| Pressemeldung

"Wahrheit, Erinnerung und Solidarität - Schlüssel zu Frieden und Versöhnung"

Wort der ComECE zum Frieden

(11. 3. 1999)
PräambelDie Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union nimmt die näherrückende Jahrtausendwende zum Anlaß, sich zu Fragen des Friedenserhalts und der Friedensgestaltung zu äußern. Wir Bischöfe betrachten die Stellungnahme zu politischen und sozialen Prozessen, die für das Leben der Menschen und Völker in Europa und darüber hinaus von großer Bedeutung sind, als einen wichtigen Teil unserer Verantwortung. Deswegen sprechen wir, als Vertreter der verschiedenen Bischofskonferenzen aus den Ländern der Europäischen Union, zu allen Menschen Europas - zu jenen, die mit uns denselben Glauben teilen, aber auch zu allen anderen Menschen guten Willens. Besonders wenden wir uns an jene, deren Handeln in Politik und Gesellschaft eine besondere Bedeutung zukommt.Schon die Bibel legt uns die Sorge um den Frieden ans Herz; immer wieder weisen die alttestamentlichen Propheten auf den untrennbaren Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden hin, und die Bergpredigt im Neuen Testament preist jene selig, die Frieden stiften (vgl. Mt 5,9). In der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils und in den Verlautbarungen der Päpste dieses Jahrhunderts liegt auf Fragen einer Ethik des Friedens besonderes Gewicht. Papst Johannes XXIII. machte sie zum Gegenstand einer eigenen Enzyklika, und im gleichen Geist hob Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Centesimus Annus" hervor: "Der wahre Friede ... ist niemals das Ergebnis eines errungenen militärischen Sieges, sondern besteht in der Überwindung der Kriegsursachen und in der echten Aussöhnung unter den Völkern" (CA 18). In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1999 betont der Papst, daß nur dort Friede möglich wird, wo die Würde und die Rechte des Menschen geachtet und geschützt werden.Auch die Bischofskonferenzen in einzelnen Ländern haben sich wiederholt und in verschiedener Weise zu Fragen des Friedens geäußert. Dies unterstreicht die fundamentale Bedeutung dieser Thematik. Uns ist dabei bewußt, daß die Idee eines vereinigten Europas und der Gedanke des Friedens eng miteinander verbunden sind. Nach der Katastrophe zweier verheerender Kriege in diesem Jahrhundert haben Staatsmänner in verschiedenen Ländern unseres Kontinents damit begonnen, schrittweise ein gemeinsames Europa aufzubauen. Sie suchten nach politischen und gesellschaftlichen Strukturen, die die Institution des Krieges in dieser Region der Welt überwindbar machen und die Völker und Nationen friedensfähig werden lassen. Dieses Anliegen bleibt - trotz aller Fortschritte, die wir dankbar verzeichnen dürfen - auch heute aktuell. Mehr noch: es ist ein wichtiger Maßstab für die Bewertung des europäischen Integrationsprozesses, ob auf diesem Weg ein Beitrag zur Friedensfähigkeit der europäischen Staatengemeinschaft geleistet werden kann.Für die politischen Entscheidungsträger, aber auch für jene, die im Raum der Gesellschaft in unterschiedlicher Weise an öffentlicher Verantwortung teilhaben, kommt es heute darauf an, gemeinsam nach den Möglichkeitsbedingungen eines gerechten Friedens zu suchen, der allein den Kriegen vorzubeugen vermag. Dabei verkennen wir nicht, daß die Auffassungen der Verantwortlichen über die Wege, wie die Voraussetzungen für einen gerechten Frieden herbeigeführt werden können, von einer Vielfalt verschiedener Weltsichten und normativer Orientierungen beeinflußt sind. Das Finden eines übergreifenden Grundkonsenses erweist sich so als eine ebenso anspruchsvolle wie dringliche Aufgabe. Im Geist christlicher Friedensspiritualität wollen wir daran mitwirken, daß sie bewältigt werden kann. Dabei orientieren wir uns an der Aufforderung Jesu, die jeweiligen Zeichen der Zeit zu verstehen (vgl. Lk 21,5-28) - aufmerksam zu sein für die tatsächlichen Leiden und Opfer der Menschen und die Notwendigkeit, sie zu überwinden, anstatt sich dem ethischen Anspruch, der von ihnen ausgeht, durch eine Flucht in ideologische Rechtfertigungsversuche zu entziehen. Wir bekräftigen, daß Gottes- und Nächstenliebe eine unauflösliche Einheit bilden - nicht nur im Bereich der privaten Lebensführung, sondern auch im Raum der Politik, ja sogar im Feld der internationalen Beziehungen. Trotz allen Realismus über die Grenzen, an die das Bemühen um eine ethisch annehmbare Außenpolitik auch gegenwärtig häufig stößt, halten wir daran fest, daß es alles zu tun gilt, die Chancen und Möglichkeiten einer solchen Politik auszureizen, ja immer mehr zu erweitern.Positive EntwicklungenZunächst möchten wir unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß die Herausforderungen der politischen Wende in Europa Ende der achtziger Jahre angenommen wurden und ihre Bewältigung auf vielen Gebieten voranschreitet: Überwiegend haben die Grenzen ihren trennenden Charakter für die Menschen verloren. Die Spaltung Europas in zwei