| Pressemeldung

Symposion: „Religion in der Schule - Orientierung in der offenen Gesellschaft“

Grundsatzreferat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann (Mainz)

Im Rahmen des Symposions „Religion in der Schule - Orientierung in der offenen Gesellschaft“ im Bonner „Wasserwerk“ hält der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, am Dienstagabend, den 7. Oktober ein Grundsatzreferat, das wir Ihnen in der Anlage übersenden.

An dem Symposion nehmen außerdem teil:
die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Rita Süssmuth, Dieter Althaus, MdL, Kultusminister des Landes Thüringen, Wolf-Michael Catenhusen, MdB, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Winfried Kretschmann, MdL, Vorsitzender des Umweltausschusses im Baden-Württembergischen Landtag, Dr. Otto Graf Lambsdorff, MdB, Bundesminister a.D., Dr. Jürgen Rüttgers, MdB, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Prof. Dr. Richard Schröder, Humboldt Universität Berlin, Prof. Rolf Wernstedt, MdL, Kultusminister des Landes Niedersachsen und Präsident der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder.

Das Symposion ist Teil der Initiative „Die Freiheit zu glauben. Das Recht zu wissen“, mit der die katholische Kirche die Rolle und Bedeutung des schulischen Religionsunterrichts in einer pluralen Gesellschaft verdeutlichen will. Broschüren und Faltblätter (Auflage: 4 Millionen) mit Argumenten für den Religionsunterricht sind zu Schuljahresbeginn über die Bistümer verteilt worden.


Bischof Prof. Dr. Dr. Karl Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Eröffnung und Grundsatzreferat des Symposion
„Religion in der Schule – Orientierung in der offenen Gesellschaft“
im ehemaligen Wasserwerk in Bonn am Dienstag, 7. Oktober 1997

Der schulische Religionsunterricht ist immer zugleich zeitlos und aktuell. Der christliche Glaube hat in besonderer Weise rationales Denken, Mitteilbarkeit seiner Botschaft und Einwurzelung in verschiedenen Sprachen und Kulturen zugelassen und gefördert, wie wohl keine andere Religion. Dies ist auch eine Voraussetzung der Tradierung des Glaubens. Schon sehr früh hat die vom Glauben erleuchtete Vernunft, die sein tieferes Verständnis sucht, in den Bekenntnissen Formen geschaffen, die ihm entsprechen. Dies geht bis zur Schaffung von so etwas wie Katechismen, die bis zum heutigen Tag ein taugliches Instrument der Glaubensvermittlung darstellen und zugleich viele Wandlungen durchgemacht haben.

Der schulische Religionsunterricht ist nicht der einzige Ort, wo der christliche Glaube an die kommenden Generationen weitergegeben wird. Wir sprechen von verschiedenen „Lernorten des Glaubens“, z.B. der Familie als der Basis, dem Kindergarten der Pfarrgemeinde, der Jugendgruppe und der Jugendarbeit überhaupt, der Hinführung zum konkreten Glaubensvollzug und zu den Sakramenten in der Gemeindekatechese, das vielfältige Leben der Gemeinde selbst usw. Hinzu kommen die Medien mit ihrem Einfluß auch auf das Glaubensverständnis junger Menschen. Dies gibt so etwas wie ein Netzwerk des Glaubens. Jeder Lernort hat seine spezifische Leistungsfähigkeit. Unverzichtbar ist der Mutterboden der Familie, aber auch sie wäre überfordert, wenn man von ihr die ganze religiöse Sozialisation verlangen würde. Jeder Lernort hat seine Aufgabe und seine Chance. Man darf sie nicht durch überhöhte Ansprüche überfordern. Der schulische Religionsunterricht kann nicht alles auffangen, wenn die religiöse Entwicklung in der Familie und die aktive Zugehörigkeit der Gemeinde fehlen. Darum kommt alles darauf an, daß sich die verschiedenen Lernorte des Glaubens ergänzen und miteinander vernetzt werden.

Der Ort des Religionsunterrichtes ist die Schule. Er ist in den meisten Bundesländern ein ordentliches Lernfach. Darum nimmt der Religionsunterricht, sogar in besonders sensibler Form, an den Wandlungen und Reformen der Schule teil. Es gibt gewiß wenige Fächer in der Schule, über die in den letzten Jahrzehnten so viel in Pädagogik und Didaktik diskutiert worden ist wie über den schulischen Religionsunterricht.

