| Pressemeldung

Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, über die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 22. bis 25.09.1997 in Fulda

I.     Pastorale Fragen
1.     Krankenseelsorge und Krankensalbung
2.     Schwangerenkonfliktberatung
3.     Woche für das Leben
4.     Geistliche Begleitung und Leitung in Jugendverbänden

II.     Gesellschaftliche Fragen
1.     Nachbetrachtung zum Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage
2.     Nachbetrachtung zum Wort „... und der Fremdling, der in deinen Toren ist“
3.     Eröffnungsreferat des Vorsitzenden zum Thema „Wächter wie lange noch dauert die Nacht?“. Zum Auftrag der Kirche angesichts verletzlicher Ordnungen in Gesellschaft und Staat

III.     Bildung und Wissenschaft
1.     Religionsunterricht
2.     Katholisch-Theologische Fakultäten

IV.     Geistliche Berufe und kirchliche Dienste
1.     Priesterausbildung

V.     Liturgie
1.     Arbeitshilfe zur Ministrantinnen- und Ministrantenpastoral
Personalien


 
Die diesjährige Herbst-Vollversammlung stand zunächst beim Eröffnungsgottesdienst unter dem Eindruck des Todes und der weltweiten Verehrung von Mutter Teresa (vgl. meine Predigt vom 23.09.1997). Die Tagesordnung bot uns bei dieser Herbst-Vollversammlung die Möglichkeit, einige Themen ausführlicher anzusprechen. Wir haben uns gerade für die pastoralen Fragen und die Glaubenssituation in unserem Land viel Zeit genommen. Natür¬lich konnte nicht alles sofort in Beschlüsse umgesetzt werden, aber es gab viele Anstöße und Anregungen vor allem für die Kommissionen.


I.    Pastorale Fragen
1.    Krankenseelsorge und Krankensalbung
Ausführlich haben wir uns mit der Entwicklung der Krankenpastoral auseinandergesetzt. Aktueller Anlaß waren Anfragen aus dem Raum der Krankenhausseelsorger, zu einer mög-lichen Spendung des Sakraments der Krankensalbung durch Laien. Wir sind dankbar, daß theologisch ausgebildete Laien in den letzten Jahren verstärkt Aufgaben in der Krankenseelsorge übernommen haben und diesen Dienst oft mit großer Hingabe leisten. Bisweilen ist hier jedoch eine Praxis zu beobachten, die den Unterschied zwischen Sakrament und sonstigen zeichenhaften Handlungen verwischt.
Die Glaubenskommission hat eine Stellungnahme vorbereitet, die die innere Verbindung von Sakrament und Priesteramt verdeutlicht und zugleich die Formen des Zusammenwirkens von Priestern und Laien und der eigenen Mitwirkungsmöglichkeiten von Laien aufzeigt.
Die Frage der Spendung des Sakraments der Krankensalbung berührt grundsätzlich die Kooperation von Priestern und Laien in der Seelsorge. Wir haben in unserer Stellungnahme begründet, warum gerade dieses Hinzukommen „von außen“, das Spenden durch einen ge-weihten Amtsträger, die besondere Dimension des Sakramentes deutlich macht. Das Sakrament bedeutet gerade als Zeichen der Nähe Gottes mehr als alle zwischenmenschliche und innerkirchliche Kommunikation, so wichtig diese auch sind. Weder ein Christ noch die Gemeinde als ganze - mögen beide noch so intensiv in personaler, gläubiger Beziehung zum Kranken stehen und ihm verbunden sein - können ihm von sich aus das Heil zusagen, sondern Jesus Christus selbst ist der Handelnde im Sakrament. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, daß es von einem durch die Weihe dazu beauftragen und legitimierten Priester ge-spendet wird.
Die heilende Gegenwart Gottes muß zwar immer wieder durch Menschen sichtbar und glaubwürdig vermittelt werden. Die sakramentale Zuwendung Jesu Christi ist jedoch nicht von der personalen Nähe zum Empfänger abhängig oder vom Gelingen oder Mißlingen menschlicher Beziehungen. Das Befreiende des Sakramentes liegt darin, daß es „von außen“, von Gott her, kommt und von menschlicher Größe und Schwäche nicht abhängig ist.
Auch die Einführung von Ersatzformen, beispielsweise eine Salbung mit nicht geweihtem Öl, würde nicht nur für die Kranken und Sterbenden zu Verwirrung führen. Dagegen gibt es durchaus zeichenhafte Handlungen, die auch durch Laien ausgeführt werden können. Dazu gehören beispielsweise der Krankensegen, die Krankenkommunion und die Spendung des Leibes Christi in Todesgefahr (Viaticum).
Gleichzeitig wird jedoch deutlich, daß das Sakrament der Krankensalbung im Bewußtsein vieler Gläubiger und Gemeinden unzureichend verortet ist. Die Pastoralkommission bereitet einen Text vor, der zu einer Erneuerung der Krankenhausseelsorge und darin auch der Krankensalbung führt.
Der Termin der Veröffentlichung steht noch nicht fest. Auch muß noch über die Form der Veröffentlichung beider Texte entschieden werden.

