| Pressemeldung | Nr. 064 - Anlage 1

Eröffnungsreferat von Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, bei der Herbst-Vollversammlung am 20. September 2004 in Fulda

Umkehr zum Leben für alle.

Ursprung und Tragweite der missionarischen Grunddimension des christlichen Glaubens

 

Seit einiger Zeit hat das Wort „missionarisch“ geradezu Hochkonjunktur. Es wird für sehr viele Bereiche gewählt und steht manchmal in der Gefahr, beinahe inflationär zu werden. Wenn etwas missionarisch ist, scheint es auch bereits legitimiert zu sein. Mit dem Substantiv „Mission“ steht es nicht so gut. An „Mission“ heften sich immer noch viele Einwände. Sie scheint eher ohnehin eine abgeleitete Größe zu sein.

Dies hat gewiss auch mit dem angenommenen Ursprung der Mission zu tun. Der bekannte Slogan „Jesus hat das Reich Gottes gepredigt, und gekommen ist die Kirche“  hat später eine gewisse ähnliche Abwandlung erhalten im Blick auf die Entstehung der Mission: Jesus habe nämlich Buße und Umkehr für die Juden gepredigt, die Kirche habe aber die Mission unter den Heiden hervorgebracht. Die Juden bedurften der Buße, nicht aber der Bekehrung wie die Heiden, denn der Bund sei ihnen nicht genommen worden. Schließlich hat man die These sogar dahin zugespitzt, die Heidenmission in der Frühzeit der jungen Kirche sei aus der Verweigerung Israels gegenüber der Botschaft Jesu und seiner Person gekommen. So wäre die Heidenmission der Kirche nur unter der Voraussetzung der Verwerfung Jesu durch die Juden entstanden.  Die Kirche würde sich also an der Stelle Israels den Heiden zuwenden. Dies könnte so verstanden werden, als ob die Heidenmission der Kirche eine nicht geplante Ersatzlösung darstelle. Dagegen gibt es nicht nur gute theologische Gegengründe, sondern man muss hier auch fundamental die Frage stellen, ob der wahre Grund für die Verbreitung des Evangeliums nicht allein in der Weigerung des jüdischen Volkes, sondern im positiven Heilswillen und Heilsratschluss Gottes zu suchen ist.

Ist Mission also nur ein verunglückter Ersatz? Der Einwand wird für viele zum Verdacht, wenn man zusätzlich noch schwierige Etappen der Missionsgeschichte als Missbrauch und Entstellung des christlichen Glaubens deutet. An diesen Fragen geht man oft vorbei oder ver-sucht rasch bloß eine apologetische Antwort. Wir wollen uns von hier aus einen Zugang zur Sache eröffnen. Dies ist nur möglich, wenn wir grundlegend nach dem Verhältnis Jesu zur Mission fragen und von dort aus dem Verhältnis der Kirche zur Mission nachdenken.

I.

Angesichts der Wichtigkeit des Gottesverständnisses erscheint es mir jedoch als notwendig, gleichsam ein Vorspiel zur Erörterung des Missionsgedankens vorauszuschicken. Dabei kann dies ohnehin nur eine Skizze sein. Der vorösterliche Jesus ist der Bote des Vaters. Gott thront nicht in seliger Selbstgenügsamkeit. Er ist nicht „olympisch“, d. h. bleibt nicht in seiner unberührbaren und seligen Souveränität. Bei den Griechen sind die Götter nicht zuletzt darum se-lig, weil sie selbstgenügsam in sich bleiben und schweigen. Die Absolutheit wird mit seiner Erhabenheit über Welt und Geschichte zum Ausdruck gebracht. Im christlichen Glauben behält er zwar seine aus ihm selbst kommende und durch nichts bedingte Ursprünglichkeit, ver-bleibt aber nicht in Autarkie, sondern wendet sich der Welt und den Menschen in der Schöp-fung und in der Erlösung zu.  Gott tritt schon im Alten Bund aus sich heraus, um mit den Menschen zu sein. Er kommt auf uns zu und lädt uns ein, Friede und Gemeinschaft mit ihm selbst zu stiften und geschwisterliche Gemeinschaft unter den Menschen herzustellen. Er ist wirklich ein Emmanuel, ein Gott-mit-uns. Gott selbst ist der Ursprung aller Mission, denn er sendet uns aus dem Schweigen der Ewigkeit sein Wort der Wahrheit, er sendet die Propheten als lebendiges Zeugnis seiner Zuwendung zu uns, erweckt sie und leitet sie durch den Geist der Wahrheit. In diesem Sinne gibt es zweifellos auch eine tiefe trinitarische Begründung der Mission, die stärker in der ökonomischen Trinität sichtbar wird, die freilich wiederum durch die immanente Trinität begründet bleibt.

Das Interesse Gottes an der Welt wird im Zug der Heilsgeschichte immer offenkundiger. Auch die jüdische Theologie hat bekanntlich diese Kondeszendenz Gottes in seinem Wort, in der Thora, in der Schechina und vielen Erweisen seiner Güte zur Welt bezeugt. Nicht zuletzt darauf spielt der Anfang des Hebräerbriefes an: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn.“ (Hebr 1,1 f.) Es gibt in diesem Sinne dann auch eine sehr konse¬quente Christologie der Sendung, die vielleicht am stärksten erkennbar wird in Gal 4,4: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“. Er ist Gottes Mission. Als Sohn bezeugt er am tiefsten und ganz authentisch den Willen des Vaters. Jesu Weg ist nichts anderes als Sen¬dung vom Vater her.

Diese Sendung des Sohnes hat ein Ziel, nämlich die Liebe Gottes zum Menschen und zur Welt offenbar zu machen. Die Herrschaft Gottes ist nicht die Durchsetzung irgendeiner Macht, sondern letztlich ist es die ganz andere Herrschaft der suchenden Liebe. In unüberbietbarer Form hat es der große Theologe Johannes formuliert: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zu Grunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt ge-sandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ (Joh 3,16 f.)

II.

Dieser erste Aufriss muss noch näher geklärt werden. Dabei geht es vor allem um das Verhältnis Jesu zu so etwas wie Mission.  Die Frage, ob Jesus die Mission gewollt hat, muss in einer gestuften Reflexion beantwortet werden. Einmal verstand sich Jesus selbst als der Gesandte, der den Auftrag hat, das Gnadenjahr des Herrn auszurufen (vgl. Lk 4,18 f.) und die verlorenen Schafe des Hauses Israel zu sammeln (Mt 25,24). Der Ruf zu einer elementaren Umkehr und zum Glauben an das Evangelium (vgl. Mk 1,15) eröffnet bereits einen weiten Horizont. In der Unbeschränktheit dieses Rufes liegt ein universales Element, das zugleich so etwas wie einen missionarischen Impuls gibt. Etwas ähnliches kündigt sich im Verständnis der Jüngerschaft Jesu an. Zur Berufungserzählung (vgl. Mk 1,16-18) gehört auch die In-dienstnahme der Berufenen. Diese Dienstbereitschaft findet ihre konkrete Gestalt in der Aussendung der Jünger. Für die Aussendungsrede gibt es zwei Fassungen (vgl. Mk 6,6b-13/Lk 9,1-6 und in Lk 10,1-12,Q). Matthäus hat diese beiden Überlieferungsstränge miteinander verbunden und auch noch Sondergut eingefügt. Wenn man von den nachösterlichen Überlage-rungen absieht, geht aus Lk 9,1 f. und Mt 10,7 f. hervor, dass es sich um einen Auftrag zur Weiterverkündigung der Gottesherrschaft handelt, die auch das Wirken zeichenhafter Wunder einschließt.

