| Pressemeldung

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, Mainz, beim feierlichen Eröffnungsgottesdienst der Herbst-Vollversammlung am 24. September 2002 im Hohen Dom zu Fulda

Schriftlesung: Apg 17, 16-34 (Areopagrede des Paulus in Athen)
Wir beschäftigen uns in diesen Tagen mit der Begegnung und dem Dialog mit den Religionen und besonders auch in dieser Vollversammlung mit Leitlinien für multireligiöse Feiern von Christen, Juden und Muslimen. Dabei wollen wir auch die Fragen und Nöte, die der 11. September 2001 an die Menschen und besonders auch die Christen stellt, nach dem Jahresgedächtnis nicht einfach hinter uns lassen.
In diesem Gottesdienst wollen wir uns dabei von der berühmten Areopagrede inspirieren lassen, die Lukas in der Apostelgeschichte dem heiligen Paulus in den Mund legt. Diese Rede des heiligen Paulus ist ein Höhepunkt in der ganzen Geschichte der Ausbreitung des frühen Christentums. Paulus und mit ihm das frühe Christentum scheuen sich nicht, in den Synagogen und auf dem Markt (vgl. 17,17 f) über Jesus zu sprechen. Es waren vor allem Juden und "Gottesfürchtige", also Menschen, die schon ein gewisses religiöses Interesse mitbrachten. Er betrachtet solche Gespräche, da er sie "täglich" führt, wohl als einen gewichtigen Teil seines Auftrags. Aber er ist ja in der Stadt und Metropole griechischer Kultur und Bildung. Da geht es um die Begegnung des Paulus mit den Heiden und des Christentums mit dem hellenistischen Heidentum. So begegnet er den Philosophen, von denen zwei Gruppen mit Namen genannt werden (Epikureer und Stoiker). Er fürchtet sich nicht und diskutiert mit ihnen, auch wenn sie stolz und herablassend, wie das Bildungsbürgertum aller Zeiten sein kann, sagten: "Was will denn dieser Schwätzer?" (17,18) Wer das Evangelium Jesu Christi einer fremden Welt verkünden will, muss auch mit Hohn und Spott rechnen. Sie halten ihn für irgendeinen "Verkünder fremder Gottheiten". Athen ist damals ein Schmelztiegel vieler neuer Religionen und Kulte. Zwar redet Paulus "recht befremdliche Dinge", aber sie möchten doch Genaueres wissen möchten. Außerdem sind sie neugierig: "Alle Athener und die Fremden dort taten nichts lieber, als die letzten Neuigkeiten zu erzählen oder zu hören." (17,21) So wird die ernsthafte Predigt auch in den Tagesklatsch mit hineingezogen. Schließlich sind sie auf dem Areopag angelangt. An dieser Stelle muss Paulus vor gebildeten Heiden eine grundsätzliche Rede halten.
Paulus beginnt mit dem Hinweis auf eine Überfülle von Götterstatuen und heidnischen Altären, die er gesehen hat. Er schmeichelt den Athenern nicht nur, sondern es war damals eine feststehende Aussage, die Athener seien besonders religiös und fromm. Als Paulus diese Götzenbilder sah, "erfasste ihn heftiger Zorn" (17,16). Aber er hatte unter den Heiligtümern einen Altar entdeckt, an den er im Gespräch und in der Predigt anknüpfen konnte. Er sah nämlich eine Altarinschrift: "Einem unbekannten Gott". Meist heißt die Widmung "Den unbekannten Göttern". Wahrscheinlich will Paulus schon seine eigene Verkündigung von Gott vorbereiten. Er geht einfühlsam und zugleich geschickt vor. Er nimmt zunächst einmal auf, was eine erste Kontaktnahme erleichtert. Die Anknüpfung schafft eine Art von Kontinuität und erleichtert das Verständnis. Der freundliche Ton lobt die intensive Frömmigkeit der Athener, was sich freilich nicht auf ihre Götterbilder erstrecken muss. Für Paulus ist wichtig, dass er Menschen ansprechen kann, die suchen und auch schon gewisse Ahnungen bekunden. Der "unbekannte Gott" lädt ja geradezu zur Weiterführung des Gesprächs ein. Nicht anders gehen wir heutigen Prediger und Katecheten vor, wenn wir den Menschen abholen wollen, wo er wirklich ist. Eine solche Anknüpfung und Bejahung mancher gemeinsamer Elemente ist auch für jedes Gespräch mit anderen Religionen unentbehrlich. Paulus macht es uns vor.
Aber es bleibt nicht bei einer höflichen Verbeugung. Paulus geht rasch zur Sache und öffnet seinen Zuhörern zunächst die Augen und Ohren: "Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkündige ich euch." (17,23) Er ist fest überzeugt, dass er den Athenern das Geheimnis dieses unbekannten Gottes entschlüsseln kann. Daran müssten sie ja interessiert sein. Er mutet gerade bildungsbeflissenen Menschen natürlich etwas zu, wenn er sagt, dass sie einen Gott verehren, den sie gar nicht kennen. Es ist nicht ein neuer zusätzlicher Stern am Götterhimmel der damaligen Zeit. Es strömen ja ständig neue Kulte, besonders aus dem Orient, in die Stadt. Paulus geht deshalb auf das Ganze und zeigt, dass hinter dem unbekannten Gott der Eine und Einzige steht, der Himmel und Erde erschaffen hat, nicht in von Menschenhand gemachten Tempeln lebt, das Menschengeschlecht geschaffen hat und bestimmte Räume dem Menschen zum Wohnen angewiesen hat. Es ist ein Gott, der nicht Ausdruck unserer Wünsche ist. Er hat eine unableitbare Selbständigkeit: "Er lässt sich auch nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas" (17,25). Schließlich gibt er ja allem, was ist, Leben und Atem. Paulus knüpft auch hier immer noch ein wenig an die Gottesvorstellung seiner Zuhörer an, aber er zeigt auch die Andersheit dieses Gottes, der der Herrscher der Welt ist und zugleich in unserer Welt gegenwärtig und wirkmächtig ist. Man kann ihn darum auch nicht eingrenzen oder gar über ihn verfügen. Die völlige Bedürfnislosigkeit Gottes ist auch eine oft vorkommende Aussage griechischer Denker, aber faktisch hat man die Götter immer wieder mit bestimmten Funktionen verbunden.
