| Pressemeldung

Predigt des Bischofs von Passau, Wilhelm Schraml, bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 26. September 2002

Schriftlesung: 1 Kor 12,3b-7.12-13
Wie wird Kirche?
Vor etwa 80 Jahren hielt Romano Guardini eine Vortragsreihe mit dem Titel "Vom Sinn der Kirche". Den ersten Vortrag leitete er damals mit der später berühmten Formulierung ein, die Kirche erwache in den Seelen zum Wohl junger Menschen. Guardini meinte damit, katholische Studierende und Akademiker seien in einer neuen, für die meisten Zeitgenossen unerwarteten Weise bereit, sich in die Tiefendimensionen dessen zu versenken, was für den Katholiken "Kirche" und "Kirchlichkeit" bedeutet.
Heute scheint eine genau entgegengesetzte Tendenz am Werk zu sein: Die Kirche droht in den Herzen vieler Menschen zu sterben. Wohl selten vorher ist die Kirche und sind ihre Autoritäten so heftig kritisiert worden, und das nicht etwa von Außenstehenden, sondern von den Katholiken selbst. Die einen meinen, seit dem Konzil habe die Kirche mit ihrer Tradition gebrochen; andere beklagen sich über angeblich Unhaltbares, das ihnen aus vergangenen Zeiten zugemutet werde. Eine bedrückende Verwirrung hat eingesetzt.
In dieser Situation ist die Frage umso drängender: Wie wird Kirche, in der Gottes Heiliger Geist lebendig ist?
Der Apostel Paulus hat in dieser Fragestellung Erfahrung. Er kann uns Entscheidendes sagen; wir haben das in der Lesung gehört.
In Korinth ging damals alles drunter und drüber. Paulus stand als Amtsträger mit dem Rücken zur Wand. Die vom Geist Begabten - oder die sich dafür hielten - spielten einen Prediger gegen den anderen aus. Wer sich verzückt gab, galt als Apostel. Paulus kam da mit seiner Predigt von Christus als dem Gekreuzigten schlecht weg. Man zweifelte seine Autorität an. Die Gemeinde drohte in Parteiungen zu zerfallen. Gerade die anscheinend Geistreichsten fühlten sich über alle Ordnungen und Gebote erhaben. Was tatsächlich einmal im Heiligen Geist begonnen hatte, drohte nun im Ungeist, im Chaos zu enden.
Was tat Paulus in dieser Situation? Er legte den Korinthern als erstes das entscheidende Kriterium ans Herz, mit dem sie den Heiligen Geist vom Ungeist unterscheiden könnten. Er sagte ihnen: "Wer Jesus als den Herrn bekennt, kann das nur, wenn er aus dem Heiligen Geist redet." Und er sagte ihnen auch: "Wer aus dem Heiligen Geist redet, kann Jesus nicht herabsetzen oder außer acht lassen. Wer immer das tut, der kann den Heiligen Geist nicht haben."
Paulus hielt den Schwärmern das innere Geheimnis der Kirche vor Augen, um ihnen vorzuhalten, wie unmöglich es für Christen sei, in der Kirche gegeneinander zu stehen und die Kirche auseinander zu reißen. Er sagte ihnen: "Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott. Er bewirkt alles in allem."
Die Kirche des Herrn als Einheit des Heiligen Geistes aufzuerbauen wie einen Leib, der verschiedene Glieder hat, aber gerade dadurch ein einziges Ganzes ist, das muss der entscheidende Gesichtspunkt aller Arbeit der Kirche sein. Daran haben sich alle zu messen.
Fragen wir also: Wie wird Kirche? Paulus hat es uns gesagt,
1. indem wir Jesus als den Herrn bekennen.
Erinnern wir uns an den Osterabend: "Jesus trat in die Mitte der Jünger und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesem Gruß zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen." (Joh 20,19 ff)
Damit begann alles. Mit der Sammlung der Verstreuten, der Konzentration der Jüngerschar um den gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Er kommt zu ihnen und bleibt von jetzt an der Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns. Ganz anders als vorher, wo sie sich an seiner menschlichen und prophetischen Größe begeisterten, zieht sie nun der Auferstandene, der die Wunden des Leidens und des Todes trägt, in seinen Bann. Und Thomas bekennt: "Mein Herr und mein Gott!" (Joh 20,28)
Der Anfang der Kirche ist so trotz aller Karfreitagserfahrung mit Freude verbunden: Wir sind Kirche der Freude am Herrn Jesus Christus.
Müssen wir uns nicht fragen, wenn wir den Zustand der Kirche unserer Zeit bedenken, ob wir nicht den Blick auf den auferstandenen Herrn verloren haben? Sind die innerkirchlichen Streitereien, die innere Entfremdung und Resignation nicht ein deutliches Zeichen für einen tieferen Grund der Krise? Liegt dieser Grund nicht im Verlust der Mitte der Kirche? Verliert die Kirche nicht deswegen so viele, weil sie zu wenig auf Christus schaut und aus der Freude am auferstandenen Herrn lebt?