Ein wichtiges Element dabei ist die Übertragung von Vollmacht an die Jünger. Wie Jesus selbst seine „Vollmacht“ („exousia“) vom Vater erhalten hat, so überträgt er diese auf seine Jünger. Sie nehmen teil an seinem Auftrag und haben bereits in der vorösterlichen Zeit Teil an der Verkündigung dieser Botschaft und an der Verwirklichung der dazugehörigen Handlungen, die Jesus vollbringt (vgl. auch Lk 9,60). In dieser Aussendung durch den irdischen Jesus ist eine wichtige Voraussetzung gegeben für die nachösterliche Aufgabe der Jünger. Man hat darauf hingewiesen, dass hier auch erste Ansätze für so etwas wie eine Traditionsbildung erkennbar werden, denn das selbstständige Handeln der Jünger schließt ja eine zuverlässige und genaue Kenntnis der von Jesus verkündigten Botschaft ein. Schon hier kann man einen wich-tigen Akzent im Begriff und Verständnis von „Apostel“ feststellen, wie die Zwölf wenigstens teilweise genannt werden (vgl. Lk 6,13 und Mt 10,2-4). Denn die Apostel haben von hierher gesehen eine wichtige Doppelstellung: Einmal sind es die Gesandten, wie das Wort vom Griechischen her sagt; zum anderen sind sie eben als Apostel, die den vorösterlichen und den nachösterlichen Jesus aus der Nähe kennen und bei ihm sind, Zeugen der Wahrheit und der Authentizität seiner Botschaft, was im Sprachgebrauch der Kirche eben später immer wieder aufscheint: Das Apostolische ist Grund und Maßstab nicht nur für die Jesuszeit, sondern auch bleibendes Kriterium für die Gründung und Geschichte der Kirche aller Zeiten.

So hat auch die Einsetzung der Zwölf eine doppelte Bedeutung. Der Zwölfer-Kreis ist in Entsprechung zu den zwölf Söhnen Jakobs als den Stammvätern Israels eingesetzt worden. Die „Zwölf“ sind die Repräsentanten des endzeitlich erneuerten Gottesvolkes. Hier gibt es Konti-nuität und Diskontinuität in einem. Die Zusammengehörigkeit besteht darin, dass es um ein erneuertes Israel geht. Aber dies kann nicht einfach die Fortsetzung der Geschichte des alten Gottesvolkes oder eine Wiederherstellung der alten Stämme sein. Es wird ein neues Israel gesammelt. Darum werden auch neue „Stammväter“ eingesetzt. Dabei geht es Jesus jedoch nicht um die im Alten Testament und im Judentum bekannte Vorstellung vom „heiligen Rest“, vielmehr orientiert er sich am Gedanken des zu sammelnden, eschatologischen Gottes¬volkes. Beim Übergang in den griechischen Sprachgebrauch wird dies unter Berücksichtigung der Übersetzungstradition der Septuaginta „ekklesia“ genannt.

Dies heißt freilich auch, dass die Erneuerung von Israel ausgeht. Es ist der Heilsbringer für die Völker (vgl. Jes 2,2 f.). Jesu Wirken gilt in erster Linie den im Land zerstreuten Juden. Israel ist für ihn immer noch das Bundesvolk, das die Verheißung hat und weiter behalten wird. Dies ist aber nicht von vornherein gleichzusetzen mit einer negativen Ausgrenzung der übrigen Völker. Eine scharfe Fixierung des Beginns der Heidenmission auf das angebliche Ausscheiden Israels aus der Rolle als Heilsmittler legt Gegensätze nahe, die so von der Schrift her nicht vertretbar sind. Jesus begegnet bei seinen Wanderungen gerade durch Galiläa der heidnischen Bevölkerung. In den Evangelien ist dies besonders in der Erzählung von der Syrophönizierin (vgl. Mk 7,24-30) und in der Geschichte des Hauptmanns von Kafarnaum (vgl. Mt 8,5-13/Lk 7,1-10,Q) festgehalten. Ja, schließlich hat Jesus Menschen in seinen Anhänger- und Jüngerkreis aufgenommen, die religiös und sozial als ausgestoßen galten. Er hat in der Gestalt des Simon Kananäus (vgl. Mk 3,18) einen Zeloten in den Kreis der Zwölf aufgenom-men. Dies ist für Jesu Botschaft und sein Wirken von grundlegender Bedeutung, denn es geht ihm um eine radikale Erneuerung allen menschlichen Lebens und der Lebensgemeinschaft. So werden die traditionellen Grenzen von Jesus bewusst in mehrerer Hinsicht überschritten. Darum darf die zweifellos vorhandene Konzentration der Sendung auf Israel nicht als eine negative Ausgrenzung der übrigen Völker begriffen werden. Es ist daher auch richtig, wenn man von einem „Heilsuniversalismus“ Jesu gesprochen hat und wenn man den universalen Missionsauftrag nach Ostern durchaus im Einklang mit dem Willen des irdischen Jesus sieht.

Hinsichtlich der Stellung Jesu zu den Heiden und besonders zu einer „Heidenmission“ gibt es viele unterschiedliche Antworten der Exegeten: Die Heidenmission sei völlig außerhalb des Horizontes Jesu; die Bekehrung der Heiden sei von ihm selbst erst im endzeitlichen Handeln Gottes erwartet worden; er habe die Heidenmission für die nachösterliche Zeit angekündigt; er sei der erste Heidenmissionar gewesen. F. Hahn verweist hier auf die aufschlussreichen Erzählungen in Mk 7,24-30 und Lk 7,1-10. „Bei aller Konzentration auf Israel und das eschatologisch erneuerte Gottesvolk wird im Blick auf die Heiden das grenzüberschreitende Handeln Jesu erkennbar. Vermutlich hat er nicht ohne Grund sein Wirken über Galiläa hinaus ausgedehnt, wo ihm auch Heiden begegnet sind. So kam es offensichtlich schon bei seinem vorösterlichen Wirken zur Annahme und Aufnahme von Heiden, ohne dass damit eine programmatische Tätigkeit unter den Heiden oder eine Aussendung der Jünger zu den Heiden verbunden gewesen ist.“  Auch die zweifellos nachösterlich beeinflusste Fassung in Jesu Rede vom Weltgericht (vgl. Mt 25,31-46) lässt für F. Hahn erkennen, „dass es für Jesus keine prinzipielle Beschränkung auf Israel gab, dass vielmehr alle Menschen, die in Jesu Sinn leben und handeln, der Heilsgemeinschaft zugerechnet werden, während andere, die sich zu Unrecht auf ihn berufen, ausgeschlossen sind (vgl. Mt 7,21 f.). Bei aller Offenheit geht es um einen klaren und unübersehbaren Mittelpunkt, das eschatologisch erneuerte Gottesvolk, das angesichts der anbrechenden Gottesherrschaft zusammengerufen wird.“  Der Anbruch der Gottesherrschaft verheißt auch deren Vollendung. Dasselbe gilt auch für die anfängliche Sammlung des Gottesvolkes (vgl. Mt 8,11 f.; Lk 13,29). Es wird also durchaus die Offenheit der Jüngergemeinschaft betont. Es gibt Menschen, die von außen dazukommen. Diese Vollendung sieht Jesus besonders in der endzeitlichen Tischgemeinschaft (vgl. Mk 14,25; Mt 26,29).

