| Pressemeldung | Nr. 096

Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in der Eucharistiefeier an Fronleichnam in Frankfurt am Main

Liebe Geschwister im Glauben,

zu jeder liturgischen Feier gehören Signalrufe, die sogenannten Antiphonen (ein Wort griechischen Ursprungs, das so viel bedeutet wie „gegentönend“). Da wird angesagt, worum es geht. Da wird zu Beginn und an besonderen Stellen fokussiert, was dran ist, wenn wir feiern. Zwei dieser Signalrufe vom Fronleichnamstag möchte ich mit Ihnen durchdenken. Sie können uns verstehen helfen, was uns hier und heute zusammenbringt – und warum es sinnvoll ist, an diesem besonderen Tag einmal unsere Kirchenräume zu verlassen und hier auf dem berühmten Römerberg mitten in der Stadt öffentlich zu feiern.

„Er hat uns mit bestem Weizen genährt und mit Honig aus dem Felsen gesättigt“ (vgl. Ps 81,17): So klingt der Eröffnungsruf der Fronleichnamsmesse. Heute danken wir für die Fürsorge Gottes, die wir als Einzelne und als sein Volk in dieser Welt erfahren. Und der große Bogen der Dankbarkeit verbindet uns mit dem Volk des Ersten Bundes, das in der Not der Wüstenzeit erfahren durfte: Unser Gott sieht unsere Not; er eilt herbei, wenn wir hungern und dürsten; und nicht nur das Nötigste gibt er uns, er gönnt besten Weizen und süßen Honig. Das hat das Überleben Israels gesichert, bevor es im eigenen Land die neue Freiheit entfalten konnte.

„Bester Weizen“ ist derweil knapp. Der ungerechte Überfall Russlands auf die Ukraine bedroht die Weltversorgung. Ausländische Frachtschiffe liegen in den Häfen am Schwarzen Meer fest. Ob die Ernte dieses Jahres die Bedarfe decken kann, ist mehr als fraglich. Russland verkauft als der weltgrößte Weizenexporteur seine eigenen Vorräte – auch, um die finanziellen Einbrüche aufgrund der Sanktionen abzufedern; und gleichzeitig stiehlt es in großem Umfang Getreide aus den besetzten Gebieten der Ukraine. Dabei macht bislang der Weizen aus der Ukraine etwa allein in Äthiopien 45 Prozent des Gesamtimports aus. Putin setzt auf Hunger als politisches Druckmittel, um abhängige Staaten der südlichen Hemisphäre politisch gefügig zu machen und auf andere Druck auszuüben (vgl. Friedrich Schmidt, Putin setzt auf Hunger, in: F.A.Z., Nr. 118, 21. Mai 2022, 2).

Noch vor wenigen Jahren sah es so aus, als könnte die weltweite Unterernährung von hunderten Millionen Menschen durch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen in der Millenniumserklärung vom 9. September 2000 tatsächlich erheblich gemindert werden. Aber durch Kriege, Korruption und terroristische Bedrohung wächst der Hunger wieder. Afghanistan, Somalia und Mali gehören zu den Ländern, in denen heute nahezu 90 Prozent der Bevölkerung unter akutem Hunger leiden. In der Ukraine selbst erinnert die Brutalität der Menschenrechtsverletzungen viele an die Hungersnot der Jahre 1932 und 1933, bei der von der verheerenden stalinistischen Politik herbeigeführt vier Millionen Menschen starben. Tötung durch Hunger, „Holodomor“: Ein eigener Begriff versucht, dem Schrecken gezielter Vernichtung einen Ort des Erinnerns gegen das Vergessen zu sichern.

„Bester Weizen“: Wenn wir hier um den Tisch des Herrn versammelt sind, seine Güte und Freundlichkeit feiern und das Brot des Lebens empfangen, dann wollen wir uns auch in die Verantwortung nehmen lassen. „Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Lk 9,13), sagt Jesus im Evangelium. Und wenn wir uns nach der Heiligen Messe mit dem Brot des Lebens auf den Weg machen, wollen wir daran denken, dass täglich „Fronleichnamsprozessionen“ durch die Welt ziehen (vgl. Vincenzo Paglia, Das Wort Gottes jeden Tag. Liturgisches Jahr 2021/2022, Würzburg 2021, 251): Prozessionen von Armen in unseren Städten, von Geflüchteten an den Grenzen und die unübersehbare Zahl derer, die fern von uns in Not ihr Dasein fristen. Sie alle gehören zum „Leib Christi“ (gemäß Mt 25). Und immer noch werden sie durch Meere, Mauern und Stacheldraht aufgehalten, damit sie nur nicht hereinkommen und am gemeinsamen Tisch Platz nehmen. Haben sie nicht alle das Recht zu leben? Mir kommen die Worte des großen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus (349–407) aus dem 4. Jahrhundert in den Sinn, der mahnte: „Wenn ihr den Leib Christi verehren wollt, dann verachtet ihn nicht, wenn er nackt ist. Ihr könnt den eucharistischen Christus nicht mit seidenen Stoffen verehren, wenn ihr gleichzeitig vor dem Gotteshaus den anderen Christus verachtet, der von Kälte und Nacktheit geplagt wird.“ Mehr braucht es nicht, um deutlich zu machen, welche Pflicht für uns aus dem heiligen Spiel von Fronleichnam erwächst.

