| Pressemeldung | Nr. 077

Eröffnungsreferat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 25. bis 28. September 2006 in Fulda

„Ausgleichende Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Menschen"

Mit einem Gebet der Bischöfe am Grab des hl. Bonifatius wurde die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz eröffnet. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, hielt sein Eröffnungsreferat zum Thema „Ausgleichende Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Menschen. Über den gar nicht so selbstverständlichen Begriff der 'sozialen Gerechtigkeit'“. Vom 25. bis 28. September 2006 tagen die 71 Mitglieder der Vollversammlung in Fulda.

Hier finden Sie den Wortlaut des Eröffnungsreferates von Karl Kardinal Lehmann:

Es gilt das gesprochene Wort!


Ausgleichende Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Menschen
Über den gar nicht so selbstverständlichen Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“
In dankbarem Gedenken an Joseph Kardinal Höffner zum 100. Geburtstag (24.12.1906)

I.
Gerade in den letzten Jahren und Monaten spielt der Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“ eine besonders große Rolle. Er wird geradezu selbstverständlich gebraucht. Dies gilt für die positive Forderung nach größerer sozialer Gerechtigkeit, aber auch für die nicht minder kritische Skepsis gegenüber diesem Begriff. Da der Begriff, wie noch zu zeigen sein wird, gerade auch in der Katholischen Soziallehre schon seit einiger Zeit sehr zentral verwendet wird, erscheint es notwendig, den Begriff stärker zu klären. Der Begriff wird nämlich in unseren gegenwärtigen Diskussionen mit einer Selbstverständlichkeit gebraucht, die auf der anderen Seite wieder Abwehrreaktion gegen ihn hervorruft.

Immerhin gibt es zunächst zu denken, dass der Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“, übrigens ebenso wie der Begriff »Sozialstaat“, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht vorkommt, wohl aber die Formulierung vom „sozialen Rechtsstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG). Man darf jedoch nicht übersehen, dass mit dieser Formulierung die Idee der sozialen Gerechtigkeit aufgenommen wird.(1) Als freiheitlicher Rechtsstaat setzt dieser zugleich und vor allem auf die Eigenverantwortlichkeit des Individuums, ohne dabei stehen zu bleiben. Das Grundgesetz überlässt die Konkretisierung des Prinzips Sozialstaat im Wesentlichen einfach dem Gesetzgeber. Schließlich hängen die konkreten sozialstaatlichen Unterstützungen auch von den finanziellen Möglichkeiten der Regierung ab.
Man darf nicht übersehen, dass dem Sozialstaatsprinzip in den ersten Jahren nach Erlass des Grundgesetzes von manchen Verfassungsjuristen die rechtliche Verbindlichkeit abgesprochen worden ist. Berühmt ist z. B. die Äußerung von F. A. von Hayek, wonach das Attribut des „Sozialen“ im Kontext mit dem Rechtsstaat, aber auch der sozialen Gerechtigkeit ein „Wieselwort“(2) sei, das keine spezifische Bedeutung habe. Ebenso wie ein „sozialer Rechtsstaat“ kein Rechtsstaat mehr sei, sei auch eine „soziale Marktwirtschaft“ keine Marktwirtschaft mehr. Gewiss steckt ein echtes Problem hinter solchen Formulierungen, aber F. A. von Hayek schießt mit einer solchen Kritik auch über das Ziel hinaus.(3) Es ist jedoch problematisch, heute solche Formulierungen zu gebrauchen, da das angesprochene Problem mit der Verbindlichkeit des Sozialstaatsprinzips heute weitgehend überwunden ist.
Es dient freilich auch der Klärung zu sehen, dass sich in der Idee der sozialen Gerechtigkeit sehr verschiedene Gerechtigkeitsideen verbinden, die in Spannung zueinander stehen und zu einem Ausgleich zu bringen sind. Dies gilt etwa für die Bedarfsgerechtigkeit, die Bestandsgerechtigkeit und die Leistungsgerechtigkeit.(4) In diesen Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und des Sozialstaates stecken wiederum unterschiedliche normative Richtungen, indem nämlich einerseits die Zielebene und andererseits die Realisierungsebene miteinander verbunden, aber auch vermischt werden. Dies alles kann eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“ mit sich bringen. Schließlich ist es einer Reflexion wert, warum bei der differenzierten Auffächerung von „mehreren Gerechtigkeiten“ in der klassischen Philosophie und Ethik nicht von einer spezifischen sozialen Gerechtigkeit die Rede ist.

