| Pressemeldung

Predigt des Bischofs von Trier, Dr. Reinhard Marx, während der Schlussandacht anlässlich der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 25. September 2003

Es gilt das gesprochene Wort
Schriftwort: Mt 13,44-46

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Im nächsten Jahr gedenken wir des 1250. Todestags des heiligen Bonifatius, an dessen Grab wir uns hier versammelt haben. Er steht für eine Zeit des Umbruchs und Neuaufbruchs der katholischen Kirche in Deutschland. Er wusste in einer für die damaligen Zeit großartigen Weise zu verbinden, was uns manchmal fehlt: gleichzeitig Gesinnungsreform und Strukturreform in der Kirche voranzutreiben. Die Gründung und Neuorganisation von Bistümern und Pfarreien ging einher mit einer geistlichen Vertiefung durch Klöster und Missionare. Das war im achten Jahrhundert dringend notwendig, denn erst langsam erreichte man in weiten Teilen Deutschlands wieder ein Niveau des geistlichen Lebens, das es im vierten Jahrhundert - etwa in Trier, in der Stadt, aus der ich komme - schon gegeben hatte. Ein Blick auf das Wirken des heiligen Bonifatius zeigt uns also, dass es in der Geschichte der Kirche immer wieder Aufbrüche und Niedergänge gibt, Zeiten der Glaubenskrise und Epochen neuer Lebendigkeit der Kirche. Bonifatius lehrt uns aber auch, dass Aufbrüche nicht einfach befohlen werden können, aber durch kluge pastorale Arbeit gefördert und vertieft werden.
2. Ein zweiter epochaler Einschnitt in der Geschichte der Kirche in unserem Land stand in diesem Jahr im Mittelpunkt vieler Diskussionen: die Säkularisation im Jahre 1803. Es verblüfft noch heute, mit welcher Selbstverständlichkeit die traditionell gewachsenen Strukturen der Reichskirche zerstört, Klöster aufgehoben, Mönche und Nonnen vertrieben und Kunstschätze von unschätzbarem Wert verschleudert wurden. Dass dies möglich war, ist nicht nur erklärlich durch die Habgier der Fürsten, sondern auch durch die geistige Situation der Zeit, in der dem Neuen immer Vorzug gegeben wurde vor dem Alten. Fortschritt war das Leitmotiv der Zeit. Alles sollte der modernen Kategorie der gesellschaftlichen Nützlichkeit unterworfen werden, wobei natürlich besonders klösterliches Leben auf der Strecke blieb. Schon Napoleon war ja 1799, als Papst Pius VI. im französischen Exil starb, der Meinung, dass es mit der katholischen Kirche, mit dieser mittelalterlichen Institution endgültig am Ende sei. Keiner hätte sich vorstellen können, dass die Kirche im 19. Jahrhundert gerade in unserem Land einen so faszinierenden Weg der Erneuerung und des Aufbruchs erleben würde, wie er dann im Laufe der Jahrzehnte stattfand. Voraussetzung war auch hier die geistliche Erneuerung, die Vertiefung des Christseins im Gebet und in Werken der Nächstenliebe. Einer tiefen Krise und einer Zeit der Auflösung schloss sich eine Epoche der Konsolidierung, ja der Profilierung und Stärkung des katholischen Glaubens an. Nicht vergessen werden darf, dass in beiden Umbruchs- und Krisenzeiten, sowohl im achten Jahrhundert wie im 19. Jahrhundert, die vertiefte Bindung an den Nachfolger des Apostels Petrus von großer Bedeutung war.