Hier muß man sich freilich vor falschen Antithesen hüten. Der Religionsunterricht in der Schule dient gewiß nicht zuerst der christlichen Gemeinde, gleichsam als Zulieferer des religiösen Nachwuchses. Er soll zuerst der Bildung und Erziehung des jungen Menschen die-nen, damit er sein Leben mit allen Aufgaben, Veränderungen und Krisen selbst gestalten und bewältigen kann. Dies muß ganzheitlich geschehen, Leib und Seele, individuelle Reifung und Gemeinschaftsfähigkeit betreffen. Dies geschieht ganz und gar mit Mitteln der Schule. Der schulische Religionsunterricht zielt auf eine selbständige Kenntnis des christlichen Glaubens. Dies ist gar nicht möglich ohne Auseinandersetzung mit ihm, ohne Offenheit zu den anderen christlichen Kirchen und zum Judentum, ohne das Gespräch mit den nicht-christlichen Religionen. Dies erfolgt durch eine rationale, gesprächsoffene Argumentation, die selbstverständlich den einzelnen Schularten und Altersstufen entsprechen muß. Es sind der Boden, die Atmosphäre und die Bedingungen der jeweiligen Schule, die die Beschäftigung mit der christlichen Religion mitprägen. So gehört der Religionsunterricht auch in den Kanon der verschiedenen Fächer und ihrer Zusammenarbeit. Der Umgang mit der Geschichte und Kultur unseres Landes und Europas verlangen ein Minimum an Kenntnis wenigstens der Grundlagen der christlichen Religion. In diesem Sinne erfüllt der Religionsunterricht auch einen Dienst für andere Fächer und die Schule überhaupt.

Der schulische Religionsunterricht ist in seiner Aufgabe eine umfassende Hilfe zur wachsenden Menschwerdung des Jugendlichen. Er soll ihm helfen, sein Leben unter verschiedenen Bedingungen anzunehmen und zu verstehen. Dieses ist immer eingebettet in das gesellschaftliche Leben mit seinen kulturellen Voraussetzungen und den Erfordernissen für einen konkreten Beruf. Der schulische Religionsunterricht soll auch dazu befähigen, sich nicht nur mit dem Christentum, seiner Erscheinung und seiner Geschichte, kritisch auseinanderzusetzen, sondern mit allen Formen von Religionen, auch mit ihrem Mißbrauch und besonders ihren Zerrformen. Ich brauche nur Aberglauben, magische Praktiken und Satanskulte zu nennen.

Der Horizont der Schule erweitert sich selbstverständlich in die Gesellschaft hinein. Der junge Mensch soll erzogen und gebildet werden durch Ziele, Normen und Vorbilder, an denen er selbst wächst. Darum darf auch die Schule nicht verkürzt werden auf das bloße Erlernen von Kenntnissen und Techniken allein. Dies wäre sogar eine Gefahr für junge Menschen. Denn es kommt nicht nur auf optimales Funktionieren in der Gesellschaft und auch in der Arbeitswelt an. Dies würde am Ende nur zu einer reibungslosen Anpassung führen. Überhaupt erschöpfen sich die Bedürfnisse der Gesellschaft nicht in den ökonomischen, technischen, organisatorischen, sozialen und politischen Gegebenheiten. Aber dieses „Mehr“ kommt selten zur Sprache. Deswegen gibt es heute überall die Feststellung eines Verlustes von Werten im Sinne gemeinsamer Maßstäbe und Lebensüberzeugungen, die zu-gleich die Basis für das individuelle Leben und die Gestaltung unserer Gesellschaft leiten. Auch wenn man den Wertewandel nicht nur negativ einschätzt, so gibt es zweifellos einen großen Mangel an Konsens über die Werte, die das Leben in unserer Gesellschaft mitbestimmen. Eine hochgradige Individualisierung, die gewiß dem Menschen viele Freiheiten verleiht, mindert faktisch die Bindungskräfte in unserer Gesellschaft. Deshalb erhebt sich, gerade im Augenblick, ein immer größeres Lamento über fehlende Orientierung und eine immer geringere Geltung verbindlicher Werte. Viele beklagen diese Situation, die dies vor wenigen Jahren nicht so ausgesprochen hätten. Die Schatten sind länger geworden, so daß man sie nicht mehr übersehen kann.

