| Pressemeldung | Nr. 042

„Welthandel im Dienst der Armen"

Zusammenfassung der Studie der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik der Deutschen Bischofskonferenz

Wie müssen die Strukturen des Welthandels gestaltet sein, damit die notwendigen Bemühungen der einzelnen Entwicklungsländer zur Überwindung von Armut und Unterentwicklung unterstützt, zumindest aber nicht behindert werden?

Zur Klärung dieser Frage gibt die Studie „Welthandel im Dienst der Armen“ zunächst einen Überblick über die Zusammenhänge zwischen Welthandel und wirtschaftlicher Entwicklung. Dazu gehört eine Bestandsaufnahme der bestehenden Ordnungselemente und wichtiger empirischer Entwicklungstrends des Welthandels sowie ihrer Einflüsse auf das Wirtschaftswachstum in den einzelnen Ländern. Festzustellen ist, dass der Welthandel in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist. Die Entwicklungsländer konnten insgesamt überproportional hohe Handelszuwächse erzielen. Dagegen ist der Anteil der ärmsten Länder am Welthandel gesunken, was mit dazu beigetragen hat, dass diese Länder kaum Entwicklungsfortschritte erzielen konnten.

Grenzüberschreitender Handel, wirtschaftliches Wachstum und breitenwirksame Wohlstandseffekte hängen zusammen. Empirische Studien zeigen, dass Handelsliberalisierung ein Motor für breitenwirksames Wachstum sein kann, allein aber keine hinreichende Bedingung dafür darstellt. Eine kontinuierliche wirtschaftliche Entwicklung, die zur Reduzierung der Armut beiträgt, wird nicht einfach durch die Marktöffnung erreicht, sondern hängt auch von funktionsfähigen Institutionen und gezielten handelspolitischen Strategien ab. Das lässt sich auch durch theoretische Überlegungen untermauern. Politische und soziale Institutionen können dazu beitragen, den durch eine außenwirtschaftliche Öffnung hervorgerufenen Wandel zu bewältigen. Je besser es den Ländern gelingt, solche Institutionen aufzubauen und ihre Exportstruktur zu differenzieren, umso höher und breitenwirksamer ist tendenziell das Wachstum, das durch eine stärkere Handelsorientierung ausgelöst wird.

Vor diesem Hintergrund entfaltet die Studie sozialethische Maßstäbe für eine entwicklungsförderliche Welthandelsordnung. Diese Maßstäbe sind Grundlage für eine kritische Reflexion der derzeitigen Strukturen des Welthandels und für die Entfaltung von Reformperspektiven. Ausgangspunkt der ethischen Argumentation ist die Menschenwürde, die allen Menschen unterschiedslos und in gleicher Weise zukommt und Grundlage der allgemeinen Menschenrechte ist. Daraus folgt eine vorrangige Option für alle, die von diesen Rechten ausgeschlossen sind. Aus dieser Perspektive ist der Welthandel kein Selbstzweck. Vielmehr ist er vor allem danach zu beurteilen, ob und in welcher Form er dazu beiträgt, die Menschenrechte in ihren verschiedenen Dimensionen zu gewährleisten und Armut und Unterentwicklung abzubauen.

Aus der Menschenwürde lässt sich auch ableiten, dass die Menschen selbst Ausgangspunkt, Träger und Ziel aller Entwicklung sein sollen. Dazu müssen die Menschen freilich eine faire Chance haben, sich an Markt- und Tauschprozessen zu beteiligen und an deren Wohlfahrtseffekten teilzuhaben. Die Voraussetzungen dafür können die Armen oft nicht allein schaffen, sondern sie sind auf Hilfe und unterstützende Institutionen angewiesen. Von zentraler Bedeutung ist dabei eine faire Welthandelspolitik. Der Welthandel braucht einen Ordnungsrahmen, der sich am Maßstab der Gerechtigkeit in seinen verschiedenen Dimensionen orientiert: Dementsprechend muss eine gerechte Welthandelspolitik dem Prinzip der Tausch- und der Verfahrensgerechtigkeit entsprechen. Allerdings garantiert dies allein noch keinen wirksamen Abbau der Armut: Weil Armut nicht allein ökonomische Ursachen hat, muss die konkrete Situation der Armen beachtet werden. Der Welthandel muss folglich so gestaltet sein, dass er die Politik der Armutsbekämpfung in den einzelnen Länder nicht behindert, sondern möglichst unterstützt. Dementsprechend sind die Regeln des Welthandels auch daraufhin zu prüfen, inwiefern sie den Gestaltungsspielraum der einzelnen Länder für wichtige armutsrelevante Bereiche (Ernährungssicherheit, Bildung, Gesundheit) erhalten und erweitern. Dabei spielen vor allem die Bedarfs-, Chancen-, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit eine wichtige Rolle.

