| Pressemeldung

Predigt des Erzbischofs von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 26. September 2002

Schriftlesung: Koh 1,2-11 "Nichts Neues unter der Sonne"?
Kohelet, als das seltsamste Buch in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur bezeichnet, vielleicht das seltsamste Buch der Hl. Schrift, findet in unserer Verkündigung wohl wenig Beachtung. Einige markante Sätze sind geläufig, aber nicht tonangebend. (Ausleger müssen vor allem den resignativen Zug erklären.) Doch sind mir Menschen begegnet, die das Buch beachtlich und anregend finden: Literaten, die in der Bibel auf der Suche nach Weltliteratur sind.
Wie dem auch sei, die Kirche legt uns nahe, die Botschaft dieses Buches zu beachten. Sonst wäre es nicht in der Perikopenordnung berücksichtigt.
In der Lesung haben wir den Auftakt gehört. Das Thema: es gibt nichts Neues unter der Sonne. Also: Vergänglichkeit zwar, aber doch nur Wiederkehr der Dinge.
Gerade beim Gedenken an verstorbene Mitbrüder scheint es passend, das Gehörte genau zu bedenken.
"Alles Windhauch", heißt es. Also: vergeblich, nichtig, vergänglich, belanglos. Trifft ein solcher Ton das Empfinden der Menschen, speziell der heutigen Generation? Die Erfahrung von Vergänglichkeit gehört zweifellos zum Menschenleben. Das Empfinden dafür und die Reaktion darauf sind aber ganz unterschiedlich.
Die Erfahrung: Firmanden fragte ich kürzlich, ob sie sich an die DDR-Zeit erinnern. Sie haben sie noch erlebt; vor ihrer Schulzeit, und damit liegt sie in grauer Vorzeit.
Ich blicke mich hier im Kreis der Mitbrüder um. Sehr genau erinnere ich mich an die Vollversammlung vor 12 Jahren, bei der bekannt gegeben wurde, daß die Berliner Bischofskonferenz den Hl. Vater um ihre Aufhebung gebeten habe und die Bischöfe der neuen Bundesländer in die Deutsche Bischofskonferenz eingegliedert werden sollten. Mir ist, als wäre das eben erst geschehen. Ich habe aber nachgezählt: mehr als die Hälfte der Ordinarien jenes Jahres sind inzwischen gestorben oder nicht mehr im Amt, und die Hälfte der heutigen Weihbischöfe haben den Vorgang nicht als geweihte Bischöfe erlebt.
Vergänglichkeit - nicht zu bezweifeln. Wie reagieren wir, wenn sie uns bewußt wird? Wie werden wir damit fertig?
Also: die Reaktion: "Eine Generation geht, eine andere kommt", sagt Kohelet. Nur Ablösung von Personen? Aber "sonst nichts Neues unter der Sonne"? Doch, es gibt Neues: mit neuen Personen auch neue Charaktere; aber auch neue Anliegen, neue Gefahren und neue Chancen, neue Aufgaben und neue Probleme. Das zeigen die Tagesordnungspunkte und Protokolle aus jenen Tagen. Oder hat Kohelet doch recht? Vielleicht betreffen diese Wandlungen nur Peripheres und Akzidentelles, ein paar Konstellationen ..., aber das Wesentliche ist geblieben? Denn schließlich bleibt der Mensch, wie er war ... auch in seiner Hinfälligkeit und Vergänglichkeit.
"Nichts Neues unter der Sonne"? Trifft das unser Lebensgefühl? Kennzeichnet eine solch drückende Stimmung unsere Generation? Ach nein.
Es gibt Neues, es gibt Veränderungen, sogar einen rasanten Wandel - einen schwungvollen oder bedrohlichen. Auch in der Kirche. Selbst in kurzen Zeitabschnitten von 10 oder 12 Jahren.
Gäbe es "nichts Neues unter der Sonne", hieße das Rezept: in aller Resignation aushalten, Dickfelligkeit aussitzen!
Nein, das kann nicht die Lösung sein!
Das wäre Verantwortungslosigkeit hinsichtlich der dem Menschen gestellten Aufgaben. Das kann er auch für seine eigene Person nicht.
Denn einerseits ist es das Elend des Menschen, daß er von seinem Ende weiß und davon nicht schweigen kann.
Erich Fried schmiedet einmal den Vers:
Ein Hund der stirbt und der weiß daß er stirbt wie ein Hund und der sagen kann daß er weiß daß er stirbt wie ein Hund ist ein Mensch.
Aber es macht auch seine Größe aus, daß er zur Gewißheit kommt: die Sehnsucht nach dem Ewigen täuscht ihn nicht. Er darf darauf hoffen. Anders gesagt: Wir können Kohelet nur im Horizont der Botschaft von der Auferstehung und ewigem Leben lesen. Damit ist der Kreislauf von Untergang und Wiederkehr durchbrochen. "Nichts Neues unter der Sonne" kann nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Mit der Auferstehung Jesu hat das ganz Neue begonnen.
In diesem Glauben gedenken wir auch unserer verstorbenen Mitbrüder. "Sie haben es überstanden" - das Leben mit seinen Mühseligkeiten und Leiden sei nun vorbei. Eine solche Sicht bliebe im Horizont von Kohelet. Das wäre nicht viel.
Mehr schon: "Sie haben bestanden" - das Leben wie eine Prüfung bestanden, und es war nicht vergeblich, sondern fruchtbar für andere.
Das etwa sprechen wir in Würdigungen und Nachrufen aus (obwohl wir wissen: das letzte Urteil steht dem ewigen Richter zu.)
Der Glaube aber sagt: durch eine letzte Läuterung hindurch gehen sie in die Herrlichkeit Gottes ein.
Das ist mehr als Kohelet. Das ist der auferstandene Christus.
Wenn Literaten nach Weltliteratur suchen, die ihnen die Fragen nach Tod und Leben beantworten, möchte ich ihnen sagen: bleibt nicht bei Kohelet, geht zu Christus.
Amen.

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