| Pressemeldung

Presse-Statement von Prof. Dr. Joachim Wiemeyer (Bochum) zur Vorstellung der Studie der Sachverständigengruppe 'Weltwirtschaft und Sozialethik': "Globale Finanzen und menschliche Entwicklung" am 22. Januar 2002 in Frankfurt

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Ihnen heute vorgestellte Studie, die, wie Weihbischof Haßlberger erwähnte, im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erarbeitet wurde, hat zwei grundlegende Absichten:
Vielen, gerade in der kirchlichen Entwicklungsarbeit engagierten Christen, erscheint das System der Geldwirtschaft mit seinen Finanzmärkten und dem internationalen Devisenhandel als völlig intransparent – vollständig undurchschaubar. Von den sichtbaren Folgen her (z. B. Asienkrise 1997/98, die aktuelle Krise in Argentinien) erwecken die Finanzmärkte und die dort tätigen Akteure, nämlich die Banken, Investmentsfonds, große Kapitalanlagegesellschaften, Hedge-Fonds wie auch der internationale Währungsfonds den Eindruck, dass sie ethisch problematische Ergebnisse hervorbringen. Armut wird offenbar nicht beseitigt. Sind nicht die Armen bei wirtschaftlichen Instabilitäten, Finanz- und Währungskrisen die ersten Opfer, weil sie als diejenigen, die Risiken am schwersten ertragen können, diesen in besonderer Weise ausgesetzt sind? Dies führt bei manchen sogar dazu, dass man die Geldwirtschaft insgesamt ablehnt oder aber sich nach kleinräumigen, überschaubaren Strukturen sehnt.

Für diesen Adressatenkreis der Skeptiker enthält die Studie eine Vielzahl von grundlegenden Informationen, um die Funktionsweise und Bedeutung von Finanzmärkten zu erklären. Sie will verdeutlichen, dass gerade auch für das aus der Christlichen Sozialethik bekannte vorrangige Ziel der Armutsbekämpfung und für eine eigenständige Entwicklung der ärmeren Länder der Aufbau von Finanzmärkten unverzichtbar ist. Dazu gehört insbesondere der Zugang zu Spar- und Kreditmöglichkeiten für breitere Schichten der Bevölkerung. Es ist Aufgabe der nationalen Entwicklungspolitik in den einzelnen Ländern, der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit und auch kirchlicher Hilfswerke, solche rudimentären Banksysteme zu fördern. Denn dort sind die Einlagen breiter Bevölkerungsschichten sicher angelegt und werden verzinst. Außerdem fördern sie den Zugang zu Krediten zu günstigen Konditionen.

In einer zweiten zentralen Stoßrichtung zielt die Studie auf diejenigen ökonomischen Theorien, die durch modellartige Vereinfachungen bestimmte Problembereiche wegdefinieren. Durch sie ist es in der wirtschaftspolitischen Praxis zu einem zu großen Vertrauen in die Funktionsfähigkeit und Selbstregulierungsfähigkeit von Märkten, gerade von internationalen Kapitalmärkten gekommen. Manche Ökonomen sehen in Finanzmärkten geradezu den Idealtyp des Marktes, weil hier eine unverzügliche Anpassung an neue wirtschaftliche Informationen durch blitzschnellen Kauf und Verkauf an Computerbildschirmen vorgenommen werden kann.

Tatsächlich weisen aber Finanzmärkte erhebliche Probleme auf: Erstens kommt es auf ihnen immer wieder zu einem Herdenverhalten, so dass Kurse über- und unterschießen und sich im Verhältnis zur Entwicklung der Realwirtschaft zu stark verändern. Diese starken Schwankungen der Kurse wirken negativ auf die reale Wirtschaftsentwicklung zurück. Zweitens gibt es im Finanzsystem ein besonderes Systemrisiko: Wenn eine Bank oder ein größerer Akteur oder  im internationalen Bereich ein Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, kann dies zu einer allgemeinen Verunsicherung führen. Kapital wird dann auch von denjenigen Akteuren abgezogen, die eigentlich ökonomisch stabil und gesund sind. Hier gibt es gefährliche Ansteckungseffekte. Da es drittens wenig Schranken im internationalen Kapitalverkehr gibt, Geld also sehr schnell hin und her bewegt werden kann, ist es besonders bedenklich, wenn der Wettbewerb unter verzerrten Bedingungen stattfindet, es also Finanzplätze gibt, die kaum Regeln unterworfen sind und keiner wirksamen Aufsicht unterliegen. Durch diese sogenannten Off-Shore-Finanzplätze können nicht nur Steuerhinterziehung und Geldwäsche erleichtert werden, sondern die geringe Regulierung erhöht auch die Gefahr von Zusammenbrüchen von Finanzmarktakteuren. Ein viertes Problem besteht darin, dass bei bestimmten Krisen zwar der IWF tätig wird, um Systemzusammenbrüche zu verhindern, aber gerade private Wirtschaftsakteure wie Banken, Pensionsfonds, Investmentgesellschaften etc. für ihr Verhalten nicht haften müssen, weil der IWF sie vor Risiken schützt.