Es fällt natürlich auf, dass der Begriff der sozialen Gerechtigkeit außerordentlich stark geschichtlich wandelbaren Bedingungen ausgesetzt ist. „Soziale Gerechtigkeit meint damit jene Gerechtigkeitsverantwortung, die wegen der geschichtlichen und gesellschaftlichen Wandelbarkeit der sozialen Verhältnisse nie abschließend eingelöst ist.“(5) Dies hat auch nahe liegende Konsequenzen für den Gebrauch des Begriffs der sozialen Gerechtigkeit. O. Höffe macht darauf aufmerksam, dass der unspezifische Sinn kaum mehr sagt, als dass es um gesellschaftliche Belange geht. In einem präziseren Sinn nähert sich der Begriff der sozialen Gerechtigkeit dem Gehalt der „Sozialen Frage“ an, wobei darin besonders die bekannten Problemen und Nöten gebündelt sind, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Zusammenleben der Menschen bestimmen: Arbeitslosigkeit, Schutzlosigkeit bei Krankheit und Alter, mangelnde Bildung oder Ausbildung, sogar Hunger und Verelendung, sei es in den größer gewordenen Städten, aber auch in Teilen der Landbevölkerung. In diesen Kontext gewinnt der Begriff der sozialen Gerechtigkeit auch eine größere Nähe zum neueren Begriff der „Option für die Armen“(6) , die wiederum in doppelter Ausrichtung zu verstehen ist: einerseits geradezu anwaltschaftliches Eintreten für jene, die ihre Interessen nicht selbst vertreten können, aber auch Engagement für gesellschaftliche Strukturen, die allen eine eigenständige Beteiligung am gesellschaftlichen Prozess möglich machen.
Um so wichtiger aber wird nun die Frage, warum der Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“ schon von der Begriffsgeschichte her spät auftritt, und wie dies mit bestimmten Konstellationen und Wandlungen der Gesellschaftsgeschichte eng verbunden ist.

II.
So ist es zuerst angebracht, nach der Herkunft und dem ersten Auftauchen des Begriffs der „Sozialen Gerechtigkeit« zu suchen. Dabei muss man sich klar sein, dass ähnliche Ausdrücke, wie z. B. auch „soziale Liebe“, schon früher weit verbreitet sind, auch z. B. bei Thomas von Aquin. So ist es auch verständlich, dass das allererste Auftreten des Begriffs nicht so leicht endgültig zu klären ist. Jedenfalls ist „Soziale Gerechtigkeit“ im 19. Jahrhundert rasch bekannt geworden. Es war ein Programm, ja geradezu ein Ruf, der in den Herzen der Arbeiter und Armen eine neue, bessere gerechte soziale Ordnung wachrufen sollte. Insofern gehört gerade im 19. und 20. Jahrhundert das Versprechen sozialer Gerechtigkeit zu den Parteiprogrammen der Revolution, sei sie faschistisch/nationalsozialistisch oder mehr marxistisch orientiert.

Es scheint, dass der italienische Jesuiten-Theologe und Philosoph (1793-1862) Luigi Taparelli d´Azeglio SJ(7) schon in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts diesen Ausdruck im Zusammenhang seiner Naturrechtslehre aufgegriffen und wohl auch ziemlich verbreitet hat.(8) Kein geringerer als Antonio Rosmini hat in seinen Reformschriften im Jahr 1848 die soziale Gerechtigkeit als richtungsgebendes Prinzip aufgestellt.(9) Der Begriff fand später im katholischen Lager eine stets wachsende Verbreitung, gerade auch im Vorfeld des Ersten Vatikanischen Konzils. Dabei wurde „Soziale Gerechtigkeit“ freilich bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auch als „Giftfrucht des Modernismus“ bezeichnet.(10) Wort und Sache wurden abgelehnt.

Dies ist auch der Weg, wie der Begriff allmählich in die amtlichen sozialen Dokumenten der Kirche aufgenommen wird, so z. B. in die Enzyklika Quadragesimo anno (1931).(11) In der deutschen Übersetzung tat man sich oft schwer und gab das Wort „Soziale Gerechtigkeit“ mit „Gemeinwohlgerechtigkeit“ wieder. Vielen ist jedoch der neue Name nur ein Ersatzwort für „legale Gerechtigkeit“ oder andere Formen der Gerechtigkeit gewesen.(12) Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass sich die soziale Gerechtigkeit nach vielen Autoren dieser Zeit als Gemeinschaftsverpflichtung aus der sozialen Natur des Menschen ergibt, und zwar unabhängig davon, ob diese Verpflichtungen auch in positive staatliche Gesetze gefasst sind.(13) Vor allem Heinrich Pesch SJ hat die legale Gerechtigkeit noch mit der distributiven, also der Verteilungsgerechtigkeit vereinigt.(14) Wieder andere haben unter „Sozialer Gerechtigkeit“ die Gerechtigkeit „im“ Staat oder mit A. Vermeersch SJ „den Komplex aller Tugenden bezeichnet, mit denen wir dem Gemeinwohl dienen“.(15)

Es gibt aber auch weitergehende Versuche außerhalb des Rahmens der überlieferten Dreiteilung in legale, distributive und kommutative Gerechtigkeit. So schreibt J. Messner: „Sie ist jene Gerechtigkeit, die jede soziale Gruppe in ihrer organisatorischen Einheit wie in ihren einzelnen Gliedern dazu führt, jeder anderen ihren Anteil am Sozialwohl zu geben, auf denen sie entsprechend der Leistung, mit der sie zu seinem Zustandekommen beiträgt, ein Recht hat.“(16) Der Bereich der sozialen Gerechtigkeit ist eher die Gesellschaft, soweit diese nicht stark ist. Auch J. Pieper ist in seinen frühen Schriften der Ansicht, soziale Gerechtigkeit bedeute „im deutschen Sprachgebrauch, Gerechtigkeit im Verhältnis der gesellschaftlichen