| Pressemeldung | Nr. 062

Pressegespräch zur Vorstellung des Wortes der deutschen Bischöfe zur Integration von Migranten "Integration fördern - Zusammenleben gestalten"

Statement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,
Kardinal Karl Lehmann
Es gilt das gesprochene Wort!

Ich freue mich, Ihnen heute ein neues Wort der deutschen Bischöfe vorstellen zu können, das sich mit der Integration von Migranten befasst und den programmatischen Titel trägt: "Integration fördern - Zusammenleben gestalten". Das Wort wurde von der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz unter Leitung von Weihbischof Dr. Josef Voß (Münster) vorbereitet und vom Ständigen Rat der Bischofskonferenz im vergangenen Monat verabschiedet. Leider kann Weihbischof Voß bei dem heutigen Pressegespräch nicht anwesend sein, da er sich noch in der Erholungsphase nach einer Krankheit befindet und darum an der laufenden Vollversammlung nicht teilnimmt. Für seine Bemühungen bei der Erstellung des Textes möchte ich ihm herzlich danken.
Unser Wort zur Integration von Einwanderern ist keine grundsätzliche Abhandlung zum gesamten Themenbereich der Migrationspolitik. Es geht also auch nicht in erster Linie um das neue Zuwanderungsgesetz, dessen Entstehen die Kirchen bekanntlich intensiv begleitet haben und zu dem auch ich mich mehrfach, wiederholt auch zusammen mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, geäußert habe. Das jetzt vorliegende bischöfliche Wort berührt dieses Zuwanderungsgesetz nur insoweit, als natürlich eine Reihe der gesetzlichen Regelungen - direkt oder indirekt - auch mit den Fragen der Integration zu tun haben.
Darüber hinaus hängen die Zuwanderungspolitik im Allgemeinen und die Integration im Besonderen jedoch auch in einer sehr grundsätzlichen Weise zusammen, die ich hier wenigstens ganz knapp ansprechen will. Im Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes zeigt sich nämlich, dass in unserem Land seit einiger Zeit die Bereitschaft gewachsen ist, die Wirklichkeit der deutschen Migrationsgesellschaft ernsthaft und vorurteilsfrei wahrzunehmen und einen Perspektivenwechsel in der Politik zu wagen. Politik und Gesellschaft stellen sich nunmehr der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist und die Homogenität von Sprache, Kultur und Herkunft immer weniger vorausgesetzt werden kann. Und immer deutlicher wird auch: Wir dürfen mit den Fragen und Problemen, die sich aus dieser Situation ergeben, weder angstbesetzt noch blauäugig umgehen. Migrationsgesellschaften mit ihrer ganzen Vielfarbigkeit bergen Chancen, aber auch beträchtliche Risiken. Das Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft kann fruchtbar sein, gestaltet sich jedoch oft auch sehr schwierig. In dieser Lage bedarf es einer gesellschaftlichen Vision, mindestens aber eines stabilen gesellschaftlichen Grundkonsenses darüber, wie das Miteinander der Menschen gelingen kann und wir als Gesellschaft aus Einheimischen und Zuwanderern eine gemeinsame gute Zukunft gewinnen können.
Damit ist die Frage der Integration angesprochen. Sie stellt eine der zentralen Aufgaben der kommenden Jahre dar. Slogans wie "Primat der Integration" oder "Jahrzehnt der Integration", die von verschiedenen Parteien geprägt worden sind, zeigen an, dass sich hier inzwischen ein breiter Konsens in Gesellschaft und Politik herausgebildet hat. In diesen Worten kommt freilich auch der Nachholbedarf zum Ausdruck, der bei der Integration von Migranten bis heute herrscht. Man muss feststellen: Die lange gepflegte Vorstellung, dass Deutschland kein Einwanderungsland und die unbestreitbare Zuwanderung der letzten Jahrzehnte doch nur ein vorübergehendes Phänomen sei, hat die Erfordernisse einer zielgerichteten Integrationspolitik und ebenso einer entschiedenen gesellschaftlichen Ausrichtung auf dieses Ziel lange Zeit nicht in den Blick treten lassen. Es ist gut, dass die Debatte über die Integration nun endlich an Fahrt gewonnen und im Zuwanderungsgesetz nunmehr auch erste Ergebnisse erbracht hat.