An dieser Stelle müssen noch zwei Grundgedanken fortgeführt und stärker nachgetragen wer-den. Die Nachfolge-Erzählungen haben nicht nur eine einmalige historische Bedeutung, son-dern haben auch Gültigkeit für die nachösterliche Zeit. Dies ist sehr klar in der synoptischen Tradition ausgesprochen. Jesus ist auch nach Tod und Auferstehung der einzige Meister (vgl. Mt 23,8). Im Johannesevangelium gibt es nach F. Hahn eine weiterführende Überlegung, indem deutlich gemacht wird, „dass der Ruf in die Nachfolge nicht bloß von Jesus selbst ausgeht (so Joh 1,43), sondern stellvertretend auch von seinen Jüngern, die einen Neuberufenen zu Jesus hinführen“  (vgl. 1,40 f., 45). So ist die Nachfolgetradition erhalten, aber sie wird im vierten Evangelium zugleich auch in eine inhaltliche Parallele gebracht mit „Glauben“ (vgl. z. B. den Übergang in 1,50; 6,35). Bei Paulus ist das Wort vom „Glauben“ ganz in den Vordergrund getreten zur umfassenden Bestimmung des Jünger- bzw. Christseins. Eine andere Komponente in der fortschreitenden Reflexion besteht in der Tatsache, dass sich vor allem im hellenistischen Bereich der frühen Kirche der Begriff der „ekklesia“ an der Stelle des Gottesvolksgedankens durchzusetzen begonnen hat. Er bezieht sich auf die konkrete Ortsgemeinschaft. Dabei ist es aber aufschlussreich, dass sich der Grundaspekt der universalen Gemeinschaft auch im Begriff „ekklesia“ erhalten hat. Dies wird besonders erkennbar im Wort „Kirche Jesu Christi“. „Damit wurde zweifellos an die Vorstellung Jesu angeknüpft, wonach es im Zusammenhang mit der Proklamation der anbrechenden Gottesherrschaft um die Sammlung des eschatologischen Gottesvolkes geht. In nachösterlicher Zeit wurde daraus die von Jesus gestiftete Heilsgemeinschaft.“  Damit ist vor allem die Zeit zwischen Ostern und der Parusie gemeint. Schließlich ist so von Anfang an die dreigestufte Bedeutung und unterschiedliche Reichweite des Wortes „ekklesia“ gegeben, das die aktuale Versammlung der Gemeinschaft der Glaubenden, die konkrete Ortsgemeinde und die weltweite Glaubensgemeinschaft meint. Mindestens ist eine solche Tendenz deutlich bei Paulus erkennbar.

Es gehört zum Gesamtbefund, dass die Zwölf, die teilweise ganz mit den „Aposteln“ gleichgesetzt worden sind, zweifellos bei aller Offenheit der Jüngergemeinschaft eine Sonderstel-lung innehaben. Die Apostel haben eine geschichtliche Einmaligkeit, weil sie von dem aufer-standenen Herrn selbst als Boten des Evangeliums eingesetzt worden sind. Unter den Jüngern Jesu und den Aposteln spielt dabei Simon Petrus von Anfang an eine herausragende Rolle. Er hat sie auch in der nachösterlichen Zeit behalten. Durch die Verleihung des Kephas-Namens („Fundamentalfelsen“) und die Tatsache, dass er wohl der erste Auferstehungszeuge gewesen ist (vgl. 1 Kor 15,5 und Lk 24,34), ist er „der maßgebende Repräsentant der sich bildenden Urgemeinde geworden“.  „Was für Jesu eigenes Wirken kennzeichnend war, die Heilszuwen-dung und die Befreiung aus der Macht der Sünde, das ist nun die wesentliche Aufgabe und Funktion der nachösterlichen ‚Kirche Christi’... Petrus partizipiert wie der ganze Zwölfer-Kreis an der Einmaligkeit der Geschichte Jesu, und er repräsentiert zugleich die Vollmacht, die der nachösterlichen Kirche insgesamt und auf Dauer übertragen ist.“

III.

Der missionarische Dienst im Sinn der Verkündigung des Evangeliums ist in Jesu eigener Sendung und Vollmacht begründet. Der Auftrag an die Jünger bedeutet Partizipation an seiner Vollmacht und dient der Weiterverkündigung der Heilsbotschaft. Die weltweite Verkündigung des Evangeliums (vgl. Mk 13,10) ist ein besonderes und spezifisches Element der Zeit zwischen Anbruch und Vollendung des Heils, also der Zeit der Kirche. So ist der nachösterliche Missionsauftrag schon in der Aussendung zu Lebzeiten Jesu vorweggenommen. Wenn auch diese Sendung primär und nach dem Matthäusevangelium sogar ausschließlich (vgl. 10,5 f.) auf Israel bezogen war, so hat der universale Auftrag, der ansatzweise im Verhalten des irdischen Jesus punktuell schon aufscheint, seine Wurzel im Sendungsauftrag des irdi¬schen Jesus, kommt aber nun nach Ostern voll zur Geltung.

Dies zeigen rasch die zentralen Texte (vgl. Mt 28,18-20; Lk 24,46-49; Apg 1,8; Mk 16,15 f.; Joh 20,21 f.).  Es ist erstaunlich, wie sehr der universale Aspekt der Sendung in den meisten Texten betont wird (vgl. z. B. besonders auch Mk 16,15). Wenn davon nicht die Rede ist, darf sie, wie z. B. im Johannesevangelium vorausgesetzt werden. Die Sendung der Jünger wird hier ausdrücklich mit der eigenen Sendung Jesu in eine parallele Beziehung gesetzt (vgl. 20,21). In diesem Zusammenhang gibt es auch – ähnlich wie bei Lukas – eine Verbindung der schon öfter angesprochenen Beauftragung der Jünger mit der Verleihung des Heiligen Geis¬tes: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist.“ (20,21 f.) Die universale Sendung erscheint eindeutiger in anderen Passagen des vierten Evangeliums. Nach 3,16 hat Gott Jesus in die Welt gesandt, um diese zu retten. Darum ist er der „Retter der Welt“ (4,42c). Während sich 20,21 f. auf die anwesenden Jünger bezieht, sollen doch alle durch das Wort der Jünger zum Glauben kommen (vgl. 17,20 ff.).

Das Nebeneinander dieser verschiedenen Texte zeigt ineins eine hohe Gemeinsamkeit, aber auch eine verschiedene Entfaltung. „Die Gewissheit der österlichen Sendung gründet in der Überzeugung der Gemeinde, dass mit Jesu Auferstehung und seiner Einsetzung zur Rechten Gottes die den Jüngern erteilte Vollmacht in universalem Horizont verstanden und durchgeführt werden muss.“

Diese Einsicht hat sich wohl erst schrittweise, aber doch schon in einer unerhört kurzen Zeit und beinahe explosionsartig durchgesetzt. Ich bin jedoch der Meinung, man sollte den Ur-sprung der Mission nicht nur mit dem Ostergeschehen allein in Beziehung setzen, sondern man sollte hier den engeren Zusammenhang zwischen der Passion, dem Tod und der Auferstehung Jesu besser beachten und keinesfalls auseinanderreißen. Im Grunde gilt dies auch für den weiteren und tieferen Kontext der Himmelfahrt Jesu und der Geistverleihung an Pfings¬ten. Im Rahmen dieses Beitrags möchte ich dies nicht ausführlicher darlegen.

