| Pressemeldung | Nr. 11

Predigt des Erzbischofs von Köln, Kardinal Joachim Meisner

während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Stapelfeld/Cloppenburg am 15. Februar 2005

Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Mitbrüder,
liebe Schwestern!Die vorösterliche Bußzeit ist für uns eine Zeit der Tauferneuerung. Sie hat ihren Sinn darin, zu unseren Ursprüngen zurück zu kehren, damit in unserem christlichen Leben alles ursprünglich, frisch und geistvoll bleibt oder wieder wird. In vielen Gemeinden unseres Landes halten die Christen gemeinsam Tauferneuerung, indem sie die Taufbewerber auf ihrer letzten Etappe zur Taufe in der Osternacht begleiten. Die Taufvorbereitung für Menschen, die sich auf die Eingliederung in die Kirche vorbereiten, geschieht nach dem Ritual "Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche" stufenweise. Ein wesentlicher Einschnitt in dieser Vorbereitung ist die Übergabe des Vaterunsers. Das ist gleichsam schon ein Vorgeschmack auf die Taufe und damit auf die Firmung und auf die Eucharistie, die ja den Erwachsenen nach der altchristlichen Ordnung in einer Feier geschenkt werden. Das Vaterunser ist so etwas wie ein Sakrament, also ein Zeichen, das die Kraft in sich hat, die es anzeigt oder aussagt. Es ist jenes Gebet, das der Herr uns selbst zu beten gelehrt hat. Wenn ich das Christusgebet zu meinem eigenen Gebet machen darf, dann ist das schon eine Vorwegnahme der Christusfreundschaft, die uns in der Taufe geschenkt wird. Das Vaterunser gibt uns zunächst die Orientierung. Es zeigt, dass die absolute Priorität in unserem Leben Gott hat, der unser Vater ist. Die ersten Aussagen des Vaterunsers richten sich an Gott, aber dann haben schon die letzten die Anliegen der Kinder Gottes zum Inhalt. Primär ist Gott, sekundär der Mensch. Christus lehrt uns, seinen Vater als unseren Vater anzusprechen. Darin zeigt sich das unwahrscheinliche Geschenk unserer Auserwählung, unserer Berufung und unserer Würde. Gott ist unser Vater. Er ist die Ursache unseres Daseins und unseres Soseins. Die Bindung an ihn garantiert uns ein menschenwürdiges Leben. Wenn ich an ihn gebunden bin, brauche ich mich gar nicht permanent selbst zu bestätigen, mich selbst in Szene zu setzen, mich selbst zu produzieren, mich selbst zu demonstrieren. Ich weiß die Wurzeln meines Lebens in Gottes Händen. Und Gottes Hände sind gute Hände! Aber dieser Gott, der unser Vater ist, behandelt uns nicht wie ein Marionettenspieler, sondern wie ein irdischer Vater. So offenbart er anderen seinen Namen durch die Namen von Menschen, die dieses Kindsein Gott gegenüber exemplarisch verwirklicht hatten, indem er sagt: "Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" (Ex 3,6). Und die Vaterunser-Bitte "Geheiligt werde dein Name" bedeutet, einen solchen Namen zu haben, der es Gott ermöglicht, durch ihn sich anderen Menschen zu offenbaren: "Ich bin der Gott Maximilian Kolbes, Mutter Teresas von Kalkutta und auch ganz unbekannter Menschen", die uns vielleicht nur in unserem speziellen Lebenskreis vertraut sind. Das Vaterunser ist wie ein "Quasi-Sakrament". Es sagt uns: "Wir heißen nicht nur Kinder Gottes, wir sind es". Wir dürfen "Vater", ja sogar "Vater unser" sagen. Die Beziehung zu Gott zeigt sich deshalb in der Beziehung zu den Menschen. Indem Gott mein Vater ist, sind die anderen Töchter und Söhne Gottes meine Schwestern und Brüder. Es ist Unsinn, von Brüderlichkeit oder Geschwisterlichkeit zu sprechen und dabei den Vater auszublenden. Und es ist ebenso unrealistisch, vom Vater im Himmel zu sprechen, ohne seine Kinder auf Erden ins Auge zu fassen: "Wie im Himmel, so auf Erden" ist die Kurzformel für unser christliches Leben. Und indem uns der Herr die Zusicherung an seinen Vater: "Dein Wille geschehe" nachsprechen lässt, gibt er uns Teil an der Mächtigkeit seines Willens. So wie bei Maria, die dem Engel sagte: "Mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Lk 1,38), oder wie beim Herrn selbst, der am Ölberg gesprochen hat: "Vater, nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen" (Lk 22,42). Vielleicht empfinden wir das als Zumutung, aber darin spricht sich das Niveau aus, auf das uns Christus mitnimmt: in die Gemeinschaft mit ihm und dem Vater im Heiligen Geist. Es ist schon wahr: "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich", wenn sein Wille konform ist mit dem Willen Gottes. Unmittelbar vorher hat deshalb - gleichsam als Quintessenz der göttlichen Hälfte des Herrengebetes - der Herr uns seinen großen Wunsch in den Mund gelegt: "Dein Reich komme". Dahinter steht der Appell: "Grenze deinen Lebenskreis nicht ein auf das Reich des Menschen, sondern weite deinen Lebensentwurf aus in das Reich Gottes hinein", denn nur so bleibt auch das Reich des Menschen menschlich. Wir wissen doch aus der Geschichte, dass nicht der Mensch menschlich ist, sondern dass nur Gott menschlich ist in seinem Mensch gewordenen Sohn Jesus Christus. In der Urkirche hat dieser dringende Gebetswunsch des Herrn einen