| Pressemeldung

Predigt des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter,

bei der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Stuttgart/Hohenheim am 20. Februar 2002

In den letzten Wochen und Monaten hat uns die Auseinandersetzung um den Import ebryonaler Stammzellen herausgefordert, und sie wird uns auch weiterhin herausfordern.
Es geht im letzten um die Frage: Was ist der Mensch? Die Frage ist alt, aber heute von höchster Aktualität und Brisanz.

Denn die moderne Bio-Technik verfügt über Möglichkeiten, die bis vor kurzem unvorstellbar waren. Sie greift bereits in die ersten Anfänge des menschlichen Lebens ein, in denen der Mensch als Embryo existiert. Manche ziehen in Zweifel, dass es sich in diesem Frühstadium bereits um einen Menschen handelt. Doch mit der Befruchtung der Eizelle beginnt ein neuer Mensch zu leben. Jeder von uns hat einmal so klein angefangen. Darum ist dem Umgang mit dem Embryo eine Grenze gesetzt, die nicht überschritten werden darf. Es geht um die Würde des Menschen. Unsere Verfassung stellt in Artikel 1 fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ja, Gott selbst schützt den Menschen mit dem 5. Gebot: „Du sollst nicht töten!“ Weil das so ist, darf auch der Embryo nicht getötet werden. Denn damit würden das Recht auf Leben und die Würde des Menschen aufs schwerste verletzt. Auf der Achtung der Würde des Menschen beruht das Miteinander in unserem Gemeinwesen.

Diese unantastbare Würde ist in Gott begründet. Er hat nicht nur unsere Stammeltern am Beginn der Menschheitsgeschichte erschaffen. Jeder von uns ist ein Geschöpf Gottes. Gott hat jedem von uns das Dasein gegeben, vermittelt durch unsere Eltern.

Gott hat die ganze Welt erschaffen. Im Credo bekennen wir: Gott ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Uns Menschen aber hat er aus der übrigen Schöpfung herausgehoben. Im Schöpfungsbericht der Bibel heißt es: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn“ (Gen 1,27). Von keinem anderen Geschöpf wird das gesagt. Und es gilt für Mann und Frau in gleicher Weise.

Für uns bedeutet das: Wir dürfen mit Gott in Kontakt treten, dürfen ihn Vater nennen. Er nimmt uns so ernst, dass er uns Freiheit schenkt, sogar die Freiheit, uns gegen ihn zu wenden. Das Böse in der Welt geht darum nicht auf sein Konto, sondern auf das Konto des Menschen, der seine Freiheit missbraucht. Die Untat des 11. September zeigt uns, wozu der Mensch fähig ist. Das war keine Tat im Auftrag Gottes, sondern war gegen den Menschen, das Abbild Gottes, gerichtet und damit auch gegen Gott.

So kann die Freiheit auch tiefe Abgründe unseres Menschseins öffnen: „Der Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinunterschaut“ lässt Georg Büchner den im Erleben seiner Mitmenschen verzweifelten Woyzeck sagen.

Gott schafft sich im freien Menschen ein Gegenüber, ein Du, das er liebt. Aber auch umgekehrt gilt: Gott ist das Gegenüber des Menschen, das wichtigste Du, das zu lieben wir berufen sind. Auf ihn sind wir so bezogen, dass wir durch ihn existieren und Mensch sind.

Darum gehört Gott in die Definition des Menschen. Wer Gott aus dem Menschenbild herausbricht, zerstört es. Entschwindet das Urbild, verblasst das Abbild und wird unkenntlich.
Die Frage nach dem Menschen führt uns darum direkt zur Gottesfrage. Was der Mensch ist, wird erst von Gott her deutlich. Die Gottesfrage und die Frage nach dem Menschen sind die Grundfragen unserer Zeit.

Wo Gott nicht mehr ernst genommen wird, wird auch der Mensch nicht mehr ernst genommen. Wo der Mensch nicht mehr in Gott festgemacht ist, wird er menschlicher Verfügung ausgeliefert. Dann verliert er die Unantastbarkeit seiner Würde und das unverletzbare Recht auf Leben.

Das Geheimnis Gottes und das Geheimnis des Menschen sind nicht voneinander zu trennen. Diese Bindung an Gott, den Schöpfer, verleiht uns eine Würde, die niemand antasten darf, auch nicht in den schwächsten und schutzbedürftigsten Phasen unseres Lebens, selbst dann nicht, wenn der Betreffende menschlich gesehen keine Lebensperspektive mehr besitzt, wie das z. B. bei den sogenannten „überzähligen“ Embryonen der Fall ist.

Gott ruft jeden von uns bei seinem Namen. Jeder ist einmalig, unaustauschbar, von Gott geliebt und dazu berufen, seine Liebe zu erwidern und darin einmal unbeschreiblich glücklich zu werden. Das ist unsere höchste Berufung und menschliche Erfüllung.

So sehen wir erst im Blick auf Gott, was der Mensch ist, was und wer wir eigentlich sind. Zugleich sehen wir uns heute dem Vorwurf ausgesetzt, wir Christen würden unser Menschenbild der pluralen und weithin säkularen Gesellschaft aufnötigen. Es könne „beim besten Willen nicht sein, dass die christliche Interpretation der kulturellen Werte die allein dominierende ist“, so eine bedeutsame Stimme aus der Wissenschaft. Wenn wir unser Menschenbild öffentlich und als allgemein verbindlich vertreten, erheben wir damit keinen christlichen oder gar kirchlichen Machtanspruch, sondern erweisen unserer Gesellschaft einen Dienst, der sie davor bewahrt, den Menschen als ein Mittel zum Zweck zu erniedrigen und ihm damit seine Würde nehmen. Die grundlegende Aussage unserer Verfassung in Art. 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, beruht nicht auf menschlicher Festlegung, sondern ist vorgegeben durch Gott, der den Menschen als sein Abbild geschaffen hat.

Das Menschenbild, das uns im Lichte Gottes aufgeht, ist keine christliche Sonderlehre, sondern gilt für jeden Menschen und ist darum für alle verbindlich.

Gott hat uns ins Dasein gerufen. Unter diesem Anruf stehen wir Tag für Tag. Wir vernehmen diesen Ruf vor allem in unserem Gewissen. Denn „das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“ lehrt uns das Konzil (Gaudium et spes, 16). Auf diese Stimme Gottes müssen wir Antwort geben, nicht mit Worten, sondern mit unserer ganzen Existenz. Dies geschieht in den vielen Einzelhandlungen unseres alltäglichen Lebens, in denen jeweils unsere Grundentscheidung für Gott zum Tragen kommt.

Der Ruf, mit dem Gott uns ins Dasein gerufen hat, ist zutiefst ein Ruf ins Glück, ein Ruf, an seinem göttlichen Leben jetzt und auf ewig teilzuhaben.
„Es ist sehr gut“, sagte Gott, nachdem er den Menschen erschaffen hatte (Gen 1,31). Ja, es ist sehr gut, dass Gott uns Menschen auf ihn hin erschaffen hat. Dafür danken wir ihm.

Amen.

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