| Pressemeldung

Gemeinsame Presseerklärung zur Woche für das Leben

Gemeinsame Presseerklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, zur Woche für das Leben 1996

Unter dem Leitwort "Leben bis zuletzt: Sterben als Teil des Lebens" findet bundesweit in der Zeit vom 4. bis 10. Mai 1996 die Woche für das Leben statt. Diese Initiative wird seit 1991 jährlich durchgeführt und seit 1994 zum dritten Mal gemeinsam von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland getragen. Die Kirchen wollen mit der diesjährigen Woche dafür werben, daß die Fragen zu Leben und Sterben, Sterbebegleitung und Tod in Kirche, Gesellschaft und Staat mehr Aufnahme und Berücksichtigung findet.

Anläßlich der Woche für das Leben veröffentlichen die Kirchen ein gemeinsames Wort zur Woche für das Leben unter dem Titel: Im Sterben: Umfangen vom Leben. Dieser Text greift die Thematik der diesjährigen Woche für das Leben - über die bisherigen Materialien hinaus - noch einmal grundsätzlich auf.


1. Sterben, Tod und Trauer in unserer Gesellschaft
Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 900.000 Menschen. Über die Hälfte aller Todesfälle ereignen sich in Krankenhäusern, Kliniken, Pflege- und Altenheimen; in manchen Großstädten sind es 90 Prozent und mehr. Während vor 100 Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in Deutschland noch ca. 35 Jahre betrug, liegt sie heute bei über 70 Jahren. Aufgrund der sich ändernden familiären Verhältnisse und des medizinisch-technischen Fortschritts werden Sterben und Tod der alltäglichen menschlichen Erfahrung entzogen. Das Sterben zu Hause im Kreis der Familie und der Angehörigen sowie der Nachbarn ist selten geworden. Christliche Symbole und Bekundungen des christlichen Glaubens tauchen in den Todesanzeigen in immer geringerer Zahl auf. Die Zahl der anonymen Bestattungen ist in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Die Bräuche bei Beerdigungen wandeln sich.
 


2. Das eigene Sterben annehmen
Seit einigen Jahren wird aber auch in der Öffentlichkeit wieder die Frage laut, was das Sterben und der Tod für das eigene Leben bedeuten. Immer mehr Menschen spüren, daß zu einer Bewältigung ihres Lebens auch das Nachdenken über Sterben und Tod sowie die Annahme der eigenen Sterblichkeit gehört. Der christliche Glaube, der Sterben, Tod und Auferstehung Jesu Christi in den Mittelpunkt seiner Botschaft rückt, kann die Angst vor dem Sterben mindern und so die Chance zu einer intensiveren Gestaltung des eigenen Lebens eröffnen. Um Sterben schon im Leben einzuüben, gilt es, die verschiedenen Formen von Abschied bewußt wahrzunehmen, z.B. im Aufgeben liebgewordener Gewohnheiten, im Beenden bestimmter Lebensabschnitte oder im Loslassen von geliebten Menschen. Zu einer derart intensiven Wahrnehmung des eigenen Lebens befähigt auch das Zulassen empfundener Trauer und eigener Ängste.


3. Zwei Seiten des medizinisch-technischen Fortschritts
Wir verfügten in Deutschland über ein beispielhaftes Rettungs- und Gesundheitswesen, das es im Vergleich zu früheren Jahren vielen Menschen ermöglicht, nach einer schweren Krankheit weiter zu leben oder sogar vollständig gesund zu werden. Immer wieder aber stehen Schwerkranke vor der Frage, ob die Medizin, insbesondere die Intensivmedizin, die richtige Antwort auf ihre Situation gibt. Dabei gilt es stets abzuwägen, wie erfolgversprechend bzw. wie belastend eine medizinische Maßnahme sein wird, durch die eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden soll. Ein würdevolles Leben bis zuletzt kann sowohl die Anwendung als auch den Verzicht auf die Anwendung intensiver Medizin bedeuten. Eine letzte Entscheidung muß aus der konkreten Lage des Sterbenden heraus und von seinen Bedürfnissen her getroffen werden. Andere Gründe, wie etwa die der Kostendämpfung im Gesundheitswesen, dürfen an dieser Stelle keine Rolle spielen.


4. Der Ruf nach aktiver Sterbehilfe
Lange Zeit war die Ablehnung jeglicher aktiver Sterbehilfe weithin selbstverständlich. Dies gründete wesentlich auch in der in unserer Gesellschaft verankerten allgemein christlichen Überzeugung, daß jedes menschliche Leben Geschenk Gottes und damit unverfügbar sei. Dies hat sich in unserer Verfassung - wenigstens indirekt - niedergeschlagen. Inzwischen fordern aber immer mehr Menschen und auch Organisationen: Wenn das Leiden eines Sterbenden unerträglich ist, sollte aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) erlaubt werden. Vermieden werden solle eine Lebensverlängerung, die die Menschenwürde bedrohe. Gerade die Möglich-keiten der modernen Medizin trügen wesentlich zu einer unnötigen Verlängerung des Leidens bei. Mit der Forderung eines "menschenwürdigen Sterbens" verbindet sich oft zugleich die Forderung der individuellen Selbstbestimmung über das eigene Leben und den eigenen Tod. "Sterbehilfe" wird so nicht mehr als Hilfe im oder beim Sterben, sondern als Hilfe zum Sterben verstanden.


