| Pressemeldung

Predigt von Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, bei der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Augsburg am Dienstag, 6. März 2001

Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Brüder, liebe Schwestern!
Wir sind die zweite Generation von Bischöfen in der Kirche, die eine Jahrtausendwende erlebt hat. So kommt uns eine ganz besondere Verantwortung für die Zukunft zu, und zwar dieses Mal in einer Weise, wie sie selten einer Generation von Bischöfen aufgetragen wurde. Es geht um den Menschen, der nach dem Bild Gottes wunderbar erschaffen, durch die Sünde deformiert, aber durch die Menschwerdung Gottes wunderbarer reformiert worden ist. "Ihr werdet wie Gott", so lautete die falsche Versprechung der Schlange im Paradiesgarten (Gen 3,5). Diese Versuchung ist zu Beginn des 3. Jahrtausends aktueller denn je: Durch den Missbrauch, der durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms möglich geworden ist, kann der Mensch sich von Gott in einer Weise emanzipieren, dass er sich zum Schöpfer seiner selbst hoch stilisiert. Als Folge davon sinkt er in die rein biologische Evolution zurück. "Mein Genom gehört mir" hieß die Überschrift eines Plädoyers für das Klonen menschlicher Embryonen (vgl. Beitrag von Florian Rötzer in der FAZ vom 02.02.01).
Unser bischöflicher Dienst ist wesentlich als Wächteramt zu definieren. Hier sind wir darin herausgefordert in einer kaum vergleichbaren Weise. Alles falsche Handeln beginnt beim falschen Denken. Gegenüber Denkern ist man allerdings weniger wach als gegenüber Tätern, die das von den Denkern Vorgedachte in die Tat umsetzen, wenn wir in die Geschichte unseres Volkes in den letzten achtzig Jahren zurückblicken. Was wird heute nicht alles gedacht und erdacht, um zu rechtfertigen, dass man den Menschen als Mittel zum Zweck gebrauchen kann, d. h. um das Klonen mit menschlichen Embryonen zu rechtfertigen. Um es noch einmal zu sagen: Hier ist für uns Bischöfe höchste Wachsamkeit geboten. Der Einsatz auf diesem Feld gegenwärtiger Auseinandersetzung um den Menschen hat absolute Priorität. Oberflächliche Strukturfragen und Aktionsprogramme, die oft genug auf unseren Tagesordnungen stehen, haben in die zweite Reihe zu rücken. Und in der Tat, wir haben uns selbst über unseren bisherigen Weg Rechenschaft zu geben.
Kriterien dafür, zu welchem Zeitpunkt aus den menschlichen Zellen nach der Befruchtung der Mensch wird, werden mit Hilfe reiner Zweckanalysen definiert. Dabei wird zugleich offenbar, wie recht Schiller hatte, als er Oktavio in den "Piccolomini" sagen ließ: "Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären" (V,1). Die Argumentation eines Befürworters des Klonens, Florian Rötzer, in der FAZ vom 2.2. d. J., trägt die bereits erwähnte Überschrift "Mein Genom gehört mir. Klonen - die letzte Grenze wird fallen". Darin heißt es wörtlich: "Warum sollte man potentielles Menschenleben auch ausgerechnet beim Klonen oder im Hinblick auf den Gebrauch von embryonalen Stammzellen schon am Zeitpunkt der Befruchtung schützen, wenn zugleich, bei In-vitro-Fertilisation eine große Zahl von Embryonen verbraucht wird und auch Abtreibung möglich ist? Warum sollte ein Zellhaufen, aus dem einmal ein Mensch werden kann, der aber noch nichts Menschliches besitzt und sich faktisch nicht von ,gestarteten' Zellen anderer Lebewesen unterscheidet, schon unter die Achtung der Menschenwürde fallen müssen? Ist letztlich nicht schon Empfängnisverhütung oder eine ,Pille danach' eine Verhinderung potentiellen Lebens? Und warum gerade Klonen den Menschen einer neuen Qualität technischer Verfügbarkeit preisgeben soll, ist ebenso wenig einsehbar wie die Behauptung, dass Klonen die Würde des Menschen schon allein deswegen verletze, weil er doch als ,Geschöpf' ein unverwechselbares Individuum ist ...". Solche Worte zeigen, wie verheerend sich die normative Kraft des Faktischen auswirken kann: Die Würde des Menschen, einmal angetastet, ist nur noch schwer als "unantastbar" zu bezeichnen.
In der Tat, das Leben ist eine Einheit von der Zeugung bis zum Tod. Man kann und darf zu keinem Zeitpunkt ein Segment daraus herausschneiden und unter Sonderbestimmungen stellen, will man nicht gleich das Ganze in Frage stellen und gefährden. Hier wird eine verhängnisvolle innere Logik und Dynamik aufgezeigt, die in ihren Folgen unübersehbar sind. Hier heißt es wirklich: Wehret den Anfängen! Man darf dem kirchlichen Lehramt nur dankbar sein, dass es sich zu keinem Zeitpunkt dem Diktat des Zeitgeistes gebeugt hat, um hier irgendwelche Ausnahmebedingungen zu definieren. Hier gilt wirklich die Faustregel, die Romano Guardini auf dem ersten Berliner Katholikentag im Jahre 1952 in der Ost-Berliner Marienkirche vor dem Hintergrund des Kommunismus formuliert hat: "Nur wer Gott kennt, der kennt auch den Menschen." Die biblische Botschaft sieht im Menschen das Ebenbild Gottes und in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus seine Erwählung zu einer Gottähnlichkeit, die ihn innerhalb der Schöpfung zu einem Wesen außer Konkurrenz macht. Die christliche Botschaft ist nicht eine unter vielen Versuchen der Welterklärung, sondern sie ist die Wahrheit von Gott und den Dingen. Das merkt man spätestens daran: Lässt man die biblische Botschaft außer Acht, kommt das Lebensrecht und die Würde des Menschen ins Wanken. Wo dieser biblische oder philosophische Hintergrund versinkt, wird das Menschsein mit mehr oder weniger gelungenen Merkmalen aus sich selbst definiert.
