| Pressemeldung

Predigt von Kardinal Joachim Meisner, Erzbischof von Köln, anlässlich der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 22. September 1999

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,

liebe Schwestern und Brüder in Christus, dem Herrn!

Das Wort "Mission" scheint ein Fremdwort auch in unserer kirchlichen Alltagssprache geworden zu sein. Mission in fernen Ländern ist weithin verdrängt durch den Begriff der Entwicklungshilfe. Das sind Anzeichen, dass im inneren Leben der Kirche etwas nicht mehr stimmt. Mission ist Frucht der Kontemplation. Denn nur, wer bereit ist, den Glauben an andere weiterzugeben, wird ihn auch selbst behalten. Wer dieses Verlangen nicht mehr verspürt, der wird den Glauben in seiner Lebendigkeit ganz sicher selbst verlieren.

Eine Kirche, die sich an die Selbstbehauptung verkauft, ist dem Untergang geweiht. Nur eine Kirche, die bereit ist, den Glauben in alle Welt hineinzutragen, hat Zukunft. Eine missionarische Kirche ist immer eine Kirche im Vormarsch. Eine sich bewahrende Kirche ist eine Kirche im Rückzug. Eine missionarische Kirche ist nur die, in der sich jeder Einzelne als ein Missionar versteht. Um Mission zu treiben, brauchen wir nicht in ferne Länder zu fahren, es genügt, dass wir auf die Straße gehen. Und vielleicht brauchen wir noch nicht einmal auf die Straße zu gehen, denn auch in den eigenen vier Wänden, in der eigenen Familie kann Missionssituation herrschen.

Die Kirche, gesegnet mit der frohen Botschaft, begegnet heute in der Welt nicht nur den verschiedenen Formen von Irrglauben, sondern die Kirche begegnet heute in aller Welt ganz besonders dem Unglauben. Wie das Waldsterben fast alle Längen- und Breitengrade unserer armen Erde ergriffen hat, so lagert der Atheismus wie eine dunkle Wolke über unserer Erde. Finsternis bedeckt die Erde, aber das Licht geht über ihr auf in der frohen Botschaft, die uns anvertraut ist in unseren schwachen Herzen und Händen.

Das Missionsprogramm der Kirche ist und bleibt das Kreuz. Die Kirche ist, wie das Kreuz zeigt, gesendet in alle Welt, nach 0st und West, nach Nord und Süd. Wir sind keine Landeskirche, die begrenzt durch politische Markierungen ist. Wir sind eine Weltkirche, hineingesandt in alle Welt, die Völker zu durchwandern und ihnen die frohe Botschaft zu verkünden. Das Kreuz ist darum unser Missionsprogramm, die Missionsmethode aber ist das Triduum Sactum, die heiligsten drei Tage des gesamten Kirchenjahres: der Karfreitag als der Tag der Hingabe, der Karsamstag als der Tag der Solidarität mit den Atheisten und der Ostersonntag der Tag der Gnade. Die Missionsmethode der Kirche vollzieht sich in diesem Dreitritt: Hingabe, Solidarität und Gnade.

1. Der Karfreitag ist der Tag der Hingabe.
"Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt" (Joh 15,9). Dieses so, dieses Maß der Liebe Gottes, ist das Maß der Mission in alle Welt, wie das Kreuz nach 0st und West zeigt und nach Nord und Süd. Wer sich von dieser Liebe Gottes berührt fühlt, kommt ebenfalls in eine solche maßlose Liebe zu den Menschen, und den treibt es zu den anderen. "Den anderen suchen" - unter diesem Imperativ vollzieht sich die christliche Existenz.

Der Herr geht in unsere Welt ein, er geht nicht in ihr auf. Und der Herr gibt darin nicht auf, sondern er hält durch. Er lebt aus Quellen, die dem Menschen unbekannt sind, nämlich aus der Liebe des Vaters. Darum erscheint er als unzeitgemäß, als un-zeitig, er erscheint als unmodern. Deshalb wird er den anderen verdächtig. Sie fühlen sich von ihm in Frage gestellt. Er passt nicht in ihre Lebensmodelle. Darum wollen sie ihn beseitigen. Das Schicksal Christi ist das Schicksal des Christen.

Wir leben aus Quellen, von denen die anderen keine Ahnung haben. Wir richten uns aus nach Prinzipien, die den anderen unbekannt sind. Darum erscheinen wir ihnen fremd, andersartig und überholt. Es ist das Schicksal der Morgigen, dass sie den Heutigen fremd sind. Wir sind nicht Gestrige, wir sind Morgige. Es gehört oft aller Mut dazu, diese Spannung durchzutragen, das Kreuz des Nonkonformismus, der Andersartigkeit in unserem Leben aufrecht zu halten. Wehe uns, wenn wir Angepasste sind, denn dann würden wir unsere Schwestern und Brüder nicht mehr herausfordern, dann würde ihnen nicht mehr aufgehen, was Evangelium ist!

Es ist darum ein untheologisches Axiom, missionarische Betätigungsfelder unter allen Umständen - auch auf Kosten der Wahrheit - in der Öffentlichkeit zu behaupten. Auch diese Art von Selbstbehauptung führt in den Selbstverlust, denn mit faulen Kompromissen verliert die Botschaft des Evangeliums alle Glaubwürdigkeit. Wir brauchen der Wahrheit nicht durch Taktieren auf die Sprünge zu helfen. Die Wahrheit Christi gilt immer und überall, für jeden und für jede Tat. Die Kirche muss dabei leidensbereit sein. Nicht durch institutionelle Stärke, sondern durch Zeugnis, Liebe und Leiden muss sie dem Evangelium den Raum bereiten und so der Gesellschaft helfen, ihre moralische Identität wieder zu finden.

