| Pressemeldung | Nr. 43

Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Prof. Dr. Dr. Karl Lehmann (Mainz)

Pressekonferenz zur Vorstellung der empirischen Studie zum Religionsunterricht von Prof. Dr. Dr. Anton Bucher am 06.09.2000 in Berlin

Die Studie zum Religionsunterricht, die wir Ihnen heute vorstellen, trifft auf eine öffentliche Diskussion, in der viel über Radikalismus, über Ausländerfeindlichkeit und über die Fassungslosigkeit angesichts von Gewalttaten gegen Menschen anderer Herkunft, Behinderte und Obdachlose gesprochen wird. Wenn es nicht nur darum geht, polizeiliche Maßnahmen zu verstärken oder schnellere und härtere Urteile zu fällen, sondern wenn die tieferen Ursachen in den Blick genommen werden sollen, dann ist die Besinnung auf die grundlegenden Werte und Orientierungen unseres Zusammenlebens unerlässlich.
Der Religionsunterricht vermittelt ein Bild vom Menschen und vom menschlichen Zusammenleben, das niemanden als vermeintlich minderwertig ausschließt. Mit der Botschaft, dass alle Menschen gleichermaßen von Gott angenommen und geliebt sind, leistet der Religionsunterricht einen wichtigen Beitrag - neben seinen anderen Aufgaben - für ein gesellschaftliches Miteinander, wo jeder den anderen achtet und respektiert, wo Fremdenhass, Missachtung von Behinderung oder Andersartigkeit keinen Platz haben. Unsere Religionslehrerinnen und Religionslehrer sehen die Vermittlung dieser Botschaft als eine ganz zentrale Aufgabe an.
Obwohl dieser Beitrag des Religionsunterrichts für unser Zusammenleben unbestritten ist, wird er in den letzten Jahren dennoch kontrovers diskutiert. Angeheizt wurde die Debatte um dieses Fach mit der Einführung von LER im Land Brandenburg. Nicht nur in Brandenburg, auch hier in Berlin und neuerdings auch in Hamburg und Bremen werden Alternativmodelle propagiert, die den kirchlich mitverantworteten Religionsunterricht in der Schule ersetzen sollen. Nicht der Religionsunterricht als solcher wird abgelehnt, sondern die kirchliche Mitverantwortung für dieses Fach. Denn die sogenannten Alternativmodelle sehen einen interreligiösen Unterricht für alle Schüler in alleiniger staatlicher Verantwortung vor.
Als zentrales Argument wird von den Gegnern des konfessionellen Religionsunterrichts immer wieder die geringe konfessionelle und kirchliche Bindung der Schülerinnen und Schüler und die angeblich geringe Akzeptanz des gegenwärtigen Religionsunterrichts ins Feld geführt. Der Religionsunterricht, so wird behauptet, stoße bei Schülern vielerorts auf Desinteresse. Außerdem habe er seine religiösen Themen weitgehend aufgegeben und sei zu einem unverbindlichen Gerede geworden, in dem unverbindlich über aktuelle Schülerbefindlichkeiten geredet werde. Solche Urteile beruhen teilweise auf eigenen, älteren Erfahrungen oder einzelnen Beobachtungen. Teilweise hat man jedoch auch den Eindruck, dass negative Urteile über den Religionsunterricht unbesehen und ungeprüft übernommen und weiterverbreitet werden und so der Religionsunterricht geradezu in die Krise geredet wird.
Um die Diskussion zu versachlichen und den Realitätsgehalt dieser negativen Urteile zu überprüfen, hat die Deutsche Bischofskonferenz 1998 eine empirische Untersuchung zur Akzeptanz des Religionsunterrichts bei Prof. Dr. Dr. Anton Bucher von der Universität Salzburg in Auftrag gegeben. Professor Bucher war schon 1996 mit einer vielbeachteten empirischen Studie zum Religionsunterricht in Österreich und Lichtenstein an die Öffentlichkeit getreten und hat sich als führender Empiriker unter den Religionspädagogen qualifiziert.
