| Pressemeldung

Statement des Vorsitzenden der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Franz Kamphaus, auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Friedenswortes "Gerechter Friede" am 11. Oktober 2000 in Berlin

"Gerechter Friede" - der Titel ist Programm. Sie kennen die Devise: Si vis pacem, para bellum (wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.). In diesem Zusammenhang stellt sich dann vorrangig die Frage nach dem "Gerechten Krieg". Demgegenüber heißt es hier ausdrücklich: "Gerechter Friede". Si vis pacem, para pacem! Wie bereiten wir den Frieden vor? In "Gerechtigkeit schafft Frieden" 1983 ging es darum, im Rahmen einer hochexplosiven Blockkonfrontation den Frieden militärisch zu sichern und den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnungskonflikt zwischen Ost und West zu entschärfen. Damals lautete die Losung: Entspannung, friedliche Koexistenz und friedlicher Wandel. Heute ist der Ost/West-Konflikt überwunden. Gibt es ein neues Leitbild, das programmatisch bündelt, was von der christlichen Tradition her friedenspolitisch an der Zeit ist? Unsere Antwort heißt: "Gerechter Friede". Damit ist ein ethisch-politischer Maßstab gegeben, an dem sich das politische Entscheiden und Handeln nicht nur ausrichten kann, sondern sich auch kritisch beurteilen lassen muss.
Die sicherheitspolitische Lage hat sich grundlegend gewandelt. Der klassische Typ des zwischenstaatlichen Krieges, auf den die bisherige Politik der Kriegsverhütung konzentriert war, hat erheblich an Bedeutung verloren. Damit ist keineswegs überall Frieden eingekehrt. Frieden ist mehr als Abwesenheit von Krieg. Während der Krieg im herkömmlichen Sinn unwahrscheinlicher geworden ist, wächst die Zahl gewaltsamer innerstaatlicher Konflikte. Das lässt uns neu nach Gewaltfreiheit fragen. Sie ist nicht gleichbedeutend mit Pazifismus. Aufgrund der veränderten Lage relativieren sich die gewohnten Gegensätze zwischen Pazifisten und Nichtpazifisten. Es geht um die gemeinsame Pflicht, Gewalt zu verhindern oder wenigstens zu mindern. Daraus ergibt sich als Kernstück einer zukunftsfähigen Friedenspolitik das bekannte Prinzip: Vorbeugen ist besser als Heilen, Prävention besser als Reaktion.
Diese neue Losung mit dem Stichwort "Vorbeugung" statt "Entspannung" klingt vielleicht harmlos. Der Eindruck täuscht. Wir haben in der Gesundheitspolitik hinreichend Erfahrungen mit dem Anliegen der Vorbeugung. Sie zeigen uns, mit welchen Schwierigkeiten zu rechnen ist, wenn mit der Gewaltprävention wirklich ernst gemacht werden soll. Das reicht über den Bereich der Sicherheits- und Militärpolitik weit hinaus und verlangt Bereitschaft zur Veränderung, ja zur Umkehr.
Wir sind der Gewaltfrage nachgegangen, indem wir uns zuerst unseres eigenen Ursprungs vergewissern. Das Hirtenwort beginnt mit einem vergleichsweise umfangreichen biblischen Teil (I). Anders als in "Gerechtigkeit schafft Frieden" stützen wir uns dieses Mal in weitaus höherem Maße auf die heilsgeschichtliche Sicht der Bibel als auf naturrechtliche Überlegungen. Wir geben damit zu erkennen, aus welcher Quelle wir schöpfen, von welchem Standort aus wir die Welt betrachten. Die biblische Tradition birgt ein größeres Potential an revolutionärer und innovativer Kraft in sich, als uns selbst oft bewusst ist.
Das Leitwort "Gerechter Friede" ist das Ergebnis einer Konvergenz zwischen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen der politischen Vernunft und biblischen Einsichten. Der Glaube bestätigt nicht bloß, was die Vernunft von sich aus schon weiß und verdoppelt nicht nur, was ohnehin bereits allen klar ist. Er enthält einen Überschuss, einen "Mehrwert" an Friedenskraft. Gewaltfreiheit - christlich verstanden - verdankt sich dem Glauben. Sie hat nichts zu tun mit Feigheit oder Tatenlosigkeit, sondern ist eine aktive schöpferische Kraft, die auch und gerade diejenigen prägen muss, die in politischer und ethischer Verantwortung Gegengewalt anordnen oder ausüben. Das ist kein Widerspruch. Die unbedingte Achtung der menschlichen Würde und die mitmenschliche Solidarität verbieten in aller Regel Gewaltanwendung. In Extremsituationen jedoch erlauben sie Notwehr und gebieten Nothilfe, wenn Gegengewalt das erkennbar kleinere Übel im Vergleich zur bereits vorhandenen und ausgeübten Gewalt darstellt und kein anderes Mittel mehr zur Wahl steht.