Damit wirtschaftliche Entwicklung in den Transformations- und Schwellenländern auch mit Hilfe internationaler Kapitalmärkte gefördert wird, halten wir folgende Ansatzpunkte der wirtschaftspolitischen Gestaltung auf nationaler wie globaler Ebene für notwendig:

Ein Schwellen- und Transformationsland darf sich nur schrittweise den internationalen Kapitalmärkten öffnen. Es muss immer prüfen, ob die heimischen Finanzmarktakteure hinreichend leistungsfähig sind, damit sie den erhöhten Risiken globaler Märkte gewachsen sind. Dazu gehört auch eine wirksame Banken- und Börsengesetzgebung sowie eine Finanzmarktaufsicht. Hier ist ein Know-how-Transfer aus Industrieländern bzw. von internationalen Organisationen notwendig, um den Ländern beim Aufbau solcher Systeme zu helfen.

Jedes Schwellen- und Transformationsland muss sich für ein bestimmtes Wechselkurssystem entscheiden und die notwendigen Voraussetzungen für eine langfristige Orientierung an diesem System schaffen. Zu einem solchen System gehören auch Möglichkeiten der Kapitalverkehrskontrolle, nämlich zum einen um kurzfristige Kapitalimporte abzuschrecken bzw. auch um kurzfristigen Kapitalabzug zu erschweren. Weil diese Maßnahmen von einzelnen Ländern auf eigene Initiative durchgeführt werden können, können sie schneller greifen als Maßnahmen, die globale Vereinbarungen voraussetzen.

Zu den am meisten diskutierten globalen Maßnahmen gehört die sogenannte Tobin-Steuer, die manchen als ein Allheilmittel erscheint, weil sie einerseits die Anzahl kurzfristiger spekulativer Devisenmarkttransaktionen mindern, andererseits aber auch erhebliche Mittel für die Entwicklungsfinanzierung mobilisieren soll. Wir können nicht verhehlen, dass wir gegenüber einem Instrument, mit dem seine enthusiastischen Befürworter glauben, zugleich mehrere Ziele erreichen zu können, skeptisch sind. Gegebenenfalls sollte man, wie es der ursprüngliche Ansatz von Tobin zum Ausdruck bringt, die Transaktionskosten auf Devisenmärkten erhöhen, dies nicht aber primär als Instrument der Entwicklungsfinanzierung ansehen. In der Studie haben wir uns dafür ausgesprochen, dass die Idee weiterverfolgt wird, um auch praktikable Lösungen für die Vielzahl praktischer Umsetzungsprobleme zu finden (z. B. die Behandlung bankinterner Transaktionen, Transaktionen auf Off-Shore-Zentren).

Um akuten Finanzkrisen vorzubeugen, ist es notwendig, dass es grundlegende Regeln für die wesentlichen Finanzmarktakteure gibt, etwa eine hinreichende Eigenkapitalausstattung der Finanzmarktakteure, vor allem von Banken, wenn diese Risiken eingehen. Da ständig neue Finanzmarktinstrumente entwickelt werden, ist es notwendig, dass solche Regeln fortlaufend weiterentwickelt werden und ihre Einhaltung überwacht wird. Notwendig sind also Transparenz und Kontrolle. Für Banken bedeutetet dies natürlich, dass für sie Kosten entstehen, die ihren Gewinn kurzfristig mindern können, langfristig aber eher dem Erhalt eines Bankinstituts dienen und das Vertrauen in das gesamte Finanzsystem stärken. Bei Krisen müssen die privaten Akteure mithaften.

Die EU-Staaten, die zusammengenommen die größten Anteilseigner des IWF sind, sollten gemeinsame Konzepte für die globalen Finanzmärkte entwickeln. Sie sollten bei Weltbank und IWF gemeinsam auftreten, um die dort bisher vertretenen Konzepte zu verbessern, die in der Vergangenheit doch wohl ein überzogenes Vertrauen in die Selbstregulierungsfähigkeit von Märkten hatten. Auf ihren Ratschlag hin hatten sich Entwicklungsländer – ohne über die notwendigen Voraussetzungen im internen Finanzwesen zu verfügen – zu weit und zu schnell dem freien Kapitalverkehr geöffnet. Die EU-Länder sollten auch ein Gegenwicht gegen die angelsächsische Finanzmarktkonzeption setzen, wo im Sinne des Shareholder-value-Gedankens eine zu starke Kurzfristorientierung der Wirtschaft vorherrscht, so dass Unternehmen sehr schnell ihren Besitzer wechseln und umstrukturiert werden. Für die ärmsten Entwicklungsländer bleibt eine Reduzierung der Schuldenlast und die Gewährung von Entwicklungshilfe weiterhin dringlich auf der Tagesordnung. Nur so können sie in dem dynamischen Prozess der Globalisierung die Chancen nutzen, Technologie zu importieren und für sich eigene Märkte in der Weltwirtschaft zu entdecken, um damit Armut zu überwinden und Anschluss an weltwirtschaftliche Entwicklung zu finden. Auch Kirchen, kirchliche Hilfswerke, Orden und andere sind unwiderruflich in die moderne Geldwirtschaft eingebunden. Um ihre Solidarität mit den Christen in Ländern der Dritten Welt auszudrücken, haben die deutschen Katholiken in den letzten Jahrzehnten Milliardenbeträge aufgebracht. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Engagement noch verstärkt würde. Auch für die für die Kirche unverzichtbare Finanzwirtschaft gelten aber die Gebote der Transparenz und institutionalisierter Kontrollverfahren. Dies sind die Akteure der deutschen Kirche auch den Kirchensteuerzahlern und Spendern schuldig.

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