| Pressemeldung | Nr. 48

Pressegespräch "Fünf Jahre Kölner Gipfel: Schuldenerlass für arme Länder muss weitergehen" am 18. Juni 2004 in Ulm

Beitrag von Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Es gilt das gesprochene Wort!
Die internationale Verschuldung ist ein Thema, das die Kirchen in Deutschland und weltweit schon früh aufgegriffen haben. Bereits in den 80er Jahren haben wir auf die schwerwiegenden Folgen hingewiesen, die die Schuldenlast gerade für die ärmsten Bevölkerungsgruppen in den Entwicklungsländern mit sich bringt. Ende der 90er Jahre, als sich die internationale Verschuldungskrise erneut drastisch zuspitzte, waren es dann wieder die Kirchen, die sich in der großen internationalen Erlassjahr-Kampagne für eine faire Entschuldung eingesetzt haben. Ich erinnere mich noch gut an die große Tagung der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, die 1999 am Vorabend des Kölner Gipfels der G7-Staaten stattfand. Zusammen mit vielen Bischöfen aus den Entwicklungsländern haben der damalige EKD-Ratsvorsitzende Präses Kock und ich mit der Bundesministerin Wieczorek-Zeul und führenden Vertretern der internationalen Finanzorganisationen darüber diskutiert, wie endlich ein Durchbruch aus der Schuldenfalle erreicht werden könnte.

Das Engagement der Kirchen in diesem Feld kommt nicht von ungefähr. Denn die internationale Schuldenkrise ist - wie wir in unserer heutigen Erklärung noch einmal deutlich machen - kein rein wirtschaftliches oder politisches Problem, sie stellt auch eine immense ethische Herausforderung dar. Durch den hohen Schuldendienst werden viele Staaten daran gehindert, die soziale Grundversorgung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen. Infolgedessen leben Millionen von Menschen unter unwürdigen Bedingungen am Rande oder unterhalb des Existenzminimums; viele sterben vor ihrer Zeit. Dies kann die Kirchen nicht ruhen lassen. Denn wir haben eine im Evangelium gründende vorrangige Option für die Armen getroffen, die uns zum anwaltlichen Engagement für die Schwächsten und deren Überlebensinteressen verpflichtet.

Aufgrund des politischen Anstoßes durch den Kölner Weltwirtschaftsgipfel kam die sogenannte HiPC-II-Initiative zur wenigstens teilweisen Entschuldung der ärmsten Länder zustande. Sie stellte einen wichtigen Schritt nach vorn dar. Bedeutsam war vor allem, dass erstmals ein multilateraler Schuldenabbau gewährt wurde; Weltbank und Internationaler Währungsfonds wurden in die Pflicht genommen. Große Beachtung verdiente ebenfalls die Verbindung der Entschuldung mit der Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern. Schuldennachlass wurde an die Bedingung geknüpft, dass die frei werdenden Gelder für die Überwindung der Armut verwendet würden. Die entsprechenden Programme sollten unter Beteiligung der Zivilgesellschaft erarbeitet werden.

Heute, fünf Jahre danach, ist die Zeit für eine Bilanz gekommen.
Zunächst: Die HiPC-Initiative war - trotz aller unübersehbaren Grenzen - durchaus erfolgreich. Sie hat sich als wirksames Instrument im Kampf gegen Armut und wirtschaftliche Unterentwicklung erwiesen. Von den 42 ärmsten Entwicklungsländern, die von der Entschuldungsinitiative erfasst werden sollten, haben 27 einen vorläufigen oder endgültigen Schuldenerlass erhalten. Das Volumen der bislang erlassenen Schulden liegt insgesamt bei rund 34 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig ist der Anteil der Ausgaben zur Armutsbekämpfung an den Staatshaushalten der entschuldeten Länder spürbar gewachsen: von 41 % im Jahr 1999 auf knapp 48 % im vergangenen Jahr. Das bedeutet in absoluten Zahlen, dass jährlich rund 3 Milliarden Dollar mehr für Gesundheit, Ernährung, für Schulden und soziale Grunddienste ausgegeben werden.Richtig ist aber auch, dass der Umfang der Entschuldung nicht nur weit hinter den kirchlichen Forderungen, sondern auch hinter den selbst gesteckten Zielen zurückgeblieben ist. Weniger Länder als geplant haben einen Zugang zur Entschuldung erhalten. Bei einer Reihe der 42 offiziellen HiPC-Kandidaten ist die Initiative noch gar nicht angelaufen oder verläuft nur schleppend. - Dazu kommt ein weiteres schwerwiegendes Problem: Von Anfang an haben viele Experten darauf hingewiesen, dass die von den internationalen Organisationen angesetzte Tragfähigkeit der Verschuldung - 150 Prozent der jährlichen Exporterlöse - zu hoch sei. In der Praxis hat sich nun gezeigt, dass die Schuldenlast vieler Länder, die bereits einen Nachlass erhielten, diese Grenze sogar wieder übersteigt. Die gewährte Entschuldung reicht also nicht aus, um dauerhaft selbsttragende Entwicklung zu ermöglichen.Bei der Beteiligung der Bevölkerung an der Erarbeitung von Strategien der Armutsbekämpfung - das qualitativ neue Element der HiPC-Initiative - zeigt sich eine gemischte Bilanz. Gesellschaftlich repräsentative Gruppen, Selbsthilfeorganisationen der Armen und auch die Kirchen haben in einigen Ländern Beachtliches dazu beitragen können, dass die Maßnahmen auf die wirklichen Bedürfnisse der Armen abgestimmt wurden. Andernorts wurden sie nur pro forma einbezogen, und die Regierungen oder auch die internationalen Finanzorganisationen behielten das Heft allein in der Hand. Der von der HiPC-Initiative erhoffte gesellschaftliche Erneuerungs- und Demokratisierungsschub stellte sich somit in vielen Fällen bisher nur begrenzt ein.Alles in allem: Fünf Jahre nach Köln können wir feststellen, dass die Entschuldungsinitiative ein - wenn auch begrenzter - Erfolg war. Sie ist jedoch nur ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen.

Was ist erforderlich, was kann und muss geschehen? Darüber wird nun der Ratsvorsitzende, Bischof Huber, zu Ihnen sprechen.

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