| Pressemeldung | Nr. PRD 073a

Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, zur Vorstellung des Impulstextes "Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik" in der Pressekonferenz am 12. Dezember 2003 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!
Es ist unzweifelhaft, dass Reformen in unserem Land notwendig sind. Denn wir stehen vor großen Herausforderungen: der demographische Wandel, die Aushöhlung von Solidaritätsformen wie der Familie, die anhaltende Arbeitslosigkeit, die europäische Integration und die Globalisierung. Sie alle erfordern grundlegende Veränderungen unserer sozialpolitischen Strukturen, unserer sozialen Sicherungssysteme und unseres Steuersystems. In der derzeitigen Reformdebatte bleibt es aber bisher ungewiss, inwieweit einmal als notwendig erkannte Reformen tatsächlich umgesetzt werden können. Dies gilt angesichts der unterschiedlichen politischen Meinungen, der vielfältigen Interessengruppen und der zahlreichen Ad-hoc-Kommissionen, die zu speziellen Fragestellungen eingerichtet worden sind. Viele Menschen nehmen die Politik derzeit als unberechenbar, unzusammenhängend und kurzatmig wahr. Einer solchen Politik bringen sie wenig Vertrauen entgegen.

Sicher werden nicht alle Reformen auf einmal möglich sein. Entscheidend aber ist, dass die verschiedenen Reformansätze eine gemeinsame Perspektive haben, dass sie gegen alle Kurzfristigkeit politischer Entscheidungen und die Dominanz der Interessenvertreter einen dauerhaften Reformpfad bilden.

Hierum geht es dem Text "Das Soziale neu denken" der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, den wir Ihnen heute vorstellen. Er ist kein Kommentar zu den aktuellen Reformplänen der Bundesregierung oder den Vorstellungen der Opposition. Es geht vielmehr darum, angesichts aller Reformnotwendigkeiten eine grundlegende Option für die Benachteiligten in unserer Gesellschaft zu formulieren. Nach unserer Analyse zeigen sich zwei grundlegende Ungleichgewichte in der bisherigen Sozialstaatsentwicklung: Dies sind

erstens das Ungleichgewicht im politischen Prozess zwischen gut organisierten und daher einflussreichen Interessen einerseits und schwieriger organisierbaren, aber in besonderer Weise der Unterstützung des Staats bedürftiger Interessen andererseits sowie zweitens das Ungleichwicht zwischen den aktuellen Problemen einerseits und den absehbaren, möglicherweise schwerwiegenderen Problemen und Forderungen der Zukunft andererseits.Konkret bedeutet dies, dass wir zwar ein Drittel des Bruttosozialprodukts für den Sozialstaat aufwenden, aber die Zustände in einigen Bereichen geradezu skandalös, nämlich anstoßerregend zu nennen sind. Ich verweise insbesondere auf die prekäre Situation vieler Familien, die erleben, dass Kinder in unserer Gesellschaft immer häufiger ein Armutsrisiko darstellen. Aber auch auf die Situation vieler Langzeitarbeitsloser, deren Zahl nach wie vor steigt, und auf die ebenfalls wachsende Zahl von Menschen, denen unser Bildungssystem wirkliche Chancengerechtigkeit vorenthält. Trotz des gewaltigen Aufwands, den wir mit den Instrumenten des Sozialstaats betreiben, und trotz des großen Verteilungsvolumens, das wir aufbringen, sind wir auch heute mit eklatanten sozialen Missständen konfrontiert.

Wenn wir die Option für die Armen, die Ausgeschlossenen in unserer Gesellschaft, ernst nehmen, dann müssen wir in der Weiterentwicklung des Sozialstaates und bei allen Reformbemühungen auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die sich sonst nicht artikulieren können. Wir müssen insbesondere die Interessen der zukünftigen Generationen in den Prozess einbringen und so allen Reformen eine langfristige Perspektive geben. In diesem Sinn muss das Soziale neu gedacht werden.

Der Impulstext will dazu beitragen, eine langfristig angelegte Reformpolitik möglich zu machen. Und dies ganz im Sinne des Gemeinsamen Wortes der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit", in dem es heißt, dass die Kirchen nicht Politik machen, sondern helfen wollen, gute und wirksame Politik möglich zu machen. Der Text steht im Zusammenhang mit der Weiterarbeit an der Thematik des Gemeinsamen Wortes von 1997 und schreibt dieses wenigstens partiell, d.h. in gewissen Perspektiven fort. Er folgt der Grundlegung des Gemeinsamen Wortes, indem nunmehr Maßstäbe, Ordnungsprinzipien und Strukturen der Erneuerung des Sozialstaats auf politische Entscheidungsfähigkeit hin buchstabiert werden.

Im Zuge der Weiterarbeit von evangelischer und katholischer Kirche am Gemeinsamen Wort hat es in den vergangenen Jahren verschiedene Initiativen gegeben, die teils gemeinsam und teils von katholischer oder evangelischer Seite eigenständig betrieben wurden. Ich möchte hier z. B. an unsere Gemeinsame Erklärung zur Reform der Alterssicherung in Deutschland, an das Memorandum "Mehr Beteiligungsgerechtigkeit", an unsere Texte zur Reform des Gesundheitssystems sowie an die Verbände-Initiative "Beteiligung schafft Gerechtigkeit" erinnern. In diesem Sinne ist auch der Text, den wir Ihnen heute vorstellen, ein Weiterdenken des Gemeinsamen Wortes auf katholischer Seite, über das die EKD während der Erarbeitung des Textes kontinuierlich informiert war.

Danken möchte ich an dieser Stelle besonders dem Vorsitzenden der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Josef Homeyer, durch dessen Initiative und Einsatz dieser Text zustande gekommen ist. Bischof Homeyer und Bischof Dr. Reinhard Marx, Mitglied der Kommission, werden Sie nun näher mit dem Impulstext "Das Soziale neu denken" vertraut machen.

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