| Pressemeldung

Statement des Vorsitzenden der Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Joachim Reinelt, Dresden, auf der Pressekonferenz am 4. Juni 2003 in Berlin

Die Ihnen vorliegende Stellungnahme der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen (VI) und der Kommission für caritative Fragen (XIII) der Deutschen Bischofskonferenz wurde von einer Arbeitsgruppe, an der Experten aus dem kirchlichen, politischen und wissenschaftlichen Bereich beteiligt waren, vorbereitet. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dieser Arbeitsgruppe herzlich für die guten Vorarbeiten zur vorliegenden Stellungnahme zu danken.

Unsere Stellungnahme verfolgt das Ziel, die solidarische Absicherung krankheitsbedingter Lasten, die vom Einzelnen oder seiner Familie nicht zu bewältigen sind, in einer Welt immer neuer Anforderungen und Risiken zu wahren. Dies war bisher die große Stärke unseres Gesundheitssystems, sie soll es auch weiterhin bleiben.

Der Text benennt nach einer Einleitung, die die personale Dimension menschlicher Krankheit hervorhebt, die Herausforderungen, die eine Reform des deutschen Gesundheitssystems notwendig machen. Sodann werden ethische Kriterien für eine Reform mit dem Ziel, die nötige Solidarität innerhalb des Gesundheitssystems zu wahren, erörtert. Aus ihnen ergeben sich Orientierungen für eine am Patienten orientierte Leistungserbringung, für ein die Eigenverantwortung der Menschen ernst nehmendes Leistungsspektrum und eine an der Leistungsfähigkeit der Versicherten ausgerichtete Mittelaufbringung.

Der Titel unserer Stellungnahme "Solidarität braucht Eigenverantwortung" deutet bereits an, welche sozialethischen Kriterien für eine Reform des Gesundheitssystems aus unserer Sicht besonders zu beachten sind. Nach wie vor gilt - Sie finden dies im Abschnitt "Kriterien" auf den Seiten 8-11 -, dass unser Gesundheitssystem ein festes Fundament im Gedanken der Solidarität braucht. Jede und jeder müssen sich sicher sein können, dass sie im Falle einer existenziellen Gefährdung durch Krankheit auf die notwendigen Hilfeleistungen durch die Solidargemeinschaft zählen können. Neben der Solidarität muss der Gedanke der Eigenverantwortung nach unserer Überzeugung betont werden, da der Mensch als Person zugleich im Mit-Sein auf den Anderen bezogen ist und als Einzelwesen Selbststand besitzt. Das Prinzip der Subsidiarität stellt eine Regel für das rechte Maß zwischen dem dar, was der Einzelne für seine Gesundheit selbst tun muss und dem, was gerechterweise von der Gemeinschaft erwartet werden darf.

Als weiteres Kriterium ist bei der notwendigen Reform des Gesundheitssystems die Gerechtigkeit zu beachten. Dabei geht es sowohl um ein bedarfsgerechtes Gesundheitssystem als auch um die Beteiligungsgerechtigkeit. Letztere verlangt auf der einen Seite von allen Bürgern, sich aktiv an der Bewahrung bzw. Wiederherstellung des Gutes Gesundheit zu beteiligen. Auf der anderen Seite obliegt es der Gesellschaft, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Menschen auch tatsächlich beteiligen können. Gesundheit kann nur in aktiver Kooperation zwischen Patienten und Leistungserbringern realisiert werden.

Sozialethische Kriterien entfalten ihre Wirkung, indem sie auf konkrete Sachverhalte bezogen werden. Mit Blick auf das deutsche Gesundheitssystem lassen sich aus den genannten Kriterien einige Folgerungen ableiten, die Sie in dem entsprechenden Abschnitt auf den Seiten 12-26 finden. Im Bereich der Leistungserbringung (s. S. 14-21) ist aus unserer Sicht eine stärkere Patientenorientierung, mehr Qualifizierung und Humanisierung der Leistungserbringung, mehr Transparenz, Effizienz und Steuerbarkeit durch die Patienten anzumahnen. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang den Hinweis, dass wir mit der Forderung nach mehr Eigenverantwortung keine reine stärkere Selbstbeteiligung der Patienten an den Kosten meinen, um lediglich mehr Geld ins System zu bringen. Das Instrument der Selbstbeteiligung hat nur Sinn, wenn davon eine Lenkungswirkung auf die Nachfrage ausgeht und wenn diese so veränderte Nachfrage nicht in Konflikt gerät mit dem Ziel, dass jedem Menschen der Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung und Prävention offen steht.

Wir brauchen einen Perspektivenwechsel von der Krankheitsbewältigung zur Gesundheitsförderung. Es gilt, den derzeitigen Schwerpunkt von akutmedizinischen Maßnahmen in unserem Versorgungssystem zugunsten von mehr Prävention und Rehabilitation zu verschieben. Dazu sind insbesondere eine verantwortliche Lebensführung des Einzelnen sowie die Stärkung seiner Motivation und Mitwirkung beim Behandlungsgeschehen wesentlich.

Unsere Stellungnahme beschäftigt sich auch mit der Frage des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung - auf den Seiten 21-24. Die Entscheidungen darüber sollten sich an Abwägungskriterien orientieren, die sich auf die individuelle Tragbarkeit krankheitsbedingter Risiken, die Beeinflussbarkeit der Risiken durch eine bestimmte Lebensführung, die Konsumnähe bestimmter Leistungen sowie auf die Wirksamkeit von Präparaten und Maßnahmen bezieht. Zur Bestimmung der zu garantierenden, medizinisch notwendigen Leistungen wird ein von allen Verantwortlichen getragenes Gremium unter Einschluss der Patienten/Versicherten notwendig sein, das sich kontinuierlich mit der Festlegung der bedarfsgerechten medizinischen Versorgung ethisch verantwortet auseinandersetzt.

Im Bereich der Finanzierung des Gesundheitssystems diskutiert das Papier (s. S. 24-26) einige aktuelle Vorschläge wie beispielsweise die Überlegung, den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung von weiteren Beitragssteigerungen abzukoppeln, oder die Einbeziehung aller Einkommensarten. Es kann nicht Aufgabe der Bischöfe sein, hierzu konkrete Lösungen vorzuschlagen. Generell sind wir der Ansicht, dass Fremdlasten, die nicht das Risiko der Krankheit oder der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abdecken, als versicherungsfremde Lasten aus dem allgemeinen Steuerhaushalt und nicht allein durch die Versicherten finanziert werden. Die beitragsfreie Mitversicherung der Familienangehörigen ist jedoch keine solche versicherungsfremde Last.

Es ist uns bewusst, dass die Reform des deutschen Gesundheitssystems nicht auf einen Schlag gelingen kann, wie es Kardinal Lehmann schon ausgeführt hat. Ein so komplexes System wird nur in der Fortentwicklung des Bestehenden zu reformieren sein. Doch muss bei allen Schritten die Zielrichtung klar sein. Und wir dürfen nicht zurückschrecken, sondern müssen die Reformen beherzt angehen.

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