An dieser Stelle hat der schulische Religionsunterricht eine alte und zugleich neue Aufgabe. Es geht ihm immer um den ganzen Menschen in allen seinen Dimensionen. So trägt er zur persönlichen Identitätsfindung bei und zur Handlungsführung im Alltag. Er lehrt umzugehen mit den Erfahrungen menschlicher Kontingenz, der Krankheit, des Todes, der Lebenskrisen und der Schuld. Er zeigt dem Menschen, daß er wieder auf die Beine kommen kann, auch wenn er strauchelt. Zur Identitätsfindung gehört nicht weniger die soziale Integration, die ohne Einübung in die Mitmenschlichkeit, ohne Vertrauen und ohne Mitwirkung am öffentlichen Leben nicht voll gelingt. Zugleich geht der Blick über den Menschen hinaus, indem auch die Grundlagen des ökologischen Verhaltens aufgezeigt werden: das Verhältnis zu den Tieren, Pflanzen und zur nichtbelebten Welt, Schonung der Ressourcen für die nachkom¬menden Generationen. Schließlich geht es aber auch darum, daß der Mensch Mensch bleibt und sich nicht durch allerhand Verfürungskünste umgarnen läßt. Man denke an den Umgang mit der Werbung, angebliche Konsumzwänge, aber auch die Wirkungen eines ungezügelten Marktes. Diese Überlegungen geben auch Anlaß darüber nachzudenken, warum der Religionsunterricht in der Berufsschule und den anderen Schulen der Arbeitswelt - weniger bei den Schülern, sondern bei vielen in Industrie und Handwerk Verantwortlichen - auf wenig Verständnis stößt. Die menschliche Grundbildung, zu der Religion nun einmal gehört, ist auch für die Veränderungen unserer Arbeitswelt wichtiger als ein Detailwissen, das ohnehin rasch verfällt.

Der Glaube ist überzeugt, daß man diese Verhaltensweisen nicht ausüben und die Findung des Menschen zu seiner Identität auf die Dauer nicht gelingen kann, ohne sich des Halts und der Geborgenheit vor Gott zu vergewissern. Es muß gerade heute ein erstes Ziel des schulischen Religionsunterrichtes sein, die spärlichen und oft verdeckten Spuren der Transzendenz in unserem Leben aufzuzeigen und den Himmel über unseren Dächern offenzuhalten. Es ist noch nicht erwiesen, ob man auf die Dauer Menschenwürde, in jedem einzelnen Fall und für alle Menschen, bewahren und verteidigen kann ohne eine Gründung menschlicher Personalität in Gott selbst. Die Diskussion über die Universalität der Menschenrechte steht unter dieser Hinsicht noch in den Anfängen. Natürlich gibt es eine säkulare Alltagsethik, die viele Menschen durchaus instinktiv und pragmatisch gut inspiriert. Hier darf man freilich die Fernwirkungen des christlichen Glaubens in den Fundamenten der bisherigen Gesellschaft nicht übersehen. Wir sind, auch wenn wir nicht glauben, tiefer vom Christentum imprägniert, als wir wissen. Aber dieses kulturelle Gut ist kein naturales Erbe, das man einfach biologisch weitergibt. Wenn die zugrunde liegenden Einsichten nicht immer erneuert und die daraus entstehenden Normen nicht stets gepflegt werden, verdunsten diese selbst im Lauf der Zeit. Wenn nicht alles trügt, stehen wir in einem Prozeß, wo diese Ausdünstung vom Christentum überkommener Lebensüberzeugungen schon in hohem Maß eingesetzt hat.