Nachklang gefunden in dem vom hl. Paulus zitierten aramäischen Gebetsruf: "Maranatha!" (1 Kor 16,22) - "Unser Herr, komm!". Was heißt das anderes als: "Dein Reich komme!" Das Reich Gottes bewahrt die Kinder Gottes vor menschlichen Abhängigkeiten, vor menschlicher Einflussnahme, vor Korruption und Bestechung. Es macht uns immun gegen Menschenlob und Menschenfurcht. Die Kinder Gottes waren damals nicht zu kaufen in einer Umwelt, die die Kulturgeschichte nur mit der Bezeichnung "Das alte Rom" definiert. Und darum blieben sie wie leuchtende Sterne in dunkler Nacht. Die Sehnsucht nach dem Reich Gottes erhält uns vital und dynamisch, das Reich des Menschen auf das Reich Gottes hin zu orientieren, und bewahrt vor allen falschen Kompromissen mit dem Geiste der Welt, der dem Geiste Gottes entgegen steht.Die menschliche Seite des Vaterunsers beginnt dann mit der Bitte, dass uns nie das Brot zum Leben fehlt und dass wir immer so viel in der Tasche haben, um auch noch mit den Hungrigen teilen zu können. Denn Gott selbst ist im gebrochenen Brot, wie es dann später in der Eucharistie handgreiflich Wirklichkeit wird. Obwohl der Mensch nicht vom Brot allein lebt, hat der Herr dem Brot im Vaterunser doch eine unüberbietbare Bedeutung und Qualität beigemessen. Diese Bitte hält uns in unseren Breiten sensibel für die Bitten der Hungernden. Das ist eines der kostbaren Erbgüter, die uns unsere unmittelbaren bischöflichen Vorgänger in den großen bischöflichen Hilfswerken hinterlassen haben. Sorgen wir dafür, dass sie immer den Intentionen der Gründerväter entsprechen. Und nach der Brotbitte folgt sofort die Bitte um "Vergebung der Schuld". Vielleicht gehört gerade diese Bitte zu den wesentlichsten im heutigen Kontext gesellschaftlicher Wirklichkeit. Da sind ja Sünden und Schuld nicht mehr vorgesehen, sondern nur noch Fehler und Unvorsichtigkeiten. Die kostbarste Gabe, die Gott zu verschenken hat, ist die Vergabung, d.h. die Vergebung, und die größte Gnade ist die Begnadigung. Und wenn wir diese Gaben dem himmlischen Vater nicht mehr abnehmen und meinen, er sollte sie für sich behalten, dann hören wir auf, Kinder Gottes, Töchter und Söhne Gottes zu werden. Und Gott hört für uns auf, Gott zu sein. Ein Vater will von seinen Kindern nicht ignoriert, sondern gebraucht werden. Das ist im irdischen Bereich nicht anders. Wenn die Kinder ihren Eltern die kostbarsten Gaben nicht mehr abnehmen, dann hören sie auf, Kinder zu sein, und sie kündigen gleichsam dem Vater oder der Mutter ihre elterliche Würde auf. Nehmen wir gerade diese Vergebungsbitte sehr ernst! Eigentlich leben wir mehr von der täglichen Vergebung als vom täglichen Brot. Dass dieser Bitte als einzig im Herrengebet genannte Voraussetzung unsererseits angefügt wird "wie auch wir vergeben unseren Schuldigern" - wörtlich heißt es sogar "wie auch wir vergeben haben"! - macht wiederum deutlich, dass unsere menschliche Verhaltensweise der erbetenen göttlichen Gabe entsprechen muss - "wie im Himmel, so auf Erden".Und schließlich geht es dann zuletzt um die Bitte, nicht in Versuchung geführt zu werden. Viele gerade ernst zu nehmende Menschen tun sich mit dieser Bitte schwer. Kann Gott in Versuchung führen? Ich glaube, hier geht es um eine andere Wirklichkeit. In einem Bericht über den Russeneinfall in Ostpreußen im Januar 1945 wird berichtet, dass eine Mutter ihre drei Töchter ein halbes Jahr erfolgreich vor den Russen verstecken konnte. Dann aber wurde das Versteck entdeckt, und die Soldaten fielen über die armen Mädchen her. Und es ist ihnen nichts von dem erspart geblieben, was die meisten Frauen damals im Osten zu erleiden hatten. Und in ihrer Verzweiflung verriet die Mutter dieser Töchter andere Verstecke von Mädchen. Der Berichterstatter macht hier einen Vermerk: "Der Leser im bequemen Sessel soll sich über die arme Mutter nicht entrüsten, denn es gibt in uns Menschen Abgründe, von denen wir gar nichts wissen, die aber dann in uns aufbrechen, wenn wir in Extremsituationen geraten". "Und führe uns nicht in Versuchung" könnte dann doch heißen: "Lass mich nicht in Extremsituationen kommen, in denen ich mich dann selber nicht mehr kenne, wo Dinge in mir aufbrechen und aus mir ausbrechen, von denen ich nie etwas geahnt habe!"Das Vaterunser ist das Manifest der Liebe. Es hat gleichsam einen gottmenschlichen Charakter. Es ist fast wie ein Sakrament. Unseren Taufbewerbern wird es übergeben, wenn sie in ihrer Vorbereitung schon entsprechend weit sind. Es ist dann wie ein Garantieschein für die Initialsakramente Taufe, Firmung und Eucharistie, durch die der Mensch ganz und gar Schwester oder Bruder Jesu Christi wird und damit Kind Gottes. Dann ist das Vaterunser wirklich sein Gebet, so wie es das Herrengebet ist. Wir sprechen gleichsam in einem Atemzug mit Jesus und geraten damit in die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. So könnte uns die diesjährige österliche Bußzeit helfen, mit weniger Routine das Vaterunser zu beten.Amen.

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