| Pressemeldung

Predigt des Erzbischofs von Köln, Kardinal Joachim Meisner, bei der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 11. März 2003 in Freising

Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, liebe Schwestern und Brüder in Christus, dem Herrn!
1. Das Evangelium ist nicht "Ekstase", sondern "Inkarnation".
Es ist nicht "Idee", sondern "Tat". "Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" (Joh 1,14), lautet die Grundbotschaft der Christenheit. Wohl bemerkt: Das Wort ist Fleisch geworden, es ist aber nicht im Fleisch ertrunken. Es ist Wort geblieben, das sich mit dem Fleisch, d. h. mit der Tat verbunden hat. Darum ist die Kirche von ihrem tiefsten Wesen her sakramental, d.h. sie ist Heiliger Geist und menschliche Tat. Deshalb muss christliches Beten unterfangen sein vom christlichen Tun.
Von Anfang an stand im Christentum das Krankenhaus baulich verbunden mit dem Gotteshaus. Die frühen Spitäler waren so eingerichtet, dass die Kranken von ihren Betten aus auf den Altar der Kirche schauen konnten. Gebet und Arbeit, Gott und Mensch: Im Gott-Menschen Jesus Christus bilden sie eine untrennbare Einheit. Mit der Entwicklung der Kranken- und der Armenpflege löste sich das Krankenhaus aus diesem engen baulichen Verbund mit dem Gotteshaus. Seitdem nun steht es neben der Kirche, aber ohne ein unverbundenes Nebeneinander werden zu dürfen. Das würde den Gottesdienst entdiakonisieren und die Caritasarbeit entsakralisieren. Wenn auch das caritative Tun der Kirche rationalisiert werden muss, so darf es dennoch nicht entpersonalisiert werden. Vergessen wir nicht, was uns schon vor Jahrzehnten gesagt worden ist: "Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein oder er wird nicht sein."
Die Kirche, und damit ihre caritative Arbeit, ist zum Ersticken verurteilt, wenn das Fleisch stärker ist als das Wort, die Institution größer als die Inspiration. Die Kirche als Leib des Herrn ist kein Selbstverwaltungskörper, der bestimmte Dienstleistungsangebote macht. Die Kirche lebt nicht aus dem Selbstproduzierten, sondern aus dem ihr von Gott Geschenkten, und damit kann sie der Menschheit das Wesentliche geben, worauf sie letztlich wartet.
Mutter Teresa von Kalkutta, eine der normativen Gestalten gegenwärtiger Caritasarbeit, gab ihrer großen Gemeinschaft als Handlungsprinzip mit auf den Weg: "Betet zunächst am frühen Morgen eure Arbeit, dann arbeitet euer Gebet den ganzen Tag hindurch!" Hier ist die Einheit von Wort und Tat gegeben, hier verwirklicht sich die Kirche als Sakrament zum Heil der Menschen.
Wir stehen oft in Gefahr, dass wir uns selbst etwas vormachen, wenn wir sagen: "Unsere ganze Arbeit ist ein Gebet". Denn wenn wir zuvor nicht unsere Arbeit gebetet haben, wird unsere Aussage: "Unsere Arbeit ist Gebet" zur Phrase. Wenn das Sakrament seine innere Wirkung verliert, bleibt es nur noch Fassade. Von uns Priestern wird gesagt: "Wenn man früher einen Pfarrer um ein Stück Brot bat, erhielt man die Antwort: Ich werde für dich beten. Wenn man heute einen Pfarrer um das Gebet bittet, bekommt man ein Stück Brot in die Hand". Das eine ist so falsch wie das andere. Beides gehört untrennbar zusammen.
Wenn unsere Kirche ihre Seele verliert, dann verliert die Caritas ihr Herz! Unsere Hände sind zum Geben und zum Beten da.
2. Die Kirche ist gesandt, den hilfsbedürftigen Menschen die frohe Botschaft zu verkünden.
Mit ihnen identifiziert sich der Herr, indem er sagt: "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (vgl. Mt 24,30). Darum ist es unsere erste Aufgabe, die Würde des Hilfsbedürftigen zu achten und zu schützen. Im Malteserorden zum Beispiel ist es üblich, "von unseren Herren, den Kranken" zu sprechen. In der Legende verwandelt sich das Brot in der Schürze der heiligen Elisabeth vor dem kritischen Blick ihres Gatten in Rosen. Damit wird etwas ganz Wesentliches ausgesagt: Der hilfsbedürftige Mensch braucht häufiger eine Rose als ein Stück Brot. Wer in unseren Reihen den armen Menschen dienen will, braucht eine hohe Sensibilität für ihre Würde, die oft unter dem Schleier der Armut verborgen liegt.
Vergessen wir nicht: Wer den Armen dient, bekommt auch eine große Macht in seine Hand. Alles Vertrauen, das uns entgegengebracht wird, ist eine wirkliche Macht, die in unsere Hände gelegt wird. Die Versuchung, sie zu mißbrauchen, ist groß. Alle Versuchungen Jesu haben diese furchtbare Spitze, ihn zum Missbrauch seiner Macht über die Menschen zu verleiten. Im caritativen Dienst ist das nicht anders. Wie leicht ist es, einen Menschen an sich zu binden, dem man geholfen hat, und wie schwer ist es manchmal, Menschen zu helfen, weil sie diese Bindung zu fürchten gelernt haben. Wieviel sogenannte Hilfsbereitschaft für andere Menschen wächst aus unserem geheimen Verlangen, auf diesem Weg Macht zu erlangen, etwas für sie zu bedeuten.