Hier muß man zugleich vor einer Selbstüberschätzung und einer Überforderung warnen. Der schulische Religionsunterricht hat gerade in diesem Kontext von Hilfen zur tieferen Menschwerdung unersetzliche Chancen. Aber ihm allein kann diese Aufgabe nicht aufgebürdet werden, so wenig Grundwerte bloß von den Kirchen gepflegt und verantwortet werden. Der Staat und die Gesellschaft sind jedoch weniger als je in der Lage, ein konkretes Ethos für die Bürger vorzugeben. Der gemeinsame Nenner, auf dem unser Gemeinwesen aufruht, wird zwar an formellen Regelungen größer, aber ärmer im Blick auf eine verbindende und verbindliche Substanz. Hier erkennt der Staat deutlicher als früher die ihm auferlegten Grenzen, die einerseits in der Religionsfreiheit und der Neutralität in Weltanschauungsfragen notwendig sind, anderseits aber auch eine strukturelle Schwäche offenbaren. Es gibt, wenn man den Pluralismus konsequent durchführt, keine konkrete letzte Gemeinsamkeit, die real in einzelnen Subjekten existiert. Dies wäre praktisch die Aufgabe des Pluralismus, der sich immer wieder in Konflikt und Konsens zu einer begrenzten Gemeinsamkeit durchfinden muß. In diesem Sinne muß der Staat auch seine „Armut“ und seine Entzauberung bekennen. Es gibt ein solches „Unbehagen in der Modernität“ (P. L. Berger), wenn wir uns diesen Aporien nicht verschließen. In diesem Sinne wird verständlich, warum auch der Staat ein Interesse haben kann an dem, was der schulische Religionsunterricht für die Gesellschaft leistet. Der Religionsunterricht darf ja nicht einfach von den „Interessen“ der Kirchen her betrachtet werden, er hat nicht weniger Bedeutung aus der Sicht des Staates, auch wenn er nicht einfach das Vehikel einer Staatsreligion oder einer Zivilreligion ist. Die Distanz des Staates zu einzelnen Religionen und Kirchen ist ja nicht gleichzusetzen mit einer Indifferenz gegenüber dem Religiösen überhaupt. Weltanschauliche Neutralität heißt nicht Wertneutralität. Religionsfreiheit erschöpft sich nicht im negativen Aspekt. Der Staat muß der Religion und damit auch den Kirchen als ihren Trägern einen Platz in der Gesellschaft einräumen, von wo aus sie selbständig ihre eigene, zugleich jedoch für alle nützliche Aufgabe wahrnehmen und gestalten können.

Es mag unbequem sein, daß es das konkrete Ethos der Bürger nur in bestimmten, gelebten Überzeugungen gibt. Diese beschränken sich nicht nur auf die Individuen, die sich in einzelnen Fällen ein Gemisch aus verschiedenen religiösen Strömungen basteln, sondern verdichten sich in Gruppen, größeren Gemeinschaften und in den Kirchen. Das Ethos, auf das der Staat angewiesen ist, aber selber nicht garantieren kann, ist nur in solchen konkreten Gemeinschaften lebendig, die entsprechende Orientierungen in aller Öffentlichkeit vertreten und zur Geltung bringen. Dies ist wohl auch ein Grund, warum unsere Verfassung sich nicht mit einer summarischen Wiederholung der Kirchenartikel der Weimarer Verfassung begnügt, sondern vom schulischen Religionsunterricht im Grundrechte-Teil spricht.

