| Pressemeldung

Predigt von Bischof Dr. Gebhard Fürst, Rottenburg-Stuttgart, im Abschlussgottesdienst der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Hohen Dom zu Fulda am 28. September 2000

Sehr verehrte Herren Kardinäle, liebe Mitbrüder im bischöflichen Amt, liebe Schwestern und Brüder!
Für die Einladung, am Ende dieser Herbst-Vollversammlung die Abschlusspredigt zu halten, danke ich Ihnen. Es ist für mich ein wichtiges Zeichen, dass der erste Dienst, den ich in unserer Konferenz tun darf, das "officium praedicandi", die Auslegung des Wortes Gottes, ist. Denn dazu besonders ist der Bischof bestellt. Der Weiheritus mit dem über dem Haupt des zu Weihenden aufgeschlagenen Evangeliar verdeutlicht dies im sprechenden Zeichen. - Von ganzem Herzen danke ich Ihnen allen aber auch, dass Sie alle mich, den Neuen, so freundlich und kooperativ aufgenommen haben.
Ohne daran zu denken, dass am Fest der Heiligen Cosmas und Damian, dem Tag des Eröffnungsgottesdienstes, der Philipperhymnus in der Leseordnung steht, habe ich ihn als Lesungstext für den Abschlussgottesdienst ausgesucht. Ich deute es als gute Fügung, dass so unsere Konferenz eingerahmt ist durch den wohl ältesten Hymnus auf Jesus Christus und sein Herabsteigen aus der Gottgleichheit zu uns in unsere Menschenwelt und auf seine Menschwerdung um unseres Heiles willen. Aus der Konzentrierung des Philipperhymnus auf Jesus Christus erwächst für alle Christen eine tiefe Gemeinschaft, die Differenzen in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Im Philipperhymnus werden wir, die an Christus glauben, aufgefordert, einander so gesinnt zu sein, "wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht". Diese christliche Gesinnung ist nicht einfach nur eine Weltanschauung oder eine ethische Weisung. Es geht auch nicht bloß darum, gemäß den Instruktionen Christi zu leben, sondern es geht darum, dass wir in ihm leben, wie es auch der Erste Johannesbrief hervorhebt: "Wer sich aber an sein Wort hält, in dem ist die Gottesliebe wahrhaft vollendet. Wir erkennen daran, dass wir in ihm sind." (1 Joh 2,5) Denn "in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir" (vgl. Apg 17,28). Das "Leben in Christus" bezeichnet die Tiefendimension unseres Glaubens nicht nur an Gott, sondern in ihm und auf ihn hin. Diese "Revolution in der Gesinnung" - so eine Formulierung Immanuel Kants - macht christliche Existenz letztlich aus. Keiner hat diese Radikalität des Christusglaubens am Anfang der Kirche mehr betont und vorgelebt als der Apostel Paulus. An die Galater schreibt er: "Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir." (Gal 2,20) Und weiter bekennt Paulus von sich selbst: "Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat." - Ein mich immer wieder bewegendes Bekenntnis: "Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat."
In diesem Zeugnis stecken zwei Überzeugungen, die nicht nur für die frühe, noch ganz junge Kirche, sondern auch für uns heute von grundlegender Bedeutung sind. Zum einen: Gott liebt die Menschen; er liebt sie so sehr, "dass er seinen eigenen Sohn hingibt" (vgl. Joh 3,16). Und zum anderen: Gott gibt seinen Sohn, und der Sohn gibt sich selbst für mich, für uns, für die vielen, für die Menschen. Gott geht es um den Menschen, nicht allgemein und abstrakt, sondern ganz konkret um jeden einzelnen von uns. Er bleibt nicht für sich, sondern teilt sich selbst mit, tritt in Beziehung. Gott liebt uns und gibt sich in seinem Sohn für uns. Dies ist die frohe Botschaft, die Botschaft vom Heil in Christus Jesus: "Propter nos homines et propter nostram salutem descendit ..."

Ich habe mir diesen Bekenntnissatz aus dem Großen Glaubensbekenntnis, der sich aber schon zu frühester Zeit, etwa bei Klemens von Rom, findet, als Leitwort meines bischöflichen Dienstes gewählt. "Um unseres Heiles willen" gibt den Grund und das Ziel der Geschichte Gottes mit uns Menschen an. Gott hat durch Jesus Christus und in ihm zum Heil der Welt und zum Heil der Menschen gehandelt. Das schließt ein, dass Gott das Gelingen unseres Lebens will, bis wir die Vollendung in ihm finden. Unter Berufung auf Dietrich Bonhoeffer formulierte mein Vorgänger Walter Kasper deshalb: "Jesus ist der Mitmensch schlechthin", er ist "der Mensch für andere Menschen. Sein Wesen ist Hingabe und Liebe." (D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 205; W. Kasper, Jesus der Christus, 256 f.)

