| Pressemeldung

Predigt von Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Hohen Dom zu Fulda am 28. September 2000

Liebe Brüder, liebe Schwestern!
In der gegenwärtigen kulturellen Situation unserer Gesellschaften erscheint Jesus Christus weithin nur noch als ein großer Mensch, wie alle übrigen Religionsstifter auch. Man glaubt jedoch nicht mehr an ihn als den Sohn des lebendigen Gottes, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria. Er wird als einer von vielen anderen großen Menschen der Weltgeschichte gesehen. Darum nimmt man auch die Kirche nur noch als eine kulturell religiöse Bewegung in der Horizontalität dieser Welt zur Kenntnis, aber ohne jede Exklusivität, ohne jedes Recht auf irgendeinen Ewigkeitsanspruch. Manche Christen definieren sich darum heute noch als Kulturchristen. Sie berufen sich irgendwie noch auf ein nebulöses christliches Menschenbild, aber sie vertreten nicht mehr offensiv das Glaubensbekenntnis in die Gesellschaft hinein. In der Kirche aber hat sich Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der Welt selbst hinterlassen, um sie zu verwandeln auf das kommende Reich Gottes hin. Die Welt endet nicht in einer kosmischen Katastrophe, sondern mit der Wiederkunft Christi zum letzten Gericht und mit der Auferstehung der Toten. Das ist keine fromme Mär, sondern eine handfeste Tatsache, die heute schon unser Leben positiv verändert.
1. Der Herr sagt den Seinen angesichts der vielen Bedrängnisse von innen und außen nachdrücklich: "Habt Mut, ich habe die Welt besiegt." (Joh 16,33). Wenn uns die Herren dieser Welt Furcht und Schrecken einjagen wollen, dann vergessen wir nicht: alle diese Herren gehen, unser Herr aber kommt. Unsere Botschaft ist nicht nur die Bewahrung dessen was ist, sondern ganz besonders die Freude auf das was kommt, ganz besonders auf den, der kommt. Das älteste christliche Stoßgebet, das uns in der Heiligen Schrift überliefert wird, und zwar in hebräisch, heißt: "Maranatha", übersetzt: "Komm, Herr Jesus!" (Offb 22,20). Es ist bezeichnend, dass die gegenwärtige christliche Generation weithin dieses Stoßgebet vergessen hat und damit auch die Erwartung des kommenden Herrn. Deshalb hat sie wohl so resigniert. Ohne Erwartung gibt es keine Hoffnung, und ohne Hoffnung gibt es keine Tapferkeit, gegen all die unmenschlichen Trends anzugehen und vorzugehen, die unsere Welt bewegen. "Wenn der Herr einst wiederkommt, dann möchte ich dabei sein", so hat unsere Jugend noch vor einigen Jahren gesungen. Das ist ein Wunsch, der in uns allen wieder wach und lebendig sein muss, und zwar um der Gegenwart willen.
2. Warum um der Gegenwart willen? Damit der Mensch Mensch bleiben kann. Das Evangelium versteht unter Mensch-sein die Kreatürlichkeit, d. h. dass der Mensch von Gott erschaffen, erhalten und geliebt wird. Das setzt etwa der Genmanipulation feste Grenzen. Wenn der Mensch ein Geschöpf Gottes ist, dann ist er nicht für den Menschen verfügbar, dann ist Medizin Heilkunst und nicht Fabrikationsgebaren. Und dann sind Ehe und Familie Quellen des Lebens und nicht Lebensmodelle, in denen die Weitergabe des Lebens keine Chance hat. Der Mensch ist immer in Gefahr, sich zum Schöpfer der Dinge aufzuschwingen zu seinem eigenen Schaden und zu dem der Umwelt.
Dem steht massiv der christliche Glaube entgegen, und hier darf er nicht um der Menschen und der Welt willen wanken oder sich anpassen. Die Gefahr in unserer Gesellschaft ist, dass man alles für möglich hält, auch das Unmögliche. Die Kirche aber muss darauf verweisen, dass der Mensch mehr ist als ein Konsument und dass es dabei um Werte geht und nicht um Preise. Wenn diese Werte - etwa die Ehrfurcht vor der Heiligkeit Gottes oder die Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen oder die Exklusivität von Ehe und Familie - verschwinden, dann wächst eine Generation nach, die von allem den Preis kennen wird, aber von nichts mehr den Wert.
Vielerorts in Deutschland, in den verschiedensten politischen Lagern, wird heute lautstark ein Werteverfall beklagt, das Verschwinden der Vorbilder und eine dekadente Haltlosigkeit. Aber dabei ist vergessen worden, was die Kirchen unserer Städte und Dörfer bedeuten und symbolisieren. Sie sind nämlich Orientierungspunkte, die den Menschen Halt und eine klare Ausrichtung geben. Man muss nicht ein Christ sein, um zu erkennen, dass die europäische Wertordnung aus unserer christlichen Tradition herausgewachsen ist und sei es in Auseinandersetzung mit ihr, zugleich aber von ihr zutiefst geprägt. Eine Werte-Erziehung, die diesen Namen verdient, lässt sich nicht wertneutral betreiben. Wer anderen, zumal Jüngeren, ein eigenes Wertebewusstsein, ethische Maßstäbe, Grundsätze, Haltung, Lebenssinn und Überzeugungen vermitteln will, der muss selbst eine Position haben und sie an sich selbst, an der eigenen Person verdeutlichen. Wer Wertebewusstsein vermitteln will, muss es glaubhaft selbst verkörpern.
