| Pressemeldung

Predigt von Friedrich Kardinal Wetter, Erzbischof von München und Freising, bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Hohen Dom zu Fulda am Mittwoch, 27. September 2000

Unter den fünf neuen Seligen, die unser Papst Johannes Paul II. am 3. September zur Ehre der Altäre erhoben hat, steht uns Johannes XXIII. besonders nahe, nicht nur zeitlich - viele von uns haben ihn noch erlebt - sondern vor allem durch seine geistliche Gestalt.
Jeder Selige und jeder Heilige ist ein Geschenk Gottes an die Kirche. In ihnen leuchtet nicht nur etwas von der Heiligkeit der Kirche auf; sie sind uns auch als Vorbilder gegeben, die uns zeigen, was es heißt, in der Nachfolge Jesu zu leben.
Schauen wir auf Johannes XXIII. Das Besondere seines Lebens war seine Güte. Viele haben ihn darum einfach Johannes den Guten genannt. Sein gutes Herz stand offen für alle.
Als er 1934 als Apostolischer Delegat Bulgarien verließ, lud er die Bulgaren ein, bei ihm anzuklopfen, wo immer er sei: "Klopft an, klopft an! Du wirst nicht gefragt, ob du katholisch bist oder nicht, es genügt, dass du ein Bruder aus Bulgarien bist. Tritt ein! Die Arme eines Bruders werden dich empfangen, und das warme Herz eines Freundes wird den Tag zu einem Festtag machen." Und als er als Papst im römischen Gefängnis Besuch machte, hielt man die Zellen der Mörder und Sexualtäter verschlossen. Der Papst aber ließ sie öffnen. "Was soll denn das? Alle sind sie Kinder Gottes."
Nach seiner Wahl zum Nachfolger Petri erklärte er noch im Konklave den Kardinälen, er habe den Namen Johannes gewählt, weil der Apostel Johannes im Evangelium die Liebe verkörpere. "Meine Kinder, liebt einander! Liebt einander, denn das ist das höchste Gebot des Herrn!"
Die Liebe hat Johannes XXIII. liebenswürdig gemacht. Ohne Berührungsängste ging er auf die Menschen zu und zog sie zu sich, nicht nur die katholischen Christen; alle Welt liebte ihn.
Die Wurzel, aus der er lebte, war seine tiefe Frömmigkeit. Er führte ein Leben mit Gott.
Er war ein großer Beter. Es wird berichtet, dass er um 4 Uhr morgens aufstand um zu beten.
Seine Treue zum Herrn fand ihren Ausdruck in der Treue zur Kirche und ihrem Glauben. Als junger Priester sagte er, dass er auch nicht im geringsten vom Glaubenssinn der Kirche abweichen werde. Trotz dieser Treue musste er erleben, dass man ihn verdächtigte und in Rom anzeigte.
Aus der tiefen Verbundenheit mit dem Herrn erwuchs ihm ein unverwüstliches Gottvertrauen. Nach der Ankündigung des Konzils fragte Kardinal Suenens den Papst, wer das Konzil organisiere. Seine Antwort lautete: "Nessuno - niemand". Das klingt nach Leichtfertigkeit, war aber Ausdruck einer heiligen Sorglosigkeit, die eine Frucht seines unumstößlichen Gottvertrauens war.
Nach seinem Tod beschrieb ein amerikanischer Journalist das Geheimnis dieses Papstes so: "Er ging in der Gegenwart Gottes, wie gewöhnlich jemand durch die Straßen seiner Heimatstadt geht." Er selbst sagte einmal in Anspielung darauf, dass er sich auf der Sedia gestatoria tragen ließ: "Das Geheimnis aller Dinge ist, sich von Gott tragen zu lassen und ihn so zu den Brüdern zu tragen." Damit hat er sich selbst beschrieben: Er hat sich von Gott tragen lassen und so Gott zu den Menschen getragen, die ihm alle Brüder und Schwestern waren.
Diesen guten Papst hat Gott erwählt, um durch ihn die Weichen zu stellen für den Weg der Kirche in die Zukunft. Dies geschah durch die Einberufung des Konzils.
Johannes XXIII. hat es einberufen gegen alle Bedenken und Widerstände. Er hat dem Konzil aber auch sein Gesicht gegeben. Was sein Leben bestimmt hat, das hat auch das Konzil geformt.
Der liebenswürdige Papst wollte eine liebenswürdige Kirche; eine Kirche, die sich ohne Berührungsängste den Menschen zuwendet und ihnen mit offenen Armen entgegengeht, wie er es selbst getan hat.
Das ist der Auftrag des Herrn: "Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19).
Die Welt hatte sich gewandelt. Die Kirche musste die Zeichen der Zeit erkennen und deren Herausforderungen annehmen.
Am Abend, an dem er in St. Paul vor den Mauern zum erstenmal öffentlich von dem Vorhaben sprach, ein Konzil einzuberufen, sagte er: "Christus hängt seit 2000 Jahren mit ausgebreiteten Armen am Kreuz. ... Wohin sind wir gekommen mit der Verkündigung der Frohen Botschaft? Wie können wir seine authentische Lehre unseren Zeitgenossen nahe bringen?" In der Verkündigung des Evangeliums und im Leben der Kirche sollten die Menschen Jesus Christus erkennen, der mit ausgebreiteten Armen sie alle zu sich ziehen will.