Das Salzburger Institut für Religionspädagogik hat insgesamt 7239 Schülerinnen und Schüler aller Schularten in vier Regionen Deutschlands befragt - und zwar in Bayern (München und Oberbayern), im Rhein-Main-Gebiet, in der Region Hannover-Hildesheim und in Dresden und Umgebung. Die vier Regionen sind in Bezug auf Lebensverhältnisse und konfessionelle Verteilung so gewählt, dass sie als repräsentativ für das Bundesgebiet gelten können. Die vorliegende Studie ist - verglichen mit älteren Studien wie z.B. die Allensbach Umfrage von 1988 - die umfangreichste empirische Untersuchung zum Religionsunterricht in Deutschland überhaupt.
Bei der schriftlichen Schülerbefragung interessierte besonders:
Ist der Religionsunterricht akzeptiert?Wie wird er eingeschätzt: als friedlich, hilfreich, wichtig usw.?Welche Effizienz bescheinigen ihm die Schüler?Wie ausgeprägt ist die Abmeldebereitschaft?
In einem zweiten Schritt wurde geprüft, wovon diese vier Merkmale abhängen. Von:
Schulart und Region?Geschlecht und Alter?Die religiöse Erziehung im Elternhaus?Binnengeschehen im Religionsunterricht, insbesondere den Methoden?Den Inhalten?
Insgesamt kann man sagen, dass die Akzeptanz des Religionsunterrichts bei Schülern deutlich höher ist, als in öffentlichen Diskussionen behauptet wird. Die Ergebnisse im Einzelnen.
In der Grundschule hat der Religionsunterricht ein besonders hohes Ansehen. Bei mehr als drei Viertel der Dritt- und Viertklässler ist er "beliebt" und "sehr beliebt". Beliebter sind nur noch die Fächer Kunst und Sport. Die überwältigende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler (etwa 78%) stuft ihn als etwas für ihr Leben wichtiges ein. Neun von zehn sagen, sie hätten viel über Jesus gelernt, 85% über Gott. Letzteres verweist auf die Inhalte des Religionsunterrichts in der Grundschule. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil, im Religionsunterricht werde nur Lebenskunde betrieben, kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass im Unterricht am häufigsten über Gott ("sehr oft" sagen 84%) und Jesus (83%), weniger über "Dritte Welt" (11%), "Probleme in der Familie" (ebenfalls 11%) sowie "Probleme in der Schule" (14%)gesprochen wird. Der Religionsunterricht in der Grundschule ist somit weniger problemorientiert als vielmehr biblisch-theologisch akzentuiert.
Wovon hängt die hohe Akzeptanz ab? Interessanterweise spielt die Region keine Rolle. Kinder am Chiemsee besuchen den Religionsunterricht ebenso gerne wie in Frankfurt oder in Hildesheim. Akzeptanz fördernd ist hingegen ein handlungsorientierter Unterricht, in dem Kinder selbst aktiv werden. Auch sagen vier von fünf Kindern, dass ihre Lehrerin oder ihr Lehrer stets freundlich sei. Zwar spricht der Religionsunterricht Kinder mehr an, wenn sie aus einem religiösen Elternhaus kommen. Dennoch gelingt es Religionslehrern, auch bei 49% der nicht religiös erzogenen Kindern Interesse zu wecken und Religion als etwas für sie wichtiges zu vermitteln.
In der Sekundarstufe I, also in den Klassen 5 bis 10, lässt die Akzeptanz des Faches wohl entwicklungspsychologisch bedingt nach. Hinsichtlich seiner Beliebtheit rangiert es im hinteren Drittel. Dennoch wird der Religionsunterricht, übrigens in allen Schularten, von gut der Hälfte ausdrücklich gerne besucht. Zwar vermindert sich in dieser Schulstufe auch die Effizienz des Unterrichts. Doch attestieren ihm 56%, viel über andere Religionen gelernt zu haben. Für 48% fördert er das selbständige Nachdenken über den Glauben und für 37% die Gottesbeziehung. Wiederum sind die häufigsten Unterrichtsthemen theologischer Art (Gott, Jesus), auch wenn in den höheren Klassen entwicklungspsychologisch bedingt Themen wie Liebe und Partnerschaft oder Drogen stärker in den Vordergrund treten. Für die Akzeptanz in dieser sicher nicht nur für Religionslehrer schwierigen Alterstufe spricht auch die geringe Abmeldebereitschaft (ca. 16%); dem entspricht die faktisch niedrige Abmeldequote von unter 5%.
