| Pressemeldung

Predigt des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner,

anlässlich der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Mainz am 15. März 2000

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Brüder, liebe Schwestern!

Unsere Europäische Gemeinschaft wird im Wesentlichen vom ständig wachsenden materiellen Wohlstand zusammengehalten. Wohlstand aber kann allein dem Leben des Einzelnen und dem Gemeinwesen der Menschen keinen letzten Sinn geben. So lebt – trotz allem – in den meisten Menschen ein tiefes inneres Wissen um die geistige Leere des Wohlstands, weil er wirkliche Erfüllung nicht zu geben vermag. Wächst der materielle Wohlstand plötzlich nicht mehr oder geht er gar zurück, gerät diese Gesellschaft gleich in eine Sinnkrise. Es ist für uns Europäer im Hinblick auf die sogenannte 2. und 3. Welt ein Gebot der Stunde, in Zukunft mit weniger materiellem Wohlstand zu rechnen. Dabei dürfen wir jedoch nicht gleich in eine Sinnkrise stürzen, sondern müssen im Gegenteil eine neue Sinnerfüllung suchen und finden.

Das Neue Testament kennt in den Weisungen Jesu gleichsam ein Gegenprogramm, das uns hilft, mit einer solchen Situation fertig zu werden. Ich meine die sogenannten klassischen drei Evangelischen Räte: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Schon die Nennung dieser evangelischen Weisungen wirkt wie ein Schock auf den heutigen Westeuropäer, aber sie sollten eine Schock-Therapie bewirken. Sie lassen im Leben des Menschen Gott durchscheinen und können wirklich der österlichen Bußzeit Sinn und Inhalt geben. In ihnen wird deutlich, dass nicht die Welt das letzte Ziel der Menschen und der Kirche ist, sondern der Himmel. Aus dem Vorwurf, wegen des Himmels die Erde zu verraten, sind wir vielleicht heute ins Gegenteil verfallen: Um der Welt willen haben wir den Himmel veruntreut.

Vom Menschen im wachsenden Wohlstand sagt man: „Er will sich nichts mehr schenken lassen. Er will sich nichts mehr sagen lassen, und er will sich nicht mehr verschenken lassen.“

1. Die Evangelische Armut

Der Wohlstandsmensch will sich nichts mehr schenken lassen, um sich niemand anderem verdanken zu müssen. Das mache ihn unabhängig und souverän. Kein Mensch aber verursacht sich selbst. Immer verdankt er sich und sein Dasein einem anderen. Aus dieser Grundbefindlichkeit folgt auch, dass sich der Mensch das Wort, das ihm wirklich weiterhelfen kann, nie selbst zu sagen vermag. Es muss ihm gesagt werden, so dass der Mensch immer einer ist und bleibt, der sich einem anderen verdankt. „Was hast du, das du nicht empfangen hättest?“ (1 Kor 4,7). Alles ist Gnade!

Der Evangelische Rat der Armut, auf den z.B. die Ordenschristen verpflichtet werden, weckt dafür die Sinne. Evangelische Armut meint zunächst nicht Verzicht auf Besitz, sondern bedeutet vorrangig: Ein solches Vertrauen auf die Reichtümer Gottes zu haben und eine solche Solidarität mit den Armen dieser Erde zu entwickeln, dass wir bereit sind, zu deren Gunsten ärmer zu werden. Der Besitz dispensiert den Menschen von Gott, weil er sich zum Götzen macht. Das Wissen um Gott hingegen dispensiert den Menschen vom Besitz, weil Gott allein genügt. Allerdings sollten wir dabei beachten, dass ein Bettler wie ein verhinderter Kapitalist leben kann und ein Besitzender in der Haltung eines heiligen Franz von Assisi.

Man sagt z. B., der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie in Deutschland sei so groß, dass die Energiereserven der Welt nicht ausreichten, um jeden anderen Weltbürger mit der gleichen Energiemenge zu versehen. Hier gilt es also Einschränkungen vorzunehmen, um anderen mehr Teilhabe an den Energien dieser Erde zu ermöglichen.

Christus sagt: „Geben ist seliger als nehmen" (Apg 20,35). Ärmer werden zugunsten der Anderen macht nicht nur arm, sondern auch selig, eben „arm-selig“. Das ist eine überaus positive Definition. Wer darum weiß, dass er sein Da- und Sosein anderen verdankt, wird fähig, das Seinige mit den Anderen zu teilen.

