| Pressemeldung | Nr. 068a

Kurzfassung des Gutachtens „Familiengerechte Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“ von Professor Dr. Jörg Althammer (Bochum)

beim Pressegespräch am 26. Juli 2006 in Frankfurt am Main

Die Notwendigkeit und die Ausgestaltungsmöglichkeiten einer familienpolitisch orientierten Reform der gesetzlichen Rentenversicherung stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Gutachtens, das im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz erstellt worden ist.

Das Gutachten stellt zunächst die Grundstruktur eines umlagefinanzierten Alterssicherungssystems dar, erläutert die Beitragssatz bestimmenden Faktoren und analysiert die jüngsten Reformmaßnahmen in diesem Bereich (Kap. 2). Anschließend werden Notwendigkeit und adäquate Ausgestaltung der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung diskutiert (Kap. 3 u. 4) sowie eine Verlängerung der Kindererziehungszeiten im bestehenden System erörtert (Kap. 5).

Verschiedene Faktoren haben zu einer Verschlechterung der finanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen. Dies hat sich bis in die 1990er Jahre hinein größtenteils in Beitragserhöhungen, spätestens seit der Rentenreform 1992 aber auch in Leistungseinschränkungen niedergeschlagen. Ein wesentlicher Faktor ist die deutlich verlängerte Rentenbezugszeit: durch eine steigende Lebenserwartung und die Möglichkeit eines vorgezogenen Renteneintritts beziehen mehr Menschen länger Rente. Die gesunkenen Geburtenzahlen wirken sich dagegen bislang kaum auf die Rentenversicherung aus, da sich zur Zeit die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre noch mitten im Erwerbsleben befinden. Zukünftig werden sich die Problemursachen in der Rentenversicherung jedoch verlagern. Von 2020 an wird neben einer weiteren Erhöhung der Lebenserwartung vor allem die geringe Geburtenzahl zu einer dramatischen Verschiebung des Verhältnisses zwischen der wachsenden Zahl der Rentner und der spürbar sinkenden Zahl der Beitragszahler führen.

Um die gesetzliche Rentenversicherung finanziell zu entlasten, sind angesichts der demografischen Entwicklung Anpassungen im Leistungsrecht unumgänglich. Insofern sind die jüngsten Rentenreformen – wie z. B. die Einführung des „Nachhaltigkeitsfaktors“ – notwendige Maßnahmen zur finanziellen Stabilisierung der Rentenausgaben und damit zur Sicherung der langfristigen Finanzierbarkeit dieses Systems. Allerdings haben diese Reformen einen zentralen Mangel nicht beseitigt: die Umverteilungseffekte von den Familien zu den Kinderlosen. Damit werden nach wie vor private Erziehungsleistungen im System der gesetzlichen Rentenversicherung der ganzen Gesellschaft angerechnet. Die damit einhergehenden Belastungen tragen jedoch die Familien alleine.

Das Gutachten zeigt, dass Erziehungsleistungen im System sozialer Sicherung berücksichtigt werden müssen. Denn Eltern leisten durch die Geburt und Erziehung ihrer Kinder einen ebenso unverzichtbaren Beitrag zur Stabilität des umlagefinanzierten sozialen Sicherungssystems wie die Zahler monetärer Beiträge. In einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem ist die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten keine „versicherungsfremde Leistung“, sondern ein systemnotwendiges Element, um die langfristige Finanzierbarkeit dieses Systems aufrecht zu erhalten. Wenn im Rentenrecht Erziehungszeiten berücksichtigt werden, stellt das also keine „familienpolitische Instrumentalisierung“ der Rentenversicherung oder gar eine „Bestrafung Kinderloser“ dar. Es handelt sich dabei auch nicht primär um ein Instrument der Bevölkerungspolitik. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Leistungen, welche Familien für die Gesellschaft erbringen, auch adäquat zu honorieren. Insofern wären die Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch dann zu berücksichtigen, wenn sich dadurch die Bereitschaft zur Geburt und Erziehung von Kindern nicht ändern würde.

Unter dem Kriterium der Leistungsgerechtigkeit lassen sich einige Grundsätze für eine sachgerechte Ausgestaltung der Kindererziehungszeiten ableiten: Leistungen müssen „unbedingt“ gewährt werden, d. h. für Anspruch und Höhe der Leistungen sollten weder der Zeitpunkt der Geburt noch die Erwerbsbiografie der Erziehungsperson oder das Haushaltseinkommen relevant sein. Außerdem müssen alle Erziehungspersonen unabhängig von ihrem Versicherungsstatus Leistungen erhalten. Aus verteilungspolitischen Gründen sollte sichergestellt werden, dass alle Gesellschaftsmitglieder entsprechend ihrer subjektiven Leistungsfähigkeit zur Finanzierung herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund ist eine grundlegende Reform des sozialversicherungsinternen Familienleistungsausgleichs überfällig.

