| Pressemeldung | Nr. 11

Predigt des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter

während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Stapelfeld/Cloppenburg am 16. Februar 2005

Es gilt das gesprochene Wort!
Befreiende AnbetungIn unseren Diözesen zwingt der Rückgang der Kirchensteuer zu massiver Einsparung, zu Stellenabbau und Verschlankung der Verwaltung. Der Priestermangel erfordert größere Seelsorgseinheiten und vielfältige Hilfsdienste, um eine geordnete und lebendige Seelsorge zu gewährleisten. Die derzeitigen strukturellen Umbaumaßnahmen erzeugen Unruhe und Besorgnis. Doch mehr noch ist zu fragen, ob sie die Zukunft von Glaube und Kirche in unserem Land sichern können.Die Lebendigkeit des Glaubens bemisst sich nicht nach der Zahl von Personen und den finanziellen Ressourcen. Junge Kirchen in armen Ländern beweisen es uns. Die Entscheidungen über die Zukunft der Kirche in unserem Land fallen nicht dort, wo man zählen und rechnen kann, sondern in einem Bereich, der sich aller Berechenbarkeit entzieht.Heute vor 14 Tagen, am 2.&nbsp:Februar, jährte sich der Tod von P. Alfred Delp zum 60. Mal. Er gehörte dem Kreisauer Kreis an, jener Widerstandsgruppe um den Grafen Helmuth James von Moltke und den Münchner Jesuitenprovinzial Augustinus Rösch. Mitten in der Ausweglosigkeit der gottlosen Diktatur des NS-Reiches suchten sie nach einem moralischen und politischen Neubeginn für ein neues Deutschland nach dem zu erwartenden Zusammenbruch des Nationalsozialismus.Pater Delp hat dabei konzeptionelle soziale und politische Gedanken entwickelt, so zum Beispiel eine "dritte Idee", die einen sozialen Weg jenseits von Kapitalismus und Marxismus weisen sollte. Damit wollte er zum Aufbau einer gerechten menschenwürdigen Gesellschaft beitragen.Nach dem 20. Juli 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet. Am 28.  Juli holten sie ihn nach der hl. Messe, die er in der St. Georgskirche in München gefeiert hatte, ab und brachten ihn nach Berlin. Am 11. Januar wurde er zum Tod verurteilt und am 2. Februar in Berlin-Plötzensee erhängt.In den Wochen und Monaten seiner Haft hat er viel geschrieben, mit gefesselten Händen. Die Kassiber, die zwei mutige Frauen herausschmuggeln konnten, füllen einen ganzen Band.Diese Schriften, niedergeschrieben im Angesicht des Todes, sind von einem außergewöhnlichen geistlichen Tiefgang. Sie zeigen uns, wie sich der gefesselte Alfred Delp um die Zukunft unseres Volkes und der Kirche sorgte, viel mehr als um sich und sein Leben.Mit unbestechlichem Blick und kraftvoller Sprache stellt er die Diagnose für seine Zeit: "Wir sind ja alle vom Geist dieser Zeit besessen, der so durchaus überzeugt ist von sich selbst und betrunken von sich selbst und sich alles zutraut und gar nichts mehr weiß vom gebeugten Knie und vom offenen Herzen und vom hörenden Geist."Trifft diese Diagnose nicht auch auf unsere Zeit zu? Die Therapie, die Alfred Delp verordnet, lautet: Dieser Gottesferne des neuzeitlichen Menschen müssen wir begegnen mit einem "werbenden Dasein" für das Evangelium. Wir dürfen nicht in die Defensive gehen, sondern müssen missionarisch wirken und Menschen für das Evangelium gewinnen.Er sagt: "Die Menschen, die uns begegnen, müssen spüren, dass wir erlöste Menschen von heute sind." Es geht hier nicht um eine optimistische Ausstrahlung, sondern darum, dass sichtbar wird, ein Mensch ist in seinem Innersten vom Glauben an Gott und vom Vertrauen auf ihn getragen und findet darin eine Freiheit, die ihm keine Macht der Welt nehmen kann."Man muss spüren, dass wir in der Zeit Träger der Verheißungen und Gnaden sind, dass es uns gar nicht darauf ankommt, um jeden Preis ein paar Lebenstage länger da zu sein, dass es uns aber wohl darauf ankommt, um jeden Preis so zu sein, wie wir sind."In seiner Meditation zum Vater unser schreibt er das bekannte Wort: "Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber die ungebrochene Treue und die unverratende Anbetung." Damit stellt er eine hierarchische Werte- und eine Lebensordnung auf, an deren oberster Stelle die Anbetung Gottes steht. Die Anbetung und die damit verbundene liebende Hingabe an Gott spielen im Denken Delps eine zentrale Rolle. Am 11. Januar 1945 war er zum Tod verurteilt worden. Am 23. Januar schreibt er in Erwartung des Todes einen Brief an sein Patenkind, das am 13. Januar geboren worden war.In diesem Brief sagt er dem kleinen Alfred Sebastian, den er nie zu Gesicht bekommen sollte, worin er den Sinn seines Lebens sah: "Die Rühmung und Anbetung Gottes