Als entscheidenden Schritt im angeblichen Hominisationsprozess, durch den - von manchen behauptet -aus dem "menschlichen Zellhaufen" erst ein Mensch wird, sieht der eine die "Selbstachtung des Menschen" und ein anderer wieder sein "Überlebensinteresse". Im Grunde genommen werden hier die Kriterien für das Menschsein reduziert auf die Ursüchte des Menschen, nämlich auf die Habsucht, die Genussucht und die Geltungssucht, jene Kräfte im Menschen, die dem Biologischen am nächsten stehen. Gleichsam das Vorhumane soll die Mitte der Humanität gültig kennzeichnen. Erschwerend für diese Frage des Menschen erweist sich die Überzeugung, dass die Quelle für unser Rechtswesen der gesellschaftliche Konsens sei. Wahrheit wird hier allein durch Mehrheit definiert. Dass aber vom Sein überhaupt grundsätzlich ein Sollen ausgeht, gilt dann nicht mehr. Dass das Sein des Menschen dort beginnt, wo menschliches Leben da ist, unabhängig von der Stufe seiner Entwicklung, wird nicht mehr gesehen. Dem Menschen ist jedoch Vernunft gegeben, die Botschaft des Seins zu vernehmen und danach sein Handeln auszurichten. Nur auf diesem Hintergrund hat der Mensch eine Chance, als Mensch wirklich zu überleben und nicht in rein biologische Kategorien zurückgestuft zu werden.
Die Biotechnologie an sich in ihren segensreichen Auswirkungen für den Menschen kann nur begrüßt werden. Dem Menschen als "Mitarbeiter Gottes" ist es aufgetragen, der Schöpfung und dem Menschen zu dienen. Schon heute kann man mit biotechnisch hergestellten Medikamenten vielen Menschen helfen und die sogenannte grüne Gentechnik trägt vielleicht dazu bei, den Hunger in der Welt wirksamer als bisher zu bekämpfen. Wir als Kirche und Bischöfe sind gut beraten, uns dabei aus Detailfragen herauszuhalten. Aber wir sind herausgefordert, Grenzen zu ziehen, gegen die Begrenzung des Menschen als Produkt, dessen Markttauglichkeit auf gewissen Eigenschaften beruht, die ihm nun angezüchtet werden sollen. Damit wäre das Ende des menschlichen Fortschritts gekommen, da niemand mehr da wäre, der würdevoll fortschreiten könnte, weil es einen solchen Menschen nicht mehr gibt. Der Mensch soll biologisch höher gezüchtet werden, aber seine Menschenwürde wird dabei stürzen. Überall liegen jetzt schon heruntergerissene Kronen der Menschenwürde.
Um es noch einmal zu sagen: Die Botschaft der Bibel sieht im Menschen das Ebenbild Gottes. Durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus dürfen wir, die wir "von Natur aus Kinder des Zorns sind" (Eph 2,3), "an der göttlichen Natur Anteil erhalten" (1 Petr 1,4). Aus diesem Glauben speist sich die Überzeugung von der gleichen Würde jedes Menschen. Und so gilt für die Kirche, dass der Stärkste und der Schwächste, der Behinderte und der angebliche Übermensch die gleiche Würde haben, und es gilt: Von seiner Zeugung bis zu seinem Tod ist jeder Mensch zu respektieren. Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Menschen als "das einzige Geschöpf auf Erden, das Gott um seiner selbst willen gewollt hat" (GS 24), bezeichnet. Jede Verzweckung und Instrumentalisierung des Menschen, jeder nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung vorgenommene gentechnische Umbau pervertiert buchstäblich Wesen und Würde des Menschen.
Dieser im Wortsinn radikale, nämlich an der "Wurzel" menschlichen Lebens angesetzte Humanismus der Kirche ist eine Provokation für die Produzierer, die Selektierer und die Optimierer unserer Tage. Es ist tragisch, dass es gerade jetzt an den nötigen überzeugenden Kräften in Politik und Gesellschaft fehlt, um aus christlicher Motivation in diesen bitterernsten Auseinandersetzungen um den Menschen wirksam zugunsten des Menschen einzugreifen.
Die Kirche ist die älteste Institution des Abendlandes und des Morgenlandes. Sie hat das heilige und kostbare Wissen um die einzigartige Würde des Menschen bewahrt und verteidigt. Daher ist es auch heute ihre nicht wegdelegierbare Pflicht, die Stimme zu erheben, wenn der menschliche Fortschritt im Überschwang seiner Möglichkeiten den Menschen selbst zertrampelt und seine Würde dazu. Amen.

Cookie Einstellungen

Wir verwenden Statistik Cookies um zu verstehen, wie Sie mit unserer Webseite interagieren.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Matomo

Datenschutz

Diese Cookies sind für den Betrieb der Webseite zwingend erforderlich. Hier werden bspw. Ihre Cookie Einstellungen gespeichert.

Anbieter:

Deutsche Bischofskonferenz

Datenschutz