| Pressemeldung

Ist der Religionsunterricht ein Kirchenprivileg?

INFO 2:
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1. Art. 7 Abs. 3 GG - die Rechtsgrundlage des Religionsunterrichts
Der schulische Religionsunterricht ist in fast allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland ein ordentliches Unterrichtsfach gemäß Art. 7 Abs. 3 GG: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach." Nur in den Bundesländern Bremen und Berlin bestehen ältere, von diesem Grundsatz abweichende Regelungen (vgl. die "Bremer Klausel" Art. 141 GG). Ob das 1996 vom Landtag in Brandenburg beschlossene Gesetz zur Einführung von "Lebenskunde - Ethik - Religionskunde" (LER) als Pflichtfach für alle Schüler verfassungskonform ist, prüft zur Zeit das Bundesverfassungsgericht.
Als ordentliches Lehrfach in allen Schulformen unterliegt der Religionsunterricht einerseits der staatlichen Schulaufsicht; andererseits wird er "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt" (Art. 7 Abs. 3). Der Religionsunterricht ist folglich kein religionskundlicher Unterricht in alleiniger Verantwortung des Staates. Er stellt vielmehr den klassischen Fall einer "res mixta" von Kirche und Staat dar. Dieser besondere Charakter des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen ist eine Konsequenz der religiösen und weltanschaulichen Neutralität der demokratischen Republik, die sich mit keiner Religion oder Weltanschauung identifiziert (Art. 140), sondern die Religions- und Bekenntnisfreiheit aller Bürger garantiert (Art. 4). Die Republik enthält sich jedes Urteils über religiös-weltanschauliche Wahrheitsansprüche, aber sie garantiert die Verwirklichung positiver Religionsfreiheit auch in den öffentlichen Institutionen.
Deshalb
richtet der Staat den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ein,ist er in Bezug auf die Unterrichtsgehalte auf die Kooperation der Religionsgemeinschaften angewiesen,entscheiden die Eltern über die Teilnahme ihres Kindes am Religionsunterricht (Art. 7 Abs. 2) und mit Erreichen der Religionsmündigkeit ab dem 14. Lebensjahr der Schüler oder die Schülerin selbst,darf kein Lehrer gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen (Art 7 Abs. 3 Satz 3).
2. Art. 7 Abs. 3 GG - ein unzeitgemäßes Kirchenprivileg?
Gewährt dieser Grundgesetzartikel den Kirchen nicht ein unzeitgemäßes Privileg? Wäre eine klare Trennung von Kirche und Staat nicht die bessere Lösung? Eine Trennung von Kirche und Staat ist in der Tat sinnvoll, aber Trennung schließt Kooperation nicht aus, sondern ermöglicht sie. Eine Wurzel der modernen Trennung von Kirche und Staat liegt im biblischen Monotheismus, in der Erkenntnis Israels, dass der eine Gott als Schöpfer der Welt mit keiner Person und keinem Ding dieser Welt identisch ist, dass die höchste Macht nicht von dieser Welt ist. Mit Berufung auf diesen andersartigen Gott widerstehen die Propheten allen Versuchen, Recht und Macht gleichzusetzen. Das Gegenüber und oft Gegeneinander von Prophet und König prägt die Geschichte Israels und setzt sich in der christlichen Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Macht, von Kirche und Staat fort. Auch wenn es an Versuchen, politische und spirituelle Macht zu verschmelzen, nicht gefehlt hat, die Gewaltenteilung hat doch die Oberhand behalten und schließlich zur Trennung von Kirche und Staat geführt.
Vor diesem Hintergrund muss auch die Anrufung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes gesehen werden. Sie ermächtigt niemanden, auch keine Kirche, aber sie entmächtigt den Staat. Die demokratische Republik ersetzt nicht einfach die absolute Macht des Königs durch die absolute Macht des Volkes. Sie überlässt die Stelle des letzten Wortes keiner irdischen Instanz und garantiert gerade dadurch die Freiheit der Bürger. Der Totalitarismus, der den Verfassungsvätern und -müttern 1949 sehr präsent war, zeigt, wie groß die Gefahr ist, wenn der Staat die Stelle des Absoluten zu usurpiert. Die Selbstrelativierung der Politik durch den Bezug auf das politisch nicht repräsentierbare Andere ist darum der beste Schutz vor der totalitären Versuchung.
