| Pressemeldung | Nr. 048

Fünf Jahre Kölner Gipfel: Rückblick auf die HIPC-II Initiative zur Entschuldung armer Länder

18. Juni 2004, Katholikentag Ulm

Kardinal Karl Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Bischof Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Fast auf den Tag genau fünf Jahre ist es her, dass die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten in Köln auf ihrem jährlich stattfindenden Gipfeltreffen die Grundlinien für eine neue Entschuldungsinitiative zugunsten der armen hochverschuldeten Länder der Erde festgelegt haben. Die Initiative zur Entschuldung dieser Ländergruppe (HIPC-II Initiative) versprach eine Entschuldung auf ein dauerhaft tragfähiges Niveau. Im Gegenzug sollten die Schuldnerländer eine Verwendung der frei werdenden Mittel für Armutsbekämpfung und Entwicklung garantieren. Entscheidende Anstöße für diese Initiative kamen von einem breiten internationalen Bündnis gesellschaftlicher Kräfte, in das die Kirchen von Anfang an maßgeblich spirituelle, ethische und politische Impulse eingebracht haben. Augenfällig wurde dieses Engagement 1999 in Köln bei der Übergabe von über 17 Millionen Unterschriften, die weltweit gesammelt worden waren, in einer Menschenkette mit mehr als 40.000 Beteiligten und in der Kölner Versammlung von Bischöfen aus den G7-Staaten und aus zahlreichen hochverschuldeten Ländern des Südens.

Die internationale Schuldenkrise ist kein rein wirtschaftliches oder politisches Problem, sie stellt auch eine immense ethische Herausforderung dar. Durch den hohen Schuldendienst werden viele Staaten daran gehindert, die soziale Grundversorgung der eigenen Bevölkerung sicher zu stellen. Infolge dessen leben Millionen von Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen am Rande oder unterhalb des Existenzminimums; viele sterben vor ihrer Zeit. Dies kann die Kirchen nicht ruhen lassen. Denn wir haben eine im Evangelium gründende vorrangige Option für die Armen getroffen, die uns zum anwaltlichen Engagement für die Schwächsten und deren Überlebensinteressen verpflichtet.

Bilanz
Heute können wir feststellen, dass durch die Initiative viel erreicht worden ist. Von den 42 Entwicklungsländern, die von ihr erfasst werden, haben 27 einen vorläufigen oder endgültigen Schuldenerlass erhalten. Das Volumen der bisher erlassenen Schulden liegt insgesamt bei rund 34 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig ist der Anteil der Ausgaben zur Armutsbekämpfung an den Staatshaushalten der entschuldeten Länder spürbar gewachsen: von 41 Prozent im Jahr 1999 auf knapp 48 Prozent im vergangenen Jahr oder, in absoluten Zahlen, von 5,8 Milliarden US-Dollar auf 9,1 Milliarden US-Dollar. Das sind rund drei Milliarden US-Dollar mehr im Jahr für Gesundheit, für Ernährung, für Schulen und andere soziale Grunddienste. Die Initiative hat unbestreitbar deutlich gemacht, dass Schuldenerlass ein wirksames Instrument im Kampf gegen Armut und wirtschaftliche Unterentwicklung ist.

Doch bleiben die Ergebnisse hinter den selbst gesetzten Zielen zurück. Noch sind nicht alle armen hochverschuldeten Länder, für die die Initiative beschlossen wurde, in den Genuss der Entschuldung gekommen. Aber auch diejenigen Länder, die einen endgültigen Schuldenerlass erhalten haben, sind damit nicht vollständig frei von Schulden. Gestrichen wurden nur die Schulden, die das Maß der Tragfähigkeit nach den HIPC-Kriterien überschritten. Die Grenze dieser Tragfähigkeit, die an das Staatsbudget und Exporterträge gebunden ist, wurde zunächst auf 150 Prozent der jährlichen Exporterlöse festgelegt. Sie wird heute von vielen der teilweise entschuldeten Länder wieder überschritten. Sinkende Weltmarktpreise für die exportierten Produkte und der Zwang, für den Import teurer Energie erneut Kredite aufzunehmen, gehen hier eine unheilvolle Verbindung ein und haben dazu geführt, dass der Schuldenstand in einigen Ländern wieder gestiegen ist. Die gewährte Entschuldung reicht nicht aus, um eine dauerhaft selbsttragende Entwicklung zu ermöglichen.