"Propter nostram salutem", darin sehe ich aber auch ein programmatisches Leitwort für den Dienst unserer Kirche in der Welt von heute. Freilich bläst der Kirche hierzulande gegenwärtig der Wind mächtig ins Gesicht. Dies sollte uns aber nicht Anlass zur Klage und Resignation sein, sondern Ansporn, die Botschaft vom Heil in immer neuer Weise zu verkünden und zu bezeugen. Jesus selbst beruft uns dazu, wie er seine Jünger ermunterte: "Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht." (Joh 14,27) Denn er beruft uns zu Boten des Heiles, eines Heiles, wie es die Welt nicht gibt und nicht geben kann. (vgl. ebd.)

Liebe Mitbrüder, ich glaube, dass gerade in der heutigen Krise oder Umbruchsituation des Gottesglaubens der Philipperhymnus uns etwas sehr Grundlegendes zu sagen hat. Denn das "Für uns" Gottes deutet der Philipperhymnus als Entäußerung, als "Kenosis", als Ausgang Gottes aus sich selbst: "Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave". Der Kirche und allen, die sich in die Nachfolge Christi begeben, ist damit alles andere als eine Karriere einer alles andere dominierenden Kultur verheißen. Gott selbst durchkreuzt im Kreuz Christi jede triumphalistische Vergegenständlichung seiner selbst (vgl. J.-L. Marion, Dieu sans ..). Indem er selbst sein Gottsein nicht wie eine Beute für sich behält, sondern die Gestalt des Dieners annimmt, durchkreuzt er unsere menschliche, allzu menschliche Neigung, ihn wie ein Idol festzuhalten und ihn, sei es als ideologisches Fundament eines Gesellschaftsprogramms, zu instrumentalisieren.

"Propter nostram salutem descendit" - Liebe Mitbrüder, im Lichte des Grundgedankens des Philipperhymnus kommt dem "descendit" große Bedeutung zu. In einer Zeit in der die allermeisten aufsteigen wollen, ist einer herabgestiegen! Unter der Perspektive der Seelsorge steckt darin das Grundprogramm einer Kirche, die sich wie Christus selbst den Menschen um ihres Heiles willen zuwendet. Als Seelsorger in Christi Namen können wir nur auf Augenhöhe, von Angesicht zu Angesicht, mit den Leuten verkehren. Die Frohbotschaft vom Heil in Gott und durch Gott in Jesus Christus soll ja, wie wir es täglich im "Benediktus" beten, konkrete "Erfahrung des Heils" werden (vgl. Lk 1,77). "Er wird uns mit der Erfahrung des Heils beschenken!" So viele sehnen sich heute nach solchen "Erfahrungen des Heils", der Heilung und des Heilseins; und so viele landen dabei an den falschen Adressen, bei den Illusionen des Konsums oder eines esoterischen Religionsersatzes.

Wo kann Heil "manifest", handgreiflich werden in unserer Verkündigung, wenn wir einen Gott verkünden, der nicht nur Instruktionen mitteilt, sondern sich selbst uns "um unseres Heiles willen" offenbart, wie es die Offenbarungskonstitution des Zweiten Vatikanums betont (vgl. Dei Verbum, 11)? Wo kann Heil konkret werden in unserer Caritas und Diakonie, wenn wir einen Gott verkünden, der will, dass wir nicht nur Leben des Leibes, sondern "Leben in Fülle haben" (vgl. Lk 12,4; Joh 10,10)? Wo wird Heil erfahrbar in unseren Gottesdiensten, wenn wir das heilige Gastmahl feiern, in dem Christus selbst sich uns als Speise und Trank schenkt? Wo wird schließlich das Heil "für die vielen" (vgl. Mt 20,28) erfahrbar in der Ausübung unseres Leitungsdienstes, wenn wir jenen Jesus verkündigen, der "nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen" (Mk 10,45)?

Diese Fragen, liebe Mitbrüder, lege ich mir selbst am Beginn meines Dienstes vor. Ich halte sie aber auch als Fragen eines Gewissensspiegels für unsere Kirche am Anfang dieses neuen Jahrhunderts für treffend. Solche Fragen sehe ich als Wegweiser, die unsere Kirche in die Zukunft leiten können. Ich bin gewiss, dass Gott, wie es Klemens von Alexandrien formulierte, durch und mit uns auch heute "viele Sprachen und Formen zur Rettung und zum Heil der Menschen" (Klemens v. Alexandria, Protreptikos I, 8,3) findet.

Amen.


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