Für das Gemeinte wähle ich die bekannte biblische Kurzformel, die – mindestens implizit – so etwas wie eine Synthese aller Hauptaspekte des Erlösungsgeschehens ist. Dies ist das vorpau-linische und paulinische „Für uns“ (vgl. 1 Kor 15,3; 2 Kor 5,14; Röm 8,32; Gal 1,4; 2,20; Röm 5,6; 14,15). Die Formel findet sich in allen Schichten des Neuen Testaments und kann mit Sicherheit in die älteste uns erreichbare urchristliche Traditionsbildung zurückgeführt werden, wobei der Unterschied zwischen „hellenistischer“ und „palästinisch-jüdischer“ Herkunft in der Forschung eher an Gewicht verloren hat. Trotz ihrer Allgegenwart in den ver¬schiedenen Schichten des Neuen Testaments ist die Formulierung ziemlich konstant. Die unterschiedliche Ausgestaltung ist kein schlüssiges Gegenargument: für uns, für alle, für die Sünden, für den Nächsten, für mich, für Gottlose. Bei allen unterschiedlichen Fassungen be¬steht doch die feste Überzeugung, dass das „Für uns“ die innere Achse aller soteriologischen Aussagen darstellt. Es ist bereits als ein zentrales Motiv in der vorösterlichen Jesus-Geschichte erkennbar. Im Einsatz Jesu für die Armen und Sünder gibt es so etwas wie einen Vorentwurf des „Für uns“ bzw. „Für alle“. Jesus ist der Mensch für die anderen. Er ist, wie H. Schürmann unermüdlich aufzeigte, in seinem ganzen Wesen „Pro-Existenz“. Damit ist eine grundlegende Lebensrichtung, ein inneres Gefälle im Auftreten und Verhalten Jesu ge¬meint. Es wäre ganz töricht, wie es leider immer wieder geschehen ist, diese Pro-Existenz nur anth¬ropologisch, gleichsam von unten im Sinne einer nur sozial orientierten Solidarität zu verstehen. Es ist immer schon deutlich, dass dieser totale Einsatz Jesu Christi nicht bloß vor Gott erfolgt und im Willen des Vaters gründet, sondern dass er auch diesen Einsatz für Gott, in seinem Namen und darum auch für alle Menschen auf sich nimmt. Ohne die tiefe und letzte Verwurzelung des Lebens und Wirkens Jesu, des ganzen Evangeliums in der Sendung und im Willen des Vaters gibt es diese universale Hingabe für alle nicht.  Jesus ist der Mensch, der sich für die anderen selbstlos weggibt. Dabei kommen Person und Sache zu einer völligen Deckung. In Jesu Pro-Existenz wird der Einsatz Gottes „für uns“ anschaulich und wirklich. Zweifellos gibt es diesen Bogen einer wenigstens impliziten Soteriologie von dem sich ver-zehrenden Wirken des irdischen Jesus zu Gunsten der Armen und Sünder über die Hingabe im Abendmahl bis in die Passion hinein. Dadurch wird auch die öfter behauptete Dichotomie zwischen der Basileia-Botschaft Jesu und der Heilsbedeutung seines Todes relativiert. Zwi-schen dem Wirken und Leiden Jesu wird eine tiefe Einheit aufgezeigt, selbst wenn während der öffentlichen Tätigkeit Jesu stärker das aktive Selbsthandeln betont wird und im Gegensatz dazu die Passion mehr von der Hinnahme des über Jesus verfügten Geschicks bestimmt wird, das er allerdings sich freiwillig zu Eigen macht. Der Tod Jesu wird zu einem Zeichen dafür, dass der irdische Jesus seine Solidarität mit den Armen und Sündern bis in das Äußerste durchhielt.

Dabei ist an dieser Stelle auch nochmals alle Sorgfalt walten zu lassen. Denn die zur Interpretation auch in der Verkündigung immer wieder angeführte Kategorie Solidarität reicht in der konkreten Anwendung oft nicht aus, um die Grundaussage „Für uns“ adäquat zu übersetzen. Denn „Für uns“ heißt nicht nur „um unsertwillen“, „zu unseren Gunsten“, sondern nicht minder „an Stelle von uns“, „in unserer Stellvertretung“. Der Tod Jesu ist nicht das zufällige, tragische Mittel oder gar „Material“ der Erlösung. Vielmehr ist der Tod Jesu der Vollzug der Erlösung. Paulus ist durchaus nicht im Unrecht, wenn er das ganze irdische Leben Jesu, gewiss äußerst komprimiert, im „Tod“ konzentriert. In diesem Sinne ist die aktive Pro-Existenz des irdischen Jesus ein Vorschein des Geheimnisses der Passion. Das Sterben Jesu am Kreuz, das Begräbnis als Besiegelung des Totseins und der „Höllenabstieg“ Jesu Christi loten die äußerste Tiefe der Verlorenheit Jesu und damit des Menschen aus, erhellen freilich zugleich alle Dimensionen der vollbrachten Erlösung.

Jetzt wird deutlich, aus welcher Tiefe die Erlösung allen Menschen zuteil geworden ist. Freilich muss man hier auch an eine Missdeutung erinnern, die genannt werden muss. Es gibt den Tod Jesu „für alle“. Jesus Christus ist für alle Menschen gestorben. Die Kirche hat durch viele Jahrhunderte hindurch immer wieder theologische Versuche zurückgewiesen, diese Universalität des Erlösungstodes Jesu Christi einzuschränken auf die Menschen, die der Kirche angehören, die getauft sind, die „Frommen“ usw. Es ist ein eindrucksvolles Zeugnis, dass die Kirche diesen Versuchen bis heute widerstanden hat und die Reichweite der Erlösung wirklich in ihrer universalen Geltung bestehen ließ. Sie bleibt dabei auch den dargelegten Grunddaten der Heiligen Schrift treu, wie sie vor allem auch in 1 Tim 2,4 zum Ausdruck kommen: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ Das Zweite Vatikanische Konzil hat in eindrucksvoller Weise diese Hoffnung auf das Heil aller Menschen vertieft.  Aber es ist ein tödliches Missverständnis, wenn man aus diesen Aussagen die falschen Konsequenzen zieht. Gesagt ist nämlich nicht, dass deswegen alle Menschen auch schon faktisch gerettet werden. Die Erlösung ist in keiner Weise irgend¬ein Mechanismus, der das Heil von Jesus her automatisch auf die Menschheit im Ganzen überträgt. Die Theologie muss sich immer dagegen wehren, Gottes Mitteilung der Gnade naturalistisch zu verstehen, wie wenn ein Gewitter unterschiedslos Wasser ausschüttet. Aber für uns heutige Menschen ist auch eine mechanische Vorstellung verführerisch, als ob es in diesem Bereich subjektlose Prozesse geben könnte. Die Bibel spricht in diesem Zusammenhang von Anfang an im Sinne einer personalen Aufforderung und einer entsprechend personal strukturierten Antwort. Gott sendet jedem seine Gnade als Anruf und Einladung, sich auf die-ses Geschenk einzulassen. Aber nur wer die Einladung auch im Leben realisiert und sie damit persönlich akzeptiert, wird von Gott gerechtfertigt und von der Sünde befreit. Darum gibt es besonders beim hl. Paulus auch den fundamentalen Unterschied zwischen dem Indikativ und dem Imperativ der Zuwendung des Heils. So wiederholt Paulus im Galaterbrief mehrfach, dass Christus uns zur Freiheit gerufen und befreit hat. Aber unmittelbar danach kommt die Aufforderung: „Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (5,1) oder: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe.“ (5,13)