Jesus hat nie gesagt: "Bleibe mir nahe, denn ich habe dir geholfen", sondern er sagte immer: "Geh! Dein Glaube hat dir geholfen" (Mk 10,52). Sein Ziel war es, Menschen zu helfen und sie frei zu setzen für ihren eigenen Weg zu Gott hin. Gerade in einer Zeit, in der weniger Arbeit und damit weniger Geld zur Verfügung steht, ist von uns mehr Seele in unserer caritativen Tätigkeit gefordert. Die Seele ist eine unerschöpfliche Quelle, aus der wir den anderen mitteilen können. Gerade die großen Heiligen der Caritas zeigen, dass in solchen Herausforderungen, in denen sich auch unsere Gesellschaft befindet, es nicht hilft zu klagen und nur zu fordern. Vielmehr ist es notwendig, der Phantasie, der Kreativität, der Inspiration und der Tatkraft Raum zu geben. Unser caritatives Tun darf seine Seele nicht verlieren, die Jesus Christus selbst ist. Er ist der Meister des Unmöglichen. Dann sind wir auch den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft gewachsen. Die Caritas der Kirche muss ein persönliches Gesicht behalten, das Gesicht Jesu Christi.
3. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserer Caritasarbeit stehen unter dem Anspruch Christi.
Auf ihren Schultern liegt eine Verantwortung für Menschen in ihrer Ganzheit als Personen, für ihr Wohl und Wehe in jeder Beziehung: für ihr Heil, könnte man schlicht christlich sagen. In vielen Situationen können wir nicht sagen: "Da bin ich nicht mehr zuständig", ohne dass unser Gewissen sich rührt und sagt: "Du bist feige! Du weißt genau, was du eigentlich solltest, und jetzt nimmst du Deckung hinter deinen Zuständigkeiten".
Der Mitarbeiter im caritativen Tun der Kirche ist kein auswechselbarer Funktionär, sondern ein Mitarbeiter Christi, der ihn aus bloßen Zuständigkeiten in eine liebende Verantwortung führt. Hinter diesem Vorgang steht Christus, der gesagt hat: "Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu berufen, nicht die Gerechten" (Mk 2,17). Darum ruft er auch heute immer wieder neu Menschen in solche Aufträge aus den erstaunlichsten Ecken gesellschaftlicher Wirklichkeit.
Gott braucht Menschen, die bereit sind, Hüter ihrer Mitmenschen zu werden. Die erste Definition eines Mitarbeiters Christi klingt schon aus der Frage des ersten Brudermörders Kain: "Bin ich der Hüter meines Bruders?" (Gen 4,9). Die Antwort darauf lautet: Ja, du bist es! Unser ganzes caritatives Tun steht und fällt mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Viele früher gebräuchlichen Ämter und Titel hat man heute weitgehend durch Leistungsdienstgrade ersetzt. Wer in seinem Beruf viel und Erfolgreiches leistet, hat am ehesten Anspruch auf Leitungsaufgaben. Das ist weithin völlig richtig und sachgemäß, aber über dem, was sachgemäß ist, darf man bei uns nicht vergessen, was menschengemäß und gottgemäß ist. Wenn Menschen heute bei uns nicht bloß den Spezialisten, den Kenner, den Könner suchen, sondern darüber hinaus den Helfer, nämlich denjenigen, bei dem sie insgesamt das Empfinden haben, in guter Hut zu sein, dann suchen sie vor allem mit oft verblüffender Zielsicherheit einen Menschen, der zu lieben vermag, der versteht, der tiefer sieht, der nicht nur kompetent ist, sondern eine persönliche Ausstrahlung hat. Es gibt zahllose Wendungen, mit denen man heute umschreibt, was einfach die Ausstrahlung der Liebe ist: "Zu dem kann man gehen!" - "Mit dem kann man reden!"
Dabei wissen wir natürlich alle, wie störend das ist, wenn jemand uns über das hinaus beansprucht, was wir zu leisten bereit sind, wie das den Arbeitsablauf hemmt, die Sachlichkeit durchbricht, die Leistungsstatistiken verschlechtert. Es gehört sich weithin nicht, "unsachlich" zu sein, zu persönlich zu werden. Dieses Gesetz unserer Gesellschaft schafft einen Hunger nach Leuten, denen man sich als seinen Hütern anvertrauen kann und die man beanspruchen darf.
Es gibt unzählige Signale der Einsamkeit von Menschen, die einen solchen Hüter suchen, einen Zuhörer, der wirklich zuhört, der einem die positive Bestätigung gibt, ohne die man nicht leben kann, aber der auch ehrlich kritisiert, weiterfragt, statt gleich sein eigenes Innenleben nach außen zu kehren und der für sich behalten kann, was er hört. Wir leben in einer Zeit, in der es jeden treffen kann und in der man wach dafür sein muss, dass hinter diesen beschwerlichen Unsachlichkeiten von Menschen, die aus der Rolle fallen, die Frage erkennbar wird: "Bist du nicht der Hüter deines Bruder oder deiner Schwester?"
Wir beten im Vater unser die Worte: "Wie im Himmel, so auf Erden". Die Caritas der Kirche soll helfen, auf Erden ein wenig Verhältnisse wie im Himmel zu schaffen. Der Caritasmitarbeiter muss um die Verhältnisse des Himmels wissen, damit er weiß, was er auf Erden tun soll. Deshalb gilt der alte benediktinische Imperativ auch für unser caritatives Handeln: "Bete und arbeite!"
Amen.

Cookie Einstellungen

Wir verwenden Statistik Cookies um zu verstehen, wie Sie mit unserer Webseite interagieren.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Matomo

Datenschutz

Diese Cookies sind für den Betrieb der Webseite zwingend erforderlich. Hier werden bspw. Ihre Cookie Einstellungen gespeichert.

Anbieter:

Deutsche Bischofskonferenz

Datenschutz