| Pressemeldung

Predigt von Bischof Heinz Josef Algermissen (Fulda) in der Schlussandacht der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am Donnerstag, 27. September 2001

Mit der Inbesitznahme des Landes Kanaan erfüllt sich für die Stämme Israels nach einem 40-jährigen erschöpfenden Wüstenzug die große Zusage jenes Gottes, der sich aus dem brennenden Dornbusch als Jahwe, als "Ich bin der Ich-bin-da" (Ex 3,14) offenbart hatte. Was im heilsgeschichtlichen Credo, der Glaubensvergewisserung des alttestamentlichen Gottesvolkes, zur Sprache kommt, ist eingelöst: "ER brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen" (Dtn 26,9). Mit solcher Gabe ist die Verheißung restlos erfüllt.
Insofern hat die Bilanz am Ende des 21. Kapitels des Buches Josua eine theologische Schlüsselstellung: "Keine von all den Zusagen, die der Herr dem Haus Israel gegeben hatte, war ausgeblieben; jede war in Erfüllung gegangen" (Jos 21,45). Dieses große Fazit hat aber auch einen deutlich vernehmbaren warnenden Unterton: Wie seine Verheißungen - so wird Gott auch seine Drohungen im Falle des Ungehorsams und Treuebruchs in Erfüllung gehen lassen (vgl. Jos 23,11 f.).
Die letzten beiden Kapitel des Buches Josua, aus denen unsere Lesung entnommen ist, stammen nach Erkenntnissen der neueren Bibelwissenschaft aus einer Zeit, die für Israel höchst bedrohlich war: Ein Teil des Volkes befand sich im babylonischen Exil (586 bis 539 v. Chr.). Die Gefahr, sich da anzupassen, sich opportunistisch mit dem Milieu abzufinden, das Israel umgab, war sehr groß. Daher wird auch die Geschichte der Landnahme nach dem Auszug aus Ägypten und dem Wüstenzug im Sinne eines Rückblicks unter dem Eindruck der Gefahr der Anpassung geschrieben.
Es geht um die Existenzfrage:
Ist es möglich, das Volk in seiner Treue Gott gegenüber zu erhalten, oder wird es sich hinein in eine Vielzahl von fremden Gebräuchen und Lebensweisen und angesichts fremder Götter selbst auflösen?
Für Josua, den Nachfolger des Mose, gibt es nur den Weg, ja oder nein zu sagen. Und so fordert er die Stämme Israels auf: "Entscheidet euch heute, wem ihr dienen wollt! ... Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen. Das Volk antwortete: Das sei uns fern, dass wir den Herrn verlassen und anderen Göttern dienen." (Jos 24,15 f.)
Mit solchem Lippenbekenntnis gibt sich Josua allerdings nicht zufrieden. Den Worten müssen Taten folgen: "Schafft also jetzt die fremden Götter ab, die noch bei euch sind, und neigt eure Herzen dem Herrn zu, dem Gott Israels!" (Jos 24,23)