Ähnlich sieht die Bilanz bei den qualitativen Elementen der Initiative aus. Die Entschuldungsinitiative hat erstmals den Schuldenerlass an die Erarbeitung nationaler Strategien zur Armutsbekämpfung geknüpft und verlangt, daran auch die Zivilgesellschaft zu beteiligen. Diese aktive Beteiligung der primär von der Verschuldung Betroffenen ermöglicht eine wirksamere Verwendung der frei werdenden Mittel. Sie leistet zudem in vielen Ländern einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung. Die Kirchen haben in dieser Verknüpfung von Entschuldung und Beteiligung der Armen am politischen Prozess von Anfang an eine der großen Leistungen der Initiative gesehen. Doch bleibt festzustellen, dass in manchen Ländern die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Erstellung von Armutsbekämpfungsstrategien (PRSP) nur sehr unzulänglich verlaufen ist. Selbst die Parlamente sind bei der Formulierung von Armutsbekämpfungsstrategien oft nicht einbezogen worden. Häufig war und ist auch der Einfluss von Weltbank und Internationalem Währungsfonds so groß gewesen, dass nicht ernsthaft von einer nationalen Verantwortung für den Prozess die Rede sein kann. Auch haben die Auflagen der internationalen Finanzinstitutionen nicht immer dem jeweiligen Einzelfall Rechnung getragen und so die Umsetzung der Armutsbekämpfungsstrategien behindert. Solche Erfahrungen sind gerade für junge Demokratien ausgesprochen enttäuschend.

Perspektiven
Die in Köln auf den Weg gebrachte Entschuldungsinitiative ist ein ermutigendes Beispiel dafür, dass durch entschlossenes Handeln neue Zeichen gesetzt werden können. Wenn sie jetzt nach fünf Jahren an ihr Ende kommt, so plädieren wir dafür, sie zumindest für diejenigen armen hochverschuldeten Länder weiterhin offen zu halten, die bislang noch keinen Zugang gefunden haben. Wir begrüßen die Verabredung beim diesjährigen G8-Gipfel in Sea Island, die Initiative in dieser Weise um zunächst zwei Jahre zu verlängern. Weiter sprechen wir uns dafür aus, im Lichte der neuen Erfahrungen zur Tragfähigkeit von Schulden die Höhe der bisherigen Erlasse zu überprüfen. Ein Verfehlen des Ziels der Tragfähigkeit, die lediglich ökonomisch definiert ist und die notwendigen Leistungen armutsorientierter Politik ausblendet, wäre eine schlimme Hypothek für weitere Anstrengungen zur Entschuldung.

Die Initiative für die Entschuldung armer hochverschuldeter Länder kann nur ein Zwischenschritt sein, dem weitere Schritte folgen müssen. Zu groß ist die Zahl hochverschuldeter Länder, die nicht zu dieser Ländergruppe zählen und daher nicht von der Initiative erfasst werden. Zu drückend ist auch deren Schuldenlast, als dass das Problem der Entschuldung durch die HIPC-Initiative als gelöst angesehen werden könnte. Es müssen Instrumente und Verfahren entwickelt werden, die auch den Menschen in anderen hochverschuldeten Ländern eine Perspektive zukunftsfähigen Lebens eröffnen. Ein wichtiger Schritt wäre die Entwicklung eines fairen und transparenten Schiedsverfahrens für überschuldete Staaten. Wir begrüßen das eindeutige Votum des Deutschen Bundestages für eine solche Regelung und unterstützen die Bundesregierung in ihrer Absicht, ein solches Verfahren international durchzusetzen.

Die Entschuldungsinitiative hat dem Verständnis Bahn gebrochen, dass Armutsbekämpfung im Zentrum entwicklungspolitischen Handelns stehen muss. Eine Bestätigung und entscheidende Verstärkung hat diese Sichtweise gefunden durch die Verabschiedung der Millenniums-Entwicklungsziele, mit denen sich die internationale Gemeinschaft auf eine Halbierung der extremen Armut bis zum Jahr 2015 verpflichtet hat. Dafür ist umfassende Entschuldung unverzichtbar, doch ist auch eine deutliche Steigerung der Mittel für Entwicklungshilfe eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Erreichung der Millenniumsziele. Die Weltbank spricht von einem zusätzlichen Finanzbedarf von jährlich 50 Milliarden US-Dollar. Eine Erhöhung der öffentlichen Haushalte für Entwicklung, auch in unserem Land, ist unumgänglich.
Wenn Armut dauerhaft überwunden werden soll, muss in den Entwicklungsländern eine selbsttragende wirtschaftliche Dynamik freigesetzt werden. Dafür ist eine Welthandelsordnung, die nachhaltige Entwicklung fördert, eine wesentliche Vorbedingung.

In Deutschland haben wir nach dem Krieg im Jahr 1953 von einem großzügigen Schuldenerlass profitiert, der die laufende Haushaltsbelastung für den Schuldendienst damals auf 5 Prozent der Exporteinnahmen absenkte. Die meisten Entwicklungsländer zahlen bis heute das Doppelte bis Dreifache. Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 war eine wirtschaftliche Anschubhilfe und ein politisches Signal, das den Weg der Bundesrepublik Deutschland zu Demokratie und Prosperität geebnet hat. Daraus erwächst eine historische Verantwortung, die wir fünf Jahre nach dem Kölner Gipfel in Erinnerung rufen: Geben wir etwas von dem weiter, das wir selbst empfangen haben. Setzen wir uns ein für eine gerechte Globalisierung: für eine weltweite Geltung von Solidarität und Geschwisterlichkeit.

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