| Pressemeldung | Nr. 61

Nachhaltigkeit - Gemeinwohl - Soziale Gerechtigkeit

Erklärung der deutschen Bischöfe zur Bundestagswahl am 22.09.2002

Am 22. September entscheiden die Wählerinnen und Wähler über die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages und damit über die Politik in den kommenden vier Jahren. Doch gibt es viele Aufgaben, die weit über die nächste Legislaturperiode hinausweisen: Die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Sicherung des Friedens, die Reform unserer sozialen Sicherungssysteme - um nur einige Herausforderungen zu benennen. Heutiges Tun und Unterlassen hat längerfristige Folgen, und die Gestaltung der Zukunft muß jetzt in Angriff genommen werden. Politik braucht dafür Kriterien, an denen sie sich bei ihren Entscheidungen orientieren kann.
I. Grundlagen und Prinzipien des politischen Handelns
Wir wollen uns mit dieser Erklärung nicht zu allen politischen Fragen äußern, sondern vor allem Orientierungskriterien einer langfristig ausgerichteten Politik zur Sprache bringen. Dabei lassen wir uns vom christlichen Verständnis des Menschen und des gesellschaftlichen Zusammenlebens leiten. Wir sind überzeugt, dass dieses geeignet ist, die Würde des Menschen und die humane Gestalt der Gesellschaft für alle zu sichern, wenn wir uns an den Prinzipien der Nachhaltigkeit, des Gemeinwohls und der sozialen Gerechtigkeit orientieren.
Nachhaltigkeit
Das Prinzip der Nachhaltigkeit fordert uns auf, unsere Lebensgrundlagen verantwortungsvoll zu nutzen, sie zu schonen und so für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Diese Forderung betrifft nicht nur die natürliche, sondern in ähnlicher Weise auch die soziale Umwelt. Das Prinzip Nachhaltigkeit gilt ebenso für die geistig-ethischen Werte und Tugenden, die auf eine längerfristige Perspektive angelegt sind. Auch im kulturellen und sozialen Bereich schließt jede Generation an das Erbe an, das ihre Vorgänger hinterlassen haben: Wir leben aus Überliefertem, mehr als uns oft bewusst ist. Traditionen in Frage zu stellen ist leicht, ihre orientierende Kraft zu ersetzen aber kaum möglich. Das christlich-europäische Erbe bewahrt ein Verständnis des Menschen und der menschlichen Beziehungen, der Geschichte und der Natur, das ethische Standards sichert, die wir nicht preisgeben dürfen.
Jede Generation soll soziale Strukturen und Institutionen vorfinden, die Freiheit, Gerechtigkeit und faire Konfliktlösungen ermöglichen. Wenn wir heute die Balance von Freiheit und Solidarität durch eine egozentrische Individualisierung zerstören, wird es die nachfolgende Generation schwer haben, sie wieder zurück zu gewinnen. Sie wird unter Konflikten leiden, die durch den Mangel an Gerechtigkeit und eine Spaltung der Gesellschaft - auf nationaler wie auf internationaler Ebene - entstehen.
Jede Generation übernimmt das Kapital, aber auch die Schulden der vorhergehenden. Wir dürfen die ungedeckten Kosten unserer Lebensweise nicht auf die nachfolgende Generation übertragen.
Politisches Handeln muss also in allen Dimensionen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein und langfristig tragfähige Lösungen suchen. Es darf nicht vor notwendigen, aber unbequemen Problemlösungen zurückschrecken. Wir müssen in unserer Gesellschaft eine ernsthafte Diskussion darüber führen, in welchem Maß und auf welche Weise nicht nur die politischen Kräfte und die gesellschaftlichen Institutionen, sondern auch jeder Einzelne hierzu beitragen kann.
Gemeinwohl und soziale Gerechtigkeit
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes und deshalb verpflichtet, sich an den Erfordernissen der sozialen Gerechtigkeit zu orientieren und dem Gemeinwohl zu dienen.
