| Pressemeldung | Nr. 015 - Anlage 3

Ganztagsangebote: Freiwillig, subsidiär und vielfältig

Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zu Ganztagsschulen

Ganztagsangebote in Kindergärten und Schulen leisten unter klar definierten Bedingungen einen positiven Beitrag zu Erziehung und Bildung, Schulqualität, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Stützung der familialen Erziehung. Eine Erweiterung der Ganztagsangebote, wie sie gegenwärtig politisch angestrebt wird, muss allerdings von den Bedürfnissen und Erwartungen des Kindes und der Familie her konzipiert werden und weniger von den sie oft überlagernden politischen oder wirtschaftlichen Interessen. Auf keinen Fall darf damit in Form der "flächendeckenden Ganztagsschule" als "Regelschule" der Einstieg in eine vom Staat verwaltete Kindheit und Jugend und eine Funktionalisierung von Bildung verbunden sein. Die Erziehung der Kinder und Jugendlichen darf den Familien nicht entzogen und dem Staat ausschließlich übertragen werden. Eine Investition in die Ganztagsschule ist angesichts der Ergebnisse internationaler Vergleichsstudien eine sinnvolle ergänzende Maßnahme zur Halbtagsschule, aber kein Ersatz für die Ursachenforschung und Mängelbeseitigung im bestehenden Halbtagssystem.
Die deutschen Bischöfe wollen mit ihrer Stellungnahme zur aktuellen Debatte beitragen und vertreten nachfolgende grundlegende Positionen:Nach kirchlichem Verständnis und gängiger gesellschaftlicher Auffassung sind die Eltern "die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder. (...) Ihr Erziehungswirken ist so entscheidend, dass es dort, wo es fehlt, kaum zu ersetzen ist" (Konzilsdeklaration Gravissimum educationis Nr. 3). Das Grundgesetz erkennt in Art. 6 Abs. 2 den Eltern zuvörderst Recht und Pflicht der Pflege und Erziehung zu und drückt damit den Gedanken aus, dass das elterliche Erziehungsrecht Vorrang hat gegenüber allen anderen staatlichen oder gesellschaftlichen Kräften, die sich ebenfalls um die Kindererziehung bemühen. Es entspricht also der Verfassung, dem christlichen Verständnis von Familie und der in unserem Land weithin gelebten Form von Familie, dass die Eltern die ihnen zukommende Aufgabe von Erziehung und Bildung verantwortlich wahrnehmen. Andererseits wird eine schwindende Erziehungsbereitschaft und -fähigkeit von Eltern konstatiert. Für Staat und Gesellschaft stellt dies eine große Herausforderung dar, da die vorschulische und schulische Erziehungs- und Bildungsarbeit auf der vorausgehenden und begleitenden Erziehungsleistung der Eltern aufbaut. Vor allen Überlegungen zu Ganztagsangeboten in Kindergarten und Schule müssen also Bemühungen des gesamten Gemeinwesens stehen, die Erziehungsbereitschaft und -fähigkeit von Eltern zu stärken. Die Katholische Kirche bemüht sich darum in vielfältiger Weise. Die grundlegende Bedeutung dieser Aufgabe erfordert eine gesamtgesellschaftliche und politische Anstrengung. Es sind familien-, sozial- und arbeitsmarktpolitische Bedingungen zu schaffen, die es Eltern und alleinerziehenden Müttern und Vätern frei von äußeren Zwängen erlauben, ihre Kinder möglichst lange und umfassend selbst zu erziehen.Wenn Eltern aufgrund der familiären oder beruflichen Situation ihre Erziehungsaufgabe ganz oder teilweise nicht wahrnehmen können oder wollen und Ganztagsbetreuung für ihre Kinder benötigen oder verlangen, kann der Staat dies nicht ignorieren, darf aber auch nicht das so entstehende Erziehungsvakuum einfach allein ausfüllen. Vielmehr sollen sich Ganztagsangebote an den Leitlinien der Subsidiarität, Vielfalt und Freiwilligkeit orientieren. Dies sind die für eine moderne Bürgergesellschaft angemessenen Kriterien, die es zudem dem Staat ermöglichen, sich administrativ zu entlasten und sich auf seine Kernaufgaben der gesetzlichen Regelung, Aufsicht und Finanzierung zu beschränken. In diesem Zusammenhang wächst den freien Trägern eine größere Verantwortung für die Mitgestaltung und Schaffung von Ganztagsplätzen zu. Sie können solche Angebote schneller, flexibler, kostengünstiger und dichter am tatsächlichen Bedarf ausrichten. Dabei kann auch auf die Praxis der Katholischen Kirche verwiesen werden, die in einzelnen Bundesländern bereits Kooperationsvereinbarungen getroffen hat und im Verhältnis zur Zahl ihrer Einrichtungen ein höheres und differenzierteres Ganztagsangebot bereithält, als dies im staatlichen Bereich der Fall ist. Kirchliche Träger legen an ihre Schulen Kriterien an, die auch staatlichen Schulen als Orientierung dienen können:Ganztagsangebote ergänzen die Halbtagsschule, wenn und wo ein tatsächlicher Bedarf vorliegt.Ganztagsangebote im Sinne unterrichtsergänzender Förderungs-, individueller Begabungs- und Betreuungsmaßnahmen am Nachmittag haben Vorrang vor dem Ausbau verbindlicher Ganztagsschulen.Ganztagsangebote sind familienergänzend, nicht familienersetzend und müssen Elemente enthalten, die mit Blick auf das Kindeswohl die Erziehungsbereitschaft und -fähigkeit der Familie stärken.Ganztagsangebote müssen ein pädagogisches Konzept besitzen, das Vielfalt von Inhalten und Methoden ermöglicht, von den Eltern Mitsprache und Mitwirkung erwartet, die Arbeit der freien Jugendverbände mit einbezieht und die Teilnahme auf freiwilliger Basis regelt.Diese Kriterien für pädagogisch und familienpolitisch verantwortete sinnvolle Ganztagsangebote müssen in der öffentlichen Diskussion einen breiteren Raum einnehmen. Die Katholische Kirche in Deutschland wird ihre Erfahrung als großer Träger von Kindergärten, Schulen, Internaten und Einrichtungen der Jugendhilfe in kommende Gespräche auf den verschiedenen politischen und administrativen Ebenen einbringen und sich an Maßnahmen aktiv beteiligen.Freising, den 12. März 2003

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