| Pressemeldung | Nr. PRD 073b

Statement des Vorsitzenden der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Josef Homeyer, zur Vorstellung des Impulstextes "Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik" in de

Es gilt das gesprochene Wort!
Die politischen Debatten um den Sozialstaat haben sich verschärft. Es gilt: Wenn wir nichts ändern, keine Reformen wagen, setzen wir den Sozialstaat aufs Spiel. Wenn nichts getan wird, werden im Ergebnis die Schwachen die Leidtragenden sein, weil sie in besonderer Weise auf die Absicherung durch den Sozialstaat angewiesen sind. Reformen sind so vorrangig eine Frage der Gerechtigkeit und nicht nur aus ökonomischen Gründen notwendig.

Der Impulstext "Das Soziale neu denken" versucht deshalb die Reformbarrieren beim Namen zu nennen. Die Krise des Sozialstaats wächst sich zur Krise des politischen Systems aus und umgekehrt. Die Menschen glauben immer weniger an die Verläßlichkeit des Sozialstaats, vor allem glauben sie immer weniger an die politische Entscheidungsfähigkeit der Akteure. Langfristig beschädigt dies die demokratische Ordnung in Deutschland.

Deshalb nehmen wir die politischen Probleme des Sozialstaats zentral in den Blick und jene Änderungen werden aufgerufen, mit denen das politische System befähigt werden könnte, den Sozialstaat auf Dauer zu bewahren und ihn angesichts neuer Herausforderungen beständig und auf eine langfristig tragfähige Weise zu erneuern.

Zunächst die Barrieren, wie sie in Abschnitt 3 entfaltet werden: Hierzu gehören die stark korporatistische Prägung des politischen Systems der Bundesrepublik, die partikularen Interessen zur Dominanz verhilft, und eine Verengung des Verständnisses von Sozialpolitik auf Verteilungspolitik. Dadurch wird ausgeblendet, dass vor allem Familien-, aber auch Bildungs- und Berufsbildungspolitik zukunftsorientierte Bereiche der Gesellschaftspolitik sind. Weiter können durch die Entwicklung unseres Föderalismus leicht Reformentscheidungen blockiert werden. Und es fehlen Institutionen, die den Blick auf das Ganze und auf eine nachhaltige, zukunftsorientierte Politik richten. Gerade dieser letzter Punkt bedeutet im Zusammenhang mit der Dominanz der Partikularinteressen einen Mangel an Rationalität in der Fortentwicklung des Sozialstaates.

Um die strukturelle Blockade langfristiger Reformpolitik zu überwinden, wird ein ganzes Bündel von Maßnahmen notwendig sein. Dabei muss man sich zunächst der Grundausrichtung aller Reformbemühungen vergewissern, was in Abschnitt 4 des Textes geschieht: Das christliche Verständnis vom Menschen stellt den Menschen ins Zentrum allen politischen Handelns. Insbesondere die Wirtschafts- und Sozialpolitik sind daran zu messen, inwieweit sie letztlich der Wohlfahrt und den Entfaltungsmöglichkeiten aller Menschen zugute kommen. Deshalb sind Subsidiarität und Solidarität die entscheidenden Leitbilder für eine Reform des Sozialstaates. Dabei wird es immer notwendig sein, Menschen, die der Hilfe vor allem angesichts der großen Risiken des Lebens bedürfen, Hilfe auch zukommen zu lassen. Ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips muss es dabei aber darum gehen, nicht Abhängigkeit, sondern Selbstständigkeit zu fördern. Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Er muss jedoch darum bemüht sein, die Eigenverantwortung der Bürger, das heißt auch den Aufbau von neuen Solidaritätsformen zu stärken. Notwendig ist ein "Subsidiaritäts-Check": Der gesamte Sozialstaatskomplex müsste nach den Kriterien des Subsidiaritätsprinzips auf notwendige Reformen hin durchforstet werden. Notwendig bleibt aber auch ein "Solidaritäts-Check", der bestehende Gerechtigkeitslücken aufdeckt und dadurch beseitigen hilft.

Auf dieser Basis müssen wir ein integrales Verständnis von Sozialpolitik entwickeln, das die Nachwuchsförderung in ihr Zentrum stellt. Ohne Kinder gibt es keine Zukunft. Familienpolitik ist deshalb als elementare Querschnittsaufgabe aller Politik anzuerkennen. Ähnliches gilt für die Bildungspolitik, zumal ein erschwerter Zugang zu Bildung und Wissen den Zugang zur heutigen Arbeitswelt und damit die Teilhabechancen beeinträchtigt. Unter diesen Bedingungen kommen Bildung und Wissen eine Schlüsselrolle zu im Bemühen um eine gerechtere Gesellschaft.

Wir schlagen im 5. Abschnitt des Impulstextes einige Maßnahmen vor, die dazu beitragen, die Reformierbarkeit des Sozialstaats grundlegend wiederherzustellen und den Reformpfad zu verstetigen. Ein Instrument hierzu stellt Ihnen gleich Bischof Marx vor. Bei allen Überlegungen müssen wir im Blick haben: Durchbrochen werden muss der Vorrang des Bestehenden vor dem Künftigen und der Vorrang der Interessen von heute vor den Interessen von morgen. Gesucht wird eine "Entwicklungspolitik für ein entwickeltes Land". Sie denkt vom Menschen, besonders den Nichtbeteiligten, und vom Ganzen her. Sie bricht die Dominanz partikularer Interessen auf und stellt die Wahrnehmung, Darstellung und Bewertung in umfassende Zusammenhänge.

Eine abschließende Bemerkung: Die Kirche ist selbst ein bedeutender institutioneller Akteur im Sozialstaat, ein bedeutender Arbeitgeber. Insofern verpflichtet dieser Impulstext auch uns selbst. Auch die Kirche muss immer wieder prüfen, wie sie am wirkungsvollsten ihrer Anwaltschaft für die Ausgeschlossenen und Benachteiligten gerecht wird. Das gilt sowohl für ihre Sozialverkündigung wie auch für die Gestaltung ihrer sozial-caritativen Dienste.

Die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen hat einige Persönlichkeiten, die der Öffentlichkeit als herausragende Experten bekannt sind, um ihre Mitwirkung gebeten. Insbesondere sind hier zu nennen: Dr. Warnfried Dettling, Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann, Prof. Dr. Paul Kirchhof, Prof. Dr. Hans Tietmeyer, Prof. Dr. Hans F. Zacher. Ihnen und allen, die am Zustandekommen mitgewirkt haben, gilt unser herzlicher Dank. Wir müssen das Soziale neu denken, damit die Menschen in unserem Land, insbesondere auch die, die sich sonst nicht Gehör verschaffen können, eine gute Zukunft haben.

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