Ein zweiter Signalruf, der zu denken gibt; diesmal ist es eine Antiphon aus der Vesper vom heutigen Hochfest: „Den Kelch des Heils will ich erheben, ein Opfer des Dankes will ich dir bringen.“ Sie ist dem Psalm 116 entnommen. Wer könnte die Bilder und die Stimmung vom Fest auf dem Römerberg vergessen, mit dem 8.000 jubelnde Eintracht-Fans hier und 100.000 in der ganzen Innenstadt ihre Jungs nach dem Finaltriumph in Sevilla frenetisch gefeiert haben. Eine Stadt im Ausnahmezustand, und viele zu Hause haben mitgefeiert und gejubelt. Torwart Kevin Trapp war der erste, der den silbernen Pokal in die Höhe reckte. Und als Kapitän Sebastian Rode es ihm gleichtat, sagte er: „Hier ist das Ding, jetzt lasst uns weiter feiern“.

„Den Kelch des Heils will ich erheben.“ Anklänge an die liturgische Feier der Messe sind nicht zu bestreiten. Das heilige Spiel und die weltlichen Spiele nutzen gleichermaßen menschlich anrührende Gesten. Kelch und Pokal, Siegeszeichen, die die Gemeinschaft stärken. Aus dem einen Kelch trinken – bis zum Ausbruch der Pandemie war das jedenfalls guter Brauch, und es bedurfte keiner langen Erklärung, worin der Sinn besteht. Und wenn in der Fußballwelt von Schweiß und Tränen, Kampf und Opfer, Sieg und Niederlage die Rede ist, dann weiß jeder Fan diese Begriffe mit Erinnerungen und Emotionen zu füllen. Schweiß und Tränen, Kampf, Niederlage, Opfer und Sieg – im Gedenken an den Abend vor seinem Tod, an dem Jesus uns mit der Feier der Eucharistie seine Lebenshingabe für alle Zeiten geschenkt und uns aufgetragen hat, dies zu seinem Gedächtnis zu tun, bis er wiederkommt –, dann hat das für uns Christen die größte emotionale Dichte und tiefste Bedeutung. Siegern gesellt man sich gerne zu, ihnen sind Jubel und Anerkennung sicher. Mit der Eucharistie als einem österlichen Mahl tun auch wir uns leicht. Doch warum fällt es uns immer schwerer, auch den Gedanken des Opfers mit der Heiligen Messe zu verbinden? Dabei haben doch Verzicht und aufopferungsvoller Einsatz in den vergangenen zwei Jahren unendlich viele Leben gerettet und andere vor dem Verzweifeln bewahrt. Und was ist mit den mutigen Ukrainern und Ukrainerinnen, denen die Freiheit ihres Landes offenbar mehr wert ist als ihr Leben, sodass sie sich den Angreifern entgegenstellen? Opfer, das ist eine Realität unseres Lebens. Hier ist es geheimnisvoll gegenwärtig als das Lebensopfer unseres Herrn Jesus Christus. „Ich will den Kelch des Heils erheben, ein Opfer des Dankes will ich dir bringen.“ Die Lehre daraus lässt sich schlicht und einfach formulieren: Christ bin ich nicht für mich. Christ ist man für andere. So leben wir, was uns das Opfermahl der heiligen Eucharistie lehrt. So sind wir, was wir empfangen – wie der heilige Augustinus (354–430) einmal gesagt hat.

Liebe Geschwister im Glauben, zwei Signalrufe, die zeigen: Die Eucharistie ist wahrhaftig eine Feier des Lebens, so wie es ist. Und sie gehört mitten in die Welt, heute auf den zentralen Platz unserer Stadt. Denn die Wunden dieser Erde, die Siege und Niederlagen der Menschen, Freude, Angst und Zuversicht haben ihren Sinn – und sie werden durch die Liebe Christi verwandelt. Am Ende werden Gerechtigkeit und Friede siegen, und alles wird neu. Feiern wir jetzt diese große Hoffnung und freuen uns daran.
 

Lesungen: Gen 14,18-20; 1 Kor 11,23–26
Evangelium: Lk 9,11B–17



Hinweis:

Die Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing ist untenstehend als pdf-Datei zum Herunterladen verfügbar.

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