2.    Schwangerenkonfliktberatung
Durch Meldungen, die jeder Grundlage entbehrten, war der Eindruck erweckt worden, als sei im Zusammenhang mit der Herbst-Vollversammlung eine Mitteilung des Papstes zu er-warten, in welcher er die Konsequenzen aus dem Gespräch mit den deutschen Bischöfen Ende Mai zur Frage der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen ziehen würde. Es ist derzeit noch offen, ob und wann eine solche Mitteilung erfolgt und in welche Richtung sie geht. Aus diesem Grunde war die Schwangerschaftskonfliktberatung kein zentrales Thema der Herbst-Vollversammlung.
Wir sind uns nach wie vor einig, daß wir alles in unseren Kräften Mögliche tun müssen, um die Tötung von ungeborenen Kindern zu verhindern. In vielen Erklärungen und Äußerungen und in zahlreichen Materialien, nicht zuletzt auch in dem Heft „Mensch von Anfang an“ haben wir die Position der Kirche deutlich gemacht und die Tötung eines ungeborenen Kindes auch in einem Konfliktfall als nicht zu rechtfertigen immer wieder angeprangert. Wir haben derzeit eine gesetzliche Regelung, die uns nicht zufrieden stellt, die uns aber für unsere Entscheidungen vorgegeben ist.
Wenn sich die Bischöfe trotz mancher Bedenken fast einmütig dennoch dazu entschlossen haben, die katholischen Beratungsstellen im staatlichen Beratungsverfahren zu belassen, dann kann daraus in keiner Weise der Schluß gezogen werden, als beruhe diese Entscheidung auf einer unklaren Haltung zur Abtreibung. Maßgeblich für diese Entscheidung war allein die Überlegung, wie man angesichts der unbefriedigenden rechtlichen Lage am ehesten Frauen erreicht, die sich mit dem Gedanken tragen, ihr Kind abzutreiben.
Hier darf der Begriff der Konfliktberatung nicht verwischt werden: es geht nicht nur um Frauen, die ihr Kind grundsätzlich behalten wollen, aber wegen einzelner Sachkonflikte ratlos sind (Partnerbeziehung, Ausbildung, Wohnung, finanzielle Fragen usw.), sondern um abtreibungswillige Frauen, mit denen um Leben oder Tod des Kindes gerungen werden muß. Nur im Kontakt mit diesen Frauen kann es gelingen, ihnen Wege aufzuzeigen und Hilfen anzubieten, daß sie Ja sagen können zu ihrem Kind. Unsere Beratungsstellen leisten einen ganz wichtigen Dienst; manches Kind wäre nicht geboren worden ohne diesen Einsatz von Beraterinnen und Beratern in katholischen Beratungsstellen. Über unsere diözesanen Hilfsfonds und durch weitere finanzielle Leistungen der Diözesen für werdende Mütter wurden im Jahre 1996 rund 15 Mio. DM zur Verfügung gestellt.
Wir spüren immer wieder, daß die Diskussion um die Abtreibung nicht zur Ruhe kommt; und das ist gut so. Offensichtlich wird von vielen Menschen das große Unrecht empfunden, das mit der Tötung eines ungeborenen Kindes verbunden ist. Die Kirche hat durch ihre Haltung und ihre Äußerung wesentlich dazu beigetragen, einen Gewöhnungsprozeß zu verhindern. Wir werden dies auch weiterhin tun. Eine unmißverständliche Ablehnung jeder Abtreibung als Tötung eines heranwachsenden Menschen und gleichzeitige Hilfsangebote an alle Frauen, die durch eine Schwangerschaft in einen Konflikt geraten, das ist die Aufgabe der Kirche. Und dieser Aufgabe stellen wir uns.