2. Der Gehorsam

Der Wohlstandsmensch will sich nichts sagen lassen. Er bleibt gleichsam in sein eigenes Wollen und Denken eingeschlossen. Aus diesem Denkmuster resultieren dann so unsinnige Lebensgrundsätze wie: „Wie du mir, so ich dir!“ oder: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ Auf jede Aktion des Anderen setze ich meine entsprechende Reaktion: „Du grüßt mich nicht mehr, also grüße ich dich auch nicht. Meine Geschäfte mit dir rentieren sich nicht mehr, also machen wir keine Geschäfte mehr.“ Unsere ganze Gesellschaft scheint in ein solches reaktionäres Verhaltensschema eingebunden zu sein. Wo dann plötzlich auf eine Aktion nicht mehr eine Reaktion, sondern eine neue Aktion erfolgt, dort wird dieses Verhaltensgefängnis gesprengt, und es entsteht etwas Neues.

Dies geschieht etwa dort, wo sich einer gemäß den Weisungen der Bergpredigt verhält, wenn es heißt: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“ (Mt 5,39). Normalerweise nimmt der Schlagende schon Deckung, weil er damit rechnet, dass sofort zurück geschlagen wird; eben: „Wie du mir, so ich dir.“ Hier aber tritt ein anderes Verhaltensschema in Kraft. Jesus Christus, der dem Willen des Vaters gehorsam war, zeigt uns dieses neue Lebensmodell. Es lautet: „Wie Gott mir, so ich dir.“ Er wird von den Menschen beschuldigt, er aber spricht: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). Er wird von den Menschen verflucht, er aber segnet sie. In diesem Lebensmodell wird plötzlich das enge Schema von Aktion und Reaktion aufgebrochen, und es entstehen ungeahnte Möglichkeiten im Zusammenleben der Menschen. Hier ist Gehorsam gegenüber dem Worte Gottes fällig.

Wer das Wort Gottes hört und ihm gehorcht, der gehört zu Gott. Nicht die „Herr-Herr-Sager“, sondern die „Vollbringer“ des Wortes sind hier gefragt. Christliche Politiker etwa sollten aus ihrem Glaubensgehorsam heraus Impulse in das politische Tagesgeschäft einbringen, die unsere menschlichen Berechnungen und Planungen weit übersteigen, um eine neue „Zivilisation der Liebe“ mitzubegründen.

3. Die Evangelische Keuschheit

Der Mensch des wachsenden Wohlstandes will sich schließlich nicht mehr verschenken lassen. Darum scheitern ja zum Beispiel auch so viele Ehen, weil jeder Angst hat, ausgenutzt zu werden und zu kurz zu kommen. Dass aber der Eine dem Anderen zum Geschenk und nicht zum Verlust werden soll, ist weithin in Vergessenheit geraten. Keuschheit besagt, dass der Mensch seine geschlechtlichen Kräfte für die größere menschliche Liebe zum Ehegatten in Dienst zu nehmen weiß. Unbeherrschte Sexualität brennt und plündert den Menschen aus, sie macht ihn zur Ruine und erniedrigt den Anderen. Die Keuschheit bewahrt den Menschen in seiner seelischen und körperlichen Integrität, so dass er dem Anderen zum Geschenk wird. Der keusche Mensch ist derjenige, der nicht mehr vom Trieb determiniert ist, sondern von der Gnade Gottes befreit, alle Kräfte seines Seins für Andere einzusetzen weiß. Menschliche Energiekrisen werden durch den Evangelischen Rat der Keuschheit weithin behoben und in eine Energiefülle verwandelt.
Dasselbe gilt im gesellschaftlichen wie auch im persönlichen Leben. Ein rücksichtsloses Ausplündern der Ressourcen unserer Erde z.B. geht immer zu Lasten anderer. Dabei geht ein „Wir“-Gefühl und das Verantwortungsbewusstsein für den Anderen verloren. Der Christ jedoch lebt – wie man sagt – in der Pro-Existenz, in der Für-Existenz. Christus ist am Kreuz „für uns“ gestorben und von den Toten auferstanden. Er ist zum Vater zurückgekehrt, um „für uns“ Fürsprache einzulegen. Er ist der erste und eigentliche „Fürsorger“ der Menschheit.

Wie aktuell das für uns Europäer ist, braucht an dieser Stelle nicht weiter ausgedeutet zu werden. Wer frei wird von sich selbst, der wird auch frei für Andere. Hier möge sich der Eine durch den Anderen beschenken lassen. Das Wort, das dir wirklich weiterhilft, kannst du dir nicht selbst sagen, es muss dir gesagt werden, es muss dir gegeben werden. Auf den Weg, der dich ans Ziel bringt, kannst du dich nicht selbst führen. Du musst auf diesen Weg geführt werden.

Wenn die Erfahrung stimmt, dass der Wohlstandsmensch sich nichts mehr schenken, sich nichts mehr sagen und sich nicht mehr verschenken lassen will, dann werden wir sagen müssen, dass der Christ der andere Mensch ist, der sich von Gott beschenkt, von seinem Wort angesprochen und von seinen Weisungen gesegnet weiß. Das würde das Angesicht der Erde wirklich erneuern. Darin liegt unsere Berufung.

Amen.

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