Das Gemeinwohl hat die Verbundenheit der Menschen im Blick. Menschen sind aufeinander angewiesen. Orientierung am Gemeinwohl erfordert deshalb, Strukturen der Solidarität zu stärken und auf ihre gerechte Ausgestaltung zu achten. Ohne Gerechtigkeit und Solidarität sind die Lebensmöglichkeiten vieler Menschen eingeschränkt. Das Gemeinwohl hat auch den einzelnen Menschen im Blick. Seine Würde und seine unveräußerlichen Rechte sind ebenso zu sichern wie seine Freiheit, das Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Ohne Sicherung der Würde und der Rechte eines jeden Einzelnen ist das Gemeinwesen nicht in Ordnung.
Menschenwürde und Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die Grundlage dafür, dass auch diejenigen zu ihrem Recht kommen, die ihre Interessen oft nicht deutlich zu Gehör bringen können: Kinder und Jugendliche, Kranke und Behinderte, Arbeitslose sowie Menschen, die aus anderen Teilen der Welt zu uns gekommen sind.
II. Sorge und Verantwortung für den Menschen in einer sich wandelnden Welt
Zu einigen Fragen, die unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen, wollen wir im Blick auf die bevorstehende Wahlentscheidung die christliche Position umreißen, die nicht nur auf Glaubensüberzeugungen beruht, sondern auch gute Vernunftgründe für sich hat.
Der Schutz des menschlichen Lebens als Grundlage für menschenwürdiges Zusammenleben
Die neuen biomedizinischen und gentechnischen Erkenntnisse wecken verständliche Hoffnungen, nicht zuletzt auf neue Therapiemöglichkeiten für noch unheilbare Krankheiten. Zugleich muss jedoch gesehen werden, dass Forschung und Anwendung mit den unaufgebbaren Forderungen von Lebensschutz und Menschenwürde in Konflikt geraten können. Die Diskussionen - und teilweise auch die bereits getroffenen Entscheidungen - über Fortpflanzungsmedizin, Embryonenforschung und Gentechnologie, aber auch z.B. die Euthanasiegesetzgebung in zwei Nachbarländern zeigen, wie sehr das Menschenleben gefährdet ist.
Wir wissen nicht zuletzt durch die geschichtlichen Erfahrungen in unserem Land, wie wichtig es ist, gerade hilfsbedürftigen Menschen verlässlichen Schutz zu geben. Wenn der Schutz embryonaler, kranker, alter, behinderter und sterbender Menschen nicht mehr garantiert ist, gerät die Wertordnung der Gesellschaft insgesamt ins Wanken. Die Unverfügbarkeit des Menschen und die unbedingte Geltung der Menschenrechte dürfen nicht angetastet werden. Wir erwarten von den verantwortlich Handelnden in Politik, Forschung und Anwendung, dass sie dies bei konkret anstehenden Entscheidungen beachten.
Weiterhin gilt unsere besondere Sorge dem Schutz des ungeborenen Menschen. Dem Embryo kommt vom Zeitpunkt der Befruchtung an uneingeschränktes Lebensrecht zu. Alle Handlungen - ob sie der Forschung oder der medizinischen Anwendung dienen - , die die Tötung von Embryonen in Kauf nehmen oder gar zum Ziel haben, lehnen wir aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Immer wieder haben wir uns dazu geäußert und bekräftigen unsere Forderung nach einem umfassenden Embryonenschutz. Wir treten zugleich für eine verstärkte Förderung wissenschaftlicher und medizinischer Methoden ein, die das Lebensrecht des ungeborenen Menschen achten. Auch die anhaltend hohen Abtreibungszahlen müssen Gesetzgeber und Regierung veranlassen, weitere Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Menschen zu ergreifen.
Bei der Erhebung und beim Umgang mit genetischen Daten sollte Augenmaß walten. Erforderlich sind gesetzliche Regelungen, die das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen schützen und Sicherheit schaffen.
