| Pressemeldung

„Wahrheit, Erinnerung und Solidarität - Schlüssel zu Frieden und Versöhnung"

Unter dem Titel Wahrheit, Erinnerung und Solidarität - Schlüssel zu Frieden und Versöhnung hat die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (ComECE) in einer Pressekonferenz heute in Brüssel ein Wort zum Frieden vorgelegt. Es wurde von Bischof Dr. Josef Homeyer (Hildesheim), dem Vorsitzenden von ComECE, vorgestellt.

In ihrem gemeinsamen Wort schreiben die Bischöfe, es sei „ein wichtiger Maßstab für die Bewertung des europäischen Integrationsprozesses, ob auf diesem Weg ein Beitrag zur Friedensfähigkeit der europäischen Staatengemeinschaft geleistet werden kann“. Von ihrer Zielperspektive eines gerechten Friedens her würdigen sie eine Reihe positiver Entwicklungen seit der politischen Wende in Europa Ende der achtziger Jahre. Hervorgehoben werden die Überwindung des trennenden Charakters der Ost-West-Grenze und die Transformationsprozesse in mittel- und osteuropäischen Ländern hin zu rechtsstaatlichen Strukturen, die eine Garantie grundlegender Menschenrechte ermöglichen. Die Bischöfe verweisen ferner auf Fortschritte bei der „Suche nach Wegen, wie mit den 'Schatten der Vergangenheit' umzugehen ist und der Schmerz der Wunden, die z. T. weit zurückliegendes Handeln den Opfern zufügte, gelindert werden kann.“

Unter Hinweis auf die Situation im ehemaligen Jugoslawien beklagen sie demgegenüber, es sei „nicht gelungen, die Rückkehr des Krieges nach Europa zu verhindern“. Doch würden auch manche westeuropäischen Regionen infolge innerstaatlicher Konflikte „immer wieder von Gewalt und Terror erschüttert“. Es sei bis heute nicht gelungen, die Weiterverbreitung von konventionellen Rüstungsgütern wie von Nukleartechnologie zu militärischen Zwecken hinreichend zu kontrollieren und einzudämmen. In Ost- wie Westeuropa lebten die Menschen unter der Last von Ungewißheiten über ihre persönliche Zukunft in wirtschaftlicher wie sozialer Hinsicht. Drogenkonsum, organisierte Kriminalität, Terrorismus und „ein Klima wachsender Intoleranz und Gewaltbereitschaft gegenüber Minderheiten im eigenen Land, Ausländern und Migranten“ drohten den gesellschaftlichen Frieden und die Zustimmung zur freiheitlichen und demokratischen Verfassung von Staat und Gesellschaft zu untergraben.

Angesichts dieser Entwicklungen stellen die Bischöfe fest, „daß die gegenwärtige politische Landkarte Europas und der Welt weniger denn je eine strikte Trennung zuläßt zwischen Problemen, die die Friedensverantwortung der internationalen Staatengemeinschaft betreffen, und solchen, die herkömmlich als Fragen innerstaatlich herzustellender Gerechtigkeit aufgefaßt wurden“. Es sei zu fragen, ob eine gemeinsame Wurzel der beklagten Mißstände nicht „in einer übermäßigen Betonung unterschiedlicher Formen von Eigeninteressen zu Lasten jenes umfassenden Gemeinwohls liegt, auf das solidarisches Handeln auch in gesellschaftlichen und politischen Systemen gerichtet sein muß“. Nationalstaatliche Interessenverfolgung büße dort ihre Legitimität ein, wo sie „elementare Rechte und Interessen anderer verletzt und ... zu neuer Ungerechtigkeit oder zur Festschreibung überkommener Unrechtsverhältnisse“ führe.

Demgegenüber gelte es, die Zukunft Europas auf Gerechtigkeit und Solidarität zu gründen. Dies erfordere „auf seiten der wirtschaftlich und politisch starken Akteure die Bereitschaft, dort auch substanziellen Verzicht auf eigene Vorteile zu leisten, wo sich nur auf diese Weise Armut, Verelendung und politische Destabilisierung in den Ländern des Ostens wirksam bekämpfen lassen“. Die Bischöfe äußern ihre Besorgnis darüber, daß in aktuellen Vorschlägen zu einer Weiterentwicklung des Asyl- und Flüchtlingsrechts im Interesse der inneren Sicherheit der potentiellen Aufnahmestaaten „der Gedanke der notwendigen Solidarität mit Flüchtlingen und Asylsuchenden kaum mehr spürbar ist". Diese gebiete, Verfolgten Schutz zu gewähren und ihre grundlegenden Menschenrechte zu garantieren; insbesondere dürfe „niemand dorthin abgeschoben werden, wo er zum Opfer von Folter oder anderen Formen grausamer und unmenschlicher Behandlung zu werden droht“. Zur Verwirklichung solidarischen Handelns sei es unausweichlich, daß alle Partnerländer der EU die Bereitschaft zu einer „europäischen Lastenteilung“ entwickelten. Der „entscheidende Maßstab“, an dem auch Konzepte zur Gewährleistung von gemeinsamer Sicherheit in Europa und der Welt zu messen seien, müsse die Frage sein, „wie weit diese Konzepte den von Not, Gewalt und Unfreiheit am meisten Bedrohten zugute“ kämen.