Das geltende Rentenrecht kennt zwar mehrere familienpolitische Elemente, so z. B. die Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung, familienpolitische Elemente in der Hinterbliebenenversicherung sowie die Zahlung „fiktiver“ Beiträge für Kinder durch den Bund. Aber diese Maßnahmen sind quantitativ unzureichend, in hohem Maße intransparent und von keiner durchgängigen Ordnungskonzeption getragen. Dies hat zur Folge, dass die Geburt eines Kindes in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Geburt, der Höhe des versicherungspflichtigen Einkommens und der Erwerbsbiographie der Erziehungsperson zu stark unterschiedlichen Rentenanwartschaften führen kann.

Auch die im Koalitionsvertrag vorgesehene Neuregelung der „Riester-Rente“ ist familienpolitisch problematisch. Sie verstärkt die bereits durch die „Riester-Rente“ bestehenden Ungleichbehandlungen von Familien: Erstens ist der Kreis der Anspruchsberechtigten auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und Beamte begrenzt. Dies schließt zahlreiche Familien vom Leistungsbezug aus. Damit geht zweitens eine Benachteiligung derjenigen einher, die sich ausschließlich der Erziehungsarbeit widmen. Sie können nur dann die Riester Förderung in Anspruch nehmen, wenn der andere Elternteil Riester-Förderung erhält. Drittens ist es ordnungspolitisch nicht sinnvoll, Familienleistungen in einer kapitalgedeckten Alterssicherung zu berücksichtigen, weil diese weit aus weniger stark von der demografischen Entwicklung abhängt als eine beitragsfinanziertes Rentensystem.

Deswegen wird ein Reformmodell vorgestellt, das dem Kriterium der Familiengerechtigkeit weitgehend entspricht. Durch die Anhebung der anrechnungsfähigen Zeiten der Kindererziehung um je zwei Jahre (sog. „2+ -Modell“) auf drei bzw. fünf Jahre könnten die Defizite der derzeitigen Regelung abgebaut werden. Außerdem hätten alle Erziehungspersonen einen eigenständigen Rentenanspruch, der sich am Nutzen der Erziehungsleistung für die Rentenversicherung orientiert.

Zur Finanzierung des „2+ –Modells“ werden zwei Varianten berechnet:

Variante I sieht vor, den Ausbau der Kindererziehungszeiten durch erhöhte Beiträge zu finanzieren. Die zusätzlichen Rentenausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung würden auf ca. 10 Mrd. EUR steigen, so dass eine Beitragssatzerhöhung von ca. 1,5 Prozentpunkten erforderlich wäre. Bis 2040 schwanken die Zusatzbelastungen voraussichtlich zwischen 12 und 14 Mrd. EUR. Der Beitragssatz müsste dafür um 1,7 – 2,0 Prozentpunkte angehoben werden.

In der Variante II soll der Ausbau der Kindererziehungszeiten ausgabenneutral erfolgen, indem der Rentenwert abgesenkt wird. Für Kinderlose bedeutet dies in jedem Fall eine Schlechterstellung, da der Wert der von ihnen erworbenen Entgeltpunkte sinkt.

Neben diesen beiden Varianten könnten die zusätzlichen Leistungsausgaben aber auch durch eine sachadäquate Verwendung des Bundeszuschusses finanziert werden. Wenn der zusätzliche Bundeszuschuss an den erziehungsbedingten Leistungsausgaben bemessen würde, wäre zudem sichergestellt, dass sich alle Gesellschaftsmitglieder an der Finanzierung der familienpolitischen Leistungen beteiligen.

Um eine Lastenverschiebung auf nachfolgende Generationen zu vermeiden und den Anteil der Renten, der für erbrachte Kindererziehungsleistungen gewährt wird, auch tatsächlich zu erhöhen, soll eine Erweiterung der Kinderberücksichtigung für die gesetzliche Rentenversicherung kostenneutral umgesetzt werden. Unter dieser Maßgabe bietet sich die in Variante II vorgeschlagene Finanzierung durch eine Absenkung des Rentenwertes an. Grundsätzlich gilt für beide Varianten, dass die Erweiterung der familienorientierten Leistungen und die damit einhergehenden Leistungsseinschnitte bzw. Erhöhung der Beiträge und/oder des Bundeszuschusses in einem möglichst transparenten Verfahren vollzogen werden.

Die hier vorgeschlagenen Reformschritte würden nicht nur die familienpolitischen Elemente der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine neue, ordnungspolitisch klar umrissene Grundlage stellen, sondern könnten auch der Einstieg in eine umfassende Reform des sozialversicherungsinternen Familienleistungsausgleichs sein.

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