Wer diese Differenz nicht wahrt, sondern einebnet, missversteht die Rede vom Heil grundlegend. Es gibt dann nur noch das, was M. Luther „billige Gnade“ nennt. Damit würde aber auch der Gedanke der Mission völlig ausgehöhlt. Denn die Mission lebt ja davon, dass Jesus Christus für alle gestorben ist, uns von unseren Sünden befreit hat, wir dieses Geschenk  durch Glaube und Taufe annehmen und in diesem neuen Leben wandeln. Diese Gnade Gottes muss als wirkliche Einladung – ein schlechteres Wort dafür ist „Angebot“ – allen Menschen mitgeteilt werden. Die Differenz zwischen dem von Jesus verdienten Geschenk der Gnade für alle und dem Ernst der Aneignung dieser Gnade durch jeden einzelnen Menschen macht Mis-sion überhaupt erst notwendig. Es kommt gerade in allem, was die Mission tut, auf dieses Gefälle an. Auch darum gehören Mission und Pastoral eng zusammen.

Auch aus diesem Grund scheint es mir wichtig zu sein, nicht zu schnell die Begründung der Mission nur in der Auferstehung zu sehen. Wir dürfen den Tod Jesu „für uns“, d. h. an unserer Stelle und für unsere Sünden, nicht überspringen, wenn wir ernsthaft von Mission spre¬chen wollen. Dies gilt auch vom Zusammenhang zwischen Mission und Kirche. Man muss den christologischen Primat in allen Dimensionen verfolgen und in seiner Bedeutung gleichsam ausziehen. Dies gilt zunächst für Himmelfahrt und Pfingsten. Das Moment der Erhöhung unterstreicht die Raum und Zeit überschreitende Tragweite und Fülle der Erlösung. Der Geist ist der Beistand und das Medium, in dem allein Versöhnung im Sinne Jesu Christi sich ereignen kann. Das Pneuma, das in besonderer Weise zwischen Heil und Geschichte vermittelt, wird sogar das innere Lebensprinzip des erlösten Menschen. Zuvor aber entlässt der Geist aus sich die Kirche, aus Juden und Heiden gebildet, als seine erste Frucht. Pfingsten macht diese Stiftung offenkundig. Die Strukturen der Erlösung zeigen sich auch in allem, was Jesus Christus nachfolgt: Auch die Kirche ist nicht für sich, sondern um der anderen Willen da, was beson-ders exemplarisch in Maria realisiert wird und auf eigene Weise in allen Charismen, Diensten und Ämtern verwirklicht werden soll. Schließlich gewinnen Versöhnung und Frieden – besonders in den Deuteropaulinen – auch über den Raum der Ekklesia hinaus in den weltlichen und weltweiten Dimensionen Bedeutung. Der Gang der Geschichte lässt jedoch nicht vergessen, dass Versöhnung nur am Kreuz und durch das Blut Jesu Christi erkauft werden kann. Alle Erlösung ist in der Vorläufigkeit der Geschichte und der Brüchigkeit der menschlichen Existenz nur „Angeld“ und reale Verheißung für eine letzte Vollendung und ewige Herrlich-keit. Alle Phasen und Momente im dynamischen Prozess des Erlösungsvollzugs sind hier ver-sammelt: Das irdische Leben und die Passion, der Tod mit dem „Höllenabstieg“ und die Verlassenheit Jesu, die Auferstehung und die Erhöhung, das Sitzen zur Rechten des Vaters und die Geistverleihung an Pfingsten gehören grundlegend zueinander. Man darf kein Glied herausbrechen oder überhöhen oder vernachlässigen. Sie sind wirklich alle gleichursprünglich.

Man kann diese Überlegungen von verschiedener Seite her vertiefen. Die Heilige Schrift bietet in den verschiedenen theologischen Entwürfen dazu einen großen Reichtum mit vielen Hilfen. Ich möchte an dieser Stelle nur ein Beispiel nennen: Im Johannesevangelium spielt die Sendung eine entscheidende Rolle. Dies gilt nicht nur für die Sendung der Jünger durch Jesus, wie sie besonders in den Abschiedsreden zur Darstellung kommt. Es gibt eine tiefe Zurückführung aller Sendung auf Gott den Vater. Nur weil der Sohn vom Vater gesendet ist und vor seiner Menschwerdung am Herzen des Vaters ruhte (vgl. Joh 1,18) und schließlich nach der Auferstehung und Erhöhung beim Vater eine gleichrangige Machtstellung einnimmt („sitzet zur Rechten des Vaters“), darum kann er auch wirklich an Gottes Stelle Leben weitergeben, das nicht zerstört werden kann, und auch Gericht halten (vgl. Joh 3,35 f.; 5,19 ff.).  So ist der Gottessohn gerade als der Menschgewordene vom Vater gesandt.

In diesem Sinne reicht jede Mission tief in das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes. Dies ist ein alter Grundsatz in der Begründung des Missionsauftrags. Mission und Kirche erhellen sich gegenseitig in ihrem wirklichen Verständnis.  „Der Missionsauftrag wird von Jesus ausdrücklich mit der Sendung verknüpft, die er von seinem Vater empfangen hat. Auftrag, Autorität und Gewalt („exousia“) entspringen dem Geheimnis des dreieinigen Gottes und werden von Christus an die Apostel weitergegeben (Mt 28,18); die Sendung, die dem Sohn im ewigen Ratschluss des Vaters übertragen ist, wird in die Geschichte eingesenkt und durch die Jünger in ihr weitergetragen (vgl. Joh 20,21). Auf diese Weise entspringt und gründet die Sendung der Kirche, über die geschichtliche Vermittlung Jesu, im Reichtum des dreieinigen transzendenten Gottes. Die ‚Sendungen’, von denen die Trinitätstheologie immer gesprochen hat, bilden die Wurzel und den letzten Grund der Sendung der Kirche. Dies ist ein typischer Gedanke der katholischen Theologie, bei dem zu verweilen den Vätern des Zweiten Vatika-nums besondere Freude und Genugtuung war (vgl. Ad gentes 2.3.4 usw.). Auch die protes-tantische Theologie hat diesen wertvollen Gedanken wieder aufgenommen.“

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das in das sehr spät verabschiedete Missionsdekret „Ad gentes“ (AG) viele Erkenntnisse in geglückter Form einbringen konnte, haben diese Ge-danken wieder aufgenommen und vertieft: das Apostolische Schreiben „Evangelii nuntiandi“ als Ergebnis der Weltbischofssynode 1974 und besonders die bis heute noch zu wenig beach-tete Enzyklika „Redemptoris missio“ vom 7.12.1990. Vielleicht darf man auch noch das Dokument des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog und der Kongregation für die Evangelisierung der Völker „Dialog und Verkündigung“ vom 19.5.1971 nennen. Genauere Interpretationen und Literaturhinweise auf andere Texte finden sich in dem Dokument „Allen Völkern Sein Heil“, das die Deutsche Bischofskonferenz am 23.8.2004 verabschiedet und nun auch veröffentlicht hat.