In der Tradition der kirchlichen Friedenslehre unterstreichen die Bischöfe, „daß stets mit Vorrang eine Politik der Gewaltvermeidung verfolgt werden muß“. Deswegen gelte es, die Möglichkeiten der Gewaltprävention sowie einer gewaltfreien politischen Konfliktbearbeitung und Krisenintervention zu erweitern. Für den Erfolg gewaltfreier Konfliktbearbeitung trügen auch Kirchen und Religionsgemeinschaften eine Mitverantwortung. Nur angesichts des Scheiterns solcher Bemühungen lasse sich in extremen Fällen legitimerweise „nach ethischen Kriterien möglicher Gewaltanwendung“ fragen. Dabei sei zu bedenken, daß sich bewaffnete Interventionen vielfach gerade dann als problematisch erwiesen, wenn man sie anhand dieser Kriterien beurteile.

Im Interesse von Gewaltvermeidung fordern die Bischöfe einen Schutz legitimer Minderheiteninteressen. Es gelte „durch Demokratisierung und Erweiterung der Möglichkeiten zur Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen, durch föderalistische Regierungsformen und großzügige Autonomieregelungen jene Gründe zu beseitigen, die den Angehörigen der Minderheiten das Streben nach Sezession und Grenzrevisionen geraten scheinen lassen“. Allerdings sei für eine lebendige Demokratie „ein sie tragendes Ethos der Bürger dieser Gesellschaft unerläßlich“, in dem nicht nur Ansprüche geltend gemacht, sondern ebenso Solidaritätspflichten bejaht würden.

Im Blick auf die Mitverantwortung Europas für eine Politik, die dem Wohl der Völkergemeinschaft als ganzer dient, betonen die Bischöfe das „friedensgefährdende Potential“ der immensen sozialökonomischen Disparitäten zwischen und innerhalb von Staaten. Im Zeitalter der Globalisierung komme „der friedenserhaltenden Funktion einer gerechten Gestaltung der Welthandelsordnung und einer konsequenteren Ausrichtung der Entscheidungen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf die Bedürfnisse der Armen und Benachteiligten eine wachsende Bedeutung zu“. Für „die teilweise gigantische Verschuldung gerade gering entwickelter Länder“ müsse eine Lösung gefunden werden, „die nicht zu Lasten der ärmsten und schwächsten Mitglieder der dortigen Gesellschaften geht". Es gelte, nicht nur über Umschuldungsmodelle nachzudenken, sondern unter bestimmten Bedingungen auch „die Möglichkeit eines erheblichen Schuldenerlasses ernsthaft zu erwägen“. Nur so könne es auch gelingen, „den gesellschaftlich-politischen und sozialen Wurzeln der Fundamentalismen den Nährboden zu entziehen“, die direkt mit dem Ausmaß zusammenhingen, „in dem individuelle Lebenssituationen als perspektivlos empfunden werden“. Neben ökonomischen und politischen Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung bedürfe es paralleler Anstrengungen seitens kulturprägender Institutionen - auch der Kirchen und Religionsgemeinschaften - um eine Friedenserziehung im Geist von Toleranz und Dialogbereitschaft angesichts der interkulturellen Herausforderungen an der Jahrtausendwende.

Die Bischöfe treten für eine restriktive Politik des Exports von Rüstungsgütern ein und fordern hierüber baldmöglichst bindende Absprachen in Europa. Ebenso gelte es möglichst sicherzustellen, daß Produkte, die sowohl zivil wie militärisch genutzt werden könnten, zu ausschließlich zivilen Zwecken verwendet würden. Auch könne ein Verzicht auf nukleare Rüstung glaubwürdig nur von solchen Staaten gefordert werden, die ihrerseits zur Abrüstung ihrer schon vorhandenen Potentiale an solchen Waffen bereit seien.

Schließlich betonen die Bischöfe, die Suche nach angemessenen Formen des Umgangs mit belasteter Vergangenheit angesichts der Erfahrungen mit modernen Diktaturen müsse selbst als Friedensaufgabe verstanden werden. Es bedürfe einer Auseinandersetzung mit jüngster Geschichte, die darauf gerichtet sei, Räume dafür offenzuhalten, daß das von den Opfern Erlittene erinnert werden könne und ihnen die Möglichkeit bleibe, Gehör zu finden. Aber auch mit Blick auf ehemalige Täter sei die Suche nach Wegen, „wie sich mit den Lasten der Vergangenheit menschenwürdig leben läßt“, eine Aufgabe „für solche christlichen Bewegungen ..., die sich für mehr Gerechtigkeit und Frieden engagieren“, sowie für die ökumenische Zusammenarbeit der christlichen Kirchen.

Erziehungs- und Bildungsarbeit könne der Herausbildung oder Wiederbelebung von Feindbildern entgegenwirken, indem „durch Bemühungen um Aufklärung über den tatsächlichen Verlauf gemeinsamer Geschichte, über die Entstehungsgründe unterschiedlicher Geschichtsbilder und Identitätskonzepte und durch ähnliche Vermittlungsformen die Macht solcher gewaltträchtiger Klischees gebrochen“ werde. Hier liege nicht zuletzt ein Aufgabenfeld für die Arbeit kirchlicher Schulen, Akademien und Fakultäten, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden könne.

Bonn/Brüssel, den 11.03.1999

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