Natürlich steht jede Zeitstunde unter besonderen Bedingungen und die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber die Kirche ist auch nicht nur ein Untersuchungsobjekt der Geschichtswissenschaft und der Soziologie. Sie ist das Volk Gottes, das immer wieder den eigenen Weg im Licht des Evangeliums betrachtet und so bereit wird zur ständigen Erneuerung. Für uns als Kirche gilt es, in jeder Zeit neu die Herausforderung anzunehmen, mitten in der Welt das Evangelium vom auferstandenen Herrn Jesus Christus zu bezeugen. Und deshalb verbietet sich ein nostalgisches Zurückschauen in vergangene, scheinbar bessere Zeiten, genauso aber auch der Traum von einer Zukunftskirche, die mehr eine Flucht aus den gegenwärtigen Problemen ist als eine Hilfe zur Veränderung und Erneuerung. Wir sind hineingestellt in diese Zeitstunde und sollten das mit ganzem Herzen annehmen und bejahen. Das ist der notwendige Ausgangspunkt aller Neuorientierung. Vor allem hilft es nichts, die Gegenwart zu verteufeln, die moderne Welt als einen Irrweg hinzustellen und damit letztlich auch den universalen Anspruch des Evangeliums aufzugeben, der ganzen Schöpfung und allen Menschen das Wort Gottes zu verkünden.
Das bedeutet nicht, die Augen zu verschließen vor einer größer werdenden Differenz von Kirche und Gesellschaft. Das zeigen alle Untersuchungen, auch der jüngste Trendmonitor des Allensbacher Instituts für Demoskopie bestätigt diese Entwicklung der "beschleunigten Moderne" und es kann ja auch gar nicht anders sein. In einer Welt, in der die Freiheit des Einzelnen sich immer mehr erweitert und damit die Gesellschaft individualistischer wird und kaum noch ein gemeinsamer Wertehorizont gefunden werden kann, ist es für die Kirche immer schwieriger, deutlich zu machen, dass Glauben auch heißt, einer konkreten Gemeinschaft verlässlich und für immer anzugehören. Genauso schwer ist es, zu akzeptieren, dass der Glaube nicht nur persönliche Meinung ist, sondern einen Wahrheitsanspruch hat, der über mein eigenes Verstehen hinausgeht. Und: Im Glauben bekenne ich mich zu einer neuen Lebensweise, die sich oft genug unterscheiden muss von dem, was vordergründig für das Glück gehalten wird. Für mich ist die Kernfrage deshalb: Können wir auf der einen Seite profiliert und froh katholisch sein und gleichzeitig auf der anderen Seite mit Zuversicht in dieser Gesellschaft als moderne Menschen leben? Alles spricht dafür, dass die Spannung zwischen diesen beiden Polen größer werden könnte. Die Antwort kann weder sein, sich in eine Nische zurückzuziehen, noch der sich beschleunigenden Moderne einfach hinterherzulaufen. Das zumindest lehrt uns der Weg der Kirche durch die Geschichte.
4. Wie aber kann die größer werdende Spannung ausgehalten werden? Wie können wir die Kraft des Glaubens neu erschließen? Ich bin überzeugt: Eine geistliche Erneuerung und ein Neuaufbruch in der Evangelisierung kann nur gelingen, wenn wir deutlich machen: Der Glaube an den dreifaltigen Gott, gelebt und gefeiert in dieser sichtbaren Kirche, ist die stärkste Alternative, das größte Abenteuer für Geist und Herz des Menschen. Nicht indem wir die Welt anklagen, sondern indem wir ihr zeigen, was stärker ist, können wir unseren Weg in die Zukunft gehen. Im Grunde ist das auch der viel beschworene Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils: Das Konzil wollte nichts abschaffen, wollte keine Relativierung der Glaubenswahrheiten und der katholischen Grundüberzeugung, aber es wollte - so hat es Papst Johannes XXIII. in seiner beeindruckenden Eröffnungspredigt gesagt - in besserer und überzeugenderer Weise den Schatz des Glaubens allen Menschen zugänglich machen.
