| Pressemeldung

Predigt des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter

bei der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Mainz am 16. März 2000

Es gilt das gesprochene Wort!

Am vergangenen Sonntag hat der Heilige Vater öffentlich um Vergebung für die Verfehlungen der Kirche gebeten. Das war in der Kirchengeschichte etwas Neues, ein historisches Ereignis. Schuld, Fehler und Verfehlungen der Kirche sind auch früher eingestanden worden. Ein berühmtes Beispiel hat beim Ausbruch der Reformation 1522 Papst Hadrian VI. gegeben. In seiner Botschaft an den Reichstag von Nürnberg bekannte er: „Missbräuche in geistlichen Dingen, Übertretungen der Gebote, ja, dass alles sich zum Ärgeren verkehrt hat. So ist es nicht zu verwundern, dass die Krankheit sich vom Haupt auf die Glieder, von den Päpsten auf die Prälaten verpflanzt hat. ,Wir alle', Prälaten und Geistliche, ,sind vom Wege des Rechtes abgewichen, und es gab schon lange keinen einzigen, der Gutes tat“ (Ps 14,3). Deshalb müssen wir alle Gott die Ehre geben und uns vor ihm demütigen; ein jeder von uns soll betrachten, weshalb er gefallen, und sich lieber selber richten, als dass er von Gott am Tage seines Zornes gerichtet werde.“

Neu in unseren Tage ist die Bitte um Vergebung. In der gesamten Kirchengeschichte kennen wir keine vom kirchlichen Amt selbst vorgetragene Bitte um Vergebung für Verfehlungen der Vergangenheit. Begonnen hat damit Papst Paul VI. Bei der Eröffnung der Zweiten Konzilsperiode am 29. September 1963 – nur wenige Wochen nach seiner Wahl zum Nachfolger Petri – bat der Papst „Gott und die getrennten Brüder des Orients“ um Verzeihung und erklärte sich auch seinerseits bereit, die Anfeindungen zu vergeben, denen sich die katholische Kirche ausgesetzt sah.

Johannes Paul II. hat die Tür, die Paul VI. geöffnet durchschritten und ist über das von seinem Vorgänger und vom Konzil Gesagte weit hinausgegangen. Das Konzil hat nur Fehler bedauert, aber nicht um Vergebung gebeten. Bei verschiedenen Anlässen hat der Papst um Vergebung gebeten, in Lateinamerika, in Afrika, gegenüber den Juden. Am vergangenen Sonntag hat er dies im Rahmen des Jubiläumsjahres umfassend in feierlicher Form getan. Die Verfehlungen der Kirche, die der Papst mit der Bitte um Vergebung vor Gottes Angesicht getragen hat, sind vielfältiger Art: Es sind Verfehlungen im Dienst an der Wahrheit, Verstöße gegen die Einheit des Leibes Christi, Verfehlungen im Verhältnis zu den Juden, Verfehlungen gegen die Liebe, den Frieden, die Rechte der Völker, gegen die Achtung der Kulturen und Religionen, gegen die Würde der Frau und die Einheit des Menschengeschlechtes und Versagen auf dem Gebiet der Grundrechte der Person.

Worum geht es dem Papst? Das „Gedächtnis der Kirche“ soll gereinigt werden.

Unser Gedächtnis betrifft unser Inneres. In ihm tragen wir unsere Vergangenheit mit uns. Darin findet sich viel Gutes. Darum erzählen wir gern von unserer Vergangenheit. Es findet sich dort aber auch weniger Gutes und Böses, Altlasten, die uns bedrücken. Darüber schweigen wir lieber.
Einem jeden Menschen stellt sich die Aufgabe, die ihn belastende Vergangenheit aufzuarbeiten; er darf sie nicht verdrängen, damit sie sein Leben nicht vergiftet und er unbeschwert in die Zukunft gehen kann. Diese Aufgabe bleibt bestehen, auch wenn die Schuld bereits vergeben ist. Dabei hilft uns die Kirche mit dem Ablass. Mit der Fürbitte der Heiligen um Gottes heilende Gnade kommt sie unserem Bemühen zu Hilfe, damit wir unser Gedächtnis reinigen und die Last unserer Vergangenheit aufarbeiten.

Die Reinigung des Gedächtnisses ist nicht nur Aufgabe eines jeden einzelnen, es ist auch Aufgabe der Kirche als ganzer. Darum ging es dem Heiligen Vater mit der Vergebungsbitte am vergangenen Sonntag.

Das Bekenntnis der Schuld und die Bitte um Vergebung sind weder Selbstbezichtigung noch Bestätigung der Vorurteile, die gegen die Kirche gehegt werden und in diesen Tagen von manchen wieder aufgewärmt wurden.

Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte richten wir zuerst an Gott. Durch den Bußakt des Papstes trägt die Kirche die Last ihrer Geschichte vor Gott. Ihn bitten wir um sein Erbarmen und um seine heilende Hilfe. Das Eingestehen des Versagens ist nicht Schwäche, sondern „ein Akt der Aufrichtigkeit und des Mutes“ (TMA 33). Dass sich die Kirche ihr Versagen auch öffentlich eingesteht, ist ein Zeichen ihrer Stärke.

Da könnte einer sagen: Was geht uns das Versagen der Kirche in längst vergangenen Zeiten an? Wir leben im Heute und tragen Verantwortung für heute.
Um darauf zu antworten, müssen wir auf die Eigenart der Kirche schauen. Die Kirche ist durch die Jahrhunderte ein und dieselbe. Sie kann ihre Vergangenheit nicht von sich abschütteln. Auch der einzelne Mensch bleibt durch die verschiedenen Phasen seiner Lebensgeschichte ein und derselbe; er kann von seiner Vergangenheit nie sagen: Das war ich nicht. Er muss zu seiner Vergangenheit stehen mit allem, was zu ihr gehört. Genau das tut auch die Kirche. „Selbst wenn uns keine persönliche Schuld trifft“, so trage doch jeder die Last von Irrtümern und Schuld früherer Generationen mit, weil „das Band des mystischen Leibes Christi“ uns alle miteinander verbinde, sagte der Heilige Vater am Sonntag. Hat doch Jesus, der ohne Sünde war, unsere Sünden auf sich genommen und "mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen“ (vgl. 1 Petr 2,22–24)

Das Bekenntnis der Verfehlungen macht deutlich, dass die Kirche nicht nur aus Heiligen, sondern auch aus Sündern besteht. Die Sünder finden sich nicht nur im kirchlichen Fußvolk; dazu gehören auch wir Bischöfe mit unseren Priestern. Welch ein Glück ist es für uns, dass die Kirche nicht nur eine Kirche der Heiligen, sondern auch eine Kirche der Sünder ist. Weil dies so ist, haben wir Sünder alle Platz und Heimatrecht in der Kirche. Das Bekenntnis der Sünden der Kirche ist zugleich auch ein Bekenntnis zu den Sündern in ihrem Schoß. Von der Kirche gilt, was Jesus in einem Gleichnis vom Gottesreich sagt: Sie gleicht einem Acker, auf dem Weizen und Unkraut wächst. Das wird so bleiben bis zur Zeit der Ernte, d. h. bis zum Ende der Zeiten (vgl. Mt 13,24–30).
Trotz aller Sünde in der Kirche bleibt die Kirche heilig. Die Macht der Gnade Gottes, die Kraft der Heiligkeit, die Gott seiner Kirche verleiht, ist stärker als die zerstörerische Macht der Bosheit und Sünde. Auch wenn „die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoß umfasst“ (LG 8), ist und bleibt sie immer die heilige Kirche, wie wir im Credo bekennen.

Was der Heilige Vater im Namen der Gesamtkirche getan hat, müssen wir nachvollziehen. Was das heißt, hat der Papst schon in seinem Apostolischen Schreiben Tertio Millennio Adveniente gesagt: „An der Schwelle des neuen Jahrtausends müssen die Christen demütig vor den Herr treten, um sich nach den Verantwortlichkeiten zu fragen, die auch sie angesichts der Übel unserer Zeit haben. Denn die gegenwärtige Epoche weist neben vielen Licht- auch nicht wenige Schattenseiten auf. Kann man zum Beispiel die religiöse Gleichgültigkeit verschweigen, die viele Menschen heute dahin bringt, zu leben, als ob es Gott nicht gäbe, oder sich mit einer vagen Religiosität zufriedenzugeben“ (TMA 36).

Er nennt weiter „die Verwirrung im ethischen Bereich sogar bei den Grundwerten der Achtung des Lebens und der Familie“. Dann stellt er die Frage, wie viel Verantwortung wir Christen an dem überhandnehmenden areligiösen Verhalten zugeben müssen, weil wir „durch die Mängel unseres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes nicht offenbar gemacht haben“. (a.a.O.)

Der Heilige Vater ist uns als oberster Hirt der Kirche mit seinem Bekenntnis und der Vergebungsbitte vorangegangen. An uns ist es nun, ihm zu folgen, unser Gedächtnis zu reinigen und so zu leben, dass wir die Geschichte der Kirche nicht aufs neue belasten und spätere Generationen nicht für unser Versagen um Vergebung bitten müssen. Leben wir so, dass wir das wahre Antlitz Gottes nicht entstellen und verdunkeln, sondern, wie der Apostel sagt, „mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn widerspiegeln“ (2 Kor 3,18).

Amen.

Cookie Einstellungen

Wir verwenden Statistik Cookies um zu verstehen, wie Sie mit unserer Webseite interagieren.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Matomo

Datenschutz

Diese Cookies sind für den Betrieb der Webseite zwingend erforderlich. Hier werden bspw. Ihre Cookie Einstellungen gespeichert.

Anbieter:

Deutsche Bischofskonferenz

Datenschutz