hochgerüstete Militärblöcke wurde gewaltfrei überwunden. Die Gefahr eines großen, zerstörerischen Krieges unter Einsatz von Atomwaffen erscheint erheblich verringert. Internationale Organisationen und Institutionen (z.B. der Europarat, die Europäische Union, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) wurden weiterentwickelt. Sie haben dazu beigetragen, ein immer dichteres Netz von Strukturen kooperativer Sicherheit entstehen zu lassen. Auch das atlantische Bündnis formuliert seine Aufgaben im Hinblick auf die Kooperation mit den Staaten Mittel- und Osteuropas in umfassenderer Weise. In Ländern, die sich unter den Voraussetzungen der Ost-West-Konfrontation auf die Position der Neutralität verwiesen sahen, wird nun neu darüber diskutiert, in welcher Weise die eigene außenpolitische Mitverantwortung für die Konsolidierung einer Friedensordnung künftig wahrgenommen werden soll.Die Überwindung der kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa gelang auf unblutige Weise. In vielen dieser Länder wurden jene Rechtssysteme abgeschafft, in denen sich vor allem der umfassende Herrschaftsanspruch einer einzigen Partei spiegelte. Nunmehr sind fast überall demokratische Verfassungsordnungen eingeführt, in denen grundlegende Menschenrechte und persönliche Freiheiten wirksam vor staatlichem Zugriff geschützt sind. Wo solche grundlegenden Reformen gelungen sind, erscheinen die vormals vertrauten Instrumente politischer Repression nicht länger als eine unabänderliche, wenngleich für unzählige Menschen leidvolle Wirklichkeit. Vorsichtig und allmählich kommt selbst die Suche nach Wegen voran, wie mit den "Schatten der Vergangenheit" umzugehen ist und der Schmerz der Wunden, die z.T. weit zurückliegendes Handeln den Opfern zufügte, gelindert werden kann. Dies ist besonders in den Ländern Zentral- und Osteuropas dringlich, und es ist - wenngleich in verschiedenem Grad und auf unterschiedliche Weise - spürbar geworden, daß die Bedeutung dieser Aufgabe anerkannt wird. Die bisherigen mutigen Schritte zur friedlichen Überwindung der Apartheid in Südafrika zeigen stellvertretend für manch andere Entwicklungen, daß Prozesse der inneren Aussöhnung nicht auf den europäischen Zusammenhang beschränkt bleiben. Das Modell der südafrikanischen "Wahrheits- und Versöhnungskommission" macht dabei deutlich, daß der innere Frieden einer Gesellschaft nicht gefunden und erhalten werden kann, solange man der Frage nach einem angemessenen Umgang mit der Last der Erinnerung auszuweichen sucht. In ähnlicher Weise hat sich nach dem über dreißigjährigen Bürgerkrieg in Guatemala unser grausam ermordeter Mitbruder, Bischof Gerardi, darum verdient gemacht, daß das Projekt einer "Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses" erfolgreich durchgeführt werden konnte. Auf diese Weise wurde eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür geschaffen, sich jüngster Geschichte unter dem Anspruch der Wahrhaftigkeit zu erinnern. Nur so läßt sich verhindern, daß das Leid derer, die zu Opfern von Unrecht und Gewalt wurden, im nachhinein beschönigt und verharmlost werden kann.Gründe für Scham und TrauerGleichwohl stehen neben diesen Fortschritten andere Ereignisse und Entwicklungen, die uns besorgt machen, ja denen gegenüber wir Trauer empfinden und Scham: Es ist nicht gelungen, die Rückkehr des Krieges nach Europa zu verhindern. Das ehemalige Jugoslawien brach unter furchtbaren Gewaltexzessen auseinander, deren Opfer vor allem die Zivilbevölkerung geworden ist. Die Eskalation der Gewalt auf dem Balkan hat vor Augen geführt, wie zerbrechlich viele Errungenschaften zivilen Zusammenlebens sind. Sie hat auch offenbart, wie wenig wir damit rechnen können, daß politische Verhältnisse, die vor allem durch äußeren Druck oder innere Repression erzwungen wurden, auf längere Sicht bestehen bleiben. Die Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien stehen überdies für einen neuen Typ von Konflikten. Sie beruhen nicht auf zwischenstaatlichen Streitigkeiten, sondern gehen auf Verhältnisse innerhalb von Staaten zurück, die schwere Defizite an politischer und sozialer Gerechtigkeit aufweisen. Vor allem in der Eskalation solcher Konflikte und in der latenten Gefahr ihres Übergreifens auf Nachbarstaaten liegen die friedenspolitischen Herausforderungen nach dem Ende des Kalten Krieges. In derartigen Konflikten offenbart sich zudem die Gefahr nationalistischer Ideologien. Sie suchen die unbewältigten Erinnerungen an erlittenes Leid und Unrecht in der Vergangenheit neu zu beleben, um Menschen zur Gewalt gegen ihre Mitmenschen bereit zu machen. Innerstaatliche Konflikte beschränken sich nicht auf den mittel- und osteuropäischen Raum. Wenngleich uns bewußt ist, daß jede Krisen- und Konfliktsituation ihre eigenen Konturen aufweist, gilt doch auch für Westeuropa, daß bis in die jüngste Vergangenheit manche Regionen - z.B. Korsika, das Baskenland, Nordirland - immer wieder von Gewalt und Terror erschüttert wurden. Auch