Dazu sollte sich die Kirche im Konzil auf sich selbst besinnen und auf die Wurzeln, aus denen sie lebt.
Sie muss ohne Abstriche oder Aufweichungen auf dem Boden der göttlichen Offenbarung stehen. Johannes XXIII. sagte, sie müsse die authentische Lehre unseren Zeitgenossen nahe bringen. Das ist nur möglich in der Treue zur ganzen geoffenbarten Wahrheit. "Die Wahrheit ist heilig und unteilbar", sagte unser Seliger in jungen Jahren.
Die Kirche muss eine betende, eine fromme Kirche sein; eine Kirche, die im lebendigen Austausch mit dem Herrn steht und Gott feiert. Auf die Stimme des Herrn zu hören und ihm zu folgen, gehört zum Lebensvollzug der Kirche.
Die Kirche muss sich vom Geist Gottes führen und leiten lassen. Dazu ist ein waches Gespür für das Wehen des Geistes nötig.
All das, wodurch sich die Kirche im Konzil erneuern soll, sind auch charakteristische Züge im Leben Johannes'XXIII., dieses glaubensfesten, tieffrommen Papstes, der sich stets von Gottes Geist leiten ließ.
Was er einmal allgemein formulierte, aber ihn selbst treffend charakterisierte, galt ihm auch für die Kirche: auch sie muss sich von Gott tragen lassen und ihn so zu den Menschen tragen.
Nach dem Tod Johannes'XXIII. schrieb Kardinal Montini, der als Paul VI. sein Nachfolger werden sollte, in einem Nachruf, dieser Papst habe auch für die Zukunft so meisterhaft den Weg vorgezeichnet, den die Kirche nicht mehr verlassen könne. Die Seligsprechung Johannes'XXIII. ist Anlass, uns zu fragen, ob wir, d. h. die Kirche in unserem Land, auf dem von ihm vorgezeichneten Weg sind. Da stellen sich doch einige Fragen.
Ist die Kirche bei uns liebenswürdig, so einladend und anziehend, wie Johannes XXIII. sie sich gedacht hat; eine Kirche, in der die Menschen spüren, hier begegnen wir Gott, der uns liebt?
Stehen wir so treu zum Glauben der Kirche und ihrer Lehre, wie dies für Johannes XXIII. selbstverständlich war? Die Schere zwischen dem Evangelium und dem Denken vieler Zeitgenossen, auch solcher, die sich als Christen bezeichnen, klafft auseinander. Das beginnt schon bei der Frage, wer Jesus Christus ist. Auch unter Katholiken begegnen wir der Meinung, Jesus Christus sei nur einer der großen Religionsstifter. Für uns aber ist er der Sohn des lebendigen Gottes, der Weg, die Wahrheit und das Leben, der alleinige Mittler des Heils für die Welt. Damit hängt das Kirchenbild zusammen. Nicht wenige sehen in der Kirche nur eine Religionsgemeinschaft wie alle anderen. Für uns aber ist sie der Leib Christi, der Ort seiner Gegenwart, das Instrument, durch das er dem Menschen das Heil vermittelt.
Nicht alle hören das gern, was die Kirche glaubt, und schon gar nicht, was sie über die sittliche Lebensgestaltung lehrt: z. B. die absolute Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens, auch das des ungeborenen Kindes; die Unauflöslichkeit der Ehe; die Verbindung der menschlichen Geschlechtlichkeit mit der Ehe. Mit all dem verteidigt die Kirche die Menschlichkeit des Menschen. Aber vielen sind da Prinzipien einer christlichen Sittlichkeit kaum mehr einsichtig zu machen.
In seiner Sozialenzyklika Mater et Magistra nennt Johannes XXIII. die Kirche Mutter und Lehrerin. Das war sie für ihn. Ist sie es auch für uns? Sehen wir in der Kirche unsere Mutter, von der wir das Leben in Christus empfangen haben und die als Mutter unserer Liebe wert ist? Ist sie uns Lehrerin, von der wir uns etwas sagen lassen, oder wissen wir es besser als sie, wenn es um den Glauben und unser Heil geht?
Vertrauen wir wie Johannes XXIII., dass Gott die Kirche führt und leitet? Oder meinen wir, wir könnten die Zukunft der Kirche selbst viel besser gestalten? In seiner Eröffnungsansprache des Konzils wandte sich der Papst gegen die Unglückspropheten, die es besser wissen wollten. Solche selbsternannten Propheten gibt es auch heute, und sie wissen sich Gehör zu verschaffen.
Johannes XXIII. ließ sich von seinem Landsmann Giacomo Manzù modellieren. Die einen waren darüber erstaunt, die anderen entsetzt. Denn Manzù war Lenin-Preisträger und aus der Kirche ausgetreten. Nach Beendigung seiner Arbeit sagte Manzù vom Papst: "Durch ihn habe ich gelernt, besser zu werden." Könnten nicht auch wir vom seligen Johannes XXIII. lernen, bessere Christen zu werden, auf dem Weg zu bleiben, den er der Kirche gewiesen hat, so tief mit Gott verbunden, dass auch durch uns in der Kirche in unserem Land die Liebe Gottes aufleuchtet und die Menschen hinzieht zu ihm? Amen.

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