| Pressemeldung | Nr. 042a

„Welthandel im Dienst der Armen“ – Eine Studie der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik der Deutschen Bischofskonferenz

Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, beim Pressegespräch zur Vorstellung der Studie am 27. April 2006 in Mainz

Es gilt das gesprochene Wort!

Die Globalisierung der Weltwirtschaft ist kein neues Phänomen, wohl aber hat sie sich insbesondere in den letzten dreißig Jahren dramatisch beschleunigt. Gesunkene Kommunikations- und Transportkosten, wirtschaftliche Transaktionen, die in so genannter „Echtzeit“ abwickelt werden können, und der Abbau mancher Handelsschranken haben einen die Kontinente umspannenden Markt herbeigeführt. Im globalen Maßstab ist dieser Weltmarkt mit erheblichen Wohlstandsgewinnen verbunden. Freilich tobt hier auch ein mörderischer Konkurrenzkampf. Durch unsere Kaufentscheidungen als Konsumenten nehmen wir alle an diesem harten Wettbewerb teil.

Immer deutlicher haben wir in den vergangenen Jahren festgestellt, dass auch die heimische Wirtschaft von der Einbettung in globale Wirtschaftszusammenhänge nicht nur profitiert; die Unternehmensnachrichten handeln nicht selten von Stellenabbau – insbesondere von Arbeitsplätzen mit geringen Qualifikationsanforderungen – und der Verlagerung ganzer Produktionsstätten. Auf eine neue Weise findet ein Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital statt, und wir erleben eine nicht da gewesene Mobilität von Arbeitsplätzen.
Die berechtigte Sorge um die Herausforderungen im eigenen Land darf allerdings den Blick nicht verstellen auf die Nöte der Armen weltweit. In schwierigen Zeiten ist die Versuchung groß, den globalen Horizont unserer Verantwortung nicht mehr wahrnehmen zu wollen. Christen ist eine solche Verkleinerung der Maßstäbe sittlichen Handelns jedoch prinzipiell verwehrt. Daran hat auch Papst Benedikt XVI. in seiner diesjährigen Botschaft für die Fastenzeit nachdrücklich erinnert: „Angesichts der schrecklichen Herausforderungen der Armut vieler Menschen stehen die Gleichgültigkeit und die Verschlossenheit im eigenen Egoismus in unerträglichem Gegensatz zum ,Blick' Christi“.

Es ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend, dass die Kirchen weltweit mit Zustimmung und konkreter Unterstützung reagiert haben, als die internationale Staatengemeinschaft zur Jahrtausendwende die Millenniums-Entwicklungsziele verkündete. Dazu zählt an erster Stelle das Ziel, die Zahl der Menschen, die weltweit unter extremer Armut und Hunger leiden, bis zum Jahre 2015 zu halbieren. Ganz zweifellos bedarf es vielfältiger Anstrengungen, wenn dieses Projekt zu einem Erfolg geführt werden soll. Die Staaten des Südens sind hier ebenso gefordert wie die Länder der nördlichen Hemisphäre, die Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht weniger als die Kräfte der Zivilgesellschaft. Reformen im Inneren der armen Länder, eine zielgerichtete Entwicklungszusammenarbeit und Maßnahmen zur Verbesserung der internationalen politischen und wirtschaftlichen Kooperation müssen ineinander greifen.

Nicht zuletzt hängt die Überwindung der Massenarmut auch von fairen Bedingungen im Welthandel ab. Dies ist das Thema der Studie, die wir heute vorstellen. Sie zeigt in ihrer Analyse, dass die elementaren Probleme der Entwicklungsländer dauerhaft nur beseitigt werden können, wenn die weltwirtschaftlichen Beziehungen am Wohl aller Menschen ausgerichtet werden. Als Maßstab für die Bewertung bestehender Strukturen dienen dabei insbesondere die Auswirkungen, die diese auf die Situation der ärmsten Bevölkerungsgruppen haben. Die Untersuchung der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, die seit 1989 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz tätig ist, denkt also von den Interessen der Armen her. Auch der Welthandel soll in deren Dienst gestellt werden.

