| Pressemeldung | Nr. 068b

„Familiengerechtigkeit. Gutachten im Auftrag der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz zu einer familiengerechten Reform der gesetzlichen Rentenversicherung"

Statement des Vorsitzenden der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Reinhard Marx, Trier, zur Vorstellung des Textes im Pressegespräch am 26. Juli 2006 in Frankfurt/Main

Es gilt das gesprochene Wort!

Kinder sind ein Geschenk, ein Segen, aber auch eine Herausforderung. Doch das Zusammenleben mit Kindern ist nicht nur eine Privatangelegenheit der Eltern. Der Kölner Kardinal Josef Frings stellte schon in den 1960er Jahren fest: „Die Zukunft des Volkes hängt nicht von der Zahl der Kraftwagen ab, sondern von der Zahl der Kinderwagen.“ Wie Recht er damit hatte, sehen wir angesichts des demographischen Wandels, dem beherrschende Thema zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wie ein roter Faden zieht es sich durch die Debatten über die Zukunft unserer Gesellschaft und die Entwicklungschancen der Wirtschaft. Mehr und mehr wird deutlich: Familienpolitik ist Zukunftspolitik.

Durch die Geburt und Erziehung der Kinder leisten Eltern einen unverzichtbaren Beitrag zu Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Allerdings sind wir von einer gesellschaftlichen und finanziellen Anerkennung dieser von Familien erbrachten Leistungen weit entfernt. Das Verhältnis zwischen den Leistungen der Familien und den Gegenleistungen der Gemeinschaft ist nicht ausgewogen. Die Familien sind strukturell benachteiligt. Kinderlose werden im Vergleich zu denjenigen, die Elternverantwortung übernehmen, begünstigt. Vor allem in der gesetzlichen Rentenversicherung tritt dies zutage.

Da die Rente auf der Basis der gezahlten Beiträge gewährt wird, steht dem kinderlosen Doppelverdienerehepaar eine deutlich höhere Rente zu als dem Elternehepaar, das aufgrund von Kindererziehungszeiten oder eingeschränkter Erwerbstätigkeit weniger Beiträge zahlt. Auch wenn später diese Kinder die Renten aller sichern. Oswald von Nell-Breuning folgerte daher, die deutsche Rentenversicherung unterstütze eher die Entscheidung zum Zweitwagen als zum Kinderwagen.

Denn die Leistungen, die Eltern für den Nachwuchs erbringen, schlagen im Vergleich zu den finanziellen Beiträgen, die jeweils von der erwerbstätigen Generation aufgebracht werden, zu wenig zu Buche. Beide „Beitragsformen“ – der finanzielle wie der generative – sind aber unentbehrlich für ein umlagefinanziertes soziales Sicherungssystem. Es ist ein Konstruktionsfehler des vor 50 Jahren eingeführten Rentensystems, die Kindererziehungsleistungen nicht angemessen zu berücksichtigen.

Dies haben schon die Zeitgenossen erkannt. Wilfrid Schreiber, der „Vater der dynamischen Rente“, schlug als gleichrangigen Bestandteil der großen Rentenreform von 1957 eine so genannte Kinder- und Jugendrente vor. Dabei handelt es sich um eine Art „Investitionskredit“ in die nachwachsende Generation, der entweder in Form der Erziehung eigener Kinder oder in bar zu erstatten wäre, so dass auf diese Weise auch Kinderlose zum Unterhalt der nachwachsenden Generation beitragen. Dabei ging es Schreiber nicht um eine „Strafsteuer“: den „Investitionskredit“ verstand er vielmehr als äquivalent für die erhaltene Erziehungsleistung. In diese Richtung müssen wir heute weiterdenken.

