| Pressemeldung

Predigt des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter, bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 24. September 2003

Es gilt das gesprochene Wort!
In seiner großen Rede in der Synagoge von Kapharnaum offenbarte sich Jesus als das Brot des Lebens, das der Vater uns schenkt, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben. "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt" (Joh 6,51).

Wie reagieren die Leute? Sie halten das nicht für möglich und fragen: "Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?" Jesus nimmt nichts zurück. Im Gegenteil, er verstärkt seine Aussage noch: "Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. ... Mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm" (Joh 6,53-56).

Das ist dann doch auch vielen Jüngern zu viel. Sie sagen: "Was er sagt, ist unerträglich" (Joh 6,60). Sie ziehen sich zurück und verlassen Jesus.

Der Herr muss über den Weggang so vieler Jünger traurig gewesen sein. Er will ihnen doch das Kostbarste geben, sich selbst, und zwar leibhaft; aber sie wollen nicht.

Wie reagiert Jesus? Er ruft sie nicht zurück: Bleibt da: das ist nicht so ernst gemeint. Darüber lässt sich reden. Nein, er lässt sie gehen und fragt sogar den engsten Jüngerkreis, die Zwölf: "Wollt auch ihr weggehen?" Die Zwölf gehen nicht. Sie bleiben. Petrus antwortet in ihrem Namen: "Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes" (Joh 6,68 f.).

Was damals in der Synagoge von Kapharnaum geschah, wiederholt sich heute. Jünger, Christen, Leute in der Kirche finden es unerträglich, wie damals die Juden in Kapharnaum, beim Geheimnis der Eucharistie vom Leib Christi oder gar von seinem Fleisch und Blut zu sprechen. Sie sprechen vom geweihten oder gesegneten Brot. Zum Bekenntnis an die leibhafte Gegenwart des Herrn in der Eucharistie können sie sich nicht aufraffen.

Hier muss die Kirche reagieren, wie Jesus reagiert hat. Wenn es um die Wahrheit des Glaubens geht, gibt es keine Kompromisse. Darüber lässt sich nicht verhandeln. Die Wahrheit ist nicht verhandelbar, die Wahrheit ist zu bezeugen.

Als Jesus beim Abendmahl das Brot brach und den Jüngern reichte, sagte er: Nehmt hin und esst: Das ist mein Leib. Und als er ihnen den Wein reichte, sagte er: Das ist mein Blut.

Daran hält die Kirche seit ihren Anfängen in Treue zum Herrn fest. Was wir in der hl. Kommunion empfangen, hat die Gestalt des Brotes; aber was wir essen, ist der Leib des Herrn. Und was uns im Kelch gereicht wird, hat die Gestalt des Weines; aber was wir trinken, ist das Blut Christi.

Wie das Evangelium - das wir gehört haben - zeigt, ist der Glaube an die eucharistische Gegenwart des Herrn zutiefst verbunden mit der Frage: Wer ist Jesus Christus? Woher kommt er? Was hat er zu geben? Kein anderer als er kann beanspruchen, leben-gebend, in eine andere Person einzugehen. Das kann nur er. Er kann es, weil er der Sohn ist, der vom Vater gekommen ist und selbst das Leben ist.

Die Wahrheit ist nicht verhandelbar, die Wahrheit ist zu bezeugen. Das gilt nicht nur von der eucharistischen Gegenwart des Herrn, das gilt von jeder Glaubenswahrheit. Das ist keine Aufforderung zur Intoleranz. Denn Toleranz heißt, dem anderen seine Freiheit lassen, ihm nicht unsere Überzeugung aufnötigen. Toleranz heißt aber nicht, seine eigene Überzeugung aufgeben, sich nicht mehr trauen, dafür einzustehen, gar noch seinen Glauben über Bord zu werfen, wenn andere ihn für unzumutbar erklären.

Im Dialog über unseren Glauben müssen wir uns darüber im Klaren sein: Es gibt sehr wohl Gründe, mit denen man die Wahrheiten des Glaubens verteidigen kann; es gibt aber keine Gründe, mit denen man sie strikt beweisen könnte wie zum Beispiel das Geheimnis der Dreifaltigkeit, die Menschwerdung des Sohnes Gottes oder die Eucharistie.

Die Wahrheit des Glaubens, die uns im Evangelium vorgelegt wird, ist nicht in unser Belieben gestellt. Sie ist keine Frage unseres Geschmacks, vielmehr muss sich unser geistiger Geschmack an der Wahrheit des Evangeliums bilden. Die Wahrheit ist ein Geschenk Gottes, eine Gabe, die wir uns nicht selbst geben können - und die wir doch zum Leben brauchen. Sie ist letztlich eine Frage nach Heil und Unheil, eine Frage nach Gott.