Die Welthandelsorganisation (WTO) ist ein Hauptpfeiler der gegenwärtigen Welthandelsordnung. Die Studie misst die WTO an den entwickelten sozialethischen Maßstäben. Sie kommt dabei zu einem ambivalenten Ergebnis: Es wird deutlich, dass eine multilaterale Ordnung des Welthandels der richtige Weg hin zu einer gerechten Gestaltung des Welthandels im Dienst der Armen ist. Viele bestehende Probleme zeigen allerdings auch, wie wichtig es ist, die WTO weiterzuentwickeln. Vor allem muss die Welthandelsordnung mehr als bisher auf die Bedürfnisse der wirtschaftlich schwächsten Länder ausgerichtet werden. Eine stärkere Entwicklungsorientierung der WTO verlangt Reformen in folgender Hinsicht:

Die ärmeren Länder benötigen mehr Spielraum, unter gewissen Bedingungen von einzelnen Verpflichtungen der WTO befreit werden zu können. Die entsprechenden Bestimmungen zur bevorzugten und differenzierten Behandlung ärmerer Länder sind in diesem Sinne zu überprüfen, weiterzuentwickeln und effektiver zu gestalten, damit sie sich tatsächlich zum Nutzen der Armen auswirken.

Soziale und ökologische Anliegen müssen im Welthandel stärker zur Geltung gelangen. Eine bessere Abstimmung der WTO mit anderen Organisationen und Institutionen, die für die internationale Sozial-, Umwelt-, Menschenrechts- oder Entwicklungspolitik zuständig sind, ist daher erforderlich.

Die offensichtlichen verfahrensrechtlichen Defizite in der WTO müssen überwunden werden. Eine Reform der Verhandlungsverfahren muss dabei auf mehr Transparenz und eine echte Beteiligung aller Länder an den Beratungs- und Entscheidungsstrukturen zielen.

Für die ärmeren Länder und ihre Fähigkeit zur Armutsbekämpfung sind die Abkommen der WTO zum Agrarhandel, zum Dienstleistungshandel und zu den geistigen Eigentumsrechten von besonderer Bedeutung. In diesen Bereichen agieren die Industrieländer gegenwärtig höchst eigennützig und ohne Rücksicht auf die entwicklungspolitischen Folgewirkungen für die ärmeren Länder: Die Industrieländer weigern sich, ihre wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen im Agrarhandel abzubauen, während sie zugleich die Entwicklungsländer unter Druck setzen, ihre sensiblen Dienstleistungsmärkte etwa im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge schneller zu öffnen. Die Industrieländer müssen hier dringend eine entwicklungsförderliche Haltung einnehmen.

Bilaterale und regionale Handelsabkommen können für viele Länder eine sinnvolle Option auf dem Weg zu einer vollständigen Integration in die Weltwirtschaft sein. Diese Vereinbarungen dürfen allerdings eine weltweit verbindliche Ordnung des Welthandels nicht untergraben. Eine multilaterale Welthandelsordnung ist letztlich im Interesse aller Beteiligten.

Eine entwicklungsorientierte Reform der WTO in den genannten Bereichen ist ein notwendiger Schritt, damit der weltweite Handel einen positiven Beitrag zur Überwindung von Armut und Unterentwicklung leisten kann. Allein werden diese Reformen freilich keinesfalls ausreichen. Als Ergänzung der Handelspolitik ebenso wichtig sind entwicklungspolitische Strategien, die einerseits die Grundlagen für eine erfolgreiche Weltmarktintegration armer Länder schaffen und andererseits die damit verbundenen Risiken mindern. Hier sind die einzelnen Staaten – Entwicklungs- und Industrieländer – wie auch internationale Organisationen in der Pflicht, ihren jeweiligen Beitrag zu leisten.

Auch die christlichen Kirchen als wichtige gesellschaftliche Akteure sind herausgefordert, sich für eine gerechte Gestaltung des Welthandels einzusetzen. Dies verlangt zum einen eine aktive Beteiligung an der politischen Debatte um die künftige Ordnung des Welthandels. Zum anderen sind sie selbst, wie auch die anderen Religionsgemeinschaften, globale Akteure. Durch ihre Aktivitäten und ihr Verhalten können sie Anstöße für eine menschengerechte Weltwirtschaft geben.

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