| Pressemeldung

Predigt von Kardinal Friedrich Wetter, Erzbischof von München und Freising, anläßlich der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Lingen/Ems am 23. Februar 1999

»O guter Gott, für welche Zeiten hast du mich aufbewahrt, daß ich solches erleben muß!« Dieses Wort legt Bischof Irenäus von Lyon dem Bischof Polykarp von Smyrna in den Mund, dessen Fest wir heute begehen. Hinter diesem Ausruf stand die Erfahrung des Streites, der damals im 2. Jahrhundert durch Irrlehrer hervorgerufen wurde und den Frieden der Kirche gefährdete.
»O guter Gott, für welche Zeiten hast du mich aufbewahrt, daß ich solches erleben muß!« Dieser Ruf des Bischofs Polykarp könnte auch aus dem Munde eines Bischofs unserer Tage kommen.

Er müht sich ab, doch die Menschen sperren sich. Er verkündet die frohe Botschaft des lebendigen Gottes, der Himmel und Erde erschaffen hat und in seinem gekreuzigten und auferstandenen Sohn Jesus Christus alle einlädt, das Leben mit ihm zu leben. Doch viele Menschen interessiert das nicht; sie sind taub und leben, als ob es Gott nicht gäbe.

Ethische Grundlagen werden weggeschoben, sittliche Maßstäbe zerbrochen, und schützende Tabus halten viele für überflüssig. »Ich lebe mein Leben!« so sagt mancher »Wie soll ich heute entscheiden, was mich morgen betrifft? Verbindliche Grundsätze interessieren mich nicht.«

Nicht einmal mehr das elementare Rechtsgut Leben wird geachtet und geschützt, wie es die sittliche Ordnung verlangt. Und selbst Eltern, die als überzeugte Christen leben, machen die bittere Erfahrung, daß es ihnen nicht mehr gelingt, den Glauben ihren Kindern weiterzugeben, weil diese in den Sog ganz anderer Strömungen geraten sind.

Kein Wunder, wenn auch so mancher von uns wie Polykarp ausrufen möchte: »O guter Gott, für welche Zeiten hast du mich aufbewahrt, daß ich solches erleben muß!« Wir können uns unsere Zeit nicht aussuchen. »Wo Gott dich hingesät hat, sollst du blühen«, lautet ein afrikanisches Sprichwort. Und es wäre auch gar nicht sinnvoll, unserer Zeit zu entfliehen, selbst wenn dies möglich wäre.

Denn Gott ist der Herr auch unserer Zeit. Er ist der Herr der Geschichte und läßt den Lauf der Dinge nicht aus seiner Hand gleiten. Auch unsere Zeit ist Gottes Zeit. Die Zusage Jesu gilt auch uns heute: »Seht, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.« (Mt 28,20)

Es gehört zu den aufregendsten Herausforderungen unseres Dienstes als Hirten der Kirche wie des gläubigen Denkens überhaupt, in den Zeichen der Zeit die Gegenwart des Herrn zu erfassen und sein Wirken in der Geschichte zu erkennen und anzunehmen. Ein russisches Sprichwort sagt: »Halte jeden Tag für einen Boten Gottes, den du würdig empfangen sollst.«
Jeder Tag ist Zeit der Gnade, des angebrochenen Heils, Zeit, die uns herausfordert, dem Ruf des in der Geschichte wirkenden Herrn zu entsprechen. Damit ist die Grundlage für unser Tun angegeben. Das ist nicht Zweckoptimismus, sondern Hoffnung. Diese Hoffnung baut auf Jesus Christus und streckt sich nach dem neuen Himmel und der neuen Erde aus. Der neue Himmel und die neue Erde entwickeln sich aber nicht organisch aus der Geschichte heraus. Gott muß eingreifen, der die Welt erschaffen hat, der aus Steinen Kinder Abrahams erwecken kann und der vor allem seinen toten Sohn Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Er kann auch auf den krummen Zeilen unserer Geschichte gerade schreiben und aus einer Welt, in der das Böse zu triumphieren scheint, den neuen Himmel und die neue Erde schaffen.

Für diese Hoffnung sind Zeugen gesucht, Menschen, die aus dieser Hoffnung heraus die Welt gestalten. Dazu hat Bischof Ignatius von Antiochien Bischof Polykarp von Smyrna ermutigt. Selbst als Gefangener auf dem Weg zum Martyrium nach Rom schrieb er einen Brief an ihn. Was er darin seinem Mitbruder ans Herz legt, gilt auch uns heute. Hören wir einige seiner Kernsätze. Er sagt: »Lerne die Zeiten zu verstehen!« (3,2) »Steh fest wie ein Amboß unter den Schlägen!« (3,1) »Sorge für die Einheit, über die nichts geht!« (1,2 »Wo größere Mühe, ist mehr Gewinn.« (1,3)

Das sind Sätze, die gelten auch für uns. Die Zeichen der Zeit sollen wir erkennen, fest sollen wir stehen und nicht wanken, die Einheit soll unsere Sorge sein, und es lohnt sich, Mühe auf sich zu nehmen.

Das ist uns gesagt, damit wir unserer Aufgabe entsprechen, die Ignatius gleichsam zusammenfaßt in dem Satz: »Die Zeit verlangt nach dir, um zu Gott zu gelangen« (2,3) Ja, die Zeit verlangt heute auch nach unserem Dienst, um zu Gott zu gelangen. Amen.


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