vermehren; helfen, dass die Menschen nach Gottes Ordnung und in Gottes Freiheit leben und Menschen sein können. Ich wollte helfen und will helfen einen Ausweg zu finden aus der großen Not, in die wir Menschen geraten sind und in der wir das Recht verloren, Menschen zu sein. Nur der Anbetende, der Liebende, der nach Gottes Ordnung Lebende, ist Mensch und ist frei und lebensfähig." Und am Ende des Briefes wünscht er ihm, "dass Du Dein Leben mit Gott lebst als Mensch in der Anbetung, in der Liebe und im freien Dienst."Was P. Alfred Delp seinem Patenkind wünschte, ist ein Programm für uns alle: Unser Leben mit Gott leben als Menschen in der Anbetung, in der Liebe und im freien Dienst."In der Anbetung sind wir ganz für Gott da, für nichts sonst" (R. Guardini). In ihr bekennen wir uns zu der Grundwahrheit: Gott ist Gott und der Mensch ist Mensch, der sich ganz und gar Gott verdankt. Wenn diese Wahrheit nicht mehr das Erste und Wichtigste ist, wird die Ordnung unseres Daseins erschüttert. Dann werden die Gewichte falsch, mit denen wir die Dinge wägen. Dann fehlt auch die Antwort auf die letzten Fragen des "Warum" und "Wofür". Wer Gott anbetet, kann nie vollständig aus der Ordnung kommen und wird erfahren, dass so manche Sorge gegenstandslos wird. (Siehe Romano Guardini, Anbetung. in: Glaubenserkenntnis, Kap. 1).Durch die Anbetung wird der Mensch verwandelt. Er wird geformt von dem, den er anbetet. Das, was er im tiefsten als Berufung in sich trägt, gewinnt dadurch Gestalt: das Ebenbild Gottes. Die Anbetung des lebendigen Gottes ist darum die Grundhaltung des Menschen. Sie führt uns zu wahrer Größe, wie Papst Johannes XXIII. sagt: "Der Mensch ist nie so groß wie wenn er kniet."Der Heilige Vater hat uns aufgerufen, im Eucharistischen Jahr die eucharistische Anbetung zu beleben. In seinem Schreiben "Mane nobiscum Domine" nennt er die beiden Anliegen dieses Jahres: die Verlebendigung der Feier der Sonntagsmesse und die Förderung der eucharistischen Anbetung. Die Anbetung Gottes gehört als inneres Moment zur Eucharistiefeier. In der eucharistischen Anbetung, die aus der Eucharistiefeier hervorgeht, wenden wir uns dem Sohn Gottes zu, der für uns Mensch geworden und in der Gestalt des Brotes leibhaft bei uns ist. Dankbar bekennen wir ihn mit Thomas als unseren Herrn und Gott und legen unser Leben in seine Hand.Das ist die Grundhaltung des Christen, ja der Kirche. Denn sie ist Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Sohne Gottes. Auch wenn wir mit Christus aufs innigste verbunden sind, bleibt die anbetende Hingabe an ihn die angemessene Haltung vor ihm. Die Anbetung erniedrigt uns nicht; im Gegenteil, sie prägt uns und entfaltet in uns die hohe Würde der Gotteskindschaft.In der Anbetung huldigen wir dem großen Gott und binden uns auch an ihn. Denn von ihm hängt unser ganzes Dasein ab. Diese Bindung führt in die Freiheit und lässt viele Schwierigkeiten an Bedeutung verlieren, auch solche, mit denen wir uns zur Zeit in der Kirche herumschlagen.P. Delp hätte am 15. August 1944 seine letzten Gelübde ablegen sollen. Die Verhaftung hatte dies unmöglich gemacht. Am 8. Dezember durfte sein Mitbruder P. Franz von Tattenbach ihn in seiner Zelle besuchen. Mit gefesselten Händen unterschrieb Delp das Dokument der ewigen Profess. Und am nächsten Tag schreibt er in einem Kassiber überglücklich an P. Tattenbach: "Nun haben die äußeren Fesseln gar nichts mehr zu bedeuten, da mich der Herr der vincula amoris gewürdigt hat."Die vincula amoris, die Fesseln der Liebe, mit denen er sich durch die Ordensgelübde an Christus und seine Kirche gebunden hat, haben ihn in eine Freiheit geführt, die die äußeren Fesseln an seinen Händen bedeutungslos machten.Die vincula amoris, mit denen wir uns in der Anbetung an Gott binden, befreien uns von bedrückenden Sorgen und Lasten. Und was wir zur Zeit an Umbruch erleben, kann dadurch zur Chance und zu neuem Aufbruch werden."Wir sind gekommen, ihn anzubeten." Unter diesem Leitwort werden die jungen Christen aus aller Welt zum Weltjugendtag nach Deutschland kommen und in Köln ein großes Fest des Glaubens feiern. Sie werden kommen, um anzubeten. Damit sind sie auf dem richtigen Weg in die Zukunft. Seien wir alle Menschen der Anbetung, die vor Gott allein das Knie beugen und ihr ganzes Dasein in seine Hand legen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg; dann brauchen wir keine Sorge haben um die Zukunft, weder um die Zukunft unseres Lebens noch die unserer Kirche.Amen.

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