Damit ist deutlich geworden, in welchem Ausmaß und in welcher Tiefe Jesus Christus, Kirche und Mission zusammengehören. Man kann diesen Zusammenhang trotz aller notwendigen Unterscheidungen nicht genügend hervorheben. So versteht sich auch, dass unser heutiger Begriff von Mission erst im 16. Jahrhundert auftaucht. Damit wird auch das Fehlen des förm-lichen Begriffs „Mission“ im Neuen Testament verständlicher. Die Dualität Kirche–Mission existiert im Neuen Testament kaum. Die Kirche hätte kaum das Bewusstsein gehabt, eine zweifache Aktion durchzuführen, eine „ad extra“ und eine „ad intra“. Natürlich wurde das Problem vor allem wegen der Missionierung von Juden und Heiden bald akut. Aber im Kern ist es keine Frage, dass Mission für die Kirche keine zusätzliche, zweitrangige oder nachträg-liche Aufgabe darstellt; sondern Mission ist konstitutiv für die Kirche. Darum ist es die Zu-sammenfassung eines langen Weges, wenn das Zweite Vatikanische Konzil sagt, dass „die ganze Kirche missionarisch und das Werk der Evangelisation eine Grundpflicht des Gottesvolkes ist“ (AG 35). Ja, man kann sagen, dass die Kirche in ihrem Wesen missionarisch ist.  Dies ist eine grundlegende Errungenschaft der Ekklesiologie des 20. Jahrhunderts.  Man wird nicht sagen können, dass dies schon genügend in das theologische und kirchliche Bewusstsein aufgenommen worden ist.

Selbstverständlich hat die kirchliche Tradition auch in schwierigen und bedrängenden Zeiten um die Notwendigkeit der Mission gewusst. Man hat dies verschieden ausgedrückt. So hat man vom „Missionsbefehl“ gesprochen. Dieser findet sich in der Tat in unterschiedlicher Form in den österlichen Erscheinungserzählungen.  In einer wirklichen Befehlsform findet sich der so genannte Missionsbefehl bei Mt 28,19 und Mk 16,15b.  Man kann also ein bibli¬sches Fundament gar nicht leugnen. Aber es ist doch die Gefahr einer Verkürzung, wenn man das Verständnis der Mission im Neuen Testament zu sehr auf diese Aussagengattung hin engführt. Ein solches Verständnis legt auch heute auf Grund der Geschichte nahe, Mission als Einbahnstraße und individualistisch zu verstehen. Wenn man aber diesen Begriff zu vermeiden sucht, dann darf man die Dringlichkeit des Aufrufs Jesu nicht entschärfen. Wenn man den Begriff „Missionsbefehl“ auch von den Inhalten der biblischen Botschaft her versteht, dann richtet er sich auch gegen manche Missbräuche in der Missionsgeschichte. Auf jeden Fall muss man den problematisierten Begriff interpretieren.

Das hiermit gelegte Fundament müsste nun in den einzelnen Dimensionen missionarischer Aktivität entfaltet werden. Dies ist im Einzelnen nicht möglich und geschieht auch in anderen Beiträgen. Aber es sollen doch einige wichtigere Perspektiven wenigstens angedeutet werden, die das Gesagte ein wenig fortführen.

• Die Mission hat einen eigenen unverwechselbaren Auftrag in der Kirche. Die Verkündigung und Ausbreitung des Glaubens kann durch nichts anderes ersetzt werden. Mission hat gewiss etwas mit dem integralen Heil zu tun, das Leib und Seele, unsere konkret-geschichtliche Welt und die soziale Situation betrifft. Es geht um den ganzen Menschen. Die Geschichte der Mission ist immer auch die Geschichte der Befreiung des Menschen aus Weltflucht oder aus Dämonenangst, aus magischer Abhängigkeit und vielen Formen des Aberglaubens. Es geht um die Gewinnung der Freiheit der Menschen im Umgang mit der Welt. Auch die früheren Missionare haben nicht nur nach der himmlischen Seele des Men-schen gefahndet, sondern sich um Krankheiten gekümmert, Schulen gebaut, Hospitäler er-richtet und Wasserleitungen gelegt. Hier liegt der notwendige Zusammenhang von missio-narischer Verkündigung und der Hilfe für den Menschen. Missionsschule, Krankenstation und handwerklich-technische Unterweisung sind Ausdruck dieses inneren Zusammen-hangs. Aber niemals kann die humanitäre Hilfe den missionarischen Auftrag ersetzen. Beide Dimensionen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Integration gelingt jedoch nur dann, wenn die Unersetzlichkeit und Eigenständigkeit des Missionarischen an-erkannt wird. Darum kann die Mission keine verkappte Entwicklungshilfe in anderem Ge-wand sein. Die einzelnen Werke dienen gewiss dem einen und ganzen Menschen, aber sie dürfen dabei ihre je spezifische Aufgabe, die sie voneinander unterscheidet, nicht verwi-schen. Letztlich bringt die Mission etwas, was niemand in der Welt zu geben vermag: das Leben Gottes selbst. Der Mensch kann nur durch Gott selbst von der Angst vor dem Tod, von der Gefangenschaft in Hass und Feindschaft, von seiner ewigen Friedlosigkeit und von der Knechtschaft der Sünde befreit werden. Nur Gott schenkt dem Menschen ewiges Leben, das ihm nicht mehr genommen werden kann. Dies ist der Weg der Umkehr. Diese will nicht Knechtung und Herrschaft, sondern die Freiheit der Liebe und die Freude der Wahr¬heit. In diesem Sinne muss man auch den Titel dieses Beitrags verstehen: Umkehr zum Leben für alle.

•  Wenn Gott zum Menschen kommt und in der Menschwerdung unsere menschliche Situation annimmt, dann muss die Kirche im Auftrag Gottes die Menschen auch an dem Ort aufsuchen, wo sie wohnen und leben. Dies gilt nicht nur für ihre physische Existenz, son-dern besonders auch für ihre Sprache und Kultur. Die befreiende Botschaft des Evangeli-ums hat beim Apostelkonzil zu Jerusalem auch zur Konsequenz, „den Heiden, die sich zu Gott bekehren, keine Lasten aufzubürden.“ (Apg 15,19) Gerade durch Gottes Geist lassen sich die Bindungen des Menschen an seine Kultur, an seine Gewohnheiten, seine Sprache und seine Rasse, vor allem, wenn sie einengen, aufbrechen, überwinden und so für das Evangelium Gottes bereiten. Das Evangelium will darum in den verschiedenen Kulturen verwurzelt werden und Fuß fassen. Nur dann kann es wirklich voll, ohne Verkrampfungen, die Lebenswelt der Adressaten erreichen. Es kommt dann alles darauf an, dass das Genuine der christlichen Botschaft nicht preisgegeben wird, sondern in der Unterscheidung der Geister seine ursprüngliche Kraft behält und das Welt- und Menschenverständnis neu prägt. Es geht also nicht nur um Akkomodation und Assimilation, auch nicht nur um In-kulturation, sondern um die Integration als Unterscheidung des Christlichen. Dies kann ein langer Prozess sein, bei dem auch momentane Fehl- und Umwege nicht ganz auszuschließen sind.