Dies alles nennt Paulus mit einem Wort, das den Griechen und den Juden zutiefst vertraut ist: Gott suchen (vgl. 17,27). Paulus ist wohl auch zunächst zuversichtlich, dass alle Menschen Gott finden könnten. Er geht sogar so weit, dass er von einem "Ertasten", also von einer Art Berühren spricht. Wir Menschen möchten auch in der religiösen Sphäre konkret spüren und mit unseren ganzen Sinnen wahrnehmen. Für Paulus ist das deswegen nicht abwegig, weil Gott "keinem von uns fern ist" (17,27). Er ist uns immer nahe, so dass Paulus diese Nähe sehr konkret zum Ausdruck bringen kann: "Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir". Paulus kommt seinen Zuhörern entgegen, die die Kraft ihrer Götter in dieser Welt erfahren möchten. Ja, hier rücken Gott und Mensch ganz eng zusammen, denn auch die griechischen Dichter sagen ja: "Wir sind von seiner Art". In der Tat gibt es viele solche Äußerungen. Aber Paulus füllt sie von der weltjenseitigen, lebenspendenden Gegenwart Gottes her und verwirft damit ein religiöses Denken, das nur allzu leicht Gott und die Welt identifiziert. Es gibt keine naturhafte Gottesverwandtschaft. Hier tut sich der ganze Riss zwischen dembiblischen Gott und den Götzen auf, wobei auch hier Paulus mitten in der Distanz noch vom Gemeinsamen ausgeht: "Da wir also von Gottes Art sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei wie ein goldenes oder silbernes oder steinernes Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung" (17,29). Paulus bezieht eindeutig Stellung gegen die heidnischen Götzenbilder und alle Idole (vgl. den roten Faden von 17,16.24.25 und Jess 40,19 f; 44,9-20; 46,6 und Weish 13,10).
Trotz dieser Klarheit, mit der die Götzen entlarvt werden, geht Paulus verständnisvoll mit den Athenern um. Gott hat bis jetzt "über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen" (17,30). Aber er verspricht ihnen nicht eine Zeit besserer Erkenntnis, sondern verlangt von ihnen eine radikale Umkehr, weg von ihrer Vielgötterei und der Bilderverehrung. Gott ist zwar groß im Schonen und übt Nachsicht, verlangt aber auch eine konsequente Abkehr von den Götzen. Es ist auch dafür Zeit, denn Gott hat in der Offenbarung Jesu Christi nun den Mann sichtbar gemacht, der, beglaubigt durch die Auferweckung, Gerechtigkeit in die Welt bringen kann. Hier kommt Paulus an sein Ziel. Die ganze Missionspredigt läuft auf Jesus und die Auferstehung hin.
Eigentlich müsste man denken, Paulus habe nun das Gespräch gut eröffnet und könne weiter von Jesus erzählen. Aber hier scheiden sich die Geister. Paulus hat sich zwar mit seiner Botschaft dem hohen geistigen Niveau des Heidentums als geistig ebenbürtig, ja geradezu souveränerwiesen. Aber der Spott des Anfangs (vgl. 17,l8) kehrt auch hier wieder. Sie bleiben höflich, sind aber letztlich doch ablehnend, indem sie unverbindlich-nichtssagend vertrösten: "Darüber wollen wir dich ein andermal hören." (17,32) Die Umkehr bringt einen eigenen und neuen Ernst in jedes Gespräch über Religion und Glauben. Hier muss der Mensch sich entscheiden. Ganz umsonst war die Predigt jedoch nicht. Als Paulus weggeht, zeigt es sich, dass einige wenige, sogar ein Mitglied des Areopag und eine Frau, die beide mit Namen genannt werden (Dionysius, Damaris), tatsächlich gläubig geworden sind. Die Umkehr zielt auf den Einzelnen. Hier gibt es keine Masse. Dies ist die Grenze jeder öffentlichen Rede - auf dem Markt oder auf dem Areopag.
Alles, was wir theologisch subtil über den interreligiösen Dialog und das Gespräch über religiöse Dinge sagen können, hat diese Areopagrede uns deutlich gezeigt, und zwar ganz konkret-anschaulich: Das Anknüpfen bei dem, was der Mensch mitbringt, das Zugehen auf ihn und das Eingehen auf seine Sehnsucht, aber auch das Entlarven von Irrwegen, der Widerspruch zum Götzendienst und die Einladung zur Entscheidung. So darf man nie der ernsten Suche nach dem Heil, der Frage nach der Wahrheit und dem eigenen missionarischen Zeugnis vor der Welt ausweichen. Dies darf auch kein interreligiöser Dialog einfach preisgeben. Auch dies müsste unter den Religionen eine letzte Gemeinsamkeit sein, die zugleich unterscheidet und verbindet. Amen.

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