Das ist im Grundsatz einfach und schnell gesagt, in der politischen Realität ist es leider erheblich komplizierter. Niemand sollte deshalb das Ja zur Möglichkeit sogenannter humanitärer Interventionen missverstehen als Freibrief für einen hemmungslosen Interventionismus. Der Kosovo-Krieg hat eindringlich gezeigt, dass hier Klärungs- und Regelungsbedarf besteht. Es müssen rechtliche und institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden, die es der internationalen Staatengemeinschaft ermöglichen, schneller und effektiver zu handeln, im Falle der Prävention ebenso wie der Reaktion.
Die Bibel belegt, dass zwischen Gewalt und Religion eine ebenso uralte wie tiefgründige und widersprüchliche Wechselbeziehung besteht. Da muss man sich nur an die Religions- und Konfessionskriege erinnern oder auf den schier unlösbaren Konflikt im Nahen Osten blicken. Daher zählt zu den vorrangigen Pflichten aller Religionen der interreligiöse Dialog und die interreligiöse Begegnung. Sie sind Voraussetzungen einer Gesellschaft verschiedener Kulturen. Mag sein, dass der Einfluss der christlichen Kirchen in Europa noch weiter schwindet. Es wäre irrig, daraus zu schließen, die Religion als solche oder die Religionen würden künftig keine politische Rolle mehr spielen. Vieles spricht eher für das Gegenteil. Das Bischofswort hält sich gegenüber der populären These vom unvermeidlichen Zusammenprall der Kulturen oder Zivilisationen erkennbar zurück, aber es lässt keinen Zweifel an dem hohen Rang, dem der Umgang mit religiösen Überzeugungskonflikten zuerkannt werden muss.
Der erste Hauptteil ist biblisch, der dritte ist pastoral ausgerichtet. Das sind die Eckpfeiler einer Konzeption, deren politisches Kernstück im mittleren, zweiten Hauptteil dargelegt und in einer Reihe von Einzelgesichtspunkten entfaltet wird. Ich möchte davon nur zwei herausgreifen.
Im Zentrum des Mittelteils steht ohne Frage die Überzeugung, dass eine Politik der Gewaltvorbeugung an erster Stelle eine gerechte Sozial- und Wirtschaftpolitik erfordert, national wie weltweit. Die Globalisierung birgt neben ungeahnten Chancen enorme Risiken in sich. Bislang verschärft sie die sozialen Gegensätze im nationalen wie im internationalen Maßstab. Von daher gewinnen die sozialethischen Prinzipien der Gerechtigkeit und Solidarität eine direkte und unmittelbare Bedeutung im Kontext gewaltpräventiver Politik. Offensichtlich hängt das veränderte Kriegbild, von dem bereits die Rede war, eng mit der Zuspitzung sozialer Konfliktlagen zusammen. Wer der Gewalt vorbeugen will, muss ihre Ursachen bekämpfen. Dazu gehört die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich an vorderster Stelle. Größtes Gewicht kommt darüber hinaus auch im globalen Zusammenhang den Prinzipien der Zusammenarbeit und Integration unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips zu. Sie haben sich auf dem Feld der europäischen Politik als friedensfördernde Leitlinien bewährt.
Einen zweiten Schwerpunkt des Hirtenwortes bildet die Konfliktnachsorge als Teil einer Politik der Konfliktvorbeugung. Der erfreuliche Zusammenbruch so vieler totalitärer und diktatorischer Regime und das weniger erfreuliche Zusammenbrechen von Staaten infolge von Bürgerkrieg und wirtschaftlichem Niedergang haben eine ungeheure Erblast hinterlassen: ökonomisch, rechtlich, kulturell. Das Hirtenwort konzentriert sich in diesem Zusammenhang vor allem auf die Schuldbewältigung. Das entspricht dem Auftrag der Kirche. Es betrifft aber auch wesentlich sie selbst. Auch ihre Geschichte wirft in mancher Hinsicht düstere und lange Schatten, die sie erkennen und als Teil ihrer Geschichte anerkennen muss.
Ich fasse abschließend noch einmal kurz zusammen: Das vorliegende Hirtenwort beabsichtigt eine Selbstbesinnung und Selbstvergewisserung der Katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland in einer veränderten weltpolitischen Lage. Es will gleichzeitig einen Beitrag leisten zur gesellschaftlichen und politischen Diskussion über die friedenspolitischen Konsequenzen, die aus den Veränderungen des letzten Jahrzehnts zu ziehen sind. Es plädiert im Anschluss an die biblische Tradition und im Licht einer Gegenwartsanalyse entschieden für eine Politik der Gewaltvorbeugung, und weist dabei dem Eintreten für eine gerechte Sozial- und Wirtschaftpolitik sowie der Pflicht zu einer breit angelegten Konfliktnachsorge eine Schlüsselrolle zu. Schließlich erörtert das Bischofswort, was die Zielperspektive des gerechten Friedens für die Kirche selbst bedeutet und von ihr fordert. Was die deutschen Bischöfe für nötig erachten, ist nicht weniger als ein tiefgreifender Bewusstseinswandel im Geist der Gewaltlosigkeit. Si vis pacem, para pacem.

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