| Pressemeldung

Zum Frankfurter Sterbehilfe-Urteil

Um Leben und Tod

Kommentar von Bischof Karl Lehmann in der Allgemeinen Zeitung am 25.07.1998

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Frankfurt über die Genehmigung des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen vom 05.07.1998 wird noch lange im Gespräch bleiben. Es ist behutsam, indem es strenge Anforderungen stellt an den Nachweis des Patientenwillens, möglichem Mißbrauch evtl. durch Ärzte, Angehörige und Betreuer einen Riegel vorschiebt und in Zweifelsfällen dem Lebensschutz den Vorrang einräumt. Der Vormundschaftsrichter, der dem mutmaßlichen Patientenwillen Geltung verschaffen soll, wird mit dieser Objektivierung beauftragt.

Der Frankfurter Vorstoß ist aus diesen und aus anderen Gründen vielfach begrüßt worden. Allmählich wurden jedoch auch einige Bedenken laut.

Die Absicht der Bestellung eines Vormundschaftsrichters ist plausibel. Aber ist im Alltag des Gerichts gewährleistet, daß ein einzelner Richter allein (warum kein Kollegium z.B. mit Arzt und Seelsorger?) so viel Zeit, Kenntnis und Kompetenz hat, daß er verläßlich den mutmaßlichen Patientenwillen feststellen kann? Wird hier nicht jemand unter der Hand doch zum Richter über Leben und Tod?

Es handelt sich beim Urteil zwar um eine Einzelfallentscheidung mit besonderer Zuspitzung. Aber es werden doch grundsätzliche Weichenstellungen erkennbar. Es geht nicht um passive Sterbehilfe, sondern um den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme, Hilfe nicht nur im Sterben, sondern zum Sterben. Auch wenn Flüssigkeitszufuhr und Grundpflege gewährleistet werden, handelt es sich doch – auch wenn man dies nicht gerne sagt – um ein bewußtes, gezieltes Verhungernlassen. Dies ist zwar kein unmittelbarer Eingriff in den Sterbensprozeß selbst, aber eine entscheidende Intervention im Vorfeld und in Richtung des Sterbensprozesses.

Meine Hauptfrage geht dahin, ob die Grenzen einer solchen Entscheidung im öffentlichen Bewußtsein ausreichend bewußt gemacht und eingehalten werden können. Wird hier nicht ein Bewußtseinswandel in der Gesellschaft gefördert? Was ist mit dem Vertrauen in das medizinische Pflegepersonal und in die Betreuer? Droht nicht die Gefahr der Ausweitung des fraglichen Personenkreises, wie z.B. auf Patienten im Wachkoma (Apalliker)? Die Anführung eines „bewußten und selbstbewußten Lebens“ als (einziges?) Kriterium der Personwürde ist höchst fragwürdig. Drohen hier nicht latent und indirekt Gefahren für eine allmähliche Aushöhlung des Tötungsverbotes? Das Dammbruch-Argument ist gewiß vorsichtig anzuwenden, aber im ethischen Bereich, gerade auch von Moral und Recht, ist es nicht nur eine vulgäre Denkfigur. Viele Beispiele warnen.

Was tun?

  1. Patiententestamente, die freilich den Arzt rechtlich nicht binden und möglichst neueren Datums sein müssen, werden wichtiger. (Die beiden Kirchen arbeiten seit einiger Zeit an einem Muster.)
  2. Die öffentliche Diskussion, schon lange eher verdrängt, muß neu belebt werden.
  3. Dabei muß auch geklärt werden, ob Richterauslegung und Richterrecht in einer solchen Sache auf Dauer genügen oder ob es nicht eines Rahmengesetzes bedarf.
  4. Dabei kommen die Werte-Grundlagen unserer Gesellschaft auf den Prüfstand.

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