Edith Stein suchte als Philosophin mit den Kräften ihres Verstandes die Wahrheit zu finden, auf die man sein Leben bauen kann. In der Begegnung mit Adolf Reinach, auch ein Philosoph wie sie, aber ein gläubiger Christ, ging ihr auf, dass es Bereiche des Daseins gibt, die sich mit unserem Wissensdrang nicht erschließen lassen. Diese Erfahrung löste in ihr eine tiefe Krise aus, die sie so beschreibt: "Ich konnte nicht mehr über die Straße gehen, ohne zu wünschen, dass ein Wagen über mich hinwegführe. Und wenn ich einen Ausflug machte, dann hoffte ich, dass ich abstürzen und nicht lebendig zurückkommen würde. - Es ahnte wohl niemand, wie es in mir aussah."

Als ihr später bei der Lektüre der Autobiographie der hl. Teresa von Avila das Geheimnis Gottes aufging, sagte sie: Das ist die Wahrheit. Sie hat die Wahrheit gesucht und Gott gefunden. Danach ließ sie sich taufen. Später sagte sie: "Meine Suche nach der Wahrheit war ein einziges Gebet". "Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, ob er es weiß oder nicht."

In der Wahrheit zeigt sich uns die Wirklichkeit. Das gilt von jeder Wahrheit, auch von den Wahrheiten, die wir mit unserer Verstandeskraft selbst finden können. Das gilt erst recht von der Wahrheit, die wir nicht aus Eigenem erkennen können, sondern die Gott uns mitteilt. In ihr offenbart sich uns Gott selbst. Im Glauben nehmen wir sie dankbar entgegen.

Der Glaube schafft nicht die Wahrheit, sondern er empfängt sie aus Gottes Mund. Diese Wahrheit ist Gnade, ein Geschenk Gottes an uns, eine Gabe, so groß, dass sie alles, was sich ein Mensch ausdenken kann, weit übersteigt.

Jesus Christus hat uns dieses Geschenk überbracht. Im Johannesevangelium wird es uns gesagt: "Das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht" (Joh 1,17 f.). Und im Abschiedsgebet sagt Jesus zum Vater: "Die Worte, die du mir gegeben hast, gab ich ihnen, und sie haben sie angenommen" (Joh 17,8).

Alles, was er uns vom Vater gesagt hat, ist in ihm zusammengefasst. Er ist das Wort, in dem der Vater sich mitgeteilt hat; er ist das Wort, das die ganze Wahrheit von Gott enthält. Alle Wahrheiten unseres Glaubens sind Ausfaltungen der einen Wahrheit, die Jesus Christus ist. Darum bezeichnet sich Jesus auch als die Wahrheit. "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich" (Joh 14,6).

Die Kunde von Gott, die uns Jesus gebracht hat, die Wahrheit von Gott, sein Evangelium, muss allen Menschen verkündet werden. Denn diese seine Worte sind "Worte des ewigen Lebens" (Joh 6,68). Sie öffnen uns den Weg in das Leben Gottes.

Darum gibt Jesus den Jüngern den Auftrag, das Evangelium allen zu verkünden. Er legt seine Worte in ihren Mund, so dass wir im Menschenwort der Verkündiger Gottes Wort vernehmen. "Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab" (Lk 10,16).

Damit hat er die Wahrheit, die er uns vom Vater gebracht hat, der Kirche übergeben. Und er hat ihr dazu den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit zugesagt, der sie immer tiefer in die Wahrheit einführt (Joh 16,13) und nie aus der Wahrheit herausfallen lässt.

Durch seinem Geist hat Jesus die Kirche zur "Säule und zum Fundament der Wahrheit" (1 Tim 3,15) gemacht.

In der Glaubensverkündigung der Kirche hören wir Worte des ewigen Lebens (Joh 6,68), ja "das Wort des Lebens" (1 Joh 1,2), das Wort, das Fleisch geworden ist voll Gnade und Wahrheit (Joh 1,14).

Im Glauben nehmen wir Gottes Wort an. Wir verfügen nicht über Gottes Wort, sondern lassen uns von ihm erfassen.

Lassen wir uns darum nicht anstecken von der verbreiteten Meinung, jeder könne sich seinen Glauben selbst zurechtmodeln. Das hieße, im Glauben Schiffbruch erleiden. Die Wahrheit des Glaubens ist uns von Gott vorgegeben und aufgegeben.

Er gibt sie uns durch den Dienst der Kirche. Darum nehmen wir sie gläubig an. Darum verhandeln wir sie auch nicht, sondern bezeugen sie und sprechen mit Petrus zu Jesus, in dem sich uns der Vater geoffenbart hat: "Herr, du hast Worte ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes" (Joh 6,68 f.). Amen.

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