dort sind Friedensprozesse nur unter vielfältigen Rückschlägen mühsam voranzubringen. Bisher ist es nicht gelungen, die Proliferation konventioneller Rüstung wie die Weiterverbreitung von Nukleartechnologie, die militärischen Zwecken dienen soll, hinreichend zu kontrollieren und einzudämmen. Die Atomwaffenversuche in Indien und Pakistan vom Frühjahr 1998 haben die ernsten Gefahren, die in einer ungehemmten Fortsetzung solcher Trends liegen, sehr deutlich werden lassen. Doch ist ebenso daran zu erinnern, daß die großen Nuklearmächte ihrer vertraglichen Verpflichtung zu einschneidender Abrüstung noch immer nicht entsprechen, und daß den Ursachen der politischen Konflikte, die hinter dem Streben nach moderner Bewaffnung aller Art sichtbar werden, auch gegenwärtig nicht entschlossen genug entgegengewirkt wird.In vielen Ländern Mittel- und Osteuropas haben die Menschen das Ende der Ost-West-Konfrontation als Befreiung, aber auch als den Beginn neuer Ungewißheiten über ihre persönliche Zukunft erfahren. Vertraute, wenngleich in ihrer konkreten Form häufig abgelehnte politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen wurden infolge dieser epochalen Zäsur zerstört. Für viele brachte dies Desorientierung und nicht selten den Verlust dessen mit sich, was sie sicher erreicht zu haben hofften und worauf sie stolz waren. Sie begannen alsbald zu fragen, wie sich neugewonnene Freiheiten und Maßstäbe der sozialen Gerechtigkeit künftig würden vereinbaren lassen. Auch für die Staaten Westeuropas stellen sich Fragen politischer und sozialer Gerechtigkeit immer dringlicher. Zunehmende Arbeitslosigkeit (besonders unter Jugendlichen), Drogenkonsum, Kriminalität und ein Klima wachsender Intoleranz und Gewaltbereitschaft gegenüber Minderheiten im eigenen Land, Ausländern und Migranten drohen den innergesellschaftlichen Frieden zu untergraben. Diese Entwicklungen, deren Wurzeln teilweise den nationalen Rahmen überschreiten, zeigen an, daß auch der Zusammenhalt westlicher Gesellschaften durch Ungerechtigkeiten und Spaltungen gefährdet ist. Sie wecken den Ruf nach einer Erneuerung grundlegender Übereinstimmungen in Fragen der nationalen wie internationalen Solidarität und des Schutzes der individuellen Menschenwürde. Grenzüberschreitend sind die Stabilität auch demokratisch legitimierter politischer Ordnungen und die persönliche Sicherheit ihrer Bürger durch Terrorismus und organisierte Kriminalität bedroht. Die Schwierigkeiten ihrer Bekämpfung im Rahmen rechtsstaatlicher Grundsätze tragen dazu bei, daß die Zustimmung zur freiheitlichen und demokratischen Verfassung von Staat und Gesellschaft unterhöhlt wird. Wir sind über diese gesellschaftlich-politischen Folgewirkungen nicht weniger besorgt als über deren verursachende Faktoren selbst.Aktuelle HerausforderungenGerade denjenigen Kräften in Politik und Gesellschaft, die die Chancen einer Vergewisserung über solche grundlegenden Konsense wesentlich beeinflussen können, kommt in dieser Situation besondere Verantwortung zu. Dies gilt auch für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Nicht selten waren sie an der Entstehung und dem Verlauf bewaffneter Konflikte beteiligt. Sie können aber heute darauf einwirken, welche Chancen der Bewahrung und Förderung des Friedens eröffnet werden. Als Bischöfe wenden wir uns daher nicht nur an diejenigen, die mit uns denselben Glauben teilen, sondern - wie wir es in den einleitenden Sätzen formuliert haben - an alle Menschen guten Willens, die am Aufbau einer friedens- und zukunftsfähigen Gemeinschaft der Völker mitwirken können. Wir stellen fest, daß die gegenwärtige politische Landkarte Europas und der Welt weniger denn je eine strikte Trennung zuläßt zwischen Problemen, die die Friedensverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft betreffen, und solchen, die herkömmlich als Fragen innerstaatlich herzustellender Gerechtigkeit aufgefaßt wurden. Haben die von uns beklagten Entwicklungen nicht eine gemeinsame Wurzel, die in einer übermäßigen Betonung unterschiedlicher Formen von Eigeninteressen zu Lasten jenes umfassenden Gemeinwohls liegt, auf das solidarisches Handeln auch in gesellschaftlichen und politischen Systemen gerichtet sein muß? Ist nicht die Verfolgung solcher Eigeninteressen mit den Mitteln der Machtkonkurrenz auf nahezu allen Ebenen zum bestimmenden Prinzip des Handelns geworden? Bewirkt dies nicht zwangsläufig, daß auch in den Strukturen, in denen dieses Handeln sich vollzieht, Maßstäbe überparteilicher politischer Gerechtigkeit nicht mehr hinreichend zur Geltung gebracht werden können? Gerade weil wir anerkennen, welche Fortschritte im weiteren Aufbau von Instrumenten der Friedenssicherung in den vergangenen Jahren gemacht werden konnten, sind wir besorgt, daß diese Strukturen hinter ihrer möglichen Leistungsfähigkeit zurückbleiben könnten, weil sie zu wenig vom Geist der internationalen Solidarität getragen werden. Gewiß hat auch das zögerliche Vorankommen auf dem Weg hin zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik hier eine seiner tiefreichendsten Wurzeln.Dabei erinnern wir an die großen Fortschritte in den Beziehungen der Völker und Staaten, die besonders nach dem Zweiten Weltkrieg aus einem allseits geteilten Interesse an mehr Frieden und Gerechtigkeit heraus möglich wurden. Das Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen mag hier als ein Beispiel dienen. Traditionelles Denken, das im anderen vor allem den politischen Gegner und Rivalen, wenn nicht gar den Feind zu erkennen glaubte, konnte überwunden werden. Dies ist dem Friedenswillen maßgeblicher Akteure auf allen Seiten zu danken, die den Mut und die Bereitschaft zu politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit aufbrachten. Erst dadurch konnten herkömmliche Denkweisen und Verhaltensmuster in Frage gestellt und der Blick auf diejenigen Herausforderungen geschärft werden, von denen die Völker Europas und der Welt zunehmend gemeinsam betroffen sind.Deswegen rufen wir dazu auf, daß die dringend notwendige Anpassung der politischen Systeme an die Aufgaben, die es zur Friedenserhaltung heute zu bewältigen gilt, von einer Bekehrung der Herzen begleitet sein möge. In einem erneuerten Geist, der solcher Umkehr entspricht, wird es möglich werden, jede Engführung der Friedensverantwortung auf die besonderen Interessen nur des jeweils eigenen Staates und Volkes zu korrigieren. Sie sind ja, bei Licht besehen, nur Teil jenes übergreifenden Gesamtinteresses der Menschheit, das sich als Weltgemeinwohl bezeichnen läßt. Erst die Perspektive eines solchen übernationalen Gemeinwohls läßt uns erkennen, wo nationalstaatliche Interessenverfolgung ihre Legitimität einbüßt, weil sie elementare Rechte und Interessen anderer verletzt und so leicht zu neuer Ungerechtigkeit oder zur Festschreibung überkommener Unrechtsverhältnisse führt. Solche Erkenntnisse haben ihre Konsequenzen in allen Bereichen des politischen und sozialen Lebens; sie erstrecken sich auf Fragen der Friedenssicherung mit den Mitteln der klassischen Außenpolitik, auf die Fortentwicklung des internationalen Rechts, aber ebenso auf die komplexen Probleme einer Beherrschung der großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Trends, die häufig mit dem Schlagwort der "Globalisierung" markiert werden. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Ausbau von Strukturen eines einigen Europas eine neue Bedeutung. Denn er trägt dazu bei, daß sich zwischen dem Wohl der Personen, der Gruppen, der Nationen und der gesamten Völkergemeinschaft Brücken schlagen lassen. Aus der Perspektive des Weltgemeinwohls erscheinen uns die nachfolgend genannten Aufgaben besonders dringlich:Die Zukunft Europas auf Solidarität und Gerechtigkeit gründenBisher haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in konkreten Fragen ihre je eigenen Optionen gewählt, auch wenn sie sich im Interesse an einem weiteren Ausbau der europäischen Institutionen zusammenfinden. Dies gilt auf sicherheitspolitischem Gebiet, aber nicht minder in wesentlichen Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Bei der Fortentwicklung solcher Institutionen wie im Prozeß der Öffnung der Europäischen Union für weitere europäische Teilnehmerstaaten kommt es deswegen wesentlich darauf an, Absprachen und Regelungen vom Gedanken eines Interessenausgleichs her zu treffen, der im Hinblick auf alle von der jeweiligen Regelung Betroffenen gerecht, ja solidarisch genannt werden kann. Dies erfordert auf seiten der wirtschaftlich und politisch starken Akteure die Bereitschaft, dort auch substanziellen Verzicht auf eigene Vorteile zu leisten, wo sich nur auf diese Weise Armut, Verelendung und politische Destabilisierung in den Ländern des Ostens wirksam bekämpfen lassen und - wie es im Frühjahr 1998 Papst Johannes Paul II. in Wien formulierte - das "unmenschliche Wohlstandsgefälle innerhalb Europas" allmählich abgeflacht werden kann.Das Fehlen einer Politik, die sich allseits an diesem Prinzip orientiert, zeigt sich gegenwärtig besonders im binneneuropäischen Umgang mit Fragen der internationalen Migration. Wir sind besorgt darüber, daß in aktuellen Vorschlägen zu einer Weiterentwicklung des Asyl- und Flüchtlingsrechts - in einzelnen Mitgliedsstaaten, aber auch auf der Ebene der europäischen Institutionen - der Gedanke der notwendigen Solidarität mit Flüchtlingen und Asylsuchenden kaum mehr spürbar ist. Stattdessen erscheinen die Abwehrmöglichkeiten der potentiellen Aufnahmestaaten gegenüber einer unbegründeten Inanspruchnahme ihres Schutzes und Fragen der inneren Sicherheit dieser Staaten als fast allein ausschlaggebender Maßstab der Flüchtlingspolitik. Besonders problematisch ist dies in bezug auf die wachsende Zahl von Menschen, die vor interethnischen Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnlichen Konflikten auf der Flucht sind. Die Frage, welche Mitverantwortung für ihr Schicksal uns die Achtung vor der personalen Würde dieser Menschen