| Pressemeldung | Nr. PRD 022

Schule als Erziehungsgemeinschaft

Statement von Kardinal Karl Lehmann zum 3. Bundeskongress Katholische Schule beim Pressegespräch am 28. März 2003 in Bonn

Es gilt das gesprochene Wort!
1. Zur Thematik des Kongresses
Unter dem Begriff der "Erziehungsgemeinschaft" wird an Katholischen Schulen seit langem praktiziert, was neuerdings und andernorts auch unter dem Begriff "Schulkultur" firmiert. Es geht dabei um folgende - leider nicht selbstverständliche - Einsicht: Schule ist ein Lebensraum, in dem Leben und Lernen, das Handeln der beteiligten Personen und Gruppen sich an gemeinsam geteilten Werten orientieren. Diese Werte prägen - ob man sich dessen bewusst ist oder nicht - das alltägliche Miteinander ebenso wie die Gestaltung des Schultages und des Schuljahres, des Schulgebäudes und des Schulgeländes und insbesondere die Art und Weise zu lernen und zu lehren.
Zum Konzept der Erziehungsgemeinschaft gehört, dass Lehrer, Eltern und Schüler gemeinsam für ihre Schule verantwortlich sind. Dabei kommt der Mitarbeit und Mitbestimmung der Eltern eine besondere Bedeutung zu. Schule und Elternhaus sollen im Sinne einer Erziehungspartnerschaft zusammenwirken, sich gegenseitig unterstützen und ergänzen.
Zum Konzept der Erziehungsgemeinschaft gehört auch die Erziehung der Schülerinnen und Schüler zu Mitbestimmung und Mitverantwortung. Jeder Einzelne soll sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen, die von Achtung voreinander, Verantwortung füreinander und gegenseitiger Hilfsbereitschaft geprägt ist. Die Katholische Schule bildet so eine eigene Schulkultur aus, die die Eigeninitiative und Eigenverantwortung der Schüler über den Unterricht hinaus fördert. Damit leisten Katholische Schulen einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung: Sie sind Lernstätten der Demokratie.
Von Katholischen Schulen gehen immer wieder wichtige Impulse für die Reform auch der staatlichen Schulen aus. Vieles, was in den letzten Jahren im staatlichen Schulwesen unter den Begriffen "Schulkultur", "Schulprogramm" und "Selbstständige Schule" diskutiert wurde, greift Elemente des katholischen Verständnisses von Schule als Erziehungsgemeinschaft auf.
2. Zur Situation der Katholischen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland
Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an katholischen Schulen nimmt kontinuierlich zu und hat in diesem Jahr einen neuen Höchststand von fast 370.000 erreicht (s. statistischer Anhang). Dies sind zwar nur 3% der gesamten Schülerzahl in Deutschland, aber mehr als 50% der freien Schulen. Katholische Schulen sind wie die staatlichen Schulen Teil des öffentlichen Schulsystems, das in seiner Gesamtheit der staatlichen Schulaufsicht untersteht. Sie vergeben die Abschlüsse der vergleichbaren staatlichen Schulen und haben auch sonst sehr viele Gemeinsamkeiten mit ihnen.
Andererseits verfügt die einzelne katholische Schule über eine höhere administrative und pädagogische Selbstständigkeit, die es ihr erlaubt, flexibler auf Veränderungen und Entwicklungen zu reagieren. Als Angebotsschulen müssen sie den Erwartungen, die Eltern an Unterrichtsqualität, Erziehungsgrundsätze und Schulklima einer christlichen Schule richten, gerecht werden und sich als wählbare Alternative zur staatlichen Schule profilieren. Von dieser Wahlmöglichkeit machen die Eltern so regen Gebrauch, dass die Nachfrage nach katholischen Schulen im Bundesdurchschnitt 30 % über der Zahl der verfügbaren Plätze liegt.
Katholische Schulen legen auf Unterrichtsqualität größten Wert. Doch über die Vermittlung von Fachwissen hinaus zielt ihre Bildungs- und Erziehungsarbeit auf die Entwicklung der Persönlichkeit und des sozialen Verhaltens. So verstehen und gestalten sie aus christlicher Sicht den Unterricht als Wissensvermittlung in personaler Begegnung, bei der der Schüler kein zu belehrendes Objekt, sondern personales Gegenüber seines Lehrers ist. Diese Erfahrung überträgt sich auch auf das Verhalten der Schüler untereinander. Die Formen des Engagements auf sozialem wie internationalem Feld als Teil des Erziehungskonzeptes sind vielfältig und variieren von Schule zu Schule.
In der Hinführung zu sozialer Verantwortung wurde im katholischen Schulwesen unter dem Begriff "Compassion" ein besonderes Projekt sozialen Lernens entwickelt: Schülerinnen und Schüler lernen durch Praktika in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Hospizen etc. Grenzsituationen menschlicher Existenz kennen und reflektieren diese Erfahrungen anschließend in verschiedenen Fächern. Dieses Projekt wird von immer mehr katholischen und auch staatlichen Schulen übernommen und ist im November 2002 von der European Parents Association (EPA) als gelungenes Beispiel für Erziehung zu sozialer Verantwortung mit dem "Alcuin Award" ausgezeichnet worden.
