Vielfach sind dabei die Konfliktlinien kaum noch nachzuvollziehen. Reguläre Truppen sind an den Kämpfen ebenso beteiligt wie Partisanen- bzw. Guerillaeinheiten und Banden aller Art, die für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, einen Stamm oder auch nur für ihre eigenen Interessen kämpfen. In einer ganzen Reihe von Ländern besteht inzwischen keine Staatsgewalt im herkömmlichen Sinne mehr. Viele Staaten sind faktisch bereits zerfallen. Nicht selten - wie derzeit im Kongo - versuchen die Nachbarstaaten das, was sie als Gunst der Stunde verstehen, zu nutzen und verschärfen die Krise damit noch weiter.Unübersehbar hat auch der religiöse Fundamentalismus in den letzten Jahren weiteren Zulauf gewonnen - vor allem in der islamischen Welt, in der Form des religiösen Nationalismus aber z.B. auch in Indien. Plurireligiöse Gesellschaften - wie in Nigeria - drohen im Strudel religiös aufgeladener Gewalt zerstört zu werden. Vor diesem Hintergrund fragt das im Jahre 2000 veröffentlichte Bischofswort "Gerechter Friede": "Kehrt die Menschheit also zu jenem Zustand allgegenwärtiger Gewalt zurück, der ihre Geschichte charakterisiert [...]?"
VI.
Damit ist das zentrale Thema des neueren Friedenswortes angesprochen: die Gewalt, verstanden im Sinne des englischen violence, nicht power. Schon der Durchgang durch die biblischen Schriften enthüllt, dass Gewalt - die erlittene wie die ausgeübte - als ein die gesamte Weltwahrnehmung, die menschlichen Beziehungen und selbst das Gottes-Bild zutiefst prägendes und bestimmendes Phänomen erfahren wird. Kollektiv, also auf der Ebene von Gruppen oder Nationen, wie auch individuell hinterlässt sie, oft über Generationen hinweg, ihre Spuren. Die Gewalttat gräbt sich ein in das Bewusstsein der Täter, die künftig vor ihren Opfern auf der Hut sein müssen. Und ebenso bestimmt sie die Opfer: Manche treibt die Gewalt in apathische Verzweiflung, andere stiftet sie zur Revanche an. Gerade die europäische Geschichte hat gezeigt, dass auch lange zurückliegende Gewalterfahrung zum Sprengsatz an den Fundamenten einer Gesellschaft und im Zusammenleben der Völker werden kann. Bosnien und Irland sind sprechende Beispiele. Schon diese geraffte Skizze zeigt, dass die Gewaltdurchdrungenheit des menschlichen Lebens in seinen individuellen, gesellschaftlichen und politischen Dimensionen die Tiefenstruktur des Friedensproblems ausmacht. Und eben darauf versucht die sozialethische Leitperspektive des gerechten Friedens zu antworten. Ihr Kerngedanke ist nicht das Gewaltmanagement, sondern die - wenn auch nur schrittweise mögliche - Zurückdrängung der Gewalt aus dem Leben der Menschen. Prävention muss ein viel fundamentaleres Gewicht bekommen. Vom Leitbild des gerechten Friedens her ergibt sich deshalb ein unbedingter Vorrang für eine Politik, die vom Geist der Gewaltfreiheit inspiriert ist. Gewaltvorbeugung, die Bekämpfung der Ursachen von Gewalt und die Austrocknung von Gewaltverhältnissen stehen im Mittelpunkt. "Das Leitbild des gerechten Friedens beruht", wie es im Text heißt, "auf einer letzten Endes ganz einfachen Einsicht: Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig. Daraus folgt positiv: ,Gerechtigkeit schafft Frieden'".Politische Konzeptionen, die von diesem Gedanken bestimmt sind, sehen sich auf ein weitgefächertes Aufgabenfeld verwiesen. Ich kann an dieser Stelle nur einige zentrale Stichworte nennen:der Ausbau der gewaltpräventiven Konfliktbearbeitung;der kontinuierliche Einsatz für Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit, die unverzichtbare Elemente einer gerechten und friedensfähigen Ordnung darstellen;eine politische Rahmensteuerung der ökonomischen Globalisierungsprozesse, die die Interessen der armen Länder angemessen berücksichtigt, Stabilität begünstigt und den Radikalisierungspotentialen entgegenwirkt, die aus der Verarmung großer Bevölkerungsgruppen in den Entwicklungsländern resultieren;die Förderung von Versöhnungsprozessen zwischen verfeindeten Gruppen und Ethnien im Nachgang gewalttätiger Auseinandersetzungen.Viele dieser Aufgaben können allerdings erfolgreich nur gemeistert werden, wenn die internationale Zusammenarbeit - vor allem auf der Ebene der Staaten - verstärkt wird. Es geht um den Aufbau einer globalen politischen Ordnung, die sich durch Handlungsfähigkeit und Verlässlichkeit ebenso auszeichnet wie durch rechtlich verbriefte Partizipationsrechte aller. Die Vereinten Nationen entsprechen in ihrer derzeitigen Gestalt diesen Mindestanforderungen an eine internationale Ordnung erkennbar noch nicht. Das Versagen der Völkergemeinschaft in vielen Krisen spricht hier eine deutliche Sprache. Hegemonialkonzepte, wie sie offenbar in Teilen der politischen Klasse in den USA augenblicklich diskutiert werden, sind hingegen alles andere als eine brauchbare Alternative. Denn sie stehen dem Kerngedanken der globalen Ordnung - der Geltung des Rechts in den internationalen Beziehungen - diametral entgegen. Hier muss festgehalten werden: Nicht im Recht des Stärkeren, sondern in der wachsenden Verrechtlichung liegt die Perspektive für ein gerechtes und friedliches Zusammenleben in der Staatenwelt und der Weltgemeinschaft.