Was geht uns diese alte Geschichte an? Das ist die Frage.
Welchen "Sitz im Leben" hat sie?
Finden wir Parallelen in unserer Zeit?
Können wir die Josua-Geschichte einholen in unsere Lebenswirklichkeit hinein?
Israel musste sich damals entscheiden zwischen dem Gott des Bundes und den Göttern Kanaans, die ihren Verehrern Glück und schnellen Wohlstand versprachen. Im Grund sind das die gleichen Götter, die sich zu allen Zeiten Menschen untertan machen. Es sind die "goldenen Kälber", vor denen sich so viele heutzutage verneigen: Macht und Konsum, Sexualität und schnelle Befriedigung nach dem Motto "Alles - und zwar sofort!"
Wir stehen wie Israel damals im Spannungsfeld zwischen Bindung und Lösung, zwischen treuem Festhalten am gegebenen Versprechen und dessen baldiger Aufgabe. All zu viele Versprechen entpuppen sich all zu schnell als billige Versprecher.
Wir erleben Entscheidungs- und Bindungsschwäche, auch Scheitern und Trennung. Viele Biographien sind von Brüchen und tiefen Verwundungen durchsetzt. Das betrifft unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch unsere Beziehung zur Glaubensgemeinschaft Kirche.
Dahinter steht, wie ich es wahrnehme, eine Befindlichkeit in unserem gesellschaftlichen Umfeld, die wenigstens kurz zur Sprache kommen soll:
Ziemlich hemmungslos versuchen immer mehr Menschen, ihren gefassten Lebensplan durchzusetzen, sich autonom selbst zu verwirklichen. Selbstverwirklichung wird praktiziert bis zur Selbsterschöpfung.
Mit jeder Bewegung auf dem Spielfeld ungebundener Freiheit gehen Abbrüche von Beziehungen einher und die Aufkündigung von Treue. Je mehr sich eine oder einer im Gebrauch seiner Freiheit ohne Rücksicht auf Verluste selbstverwirklicht, desto größer wird der Abstand zu anderen. Solche Haltung fand ich vor einigen Wochen, auf eine Hauswand der Paderborner Innenstadt gesprüht, ausgedrückt: "Tu, was du willst. Dann ist alles möglich und du bist frei."
Die Mentalität der Verbilligung ist überall zu spüren - bis hinein in unsere Kirchengemeinden: Gewissen ohne Gebote, Ehe ohne Kinder, Sonntag ohne Gottesdienst, Jesus Christus ohne Kirche, Leben ohne Kreuz.
Das alles bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die innere Bindekraft der Kirche wie der Gesellschaft. Als Indikatoren gelten psychische Labilität, Vandalismus, steigende Kriminalität, Anspruchsdenken und allgemeine Gleichgültigkeit.
Unsere Kirche muss als "Sprachrohr Gottes" gegen diesen Trend angehen und deutlich machen: In aller Veränderung bleiben Gottes Gebote und Jesu Worte zeitlos gültig.
Kritisch wird es, wenn sie den gut gemeinten Versuch unternimmt, durch Anpassung an "moderne" Lebensweisen einen Zerfall der Kirchlichkeit zu stoppen. Ich denke da z. B. an peinliche liturgische Experimente, an die mitunter krampfhaften Aktionen, den Gottesdienst zu "modernisieren", um etwa auch Jugendliche anzusprechen und der Kirche den Anstrich weltlicher Aktualität zu geben. Solcher Art Versuche müssen scheitern, weil sie, wie ich glaube, immer zu flach ansetzen und dem Zeitgeist nachlaufen.
Kommen wir auf unseren biblischen Text zurück. In ähnlicher Situation beschreitet Josua einen Weg, der mich nachdenklich macht:
Kein Versuch einer Versöhnung zwischen den Göttern Kanaans und dem Gott des Bundes, keine Erlaubnis, das eine zu tun und das andere auch nicht ganz zu lassen! Nein, Josuas Ruf ist radikal: "Entscheidet euch!" (Jos 24,15) Und er gibt seinem Volk selber ein Zeugnis: Auch wenn ihr euch gegen den Herren entscheidet, ich und meine Familie wollen dem Herrn dienen (vgl. Jos 24,15).
Vor dieser Aufforderung zur Entscheidung hält Josua einen Rückblick in die Geschichte Israels, von Abraham angefangen bis hin zur Ankunft im verheißenen Land. Immer wieder, so zeigt die deutende Rückschau, hat Gott es mit Israel gut gemeint. Er hat das Volk in der und durch die Wüste gerettet. Josua und die Seinen sagen zu diesem treuen Gott ihr Ja.
Und dennoch steht es dem Volk frei, sich an diesen Gott, mit dem sie so viele befreiende Erfahrungen machen konnten, zu binden oder sich von ihm loszusagen. Aber nach dem Blick auf die eigene Geschichte kann auch das Volk mit einer Stimme rufen: "Auch wir wollen dem Herrn dienen; denn er ist unser Gott". (Jos 24,18)
Besorgt frage ich mich und Sie: Wie schaffen wir es, aus dem großen Leerlauf der Gleichgültigkeit herauszukommen und unter heutigen Bedingungen die Herausforderung eines solchen Entscheidungsprozesses anzunehmen?
Ich habe die Botschaft an die Gemeinde von Laodizea aus dem dritten Kapitel der Geheimen Offenbarung vor Augen: "Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien." (3,15 f.)
Ich glaube zutiefst, dass uns eine Einsicht und eine Frage Jesu zu einem entscheidenden Schritt helfen können.
Die Einsicht wurde mir durch eine alte jüdische Geschichte vermittelt, von Martin Buber überliefert: Rabbi Meir begann zu reden: "Wenn einer Rabbi und Führer wird, müssen alle nötigen Dinge da sein, ein Lehrhaus und Zimmer und Tische und Stühle, und einer wird Verwalter, und einer wird Diener und so fort. Und dann kommt der böse Widersacher und reißt das innerste Pünktlein heraus, aber alles andere bleibt wie zuvor, und das Rad dreht sich weiter, nur das innerste Pünktlein fehlt". Der Rabbi hob die Stimme: "Aber Gott helfe uns, man darf es nicht geschehen lassen!"
Ist das nicht unsere Situation? Das Rad dreht sich weiter: Gottesdienste finden statt, es wird Religionsunterricht gehalten, die Gemeinden machen manches los, die Glocken läuten, im Fernsehen kommt das Wort zum Sonntag. Aber was ist mit dem innersten Pünktlein? Gott scheint verloren zu gehen. Und damit befinden wir uns in einem tragischen Leerlauf. All die erschöpfenden Strukturdebatten in den Räten und Gremien laufen ins Leere ohne Umkehr zu Gott. Wir kommen nur raus aus dem Dilemma, wenn wir IHN in Jesus Christus finden als Herz unseres Lebens und unserer Kirche. Nur in IHM können all unsere Pastoralpläne ihr Fundament finden.
Kommen wir nach dieser Einsicht zur Schlüsselfrage. Der Großteil der von mir ausgewählten Lesung aus dem Buch Josua ist am 21. Sonntag des Lesejahres B mit einem Abschnitt aus dem 6. Kapitel des Johannes-Evangeliums verbunden. Die Liturgie der Kirche gibt uns da einen ganz wesentlichen Hinweis.
Im Verlauf der sogenannten Brotrede Jesu kommt es zu einer tiefen Krise. "Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten, sagten: Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören?" (Joh 6,60) "Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen?" (Joh 60,66 f.) Wohlgemerkt, Jesus sagt nicht: "Schön, dass wenigstens ihr geblieben seid." Im Gegenteil, er provoziert mit dieser Frage eine eindeutige Entscheidung für oder gegen ihn. Die Krise wird zur Stunde der Wahrheit.
"Wollt auch ihr weggehen?", das ist die Schlüsselfrage. Erst wenn wir sie an uns heranlassen, aushalten, nicht verdrängen, erst wenn wir uns wirklich entscheiden und Jesus Christus neu finden, können wir selbst überzeugt und andere überzeugend zum alles verändernden Bekenntnis finden: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens." (Joh 6,68). Dann betreten auch wir "gelobtes Land".

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