•  Die Mission nimmt den Adressaten der Botschaft als ebenbürtigen Partner an. Dies kommt hauptsächlich in der Annahme der Freiheit des anderen zur Sprache. Der Glaube ist wirklich nur personaler Glaube, wenn er auch frei übernommen ist. Darum sind Zwangstaufen, auch wenn man zu anderen Zeiten andere Mentalitäten in Rechnung stellt, im Grunde ein schrecklicher Irrweg. Die Verkündigung der Mission ist immer und zuerst eine Einladung durch Gott. Es kommt darum auch auf die Reaktion des Adressaten an. Er muss seine Fra-gen und Antworten einbringen können. Das Ja des Glaubens muss mit personaler Über-zeugungskraft gesprochen werden. Darum muss die Mission sowohl im Blick auf den Einzelnen als auch hinsichtlich der Völker dialogisch sein. Dieses Wort darf nicht mit Unverbindlichkeit gleichgesetzt werden. Auch der Dialog bleibt eine Anrede Gottes, indem dieser voll und ganz das Evangelium zur Sprache bringt. Diese Herausforderung verlangt im-mer auch Entscheidung. Darum mindert der Dialog nicht die Ernsthaftigkeit und den An-spruch der Wahrheit.

Es bleibt noch ein wichtiges Thema zu behandeln, denn der Träger der Mission muss genauer bestimmt werden. Die erste Antwort darauf ist gerade nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil relativ einfach. Mission ist eine Grundaufgabe und eine Grundpflicht der ganzen Kirche, alle haben eine missionarische Verantwortung. Aber es dauert erfahrungsgemäß nicht lange, bis man in den einzelnen Missionaren bzw. Missionarinnen und in den Missionsgemein-schaften zwei herausragende Träger entdeckt, die das ganze Gottesvolk auch wieder entlasten. Die Konzilstexte haben hier etwas Wichtiges geleistet, indem sie die Gesamtverantwortung der Kirche für die Mission, aber auch die Grundpflicht zu einem missionarischen Denken bei vielen einzelnen Trägern eingeschärft haben. So gibt es in den Texten des Konzils eine missionarische Verantwortung aller Dienste und Ämter in der Kirche. Beim Priester, und besonders beim Bischof, kommt dies auch in den neu geschaffenen Weihetexten mit aller Deutlichkeit zur Geltung, obgleich es in unserem Bewusstsein noch schwach entwickelt ist. In unserer modernen Welt wäre es außerdem töricht, wenn wir nicht die Professionalität der Missionsgesell¬schaften nutzen würden, die den einzelnen Missionar oft erst in die Lage versetzen, in schwierigen Situationen und Kontexten missionarisch tätig zu werden. Hier gibt es manche Blauäugigkeit, die die institutionellen Vorbedingungen von Mission heute im Sinne der Weltmission unterschätzen.

Es gibt gewisse stereotype Begriffe, mit denen wir gewöhnlich die missionarische Tätigkeit beschreiben, dazu gehört z. B. der Begriff der Missionspredigt. Man glaubte, dass der heute weitgehend dominierende Begriff der Missionspredigt ausreichend das „Spezifische“ christlicher  Mission zur Geltung bringt. In Blick auf die Quellen ist man dann aber auch oft erstaunt, dass man trotz der Bedeutung der Mission keine oder nur sehr wenige Missionspredigten im strengen Sinn findet. So haben wir z. B. vom heiligen Bonifatius zwar viele Briefe, aber keine einzige Missionspredigt im förmlichen Sinne. Wir müssen also die missionarische Tätigkeit auf andere Weise erschließen.  Manche überlieferten Missionspredigten sind außerdem ziemlich stilisiert und literarisch gestaltet. In den Wir-Berichten (vgl. z. B. 16,11-15) und Predigten der Apostel-Geschichte können wir noch verschiedene Stränge entdecken, literarisch ge¬stal¬tete Predigten und Berichte, die offenbar nahe an der Wirklichkeit sind. Gerade evangeli¬sche Forscher sind vielleicht zusätzlich durch den Primat der Wortverkündigung und des Wortes in den reformatorischen Kirchen verführt, die „Missionspredigt“ zur Hauptquelle und zum Kriterium missionarischer Tätigkeit zu machen.

 

Die Historiker enttäuschen uns auch noch in einer anderen Hinsicht. Sie machen uns auch für die Frühzeit darauf aufmerksam, dass man vielleicht erst auf die Ausbreitung des christlichen Glaubens in vielen Formen schauen sollte. So spricht W. Reinbold  lieber von einem „Wachstum der Kirche durch einen Prozess stetiger Gärung“. Er spricht für die Kirche der ersten drei Jahrhunderte von einer „nicht-missionarischen Form der Ausbreitung des Chris¬tentums durch individuelle Propaganda und die bloße Existenz über das Imperium verstreuter, zumeist kleiner Ekklesiai“ . So ist Reinbold auch überzeugt, dass der heilige Paulus als Apostel der Völker eher eine „atypische Figur“ gewesen ist und dass „Missionare und Propagandisten im geringeren Maße typisch für die Anfänge der Kirche gewesen sind, als es in manchen frühchristlichen Quellen und in einem nicht geringen Teil der gegenwärtigen Literatur den Anschein hat.“

Nun könnte man sagen, dass dies nichts Neues ist. Denn schon A. v. Harnack hat in seinem auch heute noch lesenswerten zweibändigen Werk „Die Mission und Ausbreitung des Chris-tentums in den ersten drei Jahrhunderten“  dargelegt, dass man sich den Vorgang der „Missionierung“ anders vorstellen muss, als wir dies gewöhnlich tun. Natürlich gab es Missionare, die man schon in den ersten Wanderpredigern finden kann. Das Erfolgsgeheimnis des christlichen Glaubens liegt für Harnack in einer einzigartigen Verbindung von „Einfachheit“ und „Transparenz“ der christlichen Botschaft mit einer ganz erstaunlichen Anpassungsfähigkeit. Nun braucht hier nicht die Gesamtkonzeption mit den fragwürdigen Grundannahmen Harnacks kritisiert zu werden.  Aber er hat doch wohl mit Recht darauf hingewiesen, dass die Ausbreitung des christlichen Glaubens in hohem Maß auch und gerade durch Frauen und Männer geschah, die einerseits in der Gesellschaft wirkten als Zeugen des Glaubens, meist unauffällig und indirekt, andererseits vor allem aber auch durch Menschen unterwegs, darunter ganz besonders Kaufleute, Soldaten und andere Reisende.  Mit diesem Befund kann man auch die oben schon genannten Feststellungen über die Rolle einer gezielten Mission und über die Missionspredigt in überzeugender Weise vermitteln.

Die schon genannte Untersuchung von W. Reinbold geht hier – vielleicht auch ein wenig übertreibend – weiter, indem sie noch stärker auf die alltäglichen Begegnungen, die Bedeu-tung der so genannten Mikrokommunikation abhebt. „Das Christentum breitet sich aus zwischen Ehepartnern, Eltern und Kindern, Sklavenherr(inn)en und Skav(inn)en, Geschwistern, Verwandten, Bekannten, Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden, Nachbarin-nen und Nachbarn, im Umfeld des alltäglichen Lebens der Gemeinden, später auch zwischen Lehrer und Schülern, am Rande der Martyrien usw. Missionare und Missionarinnen sind alle diese Personen nicht, und Predigten spielen bei den Konversionen nur dann eine Rolle, wenn ein wortgewaltiger Redner auf Außenstehende in der Versammlung so großen Eindruck macht, dass es mittelbar oder unmittelbar zu Taufen kommt... Man kommt miteinander am Rande der Versammlung ins Gespräch, eine persönliche Bindung entsteht, das Gespräch wird fortgesetzt, es kommt zur Taufe, das Haus folgt, das Umfeld wird infiziert usw. Auch in der Mission spielen die kleinen privaten und halböffentlichen Kontakte die entscheidende Rolle – allesamt Vorgänge, die mit dem Begriff der ‚Missionspredigt‘ nicht zureichend erfasst werden.“