3.    Woche für das Leben
Zum achten Male findet im nächsten Jahr die Woche für das Leben statt. Sie steht unter dem Motto „Worauf du dich verlassen kannst: Miteinander leben in Ehe und Familie“. Sie wird auch diesmal von der katholischen und der evangelischen Kirche vom 10. bis 16. Mai 1998 gemeinsam durchgeführt. Sie widmet sich den Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang von Ehe und Familie. Die Auftaktveranstaltung der von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgerichteten Aktionswoche findet am 9. Mai 1998 in Berlin statt.
Die Woche für das Leben 1998 will die Bedeutung der Familie für das Gelingen des Lebens hervorheben und insbesondere jungen Menschen Orientierungshilfen geben. Die heranwachsende Generation braucht den Schutz verläßlicher Beziehungen. Er hängt auch davon ab, ob die Lebensbedingungen in der Gesellschaft familiengerecht sind.
Die kommende Aktion setzt sich für eine deutliche Verbesserung der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für ein Leben in Ehe und Familie ein. Ein zentrales Anliegen ist dabei, daß Eltern Familie und Erwerbsarbeit besser miteinander vereinbaren können. Dazu müssen - so die Kirchen - vermehrt Teilzeitarbeitsplätze geschaffen und ein ausreichendes Angebot an Tageseinrichtungen für Kinder bereitgestellt werden. Darauf sind besonders Alleinerziehende angewiesen. Eine familiengerechtere Ausgestaltung des Steuersystems und die Schaffung von familiengerechtem und bezahlbarem Wohnraum zählen zu den weiteren notwendigen Verbesserungen.
Bestehende Familien wollen die Kirchen stärken, damit sie ihren vielfältigen Aufgaben und Anforderungen gewachsen bleiben und sich zu einem Ort sinnerfüllten und geglückten Lebens entwickeln können. Die Woche für das Leben weist auf die vielfältigen kirchlichen Dienste und Einrichtungen für Familien hin, gleichzeitig ermutigt sie auch die Kirchenge-meinden, in ihrem Bereich insbesondere Familien in belastenden und schwierigen Lebens-situationen tatkräftig Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen.

4.    Geistliche Begleitung und Leitung in Jugendverbänden
Der Priestermangel führt nicht selten dazu, daß die geistliche Leitung und Begleitung in den Verbänden, vor allem in den Jugendverbänden, Schaden nimmt. Wenn die geistliche Begleitung nicht mehr hauptamtlich durch einen Priester erfolgt, gibt es die Möglichkeit, daß ein Laie dem veantwortlichen Priester nach Art eines Assistenten zugeordnet wird oder daß ein Laie mit der Wahrnehmung von solchen Aufgaben der Leitung und Begleitung betraut wird. Dies geschieht auf Grund von Taufe und Firmung, sowie einer kirchlichen Beauftragung. Die Jugendkommission hat für die Regelung dieser Frage einen Entwurf neuer Grundregeln vorgelegt, der nach einer erneuten Überarbeitung voraussichtlich im November 1997 verabschiedet und veröffentlicht werden kann. Die angestrebte Regelung, die Neuland betritt, hat auch Bedeutung für die Führung anderer Verbände.