Mit der Einrichtung des schulischen Religionsunterrichts gewährt die Republik kein Kirchenprivileg, sondern sie schafft in der öffentliche Schule Raum für jenes Andere, von dem die Religionsgemeinschaften sprechen und das die Republik um ihrer selbst willen nicht verwalten will und darf. Der kirchlich mitverantwortete Religionsunterricht ist somit eine Konsequenz der Selbstbegrenzung der Politik in der demokratischen Republik. Über seine Bedeutung im Bildungssystem hinaus gibt er einen Hinweis auf das Selbstverständnis des Staates.
In diesen Zusammenhang gehört auch der viel zitierte Satz des ehemaligen Verfassungsrichters Böckenförde, der Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren könne. Gemeint ist, dass die Republik auf der moralischen Zustimmung der Bürger zu ihren Werten und Prinzipien beruht, diese aber nicht erzwingen kann und will. Hier kommt dem Religionsunterricht eine wichtige wertvermittelnde Aufgabe zu. Die Alternative wäre ein allein in staatlicher Verantwortung erteilter Religionsunterricht als Pflichtunterricht für alle, dessen zivilreligiöse Inhalte von den jeweiligen politischen Konstellationen bestimmt würden.
3. Warum Ersatzfach?
Die demokratische Republik ist religiös und weltanschaulich neutral, aber nicht wertneutral. Die Bürger erwarten zu Recht, dass die Schule den Kindern und Jugendlichen die Grundwerte der Republik, vor allem die unbedingte Achtung vor der Freiheit des anderen vermittelt. Diese Wertevermittlung geschieht gewiss in allen Fächern und mehr noch im täglichen Zusammenleben von Lehrern und Schülern. Trotzdem ist es sinnvoll, dass den Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, die Möglichkeit geboten wird, sich mit moralischen Fragen und der Begründung sittlicher Urteile auseinander zu setzen. Da das Fach Ethik oder Praktische Philosophie oder Werte und Normen - die Bezeichnungen sind in den Bundesländern unterschiedlich - in alleiniger staatlicher Verantwortung erteilt wird, muss unbeschadet der Wertgebundenheit die Pluralität der ethischen Konzeptionen und philosophischen Begründungen beachtet werden. Übrigens darf die Bezeichnung Ersatzfach nicht abwertend verstanden werden. Sie weist nur darauf hin, dass die große Mehrheit der Schüler am Religionsunterricht teilnimmt. Ein Qualitätsurteil ist mit dieser Wortwahl nicht verbunden.
4. Was haben wir gegen LER?
Wir sind nicht gegen das Fach LER, sondern gegen den Exklusivanspruch dieses Faches im Land Brandenburg und für die Einrichtung des konfessionellen Religionsunterrichts nach 7 III GG auch in diesem Bundesland. Die didaktische Konzeption von LER ist nicht neu, sondern ähnelt in vielem dem Ersatzfach Ethik, das auch in anderen Bundesländern religionskundliche Teile umfasst. Allerdings kann man die Frage stellen, ob ein religionskundlicher Unterricht pädagogisch sinnvoll ist. Schüler wollen nicht nur wissen, was andere glauben, sondern auch ob dieser Glaube wahr ist, ob es Gott wirklich gibt und was sie selbst glauben und tun sollen. Ein Unterricht, der hier nur auf die Pluralität der Antworten verweist, wird dem Bedürfnis der Schüler nach Orientierung nicht gerecht. Mündigkeit und Urteilsfähigkeit bilden sich in der Auseinandersetzung mit einem konkreten Wahrheitsanspruch, einem bestimmten Bekenntnis und einem Menschen, der dieses Bekenntnis teilt. Diese Auseinandersetzung ermöglicht der konfessionelle Religionsunterricht.

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