| Pressemeldung | Nr. PRD 073c

Statement von Bischof Dr. Reinhard Marx, Mitglied der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, zur Vorstellung des Impulstextes "Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik" in der Pre

Es gilt das gesprochene Wort!
Wir brauchen Reformen, die langfristig und auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind. Wie kann unser politisches System dazu befähigt werden? Hierzu finden sich in dem Text "Das Soziale neu denken" einige konkretisierende Impulse. Neben einer Reform des Föderalismus und der Inpflichtnahme bestehender staatlicher Institutionen ist dies der "Sozialstaats-TÜV": Es ist im Moment Gemeingut der Reformdebatte, dass ein Durchsetzungsdefizit für Reformen besteht. Betrachtet man die vielen einzelnen Reformkonzepte jedoch genauer, so fehlt es darüber hinaus aber auch an der Fähigkeit, die Interdependenzen verschiedener Reformen, insbesondere zwischen verschiedenen Politikfeldern, sicher zu bestimmen und die Funktionsweise des Sozialstaats transparent zu machen. Die Voraussetzungen dafür, fundierte, langfristig orientierte Standpunkte jenseits von Partikularinteressen und Ressortperspektiven öffentlich zur Geltung zu bringen, sind ungünstig. Bei genauerem Hinsehen besteht - will man nicht von dem Wissen der den Partikularinteressen verhafteten Gruppen abhängig sein - neben dem Durchsetzungsdefizit auch ein Wissensdefizit.

Die staatlichen Einrichtungen, die die Reform des Sozialstaats zur Aufgabe haben, müssen in die Pflicht genommen werden. Sie müssen zugleich aber auch befähigt werden, ein so langwieriges und komplexes Reformwerk wie den Sozialstaatsumbau durchzuhalten. Die breite Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger in Regierungen und Parlamenten sind angewiesen auf verlässliche, umfassende und regelmäßig aktualisierte Kenntnisse: Kenntnisse über Veränderungen der sozialen Lage in der Bundesrepublik und über die Wirkungsweise sozialpolitischer Maßnahmen wie auch Kenntnisse über die Folgen ihrer Veränderungen. Zusammenhängende Aussagen hierüber setzen ein System gesellschaftlicher Dauerbeobachtung voraus. Dazu werden bereits heute von verschiedenen Forschungsinstituten innerhalb und außerhalb der Universitäten Bruchstücke bereitgestellt. Alles in allem ist die Politikfelder übergreifende Analyse, die Betrachtung von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Politikbereichen und die zusammenfassende Darstellung von Lebenslagen und Lebenschancen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen jedoch noch wenig entwickelt.

Derzeit gibt es kein Instrument, das diese für die weitere Entwicklung des Sozialstaats notwendigen Kenntnisse und Analysen bereitstellen würde. Wir halten es deshalb für notwendig, einen regelmäßigen "Sozialstaats-TÜV" zu etablieren. Er soll die Diskussion fundiert auf Alternativen zuspitzen und die so gewonnenen Ergebnisse in politische Entscheidungsprozesse einbringen. Auf diese Weise würden auch die Interessen derjenigen, die sich selbst nicht artikulieren können, beispielsweise der Familien und Arbeitslosen, in die öffentliche Diskussion eingebracht und es würde der Dominanz der gut organisierten Interessengruppen entgegengewirkt.

Die Kirchen sollten zu dem Sozialbericht regelmäßig auf der Grundlage ihrer Sozialethik Stellung beziehen. So würde sowohl eine öffentliche Debatte möglich als auch eine intensivere sozialethische Analyse, die - das zeigen die aktuellen Diskussionen - durchgängig nötig ist. Der Umbau des Sozialstaats wird schließlich nicht in einer Legislaturperiode abgeschlossen sein.

Ein regelmäßiger Sozialbericht würde, indem er Handeln einfordert, nicht nur einen Beitrag zur Überwindung des Erkenntnis-, sondern auch des Durchsetzungsdefizits leisten und damit wichtige Voraussetzungen für die notwendigen Reformen und deren Verstetigung schaffen, von denen die Zukunft unseres Gemeinwesens abhängt, insbesondere um der Ausgegrenzten willen.

Dieses Impulspapier ist keine Abkehr vom Gemeinsamen Wort, sondern eine Weiterführung. Schon 1997 haben wir grundlegende Reformen gefordert, die nicht Status-quo-orientiert sein dürfen, aber wir müssen auch sehen, dass die Diskussion nun fortgeführt werden muss. Weder 1997 noch 2003 ist es Aufgabe der Kirche, Gesetzesentwürfe vorzulegen, Politik zu machen, sondern Politik möglich zu machen.

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