abverlangt, droht demgegenüber zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Jede Rücksicht auf partikulare nationale Interessenlagen muß mit der Zielbestimmung vereinbar bleiben, Flüchtlingen und Verfolgten Schutz zu gewähren und ihre grundlegenden Menschenrechte zu garantieren. Insbesondere darf niemand dorthin abgeschoben werden, wo er zum Opfer von Folter oder anderen Formen grausamer und unmenschlicher Behandlung zu werden droht. Vor einer Rückführung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen in ihre Herkunftsländer ist sorgsam zu prüfen, ob die Situation vor Ort es ermöglicht, die Heimkehrenden vor neuer Gewalt wirksam zu schützen und sie in die dortige Gesellschaft schrittweise wieder einzugliedern. Darüber hinaus stellt die Bereitschaft zu einer europäischen Lastenteilung gerade auf dem Feld der Migrationspolitik eine der wichtigsten Herausforderungen auf dem Weg zur weiteren Integration Europas dar. Wir betonen dies mit Nachdruck, denn wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß es gerade in dieser Frage weithin an der politischen Bereitschaft fehlt, notwendige und zumutbare Entscheidungen im europäischen Rahmen zu treffen und durchzusetzen.Das Prinzip eines gerechten Interessenausgleichs verdient auch in den Beziehungen mit solchen Staaten Beachtung, die auf absehbare Zeit den sich erweiternden europäischen Institutionen nicht angehören werden. Die Beziehungen auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik wie auf der Ebene der wirtschaftlichen Kooperation müssen so gestaltet werden, daß nicht der Eindruck entsteht, Europa suche seine ökonomische Prosperität und außenpolitische Stabilität zu Lasten anderer internationaler Partner zu wahren. Vielmehr obliegt es gerade einem wirtschaftlich starken, einflußreichen und hochintegrierten Europa, sich nach Kräften für gerechtere Strukturen auch in der Weltwirtschaft einzusetzen. Ebenso ist grundlegend für ein Verständnis von Sicherheit, das die geforderte Orientierung am übergreifenden Gesamtinteresse der Völkergemeinschaft ernst nimmt, die Entfaltung des Sicherheitskonzepts in einer universellen Perspektive: als gemeinsame Sicherheit nicht nur für die wohlhabenden Staaten des westeuropäischen bzw. nordatlantischen Raumes, sondern auch für jene Staaten und mit ihnen, die den vorhandenen Strukturen und Institutionen multilateraler Sicherheitspolitik aus unterschiedlichen Gründen nicht angehören. In gesamteuropäischer Sicht ist insbesondere festzuhalten, daß die Menschen in allen Ländern Mittel- und Osteuropas nicht weniger als diejenigen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. der NATO legitime Sicherheitsinteressen haben, denen es beim Auf- und Ausbau einer Friedensordnung Rechnung zu tragen gilt. Schließlich erinnern wir daran, daß der entscheidende Maßstab für die politische Qualität und die ethische Legitimität auch von Konzepten zur Gewährleistung europäischer oder globaler Sicherheit darin liegt, wie weit diese Konzepte den von Not, Gewalt und Unfreiheit am meisten Bedrohten zugute kommen, d.h. wie sie sich auf die Situation der Schwachen und Verletzbaren, der Flüchtlinge und der aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen Verfolgten konkret auswirken.Die Möglichkeiten der Gewaltprävention erweiternDie blutigen Ereignisse der vergangenen Jahre - im ehemaligen Jugoslawien, aber auch in Zentral- und Ostafrika - lehren uns: ohne konsequente Nutzung und planmäßigen Ausbau der Mittel und Methoden zur Früherkennung von Konflikten und ohne rechtzeitiges politisches Einwirken auf Krisensituationen werden entscheidende Chancen vergeben, der Eskalation in Gewaltanwendung entgegenzuwirken. Vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen wird an Konzepten friedlicher Konfliktbewältigung gearbeitet, und wir unterstützen diese Bemühungen mit Nachdruck. In der Tradition der kirchlichen Friedenslehre betonen wir, daß stets mit Vorrang eine Politik der Gewaltvermeidung verfolgt werden muß. Nur unter dieser Voraussetzung kann es in extremen Fällen, in denen eine auf Gewaltvermeidung gerichtete Politik erfolglos bleibt, legitim sein, nach ethischen Kriterien möglicher Gewaltanwendung zu fragen. Der Ruf nach militärischen Interventionen kommt angesichts von Berichten über schon geschehene Greueltaten nicht nur häufig zu spät. Er ist ebenso oft ein Beleg für schwere Versäumnisse in den unmittelbaren Vorphasen der bewaffneten Auseinandersetzungen. Wer vermeiden will, daß militärische Interventionen von seiten der internationalen Staatengemeinschaft zum äußersten Mittel der Politik werden, muß sich dafür einsetzen, daß das im Prinzip verfügbare Instrumentarium präventiver Konfliktbearbeitung und frühzeitigen Krisenmanagements weitaus entschlossener genutzt wird, als es regelmäßig geschieht. Wir unterstreichen dies auch deswegen, weil bewaffnete Interventionen vielfach ihre eigene Problematik haben, gerade wenn man sie unter den ethischen Kriterien betrachtet, die die