VII.
Es ist zweifellos ein besonderes Merkmal der im Friedenswort vorgelegten sozialethischen Konzeption einer Politik des gerechten Friedens, dass die Frage militärischer Gewaltanwendung strikt im Kontext einer umfassend verstandenen Friedenspolitik verortet wird. Die alte Unterscheidung von Friedenssicherung und Friedensförderung, die wohl auch kaum mehr der heutigen Weltsituation entspräche, wurde im neueren Dokument deshalb nicht mehr aufgegriffen. Unter der Leitperspektive des gerechten Friedens wird zugleich deutlich, dass der Einsatz militärischer Gewaltmittel nicht ein Normalfall von Politik sein kann, sondern nur der Sonderfall. Denn auch die gut begründete Anwendung von Gewalt ist ungeeignet, Gewaltverhältnisse von Grund auf zu überwinden, weil sie selbst unentrinnbar der Logik von Gewalt unterworfen bleibt. Die Erfahrung lehrt darüber hinaus, dass der Versuch, die Gewaltanwendung strikt zu dosieren und zu limitieren, unter den konkreten Bedingungen militärischen Kampfes immer wieder misslingt. Der Krieg ist darum stets "eine Niederlage der Menschheit", wie Papst Johannes Paul II. jüngst immer wieder formuliert hat, und militärische Gewalt immer ein Übel.Das schließt jedoch nicht aus, dass es Grenzfälle gibt, in denen militärische Interventionen als das kleinere Übel gelten können. Und auch wenn es das zentrale Ziel einer Politik des gerechten Friedens ist, solche Grenzfälle erst gar nicht entstehen zu lassen und jene Situationen zu vermeiden, in denen nur noch die Abwägung zwischen problematischen Handlungsalternativen besteht, wird sich doch auf unabsehbare Zeit immer wieder die Frage stellen, ob in einer konkreten Situation der Einsatz von Waffen gerechtfertigt, vielleicht sogar geboten ist. Aggressoren dürfen nicht von vornherein darauf zählen können, dass der Angriff auf schwächere Länder nicht gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln abgewehrt wird. Ebenso kann der Einsatz von Gewaltmitteln zur Verhinderung eines Völkermordes legitim und erforderlich sein.Ich will hier nicht die Kriterien wiederholen, die die Katholische Kirche zur Frage der Abwägung bei der Entscheidung über einen militärischen Gewalteinsatz nennt. Auch das Bischofswort "Gerechter Friede" greift hier auf das Erbe der klassischen Theorien vom "Gerechten Krieg" zurück und macht es vor dem Hintergrund einer veränderten weltpolitischen Situation und eingebettet in das neue sozialethische Gesamtkonzept fruchtbar. Das Hamburger Institut hat historisch wie systematisch viel dafür aufbereitet.Soviel allerdings sei gesagt: Die Reflexionen der Bischöfe über "Bedeutung und Grenzen militärischer Mittel" stehen in eindeutigem Gegensatz zu der heute offenbar wieder größer gewordenen Versuchung, den Krieg als ein mehr oder weniger normales Mittel der Politik zu begreifen. Der kirchliche Widerspruch gegen den Irak-Krieg ist nicht zuletzt auch aus der Sorge vor einer solchen Entwicklung zu verstehen. Allzu zweifelhaft nämlich war, ob dieser Feldzug wenigstens mit den legimatorischen Mindestanforderungen einer militärischen Gewaltanwendung in Einklang stünde. Dies galt - in klassischer Begrifflichkeit gesprochen - sowohl für die causa iusta wie für das Kriterium der ultima ratio und auch für die Frage nach der legitimen Autorität, die einen militärischen Einsatz anordnen darf. Es spricht für die Geistesgegenwart des Instituts, dass es - ohne jedes Haschen nach Aktualitätseffekten - als Band 25 der Reihe "Theologie und Frieden" eine Analyse herausgibt: "Gerechter Friede - Weltgemeinschaft in der Verantwortung", die des Jubiläumsjahres würdig istDie heutige Feier in einem mit der Militärseelsorge verbundenen Institut gibt Anlass, im Zusammenhang mit den gerade genannten Problemen den Blick auch auf die Soldaten - besonders auch auf die christlichen - zu lenken. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den sittlichen Anspruch, unter dem sie stehen, klar benannt: "Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei". Diesem Wort des Konzils folgend, war die Militärseelsorge innerhalb der Bundeswehr denn auch stets und in besonders sorgfältiger Weise bemüht, den Dienst des Soldaten unter den Vorzeichen seiner sittlichen Beanspruchung durch den Glauben zu interpretieren, die ethische Urteilskraft der Soldaten zu bilden und für Rahmenbedingungen des militärischen Dienstes einzutreten, die dem Bild des Soldaten als sittlichem Entscheidungsträger entsprechen. Hier sind auch die Prinzipien der Inneren Führung berührt, auf die die Kirche nach wie vor allergrößten Wert legt.Würde die Politik auch in Deutschland vom Prinzip eines sehr restriktiven Gebrauchs militärischer Mittel abweichen, so ergäben sich zwangsläufig erhebliche Probleme für die Soldaten und auch für ihre Seelsorger. Denn die Soldaten, die gegebenenfalls Gewalt anwenden und auch erleiden müssen, haben ein Recht darauf, dass ihr Einsatz ethisch solide begründet und verantwortet werden kann. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Transparenz hinsichtlich der Zwecke.