3. Unser Glaube an Jesus Christus bindet uns an den lebendigen Gott und geht darum über das rein Mitmenschliche weit hinaus. Christlicher Glaube ist viel mehr als nur eine Frage des ethischen Wohlverhaltens. Er bringt den Menschen den Überstieg in die Welt Gottes hinein, ohne dass er dabei aussteigen müsste aus der Welt des Menschen. Beim Hochsprung muss der Sportler auf Höheres ansetzen als auf sich selbst, sonst überwindet er nicht die Messlatte. Im Glauben setzt der Mensch auf Gott an. Für eine gute Leistung hört er am liebsten das Lob: "Da hast du dich aber selbst übertroffen".
Wer an Jesus Christus glaubt, der übertrifft sich selbst. Weil das heute nicht mehr klar gesagt und getan wird, gibt es einen riesigen Markt an religiösen Ersatzangeboten. Hier liegt der Boom der Sekten und anderer Pseudopropheten begründet. Daher ist die klare Orientierung ein Gebot der Stunde und zwar nicht nur im Hinblick auf die Kirche, sondern auf die gesamte Gesellschaft. Wir bezeichnen uns als eine Wissensgesellschaft, aber dabei geht es nicht allein um verwertbares Wissen, sondern auch um Werte, die das Leben des Menschen erst lebenswert machen. Erziehung etwa ist nach den Worten Adolph Kolpings "Beispiel und Liebe, sonst nichts". Er sagt dazu weiter: "Die spätere Welt kann nur pflegen und fördern, was eine gute Erziehung dem Menschen im Kleinen bereits gegeben hat, aber sie kann ihm nicht mehr später Urprüngliches geben, was er von daheim hätte empfangen müssen." Darin ist der Kampf Adolph Kolpings gegen die Entfamiliarisierung der Gesellschaft begründet. Er sagt dazu: "Gott, der Herr, hat das vierte Gebot, das Familiengebot an die Spitze aller menschlichen, d. h. sozialen Gebote gestellt, weil von seiner Beobachtung und Heilighaltung das Glück der Menschheit, ihre Wohlfahrt, ihr gesegnetes Bestehen nicht allein abhängen, sondern auch die Gewähr der Heilighaltung der anderen Gebote gegeben ist." So elementar geschieht die Orientierung junger Menschen auf das Wesentliche hin.
4. In diesem Zusammenhang müssen wir darauf achten, dass es für uns als Kirche nichts Wichtigeres gibt, als Kirche zu sein und nicht zu einem Sozialverband oder einer Bildungseinrichtung zu mutieren. Bei der letzten Europäischen Bischofssynode im Oktober 1999 sagte ein Bischof gleich am Anfang der Synode: "Wir sollten eigentlich alle unsere Überlegungen unter die eine Frage stellen: Wie helfen wir den Europäern von heute, in den Himmel zu kommen?" Damit ist die wesentliche Aufgabe der Kirche mit dem Evangelium in der Hand zum Ausdruck gebracht. Die Kirche ist keine Weltverbesserungsanstalt, sondern ihr ist die Verwandlung der Welt auf das Reich Gottes hin aufgetragen. Dass dabei die Menschheit menschlicher und die Welt erträglicher wird, steht außer Diskussion. Der Kölner Schriftsteller Heinrich Böll schreibt: "Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache."
Darum sind keine Sozialverbände und Bildungseinrichtungen in der Kirche überflüssig, aber sie bekommen ihre erste Motivation nicht vom Sozialen und Bildungspolitischen, sondern vom Religiösen her. Der Herr fügt hinzu: "Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben." (Mt 6,33). Suchen wir zuerst das Hinzugefügte, dann werden wir es ganz bestimmt nicht finden und noch zusätzlich das Reich Gottes verlieren. Setzen wir als Kirche die Prioritäten richtig, damit wir den Menschen das Wesentliche nicht schuldig bleiben.
Das Credo beginnt mit dem Glauben an Gott als dem Schöpfer und damit bekennt es sich zum Menschen als dem Geschöpf Gottes, und es endet mit dem Glauben des Menschen an die Auferstehung des Fleisches und an das Ewige Leben. Das Credo weitet den kurzen Zeitraum, der auf den Grabsteinen der Friedhöfe steht: "geboren am" - "gestorben am" in die Dimension Gottes hinein: "von Gott geschaffen" - "für die ewige Gemeinschaft mit Gott berufen". Das gibt dem Menschen Perspektive, das lässt ihn tief durchatmen und menschlich leben. Am Schluss sei es noch einmal gesagt: Fürchten wir nicht die Herren dieser Welt, die Herren gehen, der Herr aber kommt. Maranatha! Komm, Herr! Amen.

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