Mit Blick auf eine globale Verantwortung lernen Schülerinnen und Schüler früh, in größeren Zusammenhängen zu denken, internationale Schulpartnerschaften zu unterhalten, sich zugunsten von Entwicklungsprojekten in Afrika, Asien oder Lateinamerika zu engagieren und Patenschaften zu übernehmen. Der "Welttag der Katholischen Schulen" gibt dazu jedes Jahr neue Impulse. Solche Aktivitäten tragen zu einer Sensibilisierung für eine friedliche, auf Gerechtigkeit beruhende Weltordnung bei.
Religiöse Angebote sind ein festes Element des Schulalltags. Das tägliche Gebet, die Morgenandacht, der wöchentliche Gottesdienst oder der regelmäßige Besinnungstag gehören zur christlichen Lebens- und Lerngemeinschaft.
Träger katholischer Schulen sind Orden, Diözesen, Schulwerke, -stiftungen, -vereine und Kirchengemeinden. Diese Vielfalt ist historisch gewachsen und macht viel von der Lebendigkeit des katholischen Schulwesens aus. Allerdings sind die Zeiten für die so genannten kleinen Träger schwerer geworden. Einige suchen nach größeren Zusammenschlüssen oder Übernahme in diözesane Trägerschaft. Um jedoch die Trägervielfalt zu erhalten, sind die Diözesen in der Regel bemüht, die Träger administrativ und finanziell unterstützen und so in ihrer Eigenständigkeit zu stärken. Die kleinen Träger selbst erproben zunehmend Modelle wie Einzelschulstiftungen, GmbH's etc.
Aufgrund der Wirtschaftslage und der hohen Arbeitslosigkeit fällt das Kirchensteueraufkommen geringer aus und zwingt zu Sparmaßnahmen, die auch die kirchlichen Schulen treffen können. Die Ordensschulen haben das zusätzliche Problem, dass wegen Überalterung und Nachwuchsmangel immer weniger Ordensleute als Lehrkräfte den Schulen zur Verfügung stehen. Dies wiegt um so schwerer, da die Gehälter der Ordensleute bislang zur Mitfinanzierung des Schulbetriebs herangezogen werden.
Das Grundgesetz verpflichtet zwar den Staat zu einer hinreichenden und nachhaltigen Förderung der Schulen in freier Trägerschaft, doch kommen die Länder ihrer Verpflichtung in recht unterschiedlicher Höhe nach. So könnte zumindest in einigen Ländern die Lage für katholische Schulen in freier Trägerschaft problematisch werden. Das Kernproblem scheint darin zu liegen, dass in den Köpfen vieler Verantwortlicher Schule immer noch eine ausschließlich staatliche Veranstaltung ist. Übersehen wird dagegen häufig, dass unsere Zivilgesellschaft die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auch durch gesellschaftliche Gruppen geradezu erfordert.
Das Grundgesetz sieht - dazu im Gegensatz - ausdrücklich einen Trägerpluralismus vor (Art. 7 Abs. 4 GG). Dadurch wird ein vielfältiges Bildungsangebot garantiert, das den unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen von Eltern, Schülern und Lehrern besser gerecht wird als eine Einheitsschule. Ein plurales Schulwesen ist für Innovationen besonders aufgeschlossen. Und gerade nach PISA brauchen wir neue Ideen und Konzepte.
3. Ganztagsschule
Die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hat am 13. März eine Stellungnahme zur Ganztagsschule abgegeben. Sie hat in den Medien und bei Politikern eine gute Wahrnehmung gefunden. Die Reaktionen zeigen, dass mit der Hervorhebung des Erziehungsgedankens und der Stärkung der Familie wesentliche Aspekte in der schulpolitischen Debatte betont worden sind, die vorher eher ein Randdasein führten. Es wurde auch begrüßt, dass sich die katholische Kirche mit ihren Grundüberzeugungen und Erfahrungen in die öffentliche Diskussion einbringt.
Ich hoffe, dass der Bundeskongress Katholische Schule, an dem 450 Menschen teilnehmen, wichtige Impulse setzt bei der Beantwortung der drängenden Frage: Wie können Schulen ihren Auftrag als Erziehungsgemeinschaft jetzt und in Zukunft verwirklichen? Eines ist jedenfalls sicher: Die Antwort ist nicht Sache einzelner Gruppen und Träger, sondern es bedarf eines unvoreingenommenen Austausches untereinander und einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung. Um so mehr freue ich mich, als Zeichen dieser gemeinsamen Verantwortung Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei unserem Kongress begrüßen zu können.

Cookie Einstellungen

Wir verwenden Statistik Cookies um zu verstehen, wie Sie mit unserer Webseite interagieren.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Matomo

Datenschutz

Diese Cookies sind für den Betrieb der Webseite zwingend erforderlich. Hier werden bspw. Ihre Cookie Einstellungen gespeichert.

Anbieter:

Deutsche Bischofskonferenz

Datenschutz