| Pressemeldung

Predigt von Bischof Walter Mixa, Bischof von Eichstätt, zum Abschluss der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 23. September 1999

Lesung: Joh 17, 6a.11b19

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Wir alle wissen, dass wir am Ende des 20. Jahrhunderts stehen und damit kurz vor dem Neubeginn eines dritten, nachchristlichen Jahrtausends. Für uns als Christen ist es immer wieder wichtig, dass wir zu bestimmten Zeiten, auch bedingt durch besondere Anlässe, eine Standortüberprüfung vornehmen. Diese Tatsache erwartet Jesus von uns mit dem Wort, das als Programmwort über sein Leben gestellt werden kann. Markus vermittelt es als das Wort, mit dem Jesus sein öffentliches Auftreten beginnt: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium.“ (Mk 1,15)

Die Bereitschaft zur Bekehrung, zur Umkehr, noch besser gesagt mit dem hebräischen Wort „teshubah“ – „sich umdrehen“, gehört wesentlich zu unserer christlichen Grundeinstellung.

1. Rückblick und Standortbestimmung
Das 20. Jahrhundert ist neben vielen positiven Entwicklungen im technischen und wirtschaftlichen Bereich von ebensovielen Unmenschlichkeiten, von grausamen Kriegen, vom millionenfachen Sterben von Menschen gekennzeichnet. In keinem Jahrhundert der Menschheitsgeschichte gab es derart technisierte und grausame Kriege wie in unserem Jahrhundert, ausgelöst durch Ideologien wie die des Nationalsozialismus, des Marxismus-Stalinismus und anderer nationalistischer Ideologien. In diesen Vorstellungen von Staat und Gesellschaft und vom Menschen als Einzelwesen, hat sich der Mensch selber an die Stelle Gottes gestellt, sich in den sog. Führergestalten anbeten lassen und alles, was diesen Vorstellungen widersprach, in grausamer Weise ausgerottet.
Ohne Überzeichnung der Tatsachen kann allgemein festgestellt werden: Immer dann, wenn der Mensch sich selbst vergötzt, wenn er an die Stelle Gottes tritt, wird er zum „Wolf“ für seine Mitmenschen.

In wenigen Tagen wird in Rom die Europäische Bischofssynode zusammentreten. Sie wird ganz bewusst in diesem zeitlichen Übergang einen Kontrapunkt setzen gegen eine nur innerweltliche Sicht der Menschheitsgeschichte. Das Thema ist herausfordernd: „Jesus Christus, der lebt in seiner Kirche, Quelle der Hoffnung für Europa“!
Diese Aussage kann nicht als frommes Propagandawort oder gar als unrealistisches Schlagwort abgetan werden, da sie ihren Grund hat im innersten Wesen Jesu Christi selber, das uns Johannes in seinem Evangelium, im sog. „hohenpriesterlichen Gebet“, vermittelt. Wir haben eben dieses Gebet Jesu gehört und es muss uns zuinnerst berühren. Durch das Beten Jesu wird deutlich, dass es keine Verehrung Jesu bzw. Begeisterung für ihn geben kann, wenn ich die Kirche ablehne. Ohne die Kirche gibt es kein in sich begründetes und wahres Bekenntnis zu Jesus Christus und ohne die Ausrichtung auf Jesus Christus, ohne die Bereitschaft zur fortwährenden Umkehr auf ihn hin, kann es keine Kirche geben.

2. „Jesus Christus, der lebt in seiner Kirche“
„Jesus Christus, der lebt in seiner Kirche“ – diese Aussage erklärt uns, was Kirche in ihrem innersten Wesen ist. Das Wort Kirche hat seinen Ursprung in dem griechischen Hoheitstitel „kyrios“. Kirche ist also die Gemeinschaft all der Menschen, die sich zu dem „kyrios“ bekennen, die sich bekennen zum gekreuzigten Jesus von Nazareth, die sich bekennen zum auferstandenen Christus. Durch dieses Bekenntnis wird immer wieder neu Kirche begründet, das heißt es kommt zur „communio“, in dem wir Einheit mit Jesus Christus und Einheit untereinander bilden. Gerade diese Einheit ist es aber, um die Jesus, gleichsam als unser Fürsprecher, zu Gott, seinem Vater, betet. Diese Einheit hat ihr Fundament in der Wahrheit, „die Jesus selber ist“ und die Jesus durch seine Wirksamkeit in der Kirche, durch den Hl. Geist, bewahrt und entfaltet. Würde es auf uns Menschen allein ankommen, auch auf uns Amtsträger in der Kirche, dann wäre die Kirche schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert zugrunde gegangen. In einer seiner Schriften in der Auseinandersetzung um die Unfehlbarkeit der Kirche und um ihren Bestand in der von Gott in Jesus geoffenbarten Wahrheit formuliert es Karl Rahner ungefähr in diesen Worten: „Jesus Christus selber, das unbesiegbare Wort Gottes, geht mit der Kirche und in der Kirche durch die Jahrhunderte und durch die Jahrtausende. Deshalb kann die Kirche im Wesentlichen ihres Glaubens und ihrer christlichen Lebensgestaltung vom Irrtum nicht mehr überwunden werden!“