christliche Tradition für die Eindämmung und Begrenzung von Gewalt entwickelt hat. Ein positives Beispiel für präventive Konfliktbearbeitung bieten demgegenüber die Langzeitmissionen der OSZE in einigen Staaten Ost- und Südosteuropas, deren Mandate sich vor allem darauf richten, bei drohenden Auseinandersetzungen zwischen Titularnation und ethnischen Minderheiten zu vermitteln, die Gewährleistung von Menschen- und Minderheitenrechten zu beobachten und den Prozeß der Demokratisierung zu unterstützen. Es kommt darauf an, die dort gemachten Erfahrungen auszuwerten und in ein umfassendes Konzept präventiver Politik zu integrieren. Ein solches Konzept müßte nicht zuletzt der Tatsache Rechnung tragen, daß gelungene Prozesse der Konfliktnachsorge bereits einen Beitrag zur Verhinderung neuer Spannungen und ihrer gewaltsamen Eskalation darstellen.Für den Erfolg solcher Bemühungen tragen Kirchen und Religionsgemeinschaften eine Mitverantwortung. Wir bitten deswegen ihre Repräsentanten, sich an den vielfältigen, keineswegs nur politischen Aufgabenstellungen innerhalb von Konzepten der Konfliktprävention und -nachsorge zu beteiligen, wo und wann immer dies möglich ist. Die legitimen Interessen von Minderheiten schützenIm Schutz der legitimen Interessen von Minderheiten eröffnet sich ein Weg, auf dem viele innerstaatliche Konflikte politisch bearbeitet und vielleicht gelöst werden können, die anderenfalls rasch eine immer schwerer beherrschbare Eigendynamik entfalten können. Unzureichender Minderheitenschutz ist einer der wichtigsten Gründe, warum Bestrebungen nach Sezession aus bestehenden staatlichen Einheiten politische Resonanz finden. Der Ruf nach Grenzrevisionen, der mit solchen Bestrebungen häufig verbunden ist, zeigt an, daß aus der ungenügenden Berücksichtigung von Minderheiteninteressen eine Gefährdung nicht nur des innerstaatlichen, sondern auch des internationalen Friedens erwachsen kann. So entspricht es durchaus dem längerfristigen Eigeninteresse der heutigen Nationalstaaten und ihrer Zentralregierungen, durch Demokratisierung und Erweiterung der Möglichkeiten zur Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen, durch föderalistische Regierungsformen und großzügige Autonomieregelungen jene Gründe zu beseitigen, die den Angehörigen der Minderheiten das Streben nach Sezession und Grenzrevisionen geraten scheinen lassen. Auch wenn einer solchen Politik im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen, erscheint sie doch als einzige Alternative zu einer Verlängerung und Intensivierung von absehbaren schweren Konflikten, die den Fortbestand von Staaten in ihrer Substanz bedrohen können. Allerdings kann die Einführung demokratischer Verfahren und Organisationsformen nicht bereits von sich aus garantieren, daß sachgemäße und ethisch zustimmungsfähige Entscheidungen getroffen werden. Für eine lebendige Demokratie, die tatsächlich dem Wohl einer Gesellschaft dient, weil sie vorhandene Gegensätze und Konflikte politisch bearbeitbar macht und gewaltfrei bleiben läßt, ist ein sie tragendes Ethos der Bürger dieser Gesellschaft unerläßlich. Dieses Ethos wird besonders dort spürbar, wo nicht lediglich Ansprüche geltend gemacht, sondern ebenso Solidaritätspflichten bejaht werden.Die Verantwortlichkeit der jeweiligen Nationalstaaten für eine angemessene rechtliche und politische Stellung der in ihnen lebenden Minderheiten sollte durch eine wirksamere Ausgestaltung internationaler Instrumente des Schutzes von Menschen- und Minderheitenrechten ergänzt werden. Wir verweisen daher auf die politische Bedeutung, die dem Aufgabenbereich des Hohen Kommissars für Nationale Minderheiten der OSZE zukommt, und bitten die Verantwortlichen, dafür Sorge zu tragen, daß dieses Amt so ausgestattet wird, wie es seiner Funktion für die friedliche Bearbeitung latenter oder aktueller Minderheitenkonflikte entspricht.Den Fundamentalismen durch nachhaltige Entwicklung entgegenwirkenNicht nur aus Gründen der Humanität und der Gerechtigkeit, sondern auch aufgrund eigener Interessenlagen sind die reichen Länder des Globus gehalten, durch Entwicklungskooperation den Frieden in und zwischen denjenigen Ländern zu fördern, die noch immer in vielfältiger Hinsicht benachteiligt sind. Denn bei zunehmender globaler Verflechtung wird es keinem Einzelstaat mehr möglich sein, längerfristig eigene Interessen zu wahren, indem er gegen grundlegende Erfordernisse der internationalen Gerechtigkeit und damit des weltweiten Gemeinwohls verstößt. Die immensen sozialökonomischen Disparitäten nicht nur zwischen, sondern vor allem innerhalb von Staaten beinhalten ein eigenes friedensgefährdendes Potential. In einer Zeit, in der Finanzkapital hochmobil ist und in der die Standortentscheidungen von Unternehmen zunehmend global ausgerichtet sind, kommt der friedenserhaltenden Funktion einer gerechten Gestaltung der Welthandelsordnung und einer konsequenteren Ausrichtung der Entscheidungen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf die Bedürfnisse der Armen und Benachteiligten eine wachsende Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang erweist es sich auch als notwendig, für die teilweise gigantische Verschuldung gerade gering entwickelter Länder eine Lösung zu suchen, die nicht zu Lasten der ärmsten und schwächsten Mitglieder der dortigen Gesellschaften geht. Denn nicht sie sind es, die für die Verschuldungssituation verantwortlich zu machen wären; ihnen die Hauptlast der Folgen dieser Situation aufzubürden, ist eine schwerwiegende Ungerechtigkeit. Neben Modellen großzügiger Umschuldungsabkommen ist deswegen auch die Möglichkeit eines erheblichen Schuldenerlasses ernsthaft zu erwägen, wie ihn der Internationale Währungsfonds gegenüber mehreren Ländern Mittelamerikas, die unter den verheerenden Folgen eines Wirbelsturms leiden, kürzlich beschlossen hat. Voraussetzung für den Erfolg solcher Schritte sind institutionelle Vorkehrungen in den verschuldeten Ländern, die sicherstellen, daß Erleichterungen der Schuldenlast tatsächlich den Armen zugutekommen.Eine sozial und ökologisch verträgliche, längerfristig durchhaltbare Politik der Entwicklungszusammenarbeit leistet jedoch nicht nur einen unmittelbaren Beitrag dazu, das Los der Ärmsten dieser Welt zu verbessern. In ihr liegt zudem eine bedeutende Chance, den zunehmend als bedrohlich wahrgenommenen Fundamentalismen gegenzusteuern. Zwar speisen sich fundamentalistische Bewegungen regelmäßig auch aus politischen und ideologischen Motivlagen. Doch es bestehen enge Beziehungen zwischen der gesellschaftlichen Akzeptanz, die fundamentalistische Bestrebungen finden, und dem Ausmaß, in dem individuelle Lebenssituationen als perspektivlos empfunden werden. Das Hauptaugenmerk bei dem Versuch, unterschiedlichen Spielarten fundamentalistischer Bestrebungen entgegenzuwirken, muß deswegen darauf gerichtet sein, den gesellschaftlich-politischen und sozialen Wurzeln der Fundamentalismen den Nährboden zu entziehen. Nur so läßt sich vermeiden, daß in politischen und militärischen Sicherheitskonzepten an die Stelle einer differenzierten Ursachenanalyse des Fundamentalismus und seiner radikalen terroristischen Extremformen eine pauschalierende Feindbild-Konstruktion tritt, die insbesondere die Beziehungen zur islamischen Welt zu vergiften droht.Entwicklung ist jedoch nicht nur eine Sache der Ökonomie und geeigneter politisch-rechtlicher Strukturen. Vielmehr sind parallele Anstrengungen seitens kulturprägender Institutionen und Organisationen - unter ihnen auch der Kirchen und Religionsgemeinschaften - erforderlich. Nur so kann sich jenes gesellschaftliche Klima der Toleranz und der Dialogbereitschaft entfalten, in dem ein entschlossenes Engagement unterschiedlicher Gruppierungen für eine bessere gemeinsame Zukunft erst möglich wird. Kirchen und Religionsgemeinschaften nehmen, indem sie sich auf diesem Feld engagieren, eine genuine Aufgabe der Friedenserziehung angesichts der interkulturellen Herausforderungen auf der Schwelle zum nächsten Jahrtausend wahr.In den Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung nicht nachlassenNeben Versäumnissen auf dem Feld nachhaltiger Entwicklung untergräbt vor allem die Weiterverbreitung von Rüstungsgütern aller Art Frieden und Stabilität in vielen Regionen der Welt. Die leichte Verfügbarkeit solcher Güter kann nicht nur den kriegerischen Austrag politischer Konflikte entscheidend begünstigen. Sie schafft auch die Voraussetzungen dafür, daß sich eine wechselseitige Rüstungsdynamik entwickeln kann, in der jede eigene Rüstungsmaßnahme mit einem tatsächlichen oder vermeintlichen Vorsprung von solchen Staaten gerechtfertigt wird, die man als Gegner betrachtet. Zudem werden vielfältige Formen innenpolitischer Repression, die mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einhergehen, durch die Weitergabe moderner Waffentechnologien erheblich erleichtert. Deswegen gilt es politische und wirtschaftliche Partner auf dem Gebiet der Rüstungsproduktion von der Bedeutung restriktiver Standards für entsprechende Exporte zu überzeugen und so bald wie möglich bindende Absprachen hierüber zu vereinbaren. Wir erwähnen in diesem Zusammenhang besonders die Bemühungen um einen europäischen Kodex von Exportregeln für Rüstungsgüter und begrüßen die entsprechende Beschlußfassung des Ministerrats der Europäischen Union vom Mai 1998 als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir regen weiter an, durch wirksame Absprachen möglichst sicherzustellen, daß Güter, die sowohl zivil wie militärisch brauchbar sind, zu ausschließlich zivilen Zweken verwendet werden. Zudem müssen sich alle, die in politischer Verantwortung über die Aufrechterhaltung eines hohen Rüstungsniveaus entscheiden, bewußt sein, daß vereinbarte Rüstungskontrolle weitergehende Abrüstung nicht überflüssig macht. Dieses dringliche Desiderat gilt insbesondere für Nuklearwaffen: es ist eine Glaubwürdigkeitsfrage für diejenigen Staaten, die solche Waffen besitzen, daß