5. Die verschiedenen Formen der Sterbehilfe
Da der Begriff "Sterbehilfe" in seiner Vieldeutigkeit immer wieder Anlaß zu Mißverständnissen gibt, müssen die verschiedenen Formen der Sterbehilfe klar unterschieden werden:

 - Passive Sterbehilfe ist der Verzicht auf eine lebensverlängernde Behandlung bei einem unheilbar Kranken, dessen Tod bald zu erwarten ist. Sie setzt die Zustimmung des Patienten voraus.

 - Indirekte Sterbehilfe wird geleistet, wenn tödlich Kranken ärztlich verordnete schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen können.

Die ethische Verantwortbarkeit und die rechtliche Unbedenklichkeit der passiven und indirekten Sterbehilfe sind unumstritten.

 - Aktive oder direkte Sterbehilfe, auch "Tötung auf Verlangen" genannt, ist die gezielte Tötung eines Menschen, z.B. durch die Verabreichung einer den Tod herbeiführenden Injektion oder Infusion.

Aktive Sterbehilfe ist rechtlich und nach Auffassung nicht nur der Kirchen auch ethisch unzulässig.


6. Unsere Antwort auf die Forderung nach aktiver Sterbehilfe
Die Kirchen wissen um das manchmal schwere psychische und physische Leiden sterbender Menschen. Dennoch lehnen sie jede Form der aktiven Sterbehilfe ab. Der biblische (Judentum AT) Glaube an die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens und das Gebot "Du sollst nicht töten" stehen dem entgegen. Daneben sprechen aber auch eine Reihe anderer Gründe für die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe:

 - Die Bitte um aktive Sterbehilfe gründet oft in der Angst vor unnötigen Schmerzen. Demgegenüber ist zu erwidern, daß die moderne Schmerztherapie eine weitgehende Schmerzlinderung möglich macht. Die Kirchen fordern, daß dieses Wissen unter den Ärzten noch stärker als bisher verbreitet wird.

 - Das deutsche Recht verbietet es dem Arzt, das Leben eines Todgeweihten durch aktives Eingreifen gezielt zu verkürzen. Grundlage des Vertrauensverhältnisses von Arzt und Patient ist seit jeher der ärztliche Auftrag, menschlichem Leben nicht zu schaden, sondern es zu erhalten und zu fördern. Dieses Vertrauensverhältnis wird grundlegend gefährdet, wenn der Arzt dem Patienten nicht mehr allein als Heilender und Helfender, sondern ebenso als "Tötender" begegnet.

 - Es besteht außerdem die Gefahr, daß eine Rechtsordnung, die aktive Sterbehilfe zuließe, den Lebensschutz zum Schaden aller mindert und Schleusen zur Vernichtung angeblich sinnlosen oder unnützen Lebens öffnet.

 - Der Ruf nach dem erlösenden Tod ist nicht selten ein Schrei nach Nähe und Begleitung sowie die Bitte, nicht allein gelassen zu werden. Wo es aus medizinischer Sicht oftmals keinen Grund mehr zur Hoffnung auf Genesung gibt, kann der christliche Glaube neue Horizonte in der Annahme und Bejahung des Sterbens als Teil des Lebens eröffnen. Deshalb sagen die Kirchen: Menschlich-christliche Sterbebegleitung ist die einzige angemessene Antwort auf die Forderung nach aktiver Sterbehilfe!


7. Leben und Sterben in christlicher Hoffnung
Christliche Hoffnung für das Leben gründet sich auf die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Der christliche Glaube schenkt uns die Gewißheit, daß es ein Leben nach dem Tode gibt. Als Christen bezeugen wir, was in der Heiligen Schrift gesagt ist: "Gott wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er; Gott, wird bei Ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu" (Offb 21,3-5). Die Zuversicht auf die Gegenwart Jesu Christi gibt Menschen den Mut, auch in den schwierigsten Situationen ihres Lebens Zeichen des kommenden Reiches Gottes wahrzunehmen und weiterzugeben. Sie finden die Kraft, Menschen auf der letzten Wegstrecke ihres Lebens, dem Sterben, zu begleiten. Solches Begleiten macht die in unserem Leben verborgene, aber dennoch wirksame Kraft des Heiligen Geistes erfahrbar und zeigt: Auch im Sterben sind wir von Jesus Christus und seiner Gnade umfangen.


8. Die Idee des Hospizes fördern
Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft spüren, daß der heutige Umgang mit schwerkranken und sterbenden Menschen häufig inhuman ist, weil mit dem Sterben und dem Tod auch die jeweils Betroffene im wahrsten Sinne des Wortes "verdrängt" und "abgeschoben" werden. Die Idee des Hospizes basiert auf der Überzeugung, daß das Sterben zum Leben gehört und daß der Tod nicht Ende, sondern Übergang zu neuem Leben ist. Im Mittelpunkt der Begleitung todkranker und sterbender Menschen steht nach der Idee des Hospizes nicht mehr nur das medizinische Bemühen um Heilung, sondern primär die persönliche Zuwendung im Gespräch und das Bemühen, ein würdiges Sterben zu ermöglichen. In den vergangenen Jahren hat sich auch in Deutschland, ausgehend von Großbritannien, die "Hospizbewegung" etabliert. Ihr Anliegen findet in den Kirchen starke Beachtung, Unterstützung und Verbreitung. Mit der Woche für das Leben treten die Kirchen deutlich dafür ein, die bereits im Mittelalter weit verbreitete "Kunst des Sterbens" neu zu entdecken und diesem Anliegen Aufnahme und Berücksichtigung zu verschaffen: in den Familien, in den Kirchengemeinden, in den Alten- und Pflegeheimen sowie in den Krankenhäusern und Kliniken.

Bonn/Hannover 18. April 1996

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