II.    Gesellschaftliche Fragen
1.    Nachbetrachtung zum Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage
Im Frühjahr haben wir gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland unter dem Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ nach einer insgesamt fast dreijährigen Konsultationsphase das Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage veröffentlicht. Dieses Wort hat große Beachtung gefunden; es ist in einer Auflage von über 350.000 Exemplaren verbreitet worden. Allerdings hatten wir den Eindruck, daß das Wort gelegentlich selektiv gelesen wurde, je nach dem eigenen Interessenschwerpunkt. Wir sind etwas enttäuscht, daß es wenig gelungen ist, die Front der Eigeninteressen der einzelnen Partner ein wenig aufzubrechen. Es scheint bei uns viele Verfestigungen zu geben.
Ziel des gemeinsamen Wortes ist es, zum Konsens in unserer Gesellschaft in den wichtigen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Fragen beizutragen. Die Kirchen verstehen sich in diesem Zusammenhang als „ehrliche Makler“, die zwar selbst nicht die Kompetenz in vielen Sachfragen besitzen, die aber ihre Soziallehre und ihre Sozialethik in die Diskussion und in die Entscheidungen einbringen können.
Bei unserer Nachbetrachtung haben wir beraten, wie man trotz der vor uns liegenden Wahlkampfzeit die Thematik nochmals aufgreifen und wie man die unterschiedlichen Akteure zusammenführen kann, um im Interesse des Gemeinwohls zu handeln. Es ist verständlich, daß heute viele Menschen verärgert sind über manchen Streit in wichtigen Fragen, der schon lange andauert und der ganz offensichtlich zu einer gegenseitigen Handlungsunfähigkeit führt. Es wäre aber falsch, dafür allein die politischen Parteien verantwortlich zu machen oder gar eine Parteienverdrossenheit zu schüren. Unser politisches Gemeinwesen ist auf Parteien angewiesen. Unser Grundgesetz mißt den Parteien ausdrücklich eine Rolle bei der politischen Willensbildung zu (vgl. Art. 21 GG). Wir dürfen auch nicht vergessen, wie viele Menschen bis auf die kommunale Ebene hinunter viel ehrenamtliche Zeit in die Parteiarbeit investieren. Aus diesem Grunde gilt es ausdrücklich ein Ja zu den Parteien zu sagen und zur Mitarbeit in den Parteien.
Die Anerkennung dieser Arbeit und dieses Einsatzes schließt jedoch nicht aus, von den Parteien zu fordern, daß sie bei allem berechtigten Wettstreit um Mehrheiten und um die Zustimmung durch die Wähler, das Gemeinwohl nicht aus dem Auge verlieren. Die Demokratie braucht nach einer Zeit der Auseinandersetzung auch wieder den Konsens. Hier besteht zur Zeit ein großer Nachholbedarf.


2.    Nachbetrachtung zum Wort „... und der Fremdling, der in deinen Toren ist“
In einer Nachbetrachtung zum Wort zur Migration wurde auf folgende Punkte hingewiesen:

  • Das Wort hat ausdrückliche Zustimmung und heftige Ablehnung erfahren. Dabei wird deutlich, daß oft sehr selektiv gelesen wurde.
  • Positiv aufgegriffen wurde der Text vor allem von Personen, Gruppen und Politikern, die sich mit der Thematik Migration befassen bzw. in der praktischen Arbeit mit Aus-ländern und Flüchtlingen zu tun haben. Manche mahnen an, das Wort hätte früher kommen müssen.
  • Am stärksten aufgegriffen und kontrovers behandelt wurde der Absatz über das „Kirchenasyl“. Hier kam auch viel Ablehnung zum Ausdruck. Das Wort „Kirchenasyl“ löst Assoziationen aus, die vom Text nicht gedeckt sind; es wird unterstellt, was nicht gesagt worden ist.

Die Kommission für Migrationsfragen wird die Reaktionen aufgreifen und eine Lese- und Argumentationshilfe erstellen zum Stichwort Asyl mit der Kirche. Dabei soll ein besonderer Schwerpunkt auf den Umgang in der Praxis gelegt werden. Gleichzeitig sollen Anregungen und Vorschläge für die praktische Arbeit vor Ort und in den Schulen gesammelt werden.
Das Gemeinsame Wort ist eine Grundlage für die Kirchen, wenn es darum geht, die Weiterentwicklung des Ausländerrechts zu begleiten.
Notwendig ist es, die Ausländerseelsorge auf Zukunft hin weiterzuentwickeln entsprechend den veränderten Bedingungen der Europäischen Union und den gewandelten Verhältnissen in den Herkunfts- und Zuwanderungsfamilien.