Der besondere Schutz von Ehe und Familie
Leitbild der Familienpolitik muss auch künftig die auf der Ehe gründende Familie bleiben. Die wiederum gestiegenen Scheidungszahlen und die rückläufige Zahl der Eheschließungen sind Anlass zu wachsender Sorge. Die Ehe darf in der Wirklichkeit unserer Gesellschaft nicht nur der empirische "Normalfall" sein, sondern muss für die allermeisten Menschen auch das "Idealmodell" ihres persönlichen Lebens bleiben. Sie ist die Form der Partnerschaft, die der Unbedingtheit und Verlässlichkeit der Liebe von Mann und Frau entspricht. Zugleich bietet sie den Kindern die besten Voraussetzungen für ihre Entwicklung. Die Beziehung des Kindes zu beiden Eltern, die wechselseitige Unterstützung von Vater und Mutter und die Stabilität der Partnerschaft sind für die Entwicklung des Kindes von allergrößter Bedeutung. Deshalb ist es schädlich, Ehe und Familie voneinander abzukoppeln bzw. Tendenzen in diese Richtung zu fördern. Der Schutz und die Förderung der Ehe liegen im nachhaltigen Interesse der Gesellschaft. Die Familie erbringt in der Sorge für die nachwachsende Generation einen unersetzbaren Beitrag für die Zukunft. Sie ist der erste Ort, an dem die Werte und sozialen Fähigkeiten vermittelt werden, ohne die ein Gemeinwesen nicht bestehen kann. Eine "Politik für Familien" muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen Familien sich entfalten und ihre Leistungen erbringen können. Dazu gehört auch, dass die Chancen- und Rechtsgleichheit von Frauen und Männern gefördert wird.
Es darf nicht sein, dass ein Leben mit Kindern zu gesellschaftlicher Benachteiligung führt oder sogar von Armut bedroht ist. Ein kinder- und familiengerechter Ausbau von ergänzenden Betreuungsmöglichkeiten ist erforderlich, um die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Ebenso notwendig ist es allerdings, die Leistungen, die in und von der Familie erbracht werden, endlich durch einen Familienleistungsausgleich und in den Sozialversicherungen angemessen anzuerkennen. Damit lassen sich auch die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Erwerbsarbeit während der Zeit der Kindererziehung verbessern. Die Rahmenbedingungen müssen sicherstellen, dass die Eltern in Verantwortung füreinander und für die Kinder selbst entscheiden können, wie sie Erwerbs- und Familienarbeit verknüpfen und untereinander verteilen.
Abbau der Arbeitslosigkeit als Schlüssel zur Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
Arbeit ist ein wichtiger Schlüssel zur eigenen Lebensvorsorge und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Arbeitslosigkeit stellt für die Erwerbslosen und ihre Familien eine schwer tragbare Belastung dar. Jungen Menschen wird durch fehlende Ausbildungsplätze und Arbeitslosigkeit der Weg in die Zukunft verbaut.
Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit ist über die individuellen Belastungen hinaus auch ein sehr großer gesellschaftlicher Schaden. Angesichts der vorhandenen Aufgaben ist es eine Verschwendung, die Leistungsbereitschaft von arbeitswilligen Menschen nicht zu nutzen. Die Arbeitslosigkeit führt darüber hinaus zu Beitragsausfällen und hohen Ausgaben in den Sozialversicherungen und bedroht deren Leistungsfähigkeit. Sie birgt in sich die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft und gefährdet den sozialen Zusammenhalt.
Deshalb hat die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit höchste Priorität und muss eine zentrale Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein. Wir erinnern dabei an die Leitlinien und Ansatzpunkte, die wir im "Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" ausführlicher vorgestellt haben. Entscheidende Voraussetzungen für den Abbau der Arbeitslosigkeit sind die Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze und die berufliche Qualifizierung der arbeitssuchenden Menschen. Als Teil einer politischen Gesamtstrategie gilt es darüber hinaus, die Arbeitsmarktpolitik effektiver und flexibler zu gestalten, stärker präventiv auszurichten und besser an den individuellen Vermittlungserfordernissen des einzelnen Arbeitslosen zu orientieren. Besonderer Förderung bedürfen Langzeitarbeitslose, gering qualifizierte Arbeitssuchende, benachteiligte Jugendliche sowie Menschen ausländischer Herkunft.
Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit und der Solidarität, alle Anstrengungen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit zu unternehmen. Bei allen gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen müssen die Arbeitslosen im Blick sein; es dürfen keine Vereinbarungen zu ihren Lasten getroffen werden. Das Prinzip der Solidarität verlangt darüber hinaus, einen menschenwürdigen Lebensstandard für Arbeitslose und ihre Familien zu sichern.