Mit dem Wort "Integration fördern - Zusammenleben gestalten" will die Deutsche Bischofskonferenz ihren Beitrag zu dieser Debatte leisten. Wir knüpfen dabei an das Gemeinsame Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht (" ... und der Fremdling, der in Deinen Toren ist") aus dem Jahr 1997 an und sprechen mit dem Auftrag und Selbstverständnis einer Kirche, die immer schon mit der Frage der Integration konfrontiert ist. Denn die Kirche umfasst ihrem Wesen nach Menschen verschiedener Völker, Rassen und Sprachen. Diese höchst unterschiedlich geprägten Menschen verstehen sich als "einer in Christus Jesus" (Gal 3,28) und als Sakrament - Zeichen und Werkzeug - der Einheit der Menschheit (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil: Dogmatische Konstitution "Lumen gentium" über die Kirche, 1). Dies ist alles andere als eine bloße theologische Zuschreibung. Wer, vor allem in den größeren Städten, einen Blick in unsere Kirchen wirft, der erlebt die Wirklichkeit ethnischer und kultureller Vielfältigkeit, die um den einen Altar herum präsent ist.
Zugleich sprechen wir Bischöfe für eine Kirche, die in der konkreten Alltagswirklichkeit unseres Landes andauernd mit den Zuwanderern verbunden und mit den lebenspraktischen Problemen der Migration konfrontiert ist. Migrantenseelsorge, Kindergärten, Schulen und Migrationsfachdienste (vor allem der Caritas) sind Orte und Felder unseres pastoralen und diakonischen Einsatzes für Menschen anderer Herkunft. Die langjährige Erfahrung, die aus dieser meist ganz unspektakulären Arbeit herrührt, bestimmt ganz wesentlich unseren Beitrag zur Diskussion über die Integration.
Wir verstehen diese als vielschichtigen und wechselseitigen Prozess, der Zuwanderer und Aufnahmegesellschaft gleichermaßen herausfordert. Beide müssen sich in unterschiedlicher Weise in neuen Situationen zurecht finden. Integration bedarf deshalb des gegenseitigen aktiven Interesses. Wechselseitige Wahrnehmung und Achtung sind unabdingbare Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander. Die Mehrheitsgesellschaft muss die mitgebrachten Werte und Prägungen der Zuwanderer - soweit diese mit den Grundwerten unserer Verfassung vereinbar sind - respektieren. Die Zuwanderer ihrerseits sind gehalten, den Traditionen der Mehrheitsgesellschaft mit Verständnis und Wertschätzung zu begegnen. An beidem fehlt es in unserer Gesellschaft noch allzu oft.
Integration strebt also ein Zusammenleben in Vielfalt an. Sie richtet sich sowohl gegen den Gedanken einer einseitigen Anpassung der Zuwanderer (Assimilation) als auch gegen abgeschlossene "Parallelgesellschaften", wie sie in manchen Großstädten entstanden sind. Ein gedeihliches Miteinander, kein gleichgültiges Nebeneinander, das unsere Gesellschaft letztlich aushöhlt, ist das Ziel.
Mit den Möglichkeiten des Staates allein kann diese Aufgabe nicht bewältigt werden. Dennoch hängt vieles von den Rahmenbedingungen ab, die von der Politik gesetzt werden. So ist die Sicherheit und Verlässlichkeit der Aufenthaltserlaubnis eine wesentliche Voraussetzung für gelingende Integration. Manches ist hier durch das neue Einbürgerungs- und Staatsangehörigkeitsrecht (2000) und das Zuwanderungsgesetz verbessert worden. Die immer wieder aufflammenden Diskussionen über die Abschiebung straffällig gewordener jugendlicher Ausländer sind jedoch ein sehr markantes Beispiel dafür, wie fragil und wie wenig integrationsförderlich der Ausländerstatus immer noch ist und wie viele Ressentiments aufgrund bestimmter Einzelfälle mobilisierbar sind. Unzureichende langfristige Aufenthaltsperspektiven bestehen - trotz der guten Ansätze im Zuwanderungsgesetz - weiterhin auch für die so genannten "Geduldeten". Sie unterliegen oft über Jahre hinweg einer prinzipiellen Ausreiseverpflichtung und sind damit einer massiven Unsicherheit unterworfen, auch wenn ein Verlassen des Landes nach menschlichem Ermessen dauerhaft ausgeschlossen ist. Besonders die Kinder dieser "Geduldeten" sind schweren Nachteilen ausgesetzt, die sich im Falle eines langfristigen oder dauernden Aufenthaltes in Deutschland nachteilig auf die Integration auswirken.