Bei all den vielen menschlichen Verirrungen und auch Fehleinschätzungen in der langen Geschichte der Kirche ist es doch eine Tatsache, dass sie im Wesentlichen ihres Glaubens niemals von der ursprünglichen Wahrheit abgewichen ist, nichts weggenommen oder hinzugefügt hat an der Hinterlassenschaft Jesu Christi im Neuen Testament. Auch nach Krisenzeiten hat sie sich neu zur Umkehr bereitgemacht. Diese Tatsache ist nicht zurückzuführen auf menschliche Tugendhaftigkeit, sondern ist dadurch begründet, dass Jesus Christus wirklich in seiner Kirche lebt und - wie es gerade auch in unserem Jahrhundert deutlich geworden ist – durch keine Macht dieser Welt besiegt werden kann.
Diese in sich begründete Wirklichkeit lässt deshalb die Aussage zu, dass Jesus Christus „Quelle der Hoffnung für Europa“ ist.

3. Jesus Christus als „Quelle der Hoffnung für Europa“
„Hoffnung“ ist ein Wort, dass eine urmenschliche Sehnsucht zum Ausdruck bringt. Eine Sehnsucht nach Liebe, eine Sehnsucht nach einem gelungenen Leben, ja noch mehr eine Sehnsucht nach einem unbegrenzten Leben. Der französische Philosoph Gabriel Marcel umschreibt es in einer seiner Schriften so: „Einen Menschen lieben, heißt ihm sagen: Du wirst leben!“ Mit diesem „du wirst leben“ ist gemeint, dass unsere Hoffnung, unsere Erwartung auf Liebe und Leben keine Täuschung ist und nicht ins Leere geht. Diese Hoffnung feiern wir Christen Sonntag für Sonntag in unserem Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus. Wir wissen alle, dass viele unserer bundesdeutschen Mitbürger den Begriff „Hoffnung“ nicht in dieser Vorstellung mit uns teilen. Wir aber können ihnen dennoch zurecht zurufen: „Lasst euch diesen Tag der Hoffnung nicht wegnehmen!“

Der Sieben-Tage-Rhythmus ist das älteste uns bekannte Zeitmaß in der Menschheitsgeschichte. Immer wieder wurde versucht, dieses Zeitmaß zu verändern, ein Versuch, der auch in nicht christlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts misslungen ist. Verständlicherweise setzen sich gerade die Arbeitnehmer, auch durch die Gewerkschaften vertreten, für den Sonntag ein. Besonders hervorzuheben ist der „Kampf für den Sonntag“ durch unsere Katholische Arbeitnehmerbewegung, durch die KAB. Der Sonntag kann in einem umfassenden Sinn wirklich als ein Tag der Hoffnung und auch als teilweise Erfüllung unserer menschlichen Sehnsüchte bezeichnet werden.

Er bietet zunächst einmal jedem einzelnen die Möglichkeit, mit sich selber zur Ruhe zu kommen, auch Stille zu erfahren und sich persönlich Rechenschaft zu geben über den gegenwärtigen Stand meiner Lebensgestaltung und meiner zwischenmenschlichen Beziehungen. Bedenken wir auch die täglichen Forderungen an unsere Kinder und heranwachsenden Jugendlichen. Bereits in der Grundschule werden sie im ländlichen Bereich mit Bussen von einem Ort zu anderen gefahren, in den weiterführenden Schulen ist dies fast zur Regel geworden. Viele Kinder, viele Jugendliche und auch die Erwachsenen nehmen ihre Mahlzeiten während der Woche allein und zu verschiedenen Zeiten ein. Nur noch der Sonntag ist der Tag, an dem wir zusammenkommen zu einer gemeinsamen Mahlzeit und uns auch gegenseitig beim gemeinsamen Essen als Menschen erfahren, die sich etwas bedeuten. Der Sonntag lässt uns erkennen, dass wir uns gegenseitig brauchen und Zeit haben, um mit dem Ehepartner, die Kinder mit den Eltern, die Eltern mit den Kindern über Dinge ins Gespräch kommen, wofür uns sonst die Zeit und die Ruhe fehlt. Ein Ausflug, ein Besuch bei Bekannten oder guten Freunden ist doch oft nur an diesem Tag möglich, an dem eben alle frei haben.