Diese Analyse erscheint zunächst als wenig glaubwürdig, denn wie konnten die Christen bald an den entlegensten Orten präsent werden und schließlich eine bedeutende gesellschaftliche Kraft darstellen? Man wird also im Einzelnen durchaus differenzieren.  Aber insgesamt vereinigt diese Überzeugung viele Gesichtspunkte, die wir bisher zusammengetragen haben über das Verhältnis von Kirche und Mission, über die Wichtigkeit des Lebenszeugnisses der Christen, über die Vielfältigkeit der missionarischen Wirkungen, über den Stellenwert der Missionspredigt und überhaupt über die sehr verschiedenen Träger des missionarischen Zeugnisses. Es ist aber auch ein Ergebnis von hoher Tragweite für unsere heutige Situation. Denn viele erwarten einen missionarischen Aufbruch immer noch und immer wieder von den hauptamtlichen Trägern des kirchlichen Lebens, besonders wenn sie in leitender Verantwor-tung stehen. Ihre Bedeutung soll gerade in einer differenzierten und professionell aufgebauten Gesellschaft gewiss nicht unterschätzt werden. Aber es ist doch entscheidend, dass viel mehr als bisher mit aller Deutlichkeit gesehen wird, dass die Christen überhaupt – es geht im Evangelium ja um alle Jünger – in der Tat ihres Lebens und auch im Wort Zeugnis ablegen von der Hoffnungskraft ihres Glaubens. Wir haben die Christen in unseren zivilisierten Ländern viel zu sehr daran gewöhnt, dass die Hauptamtlichen jeder Art sich um dieses missionarische Glaubenszeugnis in hohem Maß bemühen. In Wirklichkeit gibt es viele Situationen und Kontexte unseres heutigen Lebens, wo auch ein verlängerter Arm des kirchlichen Amtes nicht hinreicht. Hier kommt es auf die einzigartige Wahrnehmung, Verantwortung und Zeugniskraft des einzelnen Christen und von Gruppen an, die hier viel eher eine Chance zu lebendi¬gen Begegnungen mit der Möglichkeit des „Ansteckens“ haben. Man denke nur an Ehe und Familie, Freundeskreise und die Berufswelt. Die Ämter und Dienste sind viel mehr dazu da, um die Christen – einzeln, als Gruppe oder als Gemeinde – für dieses Lebenszeugnis elemen-tar zu stärken und besser zu befähigen.

Wir haben in der Deutschen Bischofskonferenz in den letzten Jahren viel getan, um auf dem Fundament solcher Überlegungen eine missionarische Seelsorge zu stärken.  Es ist ein glückliches Zusammentreffen, dass auch die Evangelische Kirche in Deutschland seit etwa derselben Zeit ähnliche Bemühungen unternimmt.  Das Thema hat große Konjunktur, wenn¬gleich auch gelegentlich gegenüber einer recht allgemeinen missionarischen Seelsorge die Weltmission in den Hintergrund rückt.  Es ist darum gut, wenn die Diskussion weiter fortschreitet. Darum hat die Deutsche Bischofskonferenz ein schon lange bestehendes Desiderat erfüllt und ein umfangreiches Dokument erarbeitet und veröffentlicht, das gerade die schon lange vernachlässigte Weltmission neu ins Auge fasst: „Allen Völkern Sein Heil“. In einem ganztägigen Studientag wollen wir die praktische Anwendung dieser Einsichten erproben. Dies passt in ganz besonderer Weise zu dem langsam sich nähernden Abschluss des Bonifa-tius-Gedenkjahres. Hinzu kommt noch ein Gemeinsames Hirtenwort zur Sache. Es ist meine Absicht gewesen, für diese verschiedenen, aber zusammengehörigen Bemühungen ein gemeinsames Fundament zu legen, ohne den einzelnen, bereits genannten Ausarbeitungen vor-zugreifen.

Bei dieser Konkretisierung muss es auch um eine neue Spiritualität des kirchlichen Lebens und Dienstes in missionarischer Absicht gehen. Der Kirche sind im letzten Jahrhundert dafür große heilige Frauen und Männer geschenkt worden, die ich nur noch zu erwähnen brauche: Therese von Lisieux, Charles de Foucauld, Madeleine Delbrêl. Ich möchte aber auch eine so herausragende Bewegung wie die Gemeinschaft Sant’Egidio nennen.  Viele wären hinzuzufügen, vor allem auch aus der großen Schar der in den letzten Jahrzehnten selig und heilig gesprochenen Männer und Frauen.

Ist diese konstitutive Bedeutung von Mission für die Kirche mit dem missionarischen Verantwortungsbewusstsein aller nicht eine Selbstverständlichkeit? Warum nehmen wir sie dann unzureichend wahr? In diesem Zusammenhang nehmen wir wieder auch Texte im Neuen Testament wahr, die zwar die Würde des Christseins hervorheben, zugleich aber warnen, dass wir in die Haltung eines hohlen Stolzes kommen und unser Christsein als Grund für ein – wie immer geartetes – Überlegenheitsgefühl verwenden. Wir haben alle Grund, gegenüber einer jeden Verflachung den „Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens“ aufzugeben oder gegen ein billiges Linsengericht zu verspielen,  zu vertiefen und zu verteidigen. Wenn wir hier einen falschen Dünkel haben und vergessen, dass wir das Heil in „Furcht und Zittern“ (Phil 2,12; vgl. Hebr 12,21) wirken, dann kann uns leicht das verheißene Reich genommen  und anderen übergeben werden, wie es in der Schrift (vgl. Mt 8,11 und Lk 13,28 f.) heißt: „Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; die aber, für die das Reich bestimmt war, wurden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis; dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen.“ Diese Warnungen sollten wir im Wettbewerb und im Dialog der Religionen und Konfessionen nicht vergessen.

M. Delbrêl hat auch hier den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie schreibt: „Wenn unser Christenleben allgemein so unfähig bleibt, die Welt zu durchdringen und deren feindliche Kräfte zu überwinden, so deshalb, weil es nicht restlos und ausschließlich christliches Leben ist; wenn unser Christenleben bei seinem Einsatz in der Welt oft zerbröckelt, aus dem Gleich-gewicht gerät oder seine Gestalt einbüßt, wenn es sich mehr als normal verbraucht, so deshalb, weil es nicht restlos und ausschließlich christliches Leben ist.“  Und während des Zwei¬ten Weltkrieges schrieb sie in einem erst jetzt veröffentlichten kleinen Band mit geistlichen Aphorismen: „Wenn unser Zeugnis oft so mittelmäßig ist, dann rührt dies daher, dass wir nicht wahrnehmen, dass man für das Leben und Wirken als Zeuge denselben Heroismus ha¬ben muss wie für ein Leben als Märtyrer.“  Diese Worte mögen im ersten Augenblick düster und eher resignativ klingen. In Wirklichkeit stärken sie unseren eigenen Glauben und unser ureigenes Bekenntnis. Wir spüren dann beim Thema „Mission“, dass wir vielfach selbst ge-meint sind: Tua res agitur!

Das Eröffnungsreferat kann hier mit allen Anmerkungen und Quellen heruntergeladen werden. (PDF-Datei)




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