Spätestens an dieser Stelle muß auch vom schulischen Religionsunterricht als einer Veran-staltung von Staat und Kirche gesprochen werden. Auch hier zeigt sich wiederum eine „res mixta“, die aus unterschiedlichen Perspektiven den einen und ganzen Menschen ins Auge faßt. Schulischer Religionsunterricht ist darum auch kirchlicher Religionsunterricht. Dies schließt einen Unterschied zu anderen Formen religiöser Information ein. Ähnlich wie es Religionswissenschaft und Theologie gibt, gibt es einen schulisch-kirchlichen Religionsun-terricht und so etwas wie eine neutral sich gebende Religionskunde. Dabei will ich an dieser Stelle nicht untersuchen, ob es unter philosophischen und hermeneutischen Gesichtspunkten überhaupt so etwas wie eine voraussetzungslose Wissenschaft und Wissensvermittlung gibt. Neuere Erkenntnisse, die die Aufklärung nicht verleugnen, kommen hier zu einem grundlegenden Zweifel. Dann käme alles darauf an, Voraussetzungen im Verstehen nicht zu leugnen, sondern sie offenzulegen und kritisch zu reflektieren. Es mag nützlich sein, bei einem hohen Verlust religiösen Wissens und angesichts der intensiven Verbreitung bisher bei uns kaum bekannter Religionen an eine Konzeption wie Religionskunde zu denken. Viele schütteln den Kopf, wenn man sie nach David fragt. Manche verwechseln Colgate mit Golgota. Eine Auffrischung des religiösen Wissens ist schon kulturell notwendig, wenn wir nicht zu geistigen Banausen werden wollen. Aber der Religionsunterricht unterscheidet sich dadurch, daß er nicht einfach religiöse Fakten und Daten aus einer fernen Vergangenheit oder einer distanzierten Gegenwart referiert, sondern er bringt die religiöse Botschaft einer konkreten Glaubensgemeinschaft in den jetzigen Lebensverhältnissen, also im Hier und Jetzt zur Geltung. Damit ist ein Anspruch formuliert, daß z.B. das Evangelium Jesu Christi auch heute in der individuellen und sozialen Lebensgestaltung ein wichtiges Wort mitzureden hat. Es ist nicht vergangene Historie, sondern will seine Geistesgegenwart anmelden. Natürlich ist dies schwieriger. Ohne sorgfältige Unterscheidung zwischen dem historisch Bedingten und dem zeitlos Gültigen, ohne überzeugende rationale Argumentation und ohne eine ständige Interpretationsaufgabe läßt sich der christliche Glaube für heute nur schwer vermitteln, jedenfalls in unserem kulturellen Kontext. Aber dazu gehören auch der personale Einsatz und das Zeugnis des Theologen und des Religionslehrers, der erkennbar und glaubwürdig hinter dieser Botschaft stehen muß. Dies ist kein beliebiges, zusätzliches Beiwerk, sondern gehört zur Mitte des Religionsunterrichtes und macht gerade seine Stärke aus. Darum möchte ich auch an dieser Stelle allen Religionspädagogen und Religionslehrern für einen solchen Einsatz danken.

Es ist selbstverständlich, daß ein so aufgefaßter schulischer Religionsunterricht voll und ganz die Religionsfreiheit einschließt. Dies gilt für die Eltern, den religionsmündigen Schüler, die bekenntnisfreien Schulen und den Religionslehrer. Deshalb gibt es auch für einen grundsätzlich konfessionell gebundenen Schüler die Möglichkeit der Abmeldung. Es gibt auch einen Ethikunterricht, der Ersatz- und Alternativfach sein kann. Dies bejahen wir alles im Interesse der Religionsfreiheit aller Beteiligten, aber auch der Freiheit und Würde des Glaubens und seiner Vermittlung. Ähnliches gilt für einen möglichen Religionsunterricht nichtchristlicher Religionen in unserem Land, worüber ich jetzt freilich nicht sprechen könnte.