Die frohe Botschaft heißt "Hingabe". Aus Liebe zu den Menschen haben wir das Ärgernis, anders zu sein und fremd zu erscheinen, durchzutragen und haben es nicht aufzulösen. Selig, die sich an uns nicht ärgern! Das Ergebnis dieser gekreuzigten Existenz heißt dann: "Wahrhaftig, das war Gottes Sohn" (Mt 27,54), wie es der römische Hauptmann unter dem Kreuz nach dem Tode Jesu ausgesprochen hat. Unsere Missionsmethode ist der Tod Christi, die Hingabe des Karfreitags.

2. Die Solidarität des Karsamstags ist uns aufgetragen.
Unsere gegenwärtige Welt ist geprägt vom Tode Gottes, vom Atheismus. Es ist sogar eine "Gott-ist-tot"-Theologie entfaltet worden. Gott selbst ist am Karsamstag der Gott des Todes. Die Welt ist Karsamstag wirklich gott-los geworden. Er ist tot. Man bestattet ihn dort, wo wir unsere Toten ablegen. Er ist wirklich ein Mitgenosse des menschlichen Todes und der menschlichen Toten geworden. Erlösen können wir nur den, an dessen Schicksal wir teilhaben. Wir beten im Credo: "Hinabgestiegen in das Reich des Todes". Wir haben einen Gott im Abstieg, darum haben wir eine Kirche im Abstieg zu sein. "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht" (Joh 12,24). Der Gott des Abstiegs hat seine Kirche hier und heute mehr denn je in diese Bewegung mitgenommen. Das soll uns nicht ängstigen und erschrecken: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt, bleibt es allein."

Wir leben als Christen mit den anderen Menschen zusammen. 55 Prozent der Deutschen sollen laut Statistik mit dem christlichen Glauben nichts mehr anfangen können; wir arbeiten mit ihnen zusammen; wir liegen zusammen mit ihnen in Krankenhäusern; wir sind in den Ferien mit ihnen an den Erholungsorten zusammen. Ich glaube, wir kennen auch - wie sie - die Versuchung zum Atheismus. Unser Glaube ist eine Mischung von Licht und Finsternis. Und in der Finsternis sich zu erinnern, was wir einmal im Lichte schauen durften, heißt Glaube.

Und so wissen wir wohl auch aus der Erfahrung, was es heißt, keinen Horizont mehr über sich zu haben, weil Gott tot ist. Wir bekommen Anteil an der Verzweiflung derer, die nicht mehr um den Sinn ihres Lebens wissen. Wir bekommen Teil an der Hoffnungslosigkeit derer, die nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen. Wir geben nur den Menschen die Möglichkeit zum Glauben, mit denen wir unser Schicksal teilen. Dass wir wie Christus in die Gräber der lebenden Menschen hinabsteigen, deren Gottesglaube erstorben ist, ist christliche Missionsmethode: Solidarität mit denen, die "in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes" (Lk 1,79). Darum ist uns nicht der Exodus, der Auszug in irgendein Land der Seligen erlaubt, das es gar nicht gibt. Uns ist die Solidarität mit denen aufgegeben, die Gott verloren haben.

3. Der dritte Schritt in der Missionsmethode Christi heißt: Gnade. Ihr Tag ist der Ostersonntag
Dort, wo wir sagen: "Jetzt ist alles aus!", spricht Gott: "Jetzt geht's erst richtig los!" Was ist denn Ostern los? Gott ist los! Und seit Ostern gibt es keine gottlose Welt mehr, weil es keinen weltlosen Gott mehr gibt. Denn in seinem auferstandenen Sohn hat Gott die Welt an sein Herz gedrückt. Seit diesem Tag gibt es auch keine Gottlosen mehr, wenigstens von Gott her nicht, weil er in seinem Sohn Jesus Christus, dem Auferstandenen, die Menschen angenommen hat.

Selbst wenn einer Gott loslässt, dann lässt Gott ihn noch lange nicht los. Zur Gottlosigkeit gehören immer zwei. Gott hält den anderen fest. Missionsarbeit heißt nicht, dass wir einem anderen den Gottesglauben einreden müssten, sondern wir brauchen nur die eine Hand des sogenannten Gottlosen zu ergreifen, dessen andere schon Gott hält, damit wir - Gott und du und ich - ihn aus dem Grabe seines Unglaubens herausziehen können.

Lassen Sie mich das noch einmal sagen: Dort, wo wir Menschen sprechen: "Jetzt ist alles aus!", sagt Gott: "Jetzt geht's erst richtig los!". Was ist denn los? Gott ist wirklich losgelassen! Das müsste uns mit einem größeren Schwung zur Mission erfüllen. Aus den "müden Kriegern" müssten missionsbegeisterte Jünger Jesu werden.

Das Kreuz ist unser Missionsprogramm. Die heiligen drei Tage sind unsere Missionsmethode, ähnlich in Asien, Afrika, Amerika, Australien und Europa; denn überall bedroht der Atheismus die Menschen. Darum gilt überall die uralte, ewig junge Missionsmethode des Herrn: Hingabe, Solidarität und Gnade. Amen.

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