| Pressemeldung | Nr. PRD 033a

Grußwort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann (Mainz), in der Yad Vashem-Gedenkstunde zu Ehren von Joseph Kardinal Höffner und Frau Helene Hesseler-Höffner am 5. Mai 2004 in der Botschaft des Staates Israel in Berl

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT

Es ist eine geradezu wunderbare Einrichtung, dass der Staat Israel die Auszeichnung "Gerechte unter den Völkern" für die Menschen eingeführt hat, die Juden vor der Vernichtung gerettet haben.
Die "Allee der Gerechten" ist eine Hoffnung für die Menschheit. So etwas konnten nur die Angehörigen der Verfolgten selbst einführen. Sonst könnte nur allzu leicht der Eindruck entstehen, man wolle sich durch die Erinnerung an diese Ausnahmen, die während der Nazi-Zeit Juden vor der Verfolgung und dem sicheren Tod gerettet haben, nachträglich noch entschuldigen und von jeder Mithaftung loskaufen. "Niemand war dabei und keiner hat's gewusst", ist ja immer noch im Schwange, aber nun sollen die wenigen Gerechten es wieder richten.

Dennoch ist es gut, dass an die Menschlichkeit in unmenschlicher Zeit erinnert wird. Auch wenn sie uns nicht rein wäscht und schon gar nicht den Holocaust aufwiegt, so gab es immerhin diese Lichtblicke. Nicht alle Deutschen waren Mörder und Hitlers willige Vollstrecker.

Einige von diesen Gerechten kennen wir mit Namen und von ihrer ganzen Lebensgeschichte her. Etwa Bertold Beitz, nach dem Krieg Krupp-Manager, der ähnlich wie Oskar Schindler Hunderte Juden rettete, indem er sie zu kriegswichtigen Arbeitern erklärte. Der spätere Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Georg Ferdinand Duckwitz warnte rechtzeitig Tausende dänischer Juden, die sich nach Schweden retten konnten. Zehntausende ungarischer Juden wurden durch den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg vor dem Tod in den Gaskammern bewahrt. Er selbst verschwand freilich nach dem Krieg im Archipel Gulag.

Es ist gut, dass es solche spektakulären Aktionen gab, an die wir uns - freilich oft spät - erinnern. Aber es ist auch gut, an die fast eher unbekannten Mitbürgerinnen und Mitbürger zu denken, die nicht diese herausragenden Möglichkeiten hatten. Sie haben bedrängte Nachbarn unterstützt, einem bedrohten Freund geholfen. Die einen versteckten Juden für ein paar Tage, die anderen bis zum Ende des Krieges. Wieder andere fälschten Ausweispapiere. Dort verhilft jemand Juden zur Flucht, ein anderer hilft mit Geld. Wie schwierig war es schon, die knappen Lebensmittel zu teilen, wenn man auf Zuteilungsscheine und Lebensmittelkarten verzichten musste. Jeder setzte sich großen Gefahren aus. Und manch einer musste für seine Hilfe mit dem Leben oder jahrelanger Haft bezahlen. Es ist an der Zeit, auch diese stillen Helden zu würdigen. Die wenigsten von ihnen waren zum Helden geboren. Sie haben sich jedenfalls nicht dafür gehalten - und doch handelten sie. Jeder von ihnen musste viel Mut aufbringen, und jeder war allein, konnte sich niemandem anvertrauen. Schließlich war es ein todeswürdiges Verbrechen, Juden beizustehen. Es ist kaum zu glauben, aber Hitler hat am Tag vor seinem Ende, am 30. April 1945, sein so genanntes Testament mit den Worten abgeschlossen: "Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassengesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum."

Da ist es eben doch ein Lichtblick, dass sich mehr Menschen als oft angenommen zur Menschlichkeit entschlossen haben. Mit Recht erhalten sie den Ehrentitel "Gerechte der Völker". Er wird an diejenigen vergeben, die oft unter Einsatz ihres Lebens, aber niemals für Geld den Juden Europas in der Zeit ihrer Vernichtung halfen - sei es auch nur einem einzigen. "Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt", sagt ein besonders auch in der Geschichte des jüdischen Volkes immer wiederholtes Sprichwort. Heute werden über zehntausend Menschen in diesem Sinne in Yad Vashem geehrt. Die kleine Allee ist in der Zwischenzeit zu einem Garten, ja zu einem Wald gewachsen. Yad Vashem - dies ist beim Propheten Jesaja (56,5) ein Wort der Bibel - heißt übersetzt "Denkmal und Name". Millionen und Abermillionen ermordeter Juden sollen nicht vergessen werden. "Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals ausgetilgt wird", heißt es weiter bei Jesaja.

So gilt dies dank der Einrichtung von Yad Vashem auch ein wenig für mutige Menschen in dieser unmenschlichen Zeit. Wir haben sie nur mühsam wiederentdeckt. Oft haben sie selbst später kaum ein Wort gesagt, obgleich sie jahrelang und täglich mit dem Tode bedroht waren. So hat auch der spätere Kardinal, Bischof von Münster und Erzbischof von Köln, Joseph Höffner, so gut wie nie davon gesprochen, dass er das jüdische Mädchen Esther Sara Meyerowitz unter dem Namen "Christa Koch" in seinem Pfarrhaus in Kail, heute Landkreis Cochem-Zell in Rheinland-Pfalz, aufgenommen und so gerettet hat und dass er seine Schwester Helene Hesseler-Höffner gebeten hat, die Jüdin Dr. Edith Nowak und ihren Mann für sechs Monate in ihrem gemeinsamen Elternhaus in Horhausen (Westerwald) aufzunehmen. Der langjährige Professor für Sozialwissenschaften und Sozialethik, einer der Großen in der Entfaltung der Katholischen Soziallehre, hat nicht nur die Menschenrechte in seinen Büchern begründet und verteidigt, er hat sie auch in seinem Leben und um den Preis seines Lebens aufrechterhalten. Bei der in den letzten Jahren erfolgten Suche nach Zeugen, die ihr Leben in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verloren haben, wurden nicht wenige entdeckt, die dies wegen des Einsatzes für Juden und ihrer Rettung erlitten haben. Darunter waren nicht wenige Frauen und Männer der Kirche. Wir sind heute dankbar, dass auch einer, dem später die Verantwortung als Bischof zukam und hohe Verantwortung für die Kirche übernahm, zu diesen stillen Helden, zu den "Gerechten und den Völkern" gehört.

Schließen möchte ich mit einem Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker aus seiner großen Rede vom 8. Mai 1985 anlässlich der 40. Wiederkehr des Kriegsendes zum Massenmord an den Juden: "Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wach zu halten. Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren."

Wir möchten darum dem Staat Israel und Yad Vashem im besonderen für diese Ehrung herzlich danken und freuen uns, dass Frau Helene Hesseler-Höffner die Urkunde für ihren verehrten Bruder in Empfang nehmen darf.


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