4. Einheit von Glaube und Leben
Im Artikel 140 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (aus der Weimarer Verfassung übernommen) ist es mit einem Satz umschrieben: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“

Nicht zuletzt dient der Sonntag auch der „seelischen Erhebung“! Für uns als Christen ist er besonders der Tag der Hoffnung, da wir uns zur Liebe des gekreuzigten Jesus bekennen, zu einer Liebe, die stärker ist als alles Böse, die stärker ist als unser Sterben. Gerade durch die Feier der Eucharistie am Auferstehungstag Jesu Christi, sicher auch an jedem anderen Tag, erfahren wir, dass Jesus Christus in seiner Kirche lebt, dass er für uns beim Vater eintritt. Daraus gewinnen wir die Kraft, uns im täglichen Leben als glaubende Menschen, als Christen zu bekennen und uns nicht von einer nur innerweltlichen Denk- und Lebensweise aufsaugen lassen.

Diese Hoffnung, dieses Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, macht uns bereit, dass wir entsprechend dem Gebet Jesu uns nicht von dieser Welt absondern, uns auch nicht als „etwas Besseres“ in dieser Welt fühlen, sondern dass wir die Botschaft des wahren Glaubens, der berechtigten Hoffnung und der treuen Liebe hineintragen in diese Welt und an einer Verwandlung dieser Welt mitwirken. Das ist freilich wie zu jeder Zeit der Kirchengeschichte eine große Herausforderung und zeigt sich gerade auch in der gegenwärtigen Situation unserer Bundesrepublik Deutschland.

Die Verunsicherung über die Beurteilung des menschlichen Lebens von seinem Ursprung bis zu seinem irdischen Ende ist in unserer Gesellschaft fast uferlos geworden. Mit einer in sich unbegründeten Selbstverständlichkeit wird das sog. „Selbstbestimmungsrecht“ der Frau und auch des Mannes über das Leben eines zu erwartenden Kindes gestellt. In Verbindung mit dem Begriff der Euthanasie haben wir gegenüber alten und pflegebedürftigen, aber auch gegenüber behinderten Menschen eine ähnliche Denkweise vor uns. Es geht um Leben und Tod, um Tod und Leben! Hier müssen wir als Christen eindeutig Stellung beziehen und zwar gegen eine „Kultur des Todes“ für eine „Kultur der Liebe und des Lebens“. Wir Christen in der katholischen Kirche Deutschlands haben bei all unseren menschlichen Grenzen während der vergangenen Jahrzehnte durch unsere vielen Hilfswerke weltweit geholfen und helfen im eigenen Land gerade auch durch unsere verschiedenen Beratungsstellen unterschiedlicher kirchlicher Träger. Wir sind immer unmissverständlich eingetreten für den Wert, für die Würde und für die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, ob geboren oder ungeboren. Diesen Einsatz müssen wir unbedingt weiterhin leisten, gegebenenfalls auch gegen Widerstände und Unverständnis im eigenen Land. Wir müssen alle Kräfte einsetzen, um besonders Frauen, die ein Kind erwarten, aber auch den Vätern und der Umgebung der Betroffenen menschlich und materiell zu helfen. Gleichzeitig gilt es, das Bewusstsein für den Wert und die Einmaligkeit des menschlichen Lebens zu schärfen. Wir dürfen uns in der Gemeinschaft der Kirche nicht auseinanderdividieren lassen, sondern müssen in der Wahrheit fest stehen und eins sein in ihr, die „Jesus Christus selber ist.“ Nur durch Einheit im ursprünglich geoffenbarten Glauben und in der Liebe, durch Einheit auch in der weltweiten Gemeinschaft der Kirche werden wir überzeugend den Glauben an Jesus Christus bekennen und ihn selber bezeugen als die Hoffnung für unser Leben und für unser Sterben!

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