Darüber hinaus gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Problemfelder, in denen politisches Handeln im Interesse der Integration gefordert ist. Dazu gehören aus unserer Sicht erweiterte Möglichkeiten des Familiennachzugs, stärkere Anstrengungen für die Integration in Kindergarten und Schule, ein verbesserter Zugang bestimmter Ausländergruppen zum Arbeitsmarkt und - über die nach dem Zuwanderungsgesetz neu einzurichtenden Sprach- und Orientierungskurse für Neuankömmlinge hinaus - eine verstärkte Förderung der Deutschkenntnisse von Migranten. Mit Sorge sehen wir, dass die Migrationsfachdienste der Wohlfahrtsverbände im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen finanziell auszubluten drohen. Wo sie wegfallen, wächst die Gefahr, dass Zugewanderten - oft auch der zweiten und dritten Generation - das Hineinwachsen in unsere Gesellschaft erschwert wird.
Es wäre jedoch eine falsche Art der Fremdenfreundlichkeit, würde man die Bringschuld für gelingende Integration allein beim Staat und der hiesigen Mehrheitsgesellschaft verorten. Wo die Verantwortung der Migranten nicht klar benannt wird, werden diese letztlich auch nicht wirklich ernst genommen. Deshalb muss klar gestellt werden: Integration kann nur gelingen, wenn auch die Zugewanderten selbst eine zunehmende Bereitschaft entwickeln, in unserem Land anzukommen. Dazu gehört vor allem das aktive Bemühen um das Erlernen der deutschen Sprache. Ohne Verständigungsmöglichkeit in der neuen Umwelt kann es keine Integration geben. Ebenso elementar ist die vorbehaltlose Anerkennung der in der Verfassung niedergelegten Werteordnung - was z.B. auch die Gleichheit von Mann und Frau oder die weltanschauliche Neutralität des Staates einschließt. Zu den Grundforderungen an die Migranten gehört darüber hinaus auch deren Mitwirkung an geeigneten Integrationsprogrammen, die den Zuwanderern jedoch vor allem als Chance und nicht als staatliche Zwangsmaßnahme offeriert werden sollten.
In einem sehr ausführlich gehaltenen Kapitel spricht das Wort der Bischöfe über die Aufgaben und Verpflichtungen der Kirche. Unsere Analyse macht deutlich, dass die kirchlichen Kindergärten bereits heute in ganz erheblichem Maße zur Integration beitragen. Auml;hnliches gilt für die Migrationsdienste. Es ist auch ein wichtiger Schritt, dass die Caritas inzwischen damit begonnen hat, auch ihre anderen sozialen Dienste stärker an den Bedürfnissen der Zugewanderten auszurichten.
Das bischöfliche Wort verschweigt jedoch auch die Defizite der kirchlichen Arbeit nicht. So sind die Zugewanderten nach wie vor nicht ausreichend in den Strukturen der Pfarrgemeinden - etwa in den Gruppen und Räten - vertreten. Die Kontakte zwischen den Pfarreien und den fremdsprachigen Gemeinden sind oft noch zu spärlich, was nicht selten sowohl an den deutschsprachigen Gemeindemitgliedern liegt als auch an den zugewanderten Katholiken, die sich in ihren eigenen Gruppen manches Mal doch zu sehr von den anderen abschließen. Mit den "Leitlinien für die Seelsorge an Gläubigen anderer Muttersprache" hat die Deutsche Bischofskonferenz bereits im vergangenen Jahr einen Anstoß gegeben, diese Situation schrittweise zu verbessern und ein stärkeres Miteinander auf der örtlichen Ebene zu fördern. Auch sind wir bestrebt, die Integrationsleistung der kirchlichen Schulen zu stärken und den Anteil der katholischen Zuwanderer unter den Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen zu vergrößern.
All dies zeigt: Auf allen Ebenen - beim Staat, in der Mehrheitsgesellschaft, bei den Zuwanderern und auch in der Kirche - gibt es gute Ansätze, ebenso aber vielfältigen Reform- und Nachholbedarf. Es gilt, manchen Hebel anzusetzen, wenn wir erreichen wollen, was im Interesse aller liegt: eine gute Zukunft für unser Land, eine gemeinsame Zukunft von Migranten und Einheimischen.

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