Wenn wir doch in unserer Liturgie, in unserem gemeinsamen Zeugnis der Liebe, in unserer Freude am Gebet erfahrbar machen könnten, dass der christliche Glaube wirklich der große Schatz ist, für den es sich lohnt, alles zu verkaufen, die wertvolle Perle, die den ganzen Einsatz lohnt - wie es im Text aus dem Matthäusevangelium Jesus gesagt hat - dann wäre das möglich, was ich im Bistum Trier oft die "mentale Wende" nenne: Der Umbruch in unseren Köpfen und unseren Herzen, die neue Erkenntnis, wie reich wir beschenkt sind, wie wunderbar es ist, Christ zu sein! Der große Neutestamentler Heinz Schürmann hat einmal gesagt, dass dieses Gleichnis vom Schatz und von der Perle vielleicht eine biographische Notiz Jesu ist, dass er hier von sich selber und von seinen Erfahrungen berichtet, von seiner Entdeckung des Reiches Gottes, der faszinierenden Wirklichkeit Gottes unter uns, die frei zugänglich wird durch ihn selbst, den gekreuzigten Erlöser. Wir müssen die Oberflächlichkeiten und Banalitäten auch in der Kirche immer wieder durchbrechen auf das Zentrum hin, auf das, was Jesus im Tiefsten sagen und erschließen wollte: den Zugang in die unendliche Liebe des Vaters. Gott suchen und finden steht im Mittelpunkt allen Tuns der Kirche. Sie lädt alle Menschen guten Willens ein, im Heiligen Geist durch Christus zum Vater zu gehen (vgl. Eph 2,18). "Es ist Zeit, von Gott zu reden" hat Kardinal Lehmann als Titel über ein kürzlich erschienenes kleines Buch geschrieben. Genau das! Wo die Suche und die Frage nach Gott verstummt und verschwindet, ist jeder Anknüpfungspunkt unmöglich.
Und ein weiterer Punkt muss wieder deutlicher unterstrichen werden, ganz in der Tradition des Alten und Neuen Testamentes: Die Kirche ist Volk und Haus Gottes. Gott suchen ist nicht nur ein einsamer Weg des Einzelnen, sondern das Eintreten in ein Haus, das von Gott gebaut wurde, von seinem Geist immer wieder erneuert wird. Wir treten gemeinsam in dieses Haus ein, nicht mit der Absicht es auszurauben, sondern in ihm zu wohnen, und wir gehen durch dieses Haus mit seinen vielen Zimmern und Einrichtungsgegenständen staunend und froh, ohne dass wir bis zur Stunde unseres Todes alles begriffen und alles gesehen hätten. Aber wir sind der festen Überzeugung: Wir haben in diesem Haus ein Dach über unserem Leben, unserer Seele und auch ein Dach der Geborgenheit in der Stunde unseres Todes. Denn wir erfahren im Wohnen in diesem Haus und im Mitgehen im Volk Gottes, dass alle Mächte des Todes, dass Gewalt und Habgier, Ausbeutung, Krankheit und Sünde nicht das letzte Wort haben, sondern Gottes Wort der Liebe, die uns in Christus geschenkt wird. Gibt es dazu wirklich eine Alternative? Gibt es eine stärkere Botschaft? Und schließlich erfahren wir, dass wir das Glück finden können, wenn wir lieben. Es drängt uns von selbst, uns mitzuteilen, einander nahe zu sein, miteinander die Geheimnisse unserer Erlösung zu feiern, uns den Armen zuzuwenden in Wort und Tat.

Liebe Schwestern und Brüder, seit zweitausend Jahren ist die Kirche unterwegs. Sie hat Höhen und Tiefen erlebt, Umbrüche, Krisen, Streit, Uneinigkeit, Neuaufbrüche. Das bleibt auch uns nicht erspart, aber gerade in unserer Zeit stehen wir vor der Frage, ob wir uns weiter zerstreuen lassen wollen oder uns mitten in unserer Welt der geistlichen Sammlung und Erneuerung öffnen, nicht nur damit die Kirche überlebt - das steht nicht in unserer Hand - sondern damit die wunderbare Botschaft des Glaubens allen Menschen authentisch, überzeugend und als starke Alternative angeboten werden kann. Dann ist es wirklich möglich, froh und profiliert katholisch zu sein und mitten in dieser modernen Welt zu wirken und zu leben. Amen.

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