Die anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit und die demographische Verschiebung sind mitverantwortlich für die Überforderung der sozialen Sicherungssysteme. Diese müssen so umgestaltet werden, dass der notwendige solidarische Ausgleich in einer Marktwirtschaft gesichert wird. Ziel dieser Reform muss es sein, die soziale Sicherung wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen: für diejenigen Vorsorge zu schaffen, die durch Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter in finanzielle Not geraten. Leistungen der sozialen Sicherungssystem müssen für diejenigen zur Verfügung stehen, die wirklich bedürftig sind. Es müssen Anreize zu mehr Eigenverantwortung geschaffen werden.
Arbeitslosigkeit hängt oft mit unzureichenden Bildungsvoraussetzungen zusammen. Gute Bildung und Ausbildung verbessern die Chancen des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt und sind für die Wirtschaft von elementarer Bedeutung.
Bildung und Ausbildung als Fundament einer zukunftsfähigen Gesellschaft
Bildung umfasst die Erfahrungs- und Urteilsfähigkeit des Menschen, sein Selbst- und Weltverständnis, das sich aufgrund von Wissen und Einsicht gebildet hat. Sie betrifft seine personale Würde, seine Mündigkeit und seine Fähigkeit, das eigene Leben und die Gesellschaft verantwortungsvoll zu gestalten. Im Bildungsprozess werden Wissen, Werthaltungen und Kompetenzen an die nachwachsenden Generationen weitergegeben.
Politik, die ihrer Verantwortung für die Aufgabe der Bildung gerecht wird, muss nachhaltig und verlässlich in Erziehung und Schule investieren und ein positives Bildungsklima schaffen. Dazu gehört die Förderung der Motivation der Kinder und Jugendlichen ebenso wie die Anerkennung der Leistungen der Lehrerinnen und Lehrer. Wer im Bildungsbereich eine sorgfältige Konzeption vernachlässigt und nicht bereit ist, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, untergräbt die eigenen Fundamente. Die PISA-Studie hält uns hier einen Spiegel vor. Sie zeigt im deutschen Bildungssystem auch eine soziale Schieflage auf.
Soziale Gerechtigkeit erfordert, jene Kinder in besonderer Weise zu fördern, die wegen der wirtschaftlichen und sozialen Lage ihrer Familien, des Bildungsniveaus ihrer Eltern oder wegen ausländischer Herkunft und unzureichender Sprachkenntnisse schlechtere Startvoraussetzungen im Bildungsprozess haben. Das Bildungssystem darf soziale Ungleichheit nicht fortschreiben oder gar vertiefen, sondern muss ihr entgegen wirken. Allen eine Bildung zu ermöglichen, die ihre Fähigkeiten in bestmöglicher Weise zur Entfaltung bringt, ist nicht nur dem Wert und der Würde eines jeden einzelnen jungen Menschen geschuldet, sondern liegt auch im Interesse der Gemeinschaft. Eine solide Bildung und Ausbildung der Kinder und Jugendlichen und eine gute allgemeine und berufliche Weiterbildung aller Mitglieder der Gesellschaft versetzen uns in die Lage, auf neue Herausforderungen einzugehen und die Veränderungsprozesse, die mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der Globalisierung verbunden sind, schöpferisch zu nutzen und zu gestalten.
Zu einer umfassenden Bildung gehören auch Orientierungswissen und klare Wertvorstellungen, die letztlich in einem religiösen Fundament gründen. Sowohl die Erziehung in der Familie als auch im institutionalisierten Bildungswesen muss diese Dimension wieder deutlicher wahrnehmen. Der konfessionelle Religionsunterricht in der Schule trägt hierzu maßgeblich bei.
Einsatz für das globale Gemeinwohl
Zu einer nachhaltigen Politik gehört die Wahrnehmung internationaler Verantwortung für ein globales Gemeinwohl. Der Prozess weltweiter Vernetzung und Globalisierung birgt vielfältige Chancen, aber auch Belastungen und Gefahren. Die Ausrichtung unseres Handelns am globalen Gemeinwohl entspricht dem über Jahrhunderte gewachsenen moralischen Selbstverständnis und liegt auch im eigenen Interesse. Menschenwürde und Menschenrechte sind auch hierfür Leit- und Zielperspektive. Von ihnen her bestimmen sich die internationalen Solidaritätspflichten, die unserem Land auferlegt sind.