3.    Eröffnungsreferat des Vorsitzenden zum Thema „Wächter wie lange noch dauert die Nacht?“. Zum Auftrag der Kirche angesichts verletzlicher Ordnungen in Gesellschaft und Staat
In den vergangenen Jahren habe ich mich im Eröffnungsreferat mit verschiedenen konkreten Fragen der Beziehung von Kirche und Gesellschaft auseinandergesetzt und in diesem Jahr das Thema nochmals von anderer Seite aus in grundsätzlicher Weise aufgegriffen. Hinter der biblischen Frage des Titels „Wächter, wie lange noch dauert die Nacht?“ (Jes 22,11). verbirgt sich die in Zeiten der Bedrängnis aufkeimende Hoffnung der Menschen auf eine Besserung ihrer Situation. Wie die Propheten damals versuchten, die Zeichen der Zeit zu lesen, müssen auch wir versuchen, die Welt, in der wir leben, zu verstehen und im Licht des Evangeliums zu deuten.
Den Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildet ein Blick auf die Art und Weise der gesellschaftlichen Normfindung, die in der Neuzeit keine Übereinstimmung der Lebensdeutungen bzw. der ethischen und religiösen Überzeugungen voraussetzen kann. Der moderne Pluralismus steht unter der paradoxen Aufgabe, einerseits die Vielfalt der Überzeugungen und Meinungen zur Entfaltung zu bringen und zugleich ein Mindestmaß an gemeinsamen Maßstäben zu garantieren, die für das menschliche Zusammenleben unumgänglich sind. Für viele Menschen ist die Lebensorientierung unter diesen Bedingungen schwierig geworden. Der Schwund an Verbindlichkeit von traditionellen Deutungsmustern und Wertmaßstäben schafft Orientierungsunsicherheit im privaten und öffentlichen Leben. Die Freiheit der individuellen Entscheidung und eine aktive Mitwirkung am Ringen um den öffentlichen Konsens werden von vielen als Last empfunden, der man sich - auch unter dem Einfluß der Medien - durch den Rückzug ins Private zu entziehen sucht.
Ich habe versucht, zu zeigen, welche Gefährdungen und Verletzungen der gesellschaftlichen und politischen Ordnung sich aus dieser Situation ergeben. Entwicklungen wie der Verfall von Ehe und Familie, das Nachlassen des Arbeitsethos, der Trend zur vorrangigen Erfüllung persönlicher Wünsche, die Unmoral bei Steuerhinterziehung und Subventionsschwindel, wachsende Gewaltbereitschaft, Drogenkonsum und organisiertes Verbrechen sind auch als Folgen problematischer Grundtendenzen zu verstehen, wie der Schwächung der individuellen und sozialen Bindekräfte, individuelle und strukturelle Rücksichtslosigkeit, Entsolidarisierung und allgemeine Sinnkrise. Sie prägen das Leben weltweit stärker als manche wirtschaftlichen und politischen Bedingungen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wird unter diesen Voraussetzungen zunehmend schwieriger, weil sie sich immer weniger auf eine Übereinstimmung an grundlegenden ethischen Überzeugungen stützen kann. Immer deutlicher tritt zutage, daß die Rechtssetzung des Staates ohne diese Grundlage ihre innere Kraft zu verlieren droht.
Wie kann die Kirche in dieser komplexen Lage ihre eigene Position bestimmen und den Menschen in der modernen Gesellschaft wirksame Hilfe bei ihrer Suche nach einem Weg aus der Krise geben? Die Grundlage dafür kann nur eine offene Zuwendung zur Welt sein, wie sie das II. Vatikanische Konzil programmatisch eingeleitet hat. Die Kirche, die eine eigene und neue Antwort auf die Fragen der Zeit zu geben sucht, kommt nicht umhin, sich realistisch und nüchtern auf den heutigen Pluralismus mit seinen Chancen und Grenzen einzulassen, ohne sich ihnen einfach auszuliefern. Dabei gilt es, den kirchlichen Standpunkt in dieser pluralistischen Situation klar erkennbar zu machen und ihn mit Entschiedenheit zu vertreten. Dies erfordert Mut zum spirituellen und geistigen Wettbewerb, in dem die christliche Sicht des Menschen und der Gesellschaft nicht zaghafter vertreten werden dürfen als die konkurrierender Auffassungen. Die Stärkung eines deutlichen Standpunktes kann nur hilfreich sein. Dies trifft beispielsweise auch auf die öku¬menische Begegnung zu, die nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert werden darf. Angesichts der verbreiteten Tendenzen, die Religion einer freischwebenden Subjektivität zu überlassen, gilt es auch, die institutionelle Gestalt der Kirche und den Wert ihres gesellschaftlichen Engagements durch die zahlreichen kirchlichen Einrichtungen stärker ins Bewußtsein zu bringen. Von entscheidender Bedeutung für die langfristige Wirksamkeit der Kirche ist vor allem aber eine Wiederentdeckung ihres missionarischen Charakters und ihres Sendungsauftrags sowie eine radikale Vertiefung der Glaubensfrage selbst. Hierin gelangt die Kirche zu ihrer eigentlichen Identität, die zugleich ihr Anderssein in der weltlichen Um¬gebung und ihren unverwechsel¬baren Beitrag zur menschlichen Entwicklung begründet.