Die jüngsten Veränderungen im Bereich der Rentenversicherung können aus dieser Perspektive nicht überzeugen. Zwar ist zu begrüßen, dass die erwerbstätige Generation durch die Einführung des so genannten Nachhaltigkeitsfaktors und die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre vor einer übermäßigen Belastung geschützt wird. Jedoch ist diese Reform familienpolitisch blind. Denn die damit einhergehenden Rentenkürzungen erfolgen völlig unabhängig davon, ob jemand Kinder erzogen hat. So bleiben die Ungerechtigkeiten zwischen denjenigen, die durch die Geburt, Betreuung und Erziehung von Kindern einen Beitrag zum Erhalt des Systems leisten, und denjenigen, die keine Erziehungsleistungen übernehmen, bestehen. Eltern erweisen sich auch hier als besondere Verlierer der Reform, weil die bereits niedrigen Renten derjenigen, die wegen der Kindererziehung geringere oder überhaupt keine Rentenbeiträge zahlen konnten, sogar nochmals gesenkt werden. In der gesetzlichen Rentenversicherung besteht unter dem Gesichtspunkt der „Familiengerechtigkeit“ also nach wie vor dringender Reformbedarf.

Die Rede von der Generationen- und Familiengerechtigkeit ist keineswegs neu. In vielen Debattenbeiträgen und konkreten Lösungsvorschlägen aus Politik und Wissenschaft haben diese Begriffe eine Rolle gespielt. Doch die Diskussion bleibt seit Jahren stets an denselben Argumenten stecken: Eine stärkere Berücksichtigung von Kindererziehungsleistungen sei nicht finanzierbar; es handle sich um versicherungsfremde Leistungen; eine stärkere Berücksichtigung führe zu einer nicht akzeptablen Polarisierung zwischen Kinderlosen und Kindererziehenden.

An dieser Stelle ist die politische Debatte festgefahren. Doch dabei darf es nicht bleiben. Wir Bischöfe wollen diese Diskussionsblockade zugunsten der Familie aufbrechen. Daher hat die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz das heute vorzustellende Gutachten zur familiengerechten Reform der gesetzlichen Rentenversicherung in Auftrag gegeben, das von Prof. Dr. Jörg Althammer und Dipl. oec. Andreas Mayert am Lehrstuhl für Sozialpolitik und Sozialökonomik der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum erstellt wurde. Die Studie diskutiert verschiedene Lösungsvorschläge zur Berücksichtigung familialer Leistungen und berechnet den Finanzierungsbedarf für den Fall einer Ausweitung von Kindererziehungszeiten. Das mag alles sehr technisch und kompliziert klingen, im Ergebnis aber erweist sich die Sache als einfach und klar: Die vorliegende Studie zeigt, dass eine familiengerechte Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung möglich ist.

Wir hoffen, mit der Veröffentlichung dieses Gutachtens die Debatte um mehr Familiengerechtigkeit beleben zu können. Es ist notwendig, zu einer Versachlichung beizutragen und dem Anliegen einer familiengerechten Reform der Rentenversicherung Nachdruck zu verleihen. Der Text soll allen, die Reformen in der Rentenversicherung angehen wollen – Reformen, die sich durch mehr Familiengerechtigkeit auszeichnen – Anregungen und Hilfe bieten. Es mag andere Wege als den hier eingeschlagenen geben. Entscheidend ist, dass eine familiengerechte Reform der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt.

Ohne zusätzliche Mittel oder eine Umverteilung zwischen Versicherten mit Kindern und Versicherten ohne Kinder wird es nicht gehen. Wir müssen uns dies etwas kosten lassen. Denn wenn es gelingt, die gesellschaftliche Anerkennung für Elternschaft und Familie sichtbar zu machen, werden positive Wirkungen gewiss nicht ausbleiben: Dann nimmt die Zahl der Kinderwagen zu. Dann fällt die Entscheidung vielleicht wieder häufiger zugunsten des Familienautos anstelle des Zweitwagens aus.

Mein besonderer Dank gilt den Autoren des Gutachtens, Prof. Dr. Jörg Althammer und Dipl. oec. Andreas Mayert. Weiterhin danke ich der Arbeitsgruppe für sozialpolitische Fragen der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz und besonders ihrem Vorsitzenden, Weihbischof DDr. Anton Losinger, welche die Erstellung des Gutachtens begleitet hat. Herr Prof. Althammer wird Ihnen zentrale Ergebnisse der Studie nun vorstellen.

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