VIII.
Als die Bischöfe im Jahr 2000 ihr Friedenswort vorlegten, stand der 11. September noch bevor. Anders als manche Kritiker meinen, besteht gleichwohl kein Anlass, dieses Wort deshalb als bereits überholt beiseite zu legen. Aus der Sicht der Bischöfe jedenfalls bleibt nicht nur die theologische und sozialethische Grundlagenreflexion, sondern auch die Analyse der zentralen friedenspolitischen Probleme - jedenfalls in ihren wesentlichen Stücken - gültig. Zwar wird der Terrorismus in "Gerechter Frieden" nicht ausdrücklich thematisiert. Aber er gehört ja genau in jenen Kontext der Auflösung verlässlicher Machtstrukturen und zunehmender Entstaatlichung und Privatisierung von Gewalt, den das Wort der Deutschen Bischofskonferenz als Kernproblem der Sicherheitslage nach dem Ende des Kalten Krieges beschreibt. Hier müssen wir die neue Bedrohung durch den Terrorismus eingehender analysieren; hierher gehören auch Nagels Studien zu den Minderheitsproblemen.Auf der anderen Seite stehen wir, wenn nicht alles täuscht, in einem Prozess weitreichender und auch gefährlicher weltpolitischer Umwälzungen. Dies bringt auch für die friedensethische Forschung große Herausforderungen mit sich. Manches davon mag in meinen Überlegungen angeklungen sein. Vor allem der Weiterentwicklung des Völkerrechts und der internationalen Ordnung wird wohl zukünftig noch größere Aufmerksamkeit gelten müssen. Das Institut für Theologie und Frieden steht inmitten dieser Prozesse. Wir alle in der Kirche sind auf seine Arbeit - vielleicht mehr denn je - angewiesen.Ich möchte im Namen der deutschen Bischöfe und der ganzen Kirche unseres Landes dem Institut für Theologie und Frieden herzlich danken, den Gründungsvätern für ihren vielfachen Mut, nicht weniger den bisherigen und dem gegenwärtigen Leiter mit dem Stellvertreter, den Generalvikaren und Verantwortlichen im Militärbischofsamt, den Mitgliedern des Kuratoriums und des Wissenschaftlichen Beirats. Vor allem erbitte ich für die Zukunft Gottes reichen Segen des Himmels und der Erde, den Mut zum tiefen Blick in die Geschichte der Friedensbemühungen, besonders aus christlichem Geist, und zur Friedensethik als Theorie einer Praxis, die der Verantwortung des Glaubens für den Frieden gerecht werden muss.
Anmerkungen:    Vgl. dazu Dienst am Frieden. Stellungnahme der Päpste, des II. Vatikanischen Konzils und der Bischofssynode = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles 23, Bonn o.J. (1980), Texte von 1963-1980.    Vgl. Art. 79 bis 82 der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes".    Ebd., Art. 83 bis 90.    Vgl. E.-J. Nagel/H. Oberham, Dem Frieden verpflichtet. Konzeptionen und Entwicklungen der katholischen Friedensethik seit dem Zweiten Weltkrieg, München 1982.    Vgl. GS 5.    Vgl. GS 3.    Beide erschienen in der Reihe "Die deutschen Bischöfe", Bonn o.J. (1983/2001).    Gerechtigkeit schafft Frieden, Nr. 4.3.1.    Gerechter Frieden, 6.  Gerechter Frieden, 59.  Gerechter Friede, Überschrift zu Kapitel II.7.  Gerechter Friede, 133; GS 79.

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