III.    Bildung und Wissenschaft
1.    Religionsunterricht
Der Religionsunterricht hat in den zurückliegenden Vollversammlung bei unseren Beratun-gen immer wieder eine große Rolle gespielt. Im vergangenen Jahr haben wir die Erklärung „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ verabschiedet, die eine starke Beachtung ge-funden hat. Wir haben im Zuge der Beratungen über den Religionsunterricht beschlossen, eine Informations-Initiative unter dem Motto „Die Freiheit zu glauben. Das Recht zu wissen“ zu starten. Mit dieser Maßnahmen verfolgen wir folgenden Ziele:
1. Es wird unterstrichen, daß der Religionsunterricht zum staatlichen Erziehungsauftrag gehört, also kein Entgegenkommen des Staates gegenüber den Kirchen und Religionsgemeinschaften ist. Der freiheitliche Staat kann die Grundüberzeugungen der Menschen nicht bestimmen; er muß aber die Möglichkeit schaffen, daß diese Aufgabe von den Kirchen und Religionsgemeinschaften wahrgenommen werden kann.
2. Es gibt Tendenzen nicht nur im Bundesland Brandenburg, den Religionsunterricht, der nach unserem Grundgesetz ein ordentliches Lehrfach ist (Art. 7 Abs. 3 GG), zurückzudrängen bzw. zu marginalisieren. Wir werden uns dagegen zur Wehr setzen, weil wir der Überzeugung sind, daß der Religionsunterricht sehr wesentlich zur Orientierung junger Menschen beiträgt. Orientierung ist in unserer heutigen Gesellschaft ein knappes Gut.
3. Gerade wenn man den Pluralismus bejaht, muß man die Möglichkeit haben, den eigenen Standpunkt unverfälscht darzulegen. Ansonsten geht jede Kontur verloren. Aus diesem Grunde halten wir am konfessionellen Religionsunterricht fest. Jeder Schüler und jede Schülerin haben das Recht, im Religionsunterricht durch eine Lehrperson ihrer Konfession den Glauben kennenzulernen. Dies schließt eine grundlegende ökumenische Diskussion nicht aus, sondern ein.
4. Wir werden eine öffentliche Diskussion über die Bedeutung des Religionsunterrichts führen und dabei unsere Position darlegen. Wir gehen davon aus, daß die Mehrheit der Menschen für diese Frage ansprechbar ist und erkennt, welche Bedeutung der Religionsunterricht für jeden einzelnen Menschen, aber auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft hat. Nur wer eine eigene Überzeugung hat, kann ermessen, was die Überzeugung eines anderen bedeutet.

2.    Katholisch-Theologische Fakultäten
Wegen zurückgehender Studentenzahlen, aktueller hochschulpolitischer Tendenzen und Sparmaßnahmen an den Hochschulen ist absehbar, daß künftig an den theologischen Fakul-täten mit einer gewissen Verringerung der Ausstattung gerechnet werden muß. Die Kommission für Wissenschaft und Kultur hat uns einen Bericht vorgelegt, in dem die Erfahrungen auf regionaler Ebene zusammengefaßt sind. Im Interesse der Qualität der theologischen Wissenschaft in Forschung und Lehre hält die Vollversammlung es für erforderlich, daß personelle Einsparungen nicht als Einzelfallentscheidungen vorgenommen werden, sondern in Strukturüberlegungen eingebunden werden, die die fundamentalen Erfordernisse in Forschung und Lehre, besonders auch unter dem Gesichtspunkt weltkirchlich gültiger Mindeststandard, im Blick haben. Auch in Zukunft sollen die Hochschuleinrichtungen und Fakultäten die Möglichkeit haben, neue Themen aufzunehmen und fachliche Schwerpunkte zu setzen. Dagegen lehnen wir schematische Lösungen, etwa im Sinne eine Standardausstattung einer „10 + 1“ -Professur entschieden ab. Wir beobachten mit Sorge, daß die zunehmende Autonomie der Hochschulen im Verhältnis zum jeweiligen Land es erschwert, diese Reduktionen aus kirchlicher Sicht so zu gestalten, daß die Qualität der Theologie erhalten bleibt.