Das besondere Augenmerk muss den Armen in der Welt gelten. Wir bedauern, dass die finanziellen Aufwendungen Deutschlands für die Entwicklungspolitik trotz mancher Bemühungen in der letzten Zeit noch immer deutlich hinter dem zurückbleiben, was notwendig ist und international immer wieder angekündigt wurde. So verspielen wir Chancen auf eine gerechtere und friedlichere Welt und erhöhen den Problemdruck, der in den nächsten Generationen auf unserer Gesellschaft lasten wird.
Als Folge von politischer Unterdrückung und materieller Not gibt es weltweit zunehmende Migrationsbewegungen und Flüchtlingsströme. Auch Europa erlebt gegenwärtig eine verstärkte Zuwanderung. Dies führt bei vielen Menschen zu Sorgen und Ängsten, die durchaus ernst genommen werden müssen. Eine Abwehrhaltung gegenüber Fremden und enge nationale Denkweisen ermöglichen jedoch keine zukunftsweisenden Antworten auf die neuen Fragen einer enger zusammenwachsenden Welt. Wir brauchen eine Zuwanderungspolitik, die im nationalen wie europäischen Kontext die notwendigen Weichenstellungen vornimmt und die Maßstäbe der Menschenwürde und Menschenrechte zugrunde legt. In diesem Rahmen muss auch das Grundrecht auf Asyl unverändert Bestand haben.
In vielen Teilen der Welt gibt es regionale Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen. Die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten gibt Anlass zu besonderer Sorge. Die deutsche Politik bleibt auch künftig im Rahmen ihrer internationalen Verpflichtungen aufgefordert, zur Friedenssicherung - auch über den europäischen Bereich hinaus - beizutragen.
Aus dem weltweiten "freien" Markt muss eine internationale Marktwirtschaft in sozialer Verantwortung werden. Dazu bedarf es einer globale Ordnungspolitik, zu der eine Reform und Stärkung internationaler Einrichtungen und ein weiterer Ausbau regionaler Zusammenschlüsse, wie der Europäischen Union, beitragen. Die Kirche unterstützt mit Nachdruck die Einigung Europas, die zügig voranschreitet. Derzeit wird an einer eigenen Verfassung der Europäischen Union gearbeitet, mit der wir uns sorgfältig beschäftigen müssen. Das europäische Haus braucht eine Verfassungsgrundlage, die den humanen Werten vor allem aus dem Geist des Christentums und dem religiösen Erbe Europas entspricht.
Es ist in der Wissenschaft umstritten, ob und wie die aktuellen Naturkatastrophen von der Erderwärmung und Landschaftsveränderung unmittelbar abhängen. Es ist aber unbestritten, dass unser westlicher Lebensstil, unser Konsumverhalten und unsere Art zu wirtschaften, die Schöpfung schwer schädigen. Das Nachhaltigkeitsprinzip, nach dem die heutige Generation ihre Bedürfnisse nur so weit befriedigen darf, dass die Lebensgrundlagen der künftigen Generationen nicht gefährdet werden, wird auch bei uns oft verletzt. Unser Lebensstil, das Konsumverhalten sowie die Art des Wirtschaftens müssen deshalb künftig stärker an Umweltschutzerfordernissen ausgerichtet werden.
III. Jetzt die Weichen für die Zukunft stellen
Die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag ist eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft unseres Landes. Mit ihren Stimmen entscheiden die Wahlberechtigten darüber, welche politischen Kräfte und Ideen in den nächsten Jahren bestimmend sein werden. Sie dürfen von den Parteien und den einzelnen Politikerinnen und Politikern Auskunft über deren politische Zielvorstellungen erwarten. Wir empfehlen, die politischen Programme und die Personen, die für sie einstehen, an den Leitprinzipien der Nachhaltigkeit, des Gemeinwohls und der sozialen Gerechtigkeit zu messen. Das christliche Menschenbild in seiner Konkretheit und der sich hieraus ergebende Entwurf einer gerechten und solidarischen Gesellschaft ist ein geeigneter Maßstab für eine verantwortliche Wahlentscheidung.
Den Kandidatinnen und Kandidaten gilt unser Dank dafür, dass sie sich zur Wahl stellen und bereit sind, Verantwortung für unser Gemeinwesen zu übernehmen. Alle Wahlberechtigten rufen wir auf, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen.
Würzburg, den 26. August 2002

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