| Pressemeldung | Nr. 042c

„Welthandel im Dienst der Armen“ – Eine Studie der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik der Deutschen Bischofskonferenz

Statement von DDr. habil. Johannes Wallacher (München) beim Pressegespräch zur Vorstellung der Studie am 27. April 2006 in Mainz

Es gilt das gesprochene Wort!

Der Titel „Welthandel im Dienst der Armen“ weist bereits darauf hin, dass es der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ in ihrer neuesten Studie nicht einfach um eine Analyse des Welthandels geht, sondern primär darum, nach den Voraussetzungen zu fragen, unter denen der Welthandel wirksam zur Überwindung der weltweiten Armut beitragen kann.

Um dies zu klären, werden zunächst einige wichtige Zusammenhänge zwischen Welthandel und wirtschaftlicher Entwicklung gegeben (Abschnitt 2). Dabei zeigt sich, dass der Welthandel in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist. Die Entwicklungsländer konnten insgesamt sogar überproportional hohe Handelszuwächse erzielen, während der Anteil der ärmsten Länder am Welthandel dagegen gesunken ist. Beim Einfluss weltweiter Handelsbeziehungen auf die wirtschaftliche Entwicklung der jeweiligen Länder gilt es zwischen Wachstums- und Verteilungswirkungen zu unterscheiden. Diesbezüglich kommen empirische Studien zu dem Ergebnis, dass Handelsliberalisierung, d. h. der Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken, ein Motor für ein breitenwirksames Wachstum sein kann, allein aber keine hinreichende Bedingung dafür darstellt. Auch durch theoretische Überlegungen lässt sich nämlich belegen, dass eine kontinuierliche wirtschaftliche Entwicklung, die zur Reduzierung der Armut beiträgt, nicht einfach durch die Marktöffnung erreicht wird, sondern auch von gezielten Maßnahmen zur Förderung des internationalen Handels und seiner Voraussetzungen abhängt. Das durch eine solche Handelsorientierung ausgelöste Wachstum ist tendenziell umso höher und breitenwirksamer, je besser es den Ländern gelingt, ihre Exportstruktur zu differenzieren und politische wie soziale Institutionen aufzubauen, welche helfen, die durch die außenwirtschaftliche Öffnung hervorgerufenen Anpassungen zu bewältigen.

Vor diesem Hintergrund entfaltet die Studie im dritten Teil sozialethische Maßstäbe für eine entwicklungsförderliche Ordnung des Welthandels. Ausgangspunkt der ethischen Argumentation ist die Menschenwürde, die allen Menschen unterschiedslos und in gleicher Weise zukommt und die auch die Grundlage der allgemeinen Menschenrechte ist. In der Logik eines solchen normativen Standpunkts liegt eine vorrangige Option für alle, die von diesen Rechten ausgeschlossen sind. Aus dieser Perspektive ist der Welthandel kein Selbstzweck, sondern vor allem danach zu beurteilen, ob und in welcher Form er dazu beiträgt, die Menschenrechte, und zwar sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen, zu gewährleisten.

Von zentraler Bedeutung dafür ist ein gerechterer Ordnungsrahmen für den Welthandel, dessen Hauptpfeiler die Welthandelsorganisation WTO ist. Deren Regelwerk muss sich zunächst einmal an den Prinzipien der Tausch- und der Verfahrensgerechtigkeit orientieren. Dies allein garantiert allerdings noch keinen wirksamen Abbau der Armut, die ja keineswegs nur ökonomische Ursachen hat. Vielmehr muss auch die Situation der Armen in den Blick genommen werden und Maßstäbe hierfür sind die Bedarfs-, Chancen-, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit. Die einzelnen Länder können nämlich nur dann eine Politik der Armutsbekämpfung verfolgen, wenn der Welthandel sie dabei möglichst unterstützt und nicht behindert. Dementsprechend sind die Regeln des Welthandels auch daraufhin zu prüfen, inwiefern sie den Gestaltungsspielraum der einzelnen Länder für wichtige armutsrelevante Bereiche (Ernährungssicherheit, Bildung, Gesundheit) erhalten und erweitern.

Unter dieser Rücksicht werden in den Abschnitten 4. Mai – 4.Juli vor allem die Abkommen der WTO zum Agrarhandel, zum Dienstleistungshandel und zu den geistigen Eigentumsrechten kritisch reflektiert und einige Reformoptionen genannt, da diese Bereiche für die ärmeren Länder und ihre Fähigkeit zur Armutsbekämpfung von besonderer Bedeutung sind. Misst man insgesamt die WTO an den genannten sozialethischen Maßstäben, so fällt die Bilanz unbefriedigend aus. Dies gilt besonders für das von der WTO selbst genannte Ziel, die Handelsperspektiven der wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Länder zu verbessern. Hier gibt es weiterhin eine Reihe von strukturellen Defiziten. Andererseits sind jedoch gerade ärmere Länder auf ein verlässliches multilaterales Regelsystem angewiesen, da es ihnen bessere Aussichten bietet, ihre Interessen zu wahren, als durch bilaterale und regionale Abkommen. Eine Weiterentwicklung der WTO zu einer stabilen und verlässlichen Welthandelsordnung ist freilich im Interesse aller Beteiligten. Die Welthandelsordnung muss allerdings mehr als bisher auf die Bedürfnisse der wirtschaftlich schwächsten Länder ausgerichtet werden, wozu sich die Vertragsstaaten zu Beginn der laufenden Welthandelsrunde in Doha 2001 auch bekannt haben. Den Anspruch, die gegenwärtigen Verhandlungen zu einer wirklichen „Entwicklungsrunde“ abzuschließen, gilt es nun auch umzusetzen. Dafür tragen die Industrieländer, inzwischen aber auch die immer einflussreicheren Schwellenländer eine besondere Verantwortung.
Lassen sie mich zum Schluss noch kurz einige Reformschritte für eine stärkere Entwicklungsorientierung der WTO nennen, die im vierten Abschnitt der Studie ausführlicher beschrieben werden. Die Bestimmungen zur bevorzugten und differenzierten Behandlung ärmerer Länder, wodurch diese unter gewissen Bedingungen von einzelnen Verpflichtungen der WTO befreit werden können, sind zu überprüfen, weiterzuentwickeln und effektiver zu gestalten, damit sie sich tatsächlich zum Nutzen der Armen auswirken. Um soziale und ökologische Anliegen im Welthandel stärker zur Geltung bringen, ist eine bessere Abstimmung der WTO mit anderen Organisationen und Institutionen notwendig, die für die internationale Sozial-, Umwelt-, Menschenrechts- oder Entwicklungspolitik zuständig sind. Außerdem sind die offensichtlichen verfahrensrechtlichen Defizite in der WTO durch mehr Transparenz und eine echte Beteiligung aller Länder an den Beratungs- und Entscheidungsstrukturen zu überwinden.

Als Ergänzung dazu ebenso wichtig sind entwicklungspolitische Strategien (Abschnitt 5), um einerseits die Grundlagen für eine erfolgreiche Weltmarktintegration armer Länder zu schaffen und andererseits die damit verbundenen Risiken zu mindern. Hier sind die einzelnen Staaten – Entwicklungs- und Industrieländer – wie auch internationale Organisationen in der Pflicht, ihren jeweiligen Beitrag zu leisten. Schließlich sind auch die christlichen Kirchen als wichtige gesellschaftliche Akteure herausgefordert, sich für eine gerechte Gestaltung des Welthandels einzusetzen. Einige Handlungsmöglichkeiten dafür bilden den Abschluss der Studie.

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