sie selbst zur Abrüstung bereit sind, wenn sie einen Verzicht auf Kernwaffen von denjenigen Staaten einklagen, die diese noch nicht besitzen.Den Umgang mit belasteter Vergangenheit als Friedensaufgabe verstehenJeder gewaltsam ausgetragene Konflikt fordert Opfer, ist mit oft unermeßlichem menschlichem Leid verbunden. Vergangenes Geschehen lastet freilich nicht nur als Erinnerung an Krieg und Bürgerkrieg auf den Seelen der Menschen. Europa mußte erfahren, wie moderne Diktaturen immer effizienter darin wurden, ein Maximum an Repression zu erreichen; wie es ihnen immer wirksamer gelang, die ihnen Unterworfenen in Zwangslagen zu bringen und sie moralisch zu korrumpieren, und wie sie dies zum Prinzip ihrer fast unumschränkten Machtausübung werden ließen. Solche Strukturen haben auch Vertreter der Kirchen schuldig werden lassen. Räume dafür offenzuhalten, daß das von den Opfern Erlittene erinnert werden kann; daß ihnen die Möglichkeit bleibt, Gehör zu finden; daß die gesellschaftlich erfahrbare Zäsur in eine Welt der Täter und eine Welt der Opfer überwunden werden kann - dies sind unmittelbare, unersetzliche Beiträge zur Konsolidierung des gesellschaftlichen Friedens. Solche Schritte zur Auseinandersetzung mit den Schatten der Vergangenheit stehen vielerorts dringend an - nicht nur im ehemaligen Jugoslawien, in Zentral- und Ostafrika, in Lateinamerika. Politisches Handeln und justizielle Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen können sie möglicherweise erleichtern - unter diesem Gesichtspunkt begrüßen wir es, daß es der internationalen Staatengemeinschaft unlängst in Rom gelungen ist, sich auf das Statut eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs zu verständigen. Das Bemühen um einen angemessenen Umgang mit den Schatten der Vergangenheit kann und darf sich jedoch darin nicht erschöpfen. Es bleibt eine originäre Aufgabenstellung für Zivilgesellschaften, die sich ihrer Verantwortung für eine bessere Zukunft ihres Gemeinwesens bewußt sind. Die Mitwirkung an Prozessen, in denen Wege gesucht werden, wie sich mit den Lasten der Vergangenheit menschenwürdig leben läßt, sehen wir als eine Aufgabe besonders für solche christlichen Bewegungen an, die sich für mehr Gerechtigkeit und Frieden engagieren. Auch für die ökumenische Zusammenarbeit der christlichen Kirchen liegt hier ein zentrales Feld gemeinsamer Verantwortung. Durch Erziehungs- und Bildungsarbeit zum Wachsen wechselseitigen Vertrauens beitragenBildungseinrichtungen und die durch sie gebotenen Programme können großen Einfluß auf das öffentliche Meinungsklima gewinnen. Sie können dazu beitragen, daß politische Strategien gefördert werden, ihnen aber auch wirksam entgegengearbeitet werden kann. Die Herausbildung oder Wiederbelebung von Feindbildern, von nationalistischen Ideologien, von Klischees vorgeblicher ethnischer Überlegenheit bereitet nicht selten erst den Boden für den Erfolg jeder Variante von Gewaltpolitik. Umgekehrt kann durch direkte Begegnungen mit Menschen aus der Gruppe des angeblichen "Feindes", durch Bemühungen um Aufklärung über den tatsächlichen Verlauf gemeinsamer Geschichte, über die Entstehungsgründe unterschiedlicher Geschichtsbilder und Identitätskonzepte und durch ähnliche Vermittlungsformen die Macht solcher gewaltträchtiger Klischees gebrochen werden. Nicht zuletzt für die Arbeit kirchlicher Schulen, Akademien und Fakultäten bietet sich hier ein Aufgabenfeld, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann.SchlußwortViele der in Politik und Gesellschaft Verantwortlichen mühen sich täglich darum, die hier skizzierten Aufgaben zu bearbeiten. Wir wollen ihnen dafür unseren Dank aussprechen. In diesen Dank schließen wir auch alle jene mit ein, die als Glieder der Kirche und treu der Botschaft des Evangeliums ihren Beitrag für Gerechtigkeit und Frieden leisten. In verschiedenen Ländern dürfen wir freudig feststellen, daß solche Bemühungen Frucht getragen haben. Wir bitten alle, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen, damit sich am Auf- und Ausbau von Institutionen und Instrumenten gemeinsamer europäischer Politik ablesen läßt, daß ein dauerhafter, gerechter Frieden in dieser Welt keine bloße Utopie bleibt. Möge Gottes Geist die ethischen Orientierungen in uns wachhalten, für die wir hier gemeinsam eintreten. Wir beten darum, daß er uns die Gnade schenke, dazu beizutragen, daß schon hier und jetzt immer wieder erfahrbar wird: Versöhnung ist eine Gabe Gottes, sie ist ein Quell neuen Lebens. Wir laden alle, die mit uns denselben Glauben teilen, dazu ein, eine Gemeinschaft des Gebetes um Frieden und Versöhnung zu bilden, die die Grenzen von Territorien und Sprachen überschreitet. Die Gemeinsamkeit des Gebets möge uns Kraft dazu geben, geduldig und beharrlich unseren Weg zu gehen, auf dem wir bezeugen wollen: weil wir in Christus mit Gott versöhnt sind, können wir auch miteinander Versöhnung suchen.Querverweis:

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