IV.    Geistliche Berufe und kirchliche Dienste
1.    Priesterausbildung
Im Nachgang zur Visitation der Priesterseminare hat die Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Hilfestellungen für die Umsetzung der Ergebnisse der Seminarvisitation in den Bistümern leisten soll. Sie hat eine Befragung der Diözesen zur Priesterbildung durchgeführt, die sie der Vollversammlung vorgestellt hat. Dabei kamen die verschiedenen Modelle des „zweiten  Bildungsabschnittes“ und die Zusammenarbeit mit den pastoralen Laienberufen zu Sprache. Daneben zeigt sich auch die wachsende Bedeutung des „dritten Bildungsweges“ für Spätberufene, aber auch der Fortbildung nach der Seminarzeit. Erörtert wurden auch die Motive für die zahlreichen priesterlichen Berufungen in vielen geistlichen Bewegung. Wir haben aus Anlaß dieser Fragen auch ausführlich über die Probleme der Berufungspastoral gesprochen, die es jungen Menschen heute schwer machen, sich für den Priesterberuf zu entscheiden. Die Kommission wird weiterhin die Bemühungen um eine Begleitung der Priesterkandidaten unterstützen, die zu einem echten Menschsein und Christsein hinführt und eine überzeugende priesterliche Existenz ermöglicht. In diesem Zusammenhang würdigten die Bischöfe die wertvolle Arbeit des Informationszentrums für kirchliche Berufe in Freiburg i.Br.

V.    Liturgie
1.    Arbeitshilfe zur Ministrantinnen- und Ministrantenpastoral
Die Liturgie-Kommission hat uns einen Entwurf für eine Arbeitshilfe zur „Ministrantinnen- und Ministrantenpastoral“ vorgelegt. Sie dient der Vorbereitung und der Begleitung der Jungen und Mädchen im Ministrantendienst. Es ist das erste Pastoralkonzept für die Mini-strantenarbeit seit der Einführung von Ministrantinnen. Da die Ministrantenarbeit auch einen beträchtlichen Teil der kirchlichen Jugendpastoral darstellt, hat die Ausarbeitung für die kirchliche Jugendarbeit Bedeutung.
Nach der Einarbeitung von Änderungsvorschlägen und einer Endredaktion wird sie als „Handreichung der Liturgiekommission“ in der Reihe, die „Arbeitshilfen des Sekretariates der Deutschen Bischofskonferenz“ veröffentlicht.

Personalien
Die Vollversammlung hat Weihbischof Thomas Maria Renz (Rottenburg-Stuttgart) zum Mitglied der Kommission für Publizistische Fragen (IX) und der Jugendkommission (XII) und Weihbischof Hans-Georg Koitz (Hildesheim) zum Mitglied der Kommission für Erzie-hung und Schule (VII) gewählt. Die Wahl gilt jeweils für den Rest der laufenden Amtsperiode bis zur Herbst-Vollversammlung 2001.
Die Vollversammlung hat Professor Dr. Josef Sayer (Fribourg) für eine Amtszeit von sechs Jahren ab 1. Dezember 1997 zum Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Werkes MISEREOR berufen (vgl. ausführliche Anlage).
Den bisherigen Präsidenten des Internationalen Katholischen Missionswerkes missio, Dr. Dietmar Bader, hat die Vollversammlung mit Wirkung vom 1. November 1997 für eine Amtszeit von fünf Jahren zum Leiter der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk berufen.
Die Vollverammlung erklärt die Zustimmung der Deutschen Bischofskonferenz zur Beru-fung von Pfarrer Clemens Kathke (Paderborn) als Generalsekretär des Bonifatiuswerks der deutschen Katholiken.

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