Es scheint ein klares Gesetz zu sein: Wenn das innere Geheimnis Jesu Christi verblasst, wird die Kirche geistlos. Wo die Freude an Christus abnimmt, nimmt der Streit über seine Sache zu. Dann wird auch die Freude in der Kirche zerstört und die Sammlung, mit der Jesus am Osterabend begann, wird wieder zur Zerstreuung ins Dunkel des Karfreitags. Und das ist Verrat.
Kirche wird lebendig nur durch unsere persönliche Liebe zu Christus. In ihm finden wir auch einander. Wenn wir uns vom Glauben und von der Freude am Herrn packen lassen, können wir auch einander Lieblosigkeit und Untreue vergeben. Wenn wir Christus fest im Blick haben, hören die unsäglichen Rangstreitigkeiten auf. Wenn wir uns um ihn scharen, wird uns bewusst, dass wir als seine Brüder und Schwestern zusammengehören, weil wir ihm allein dienen, gleich ob Laie, Priester oder Bischof.
Dazu brauchen wir den Heiligen Geist. Er ist es, der die Freude an Christus in uns weckt und uns den Glauben gibt. In dem Maß, als wir Christus Herr sein lassen in unserem Leben, werden wir wirklich geistliche Menschen, werden wir Kirche, werden wir solche, die im Bekenntnis Jesu, des Herrn, zusammengehören und untrennbar einander verbunden sind.
Wie wird Kirche? Paulus hat es uns gesagt,
2. indem wir ins Innere der Kirche eintreten.
Die Kirche ist ein Geheimnis. Kirche werden wir im Innenraum ihres Geheimnisses, nicht an ihrer Fassade. Um die Kirche zu erneuern, um selber geisterfüllte Kirche zu werden, braucht es diesen Schritt ins Innere. Alles, was die Kirche tut, nimmt dort seinen Anfang, denn da ist Gott, der durch Jesus Christus in ihr gegenwärtig ist und im Heiligen Geist sich verschenkt.
Geisterfüllte Kirche werden wir dann, wenn wir aus der Quelle trinken, die im Ostergeheimnis Jesu Christi aufgebrochen und in der Feier der heiligen Eucharistie gegenwärtig ist. Wer nicht mehr zum Gottesdienst geht, wer nicht mehr den Ort der Sündenvergebung aufsucht, wer Christ sein will ohne die Kirche, der trocknet aus und stirbt ab, mag er sich noch so charismatisch gebärden und noch so asketische Übungen vollbringen.
Geistlichen Dienst vollziehen wir dann, wenn wir aus der Mitte der Kirche leben und handeln, aus der geistlichen Speise, die sie austeilt, aus der Gemeinschaft des Gebetes mit ihr. Wer nicht betet, hat in der Kirche nichts zu sagen und kann in der Welt nichts ausrichten, was ihr zum Heil dient. Wer nicht im Innern der Kirche lebt, kann für die Menschen nichts Heilsmächtiges tun. Er kann religiöse Informationen geben, aber keinen Glauben entzünden. Er kann vielerlei machen, aber nichts entscheidend Christliches leisten. Aus dem Innern der Kirche springt der Funke des Heiligen Geistes über.
Wie wird Kirche? Paulus hat es uns gesagt,
3. indem wir die Gaben des Geistes zum Nutzen aller gebrauchen.
In der Kirche wird alles verkehrt, wenn die, die kirchliche Dienste tun und ihre Fähigkeiten in das Wirken der Kirche einbringen, eigennützig sich selbst darstellen und eigensüchtig gegeneinander arbeiten. Die Gaben des Geistes erweisen sich gerade dadurch als echt, dass sie zur Zusammenarbeit drängen, dass sie die geschwisterliche Einheit suchen und einander im Glauben ermuntern und stärken.
Die Gaben des Geistes haben ihren Ursprung ja in Gott, der nicht für sich selbst lebt, sondern in Christus für uns Menschen. Sie sind uns von dem Gott gegeben, der im Heiligen Geist ganz mit sich eins ist. Darum ist die Wahrung der kirchlichen Einheit höchstes Gut. Darum ist die gegenseitige Liebe das oberste Kennzeichen lebendiger Kirche.
Wie wird Kirche? Paulus hat es uns gesagt. Indem wir uns ganz konzentrieren auf das Geheimnis Jesu Christi und ihn als unseren Herrn anerkennen und bekennen. Für ihn will uns der Heilige Geist Augen und Herz öffnen; für ihn will er unsere Anbetung entzünden, wenn wir eintreten in das Innere der Kirche. Dann ist es um die Zukunft der Kirche so bestellt: Wir können, komme, was da mag, erhobenen Hauptes voll Mut und Zuversicht in die Zukunft gehen, denn die Kirche erwacht in den Seelen. Amen.

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