Auch für diese Schulstufe gilt, dass ein handlungsorientierter Unterricht, der die Schüler zu eigener Aktivität auffordert, die Akzeptanz und Effizienz fördert. Wird der Religionsunterricht jedoch als bloße Erholungsstunde erlebt oder sind Lernklima und Disziplin gestört, verliert er deutlich an Akzeptanz und Effizienz. Entscheidend für Beliebtheit und Lernerfolg ist somit das Binnengeschehen im Religionsunterricht.
In der Sekundarstufe II sind die Ergebnisse nach Schulformen zu differenzieren. In der Oberstufe des Gymnasiums nehmen die Abmeldungen vom Religionsunterricht zu, wohl nicht zuletzt, weil die faktische Wahlsituation zwischen Religionsunterricht und Philosophie bzw. Ethik den philosophisch interessierten Schülern keine andere Möglichkeit lässt. Doch auch in den Klassen 11 bis 13 besuchen 43% den Religionsunterricht "gerne" und nur 14% "nicht gerne". Einen schwierigeren Stand hat der Religionsunterricht in den berufsbildenden Schulen, nicht zuletzt aufgrund der hohen Ausfallquote (etwa 40% der Stunden). Ein unregelmäßig erteiltes Fach kann von Schülern nun einmal nicht als besonders wichtig wahrgenommen werden. Umso erstaunlicher ist es, dass der Religionsunterricht auch in dieser Schulform hinsichtlich seiner Beliebtheit im Mittelfeld rangiert: nach Sport, Deutsch oder Wirtschaft, aber vor Englisch, Politik oder Fachzeichnen.
Vergleicht man diese Studie mit älteren, allerdings im Umfang deutlich begrenzteren Studien, so kommt man zu dem überraschenden Ergebnis, dass der Religionsunterricht bei den Schülerinnen und Schülern ein durchaus beliebtes Fach ist und von vielen als für ihr Leben wichtig eingestuft wird. Bei allen Schwierigkeiten, die es in einzelnen Schulen oder Klassen geben mag, es besteht kein Anlass, das Bild eines kränkelnden Faches zu zeichnen, wie es vor einigen Tagen noch auf der ersten Seite einer bedeutenden deutschen Tageszeitung versucht wurde (Leitartikel von Heike Schmoll in der FAZ vom 29.8.2000). Für die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler ist der Religionsunterricht ein wichtiger und bedeutsamer Teil ihres Schullebens.
Die Studie zeigt auch deutlich, dass die Akzeptanz des Faches vor allem vom Unterrichtsgeschehen abhängt. Ein handlungsorientierter Unterricht, der biblisch-theologisch akzentuiert und anspruchsvoll ist, ist bei Schülern offensichtlich besonders beliebt. Die Studienergebnisse stützen das Bemühen um einen didaktisch und methodisch profilierten Religionsunterricht, wie ihn auch das Bischofswort "Die bildende Kraft" gefordert hat.
Schließlich ist die Studie auch so etwas wie ein Kompliment für die Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Von ihrem Engagement und von ihrer Kompetenz hängen Ansehen und Erfolg des Faches entscheidend ab. Ihnen möchte ich auch an dieser Stelle ausdrücklich danken. Ich hoffe, dass die Ergebnisse der Studie sie ermuntern, ihr Fach auch weiterhin engagiert zu vertreten.
Mein besonderer Dank gilt heute selbstverständlich Herrn Professor Bucher, dessen Studie sowohl die Fachdiskussion als auch die öffentliche Debatte um den Religionsunterricht nachhaltig prägen wird. Diese Pressekonferenz und die folgende Veranstaltung machen hoffentlich deutlich, welche große Bedeutung die Bischöfe der theologischen und religionspädagogischen Forschung beimessen.
Bonn/Mainz, den 6. September 2000

Cookie Einstellungen

Wir verwenden Statistik Cookies um zu verstehen, wie Sie mit unserer Webseite interagieren.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Matomo

Datenschutz

Diese Cookies sind für den Betrieb der Webseite zwingend erforderlich. Hier werden bspw. Ihre Cookie Einstellungen gespeichert.

Anbieter:

Deutsche Bischofskonferenz

Datenschutz