Die Globalisierung wird dabei keineswegs grundsätzlich abgelehnt. Die Erfahrungen der zurückliegenden Jahrzehnte zeigen ja deutlich, dass eine Überwindung der Armut ohne Integration der betroffenen Länder in den Welthandel nicht gelingen kann. Andererseits – und auch das haben die letzten Jahre unzweideutig erkennen lassen – ist die bloße Einbindung der ärmsten Länder in die bestehenden Strukturen des Welthandels für sich genommen nicht zielführend. Die Integration in den Welthandel muss vielmehr von übergeordneten, vor allem auch von ethischen Prinzipien her gestaltet werden, wenn sie sich armutsmindernd auswirken soll. Anders gesagt: Es bedarf eines politisch verantworteten Ordnungsrahmens für den Welthandel, der faire Bedingungen gerade für die armen Länder sicherstellt.

Die Studie zeigt, dass insbesondere bei der Welthandelsorganisation (WTO), dem Hauptpfeiler der internationalen Handelsordnung, Veränderungsbedarf besteht. Stärker als bisher muss die WTO ein Regelwerk entwickeln, das den Bedürfnissen der wirtschaftlich schwächeren Länder Rechnung trägt. Dabei sind vor allem folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

Erstens: Die Möglichkeiten der bevorzugten und differenzierten Behandlung ärmerer Länder im Rahmen der Welthandelsordnung sollten ausgeweitet werden. Solche Ausnahmeregelungen sind konkret an den Belangen der ärmsten Bevölkerungsgruppen auszurichten.

Zweitens: Das bestehende Machtgefälle innerhalb der Welthandelsorganisation führt immer noch dazu, dass Regeln weiter bestehen, die zu einer Begünstigung der reichen Staaten und zu einer Schlechterstellung der ärmeren führen. Solche Regeln – man denke nur an die Subventionen zugunsten der Landwirtschaft in Europa und Nordamerika – müssen überwunden werden.

Drittens: Insbesondere in den sensiblen Bereichen des Agrar- und des Dienstleistungshandels müssen die Entwicklungschancen der Ärmsten Vorrang vor den Eigeninteressen der wirtschaftlich entwickelten Länder erhalten.
Viertens: Soziale und ökologische Standards, wie sie in verschiedenen internationalen Übereinkünften bereits vereinbart worden sind, müssen auch im Regelwerk der WTO Berücksichtigung finden.

Die laufende Verhandlungsrunde der WTO wird meist als „Entwicklungsrunde“ bezeichnet. Ob sie diesen Namen zu Recht trägt, ist noch keineswegs entschieden. Die Kirche jedenfalls ermutigt alle Verantwortlichen, die Chance dieser Verhandlungen nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

Die Studie „Welthandel im Dienst der Armen“ ist ein konstruktiver Beitrag zu dieser notwendigen Debatte, in dem sie konkrete Vorschläge für eine faire und gerechte Gestaltung der weltwirtschaftlichen Beziehungen unterbreitet. Die Ergebnisse der Untersuchung sind zugleich eine wertvolle Hilfe für die weltkirchliche Arbeit der Katholischen Kirche in Deutschland. Sie lädt die kirchliche, entwicklungspolitische und allgemeine Öffentlichkeit zu einer intensiven Diskussion ein.

Den Mitgliedern der Sachverständigengruppe, die ihren ökonomischen, sozialwissenschaftlichen und sozialethischen Sachverstand eingebracht haben, gilt mein herzlicher Dank für Ihre ehrenamtliche Mitwirkung. Professor Dr. Gerhard Kruip, der Vorsitzende der Sachverständigengruppe, wird Ihnen nun einen Einblick in das bisherige Arbeitsprogramm der Sachverständigengruppe geben und die ethischen Grundlagen darstellen, die den Studien zugrunde liegen, bevor Herr DDr. Johannes Wallacher die Untersuchung zum Welthandel vertiefend vorstellen wird.

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