Gerade vor diesem Hintergrund wird es auch verständlicher, warum der Religionsunterricht, der an der Schule von den Kirchen erteilt wird, ein konfessioneller Religionsunterricht ist. Nur so ist er in unseren Verfassungen gewährleistet. Darum hat niemand das Recht, diese elementare Grundlage, die noch näher auszuführen sein wird, zu verändern, es sei denn, daß die Religionsgemeinschaften dies in einem freilich von allen Seiten notwendigen Konsens übereinstimmend beschließen und die Zustimmung der zuständigen staatlichen Behörden erhalten. Aber es kommt nicht nur auf die formelle Garantie des Grundgesetzes an. Der Buchstabe muß mit Geist erfüllt werden. Dies wird heute weitgehend durch einen verzerrten Begriff von Konfession verhindert. Konfession hat zunächst nichts zu tun mit einem engstirnigen Konfessionalismus, der seine eigene Identität nur in der negativen Abgrenzung und Distanzierung zum anderen zu finden glaubt. Im Zeitalter der ökumenischen Bewegung, die eine gegenseitige Öffnung und einen gezielten Dialog verlangt, ist so etwas freilich immer noch -manchmal in verfeinerter Form - wirksam, aber im Grundsatz überholt. Es kann heute keinen kirchlichen Religionsunterricht geben, der nicht von Grund auf ökumenisch offen ist und die Begegnung mit den anderen christlichen Kirchen sucht und vermittelt. Die Alternative zu einer isolierten Selbstbehauptung ist freilich nicht eine unverbindliche Selbstaufgabe, sondern ist die Suche und Findung der eigenen Identität in und mit der Begegnung und durch den Diskurs mit dem Partner. Ich wiederhole es noch einmal: Es kann keinen konfessionellen Religionsunterricht geben ohne diese grundlegende und unersetzliche Struktur. Der Religionsunterricht ist der Religionsunterricht einer konkreten Glaubensgemeinschaft. Man darf den Begriff der Konfession, wenn man ihn schon verwendet - für die katholische Theologie ist er kein tragender Begriff im Verständnis von Kirche, wohl wird er staatskirchenrechtlich als deskriptive Kategorie verwendet - nicht nur negativ, man muß ihn vielmehr positiv bestimmen. Dann drückt er nichts anderes aus als die konkrete, faktisch gültige Lebenswelt einer bestimmten Glaubensgemeinschaft. Es ist nicht einzusehen, was gegen diesen Begriff von Konfession/konfessionell in diesem Sinne spricht. Religion ist auch im Bereich des Christentums keine unverbindliche Größe, sondern hat einen bestimmten, vorgegebenen, freilich immer wieder neu zu bestimmenden und zu deutenden Gehalt („das Evangelium“) und eine damit zusammenhängende Sozialform. Der Religionsunterricht in der Schule hat seine eigene Funktion und hat darum auch seine Grenzen im Blick auf die Leistungsfähigkeit im Ganzen des Glaubens. Er ist ein Lernort des Glaubens. Aber schon die Beschreibung dieses Glaubens wäre unvollständig ohne das beständige Aufzeigen des Lebenszusammenhangs mit anderen Lernorten und mit dem ganzen Leben der Kirche. Ja, auf die Dauer hätte der schulische Religionsunterricht, wenn er vor allem in seinem Anspruch für die Gegenwart gesehen wird, keine großen Überlebenschancen, wenn er nicht nur seiner Herkunft nach auf die Kirche angewiesen bleibt, sondern nicht immer wieder auch im kirchlichen Leben Rückhalt und Halt findet. In diesem Sinne gibt es durchaus bei aller Selbständigkeit des Religionsunterrichts eine Zusammengehörigkeit von schulischem Religionsunterricht und Gemeindekatechese, von Religionsunterricht und Gemeinde. Gerade durch diese konkrete Bestimmung des Religionsunterrichtes wird die gelebte Religion erst verständlich, vollziehbar und letztlich auch kritikfähig.

Bei der Sehnsucht nach der Einheit der Kirche ist dies unbefriedigend. Aber die Lösung des Rätsels liegt nicht in einem noch nicht genügend geklärten und deshalb noch nicht reifen Miteinander im schulischen Religionsunterricht, sondern grundlegend in einem tieferen Zusammenwachsen der immer noch getrennten Kirchen. Es ist schmerzlich zu lernen, daß das wirkliche Ganze des Glaubens mit allen wirklichen Eigenheiten und allen Prägungen jetzt und in dieser Stunde nur in verschiedenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften zu gewinnen ist, die ihre gemeinsame Wurzel immer mehr entdecken, darum auch zu vielen konvergierenden Tendenzen kommen, dennoch aber auch miteinander konkurrieren und in gewisser Weise manchmal divergieren. Wer konkret in der ökumenischen Arbeit steckt - und ich bin das seit genau 30 Jahren –, der ist dankbar für jeden gemeinsamen, verbindlichen Schritt, weiß aber auch um die Enttäuschung, wenn eine Einheit vorweggenommen wird, die sich nachher als Illusion oder Fikton erweist. Gerade weil es diese Unterschiede noch gibt, muß der Dialog im Sinne eines gezielten Diskurses noch entschiedener geführt werden. Fähigkeit zum Pluralismus wächst nicht nur in der Gesellschaft, sondern muß auch immer wieder in der konfessionellen Pluralität des christlichen Glaubens gelernt werden.

Deshalb gibt es aber keinen Stillstand. Wenn die Grundüberzeugung im eben beschriebenen Sinne gewährleistet ist, dann kann es je nach dem Stand des ökumenischen Miteinander viele Formen der Zusammenarbeit geben. Diese ist naturgemäß begrenzt, freilich ausbaufä-hig. Sie kann nicht nach Beliebigkeit von einzelnen Personen und untergeordneten Behörden verfügt werden, sondern bedarf der geordneten Absprache und Vereinbarung durch die zuständigen Instanzen. Was zwischen den Kirchen an Kooperation möglich ist, soll nutzbar gemacht werden. Dies gilt nicht nur für die Schulen und die Schüler, sondern auch für die Lehrer und die Unterrichtsmittel (parallele Elemente in den Lehrplänen, Verwendung von Unterrichtsmaterialien, Zusammenarbeit der Fachkonferenzen, Absprachen über gemeinsame Unterrichtsphasen, gemeinsame Projekte, Angebote der Schulpastoral, Fortbildung der Lehrer usw.). Hier ist ein weites und offenes Feld, das nach meiner Kenntnis noch sehr wenig genützt wird.

Im übrigen ist in der Schrift „Die bildende Kraft des Religionsunterrichtes“ der Deutschen Bischofskonferenz vom 27. September 1997 (= Die deutschen Bischöfe 56) deutlich von solchen flexiblen Verhaltensweisen und von Ausnahmefällen die Rede. Ich möchte nur zwei Sätze daraus zitieren: „Die schulpraktischen Gegebenheiten machen u.U. in bestimmten Regionen sowie in einzelnen Schularten bzw. -formen ein flexibles Eingehen auf die besonderen personellen und strukturellen Verhältnisse erforderlich... Dabei muß gewährleistet bleiben, daß solche Regelungen die grundsätzliche konfessionelle Identität des Religionsunterrichtes auf der Basis der Einheit von Lehrer, Schülern und Lehrinhalt nicht faktisch außer Kraft setzen. – In diesem Rahmen und unter diesen Voraussetzungen empfiehlt sich die Kooperation der Kirchen im Religionsunterricht, z.B. bei gemeinsam interessierenden Themen und Aktionen. In diesem Sinne gibt es Modifikationen des Konfessionalitätsgrundsatzes, z.B. bei Modellversuchen, Sonderfällen und Ausnahmesituationen.“ (S. 78) Hier gibt es längst konkrete Vereinbarungen und Abmachungen, wie z.B. Sonderschulen, Berufsschulen, Sekundarstufe II usw. Auf dieser Basis ist auch eine Vermittlung von Religion und Glaube an Schüler möglich, die nicht der eigenen oder keiner Konfession angehören. „Konfessioneller Religionsunterricht im ökumenischen Geist erlaubt in Ausnahmefällen den Gaststatus von Schülern und Schülerinnen einer anderen Konfession insbesondere dann, wenn der Religionsunterricht dieser Konfession nicht angeboten werden kann und das Profil des katholischen Religionsunterrichtes nicht in Frage gestellt wird - Dem Wunsch konfessionsloser Eltern und Kinder mit dem Anliegen, im Religionsunterricht das Christentum mit seinen Werten und seinen Kulturen kennenzulernen, kann entsprochen werden, wenn der katholische Religionsunterricht als solcher gewährleistet bleibt. - Analog gilt dies für die besondere Situation, z.B. in den neuen Bundesländern, wenn Regelungen getroffen werden, die eine Aufnahme nicht getaufter Schülerinnen und Schüler in größerer Zahl ermöglicht.“ (S. 79)

Vor diesem Hintergrund ist nach Meinung der katholischen Kirche ein neues Fach, wie etwa „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ (LER) nicht notwendig, da der Religionsunterricht auf der bisherigen Basis flexibel ist zur Aufnahme der dahinterstehenden Grundanliegen. Außerdem ist nach unserer Überzeugung der weltanschaulich neutrale Staat aus grundsätzlichen, verfassungsmäßigen Überlegungen nicht in der Lage, ein mindestens im Vollzug konkret geprägtes inhaltliches Fach mit unvermeidlichen Wertentscheidungen und bestimmten religionstheoretischen Annahmen vorzuschreiben oder dazu einzuladen.

Der schulische Religionsunterricht ist dringender denn je, wenn die jüngeren Generationen den biblischen Glauben kennenlernen und sich mit ihm und seinen Orientierungen vertraut machen und auseinandersetzen wollen. Es geht freilich um Religion überhaupt. Unsere Verfassungen geben dafür einen genügend weiten Spielraum und eine verläßliche Gewähr auch für die Zukunft. Es liegt an den Kirchen, den Buchstaben mit Geist zu erfüllen. Ich möchte von dieser Stelle aus alle Verantwortlichen, zumal die Religionspädagogen sowie die Religionslehrerinnen und -lehrer um eine intensivierte Mitarbeit bitten und danke jetzt schon sehr herzlich allen, die uns dazu ermutigen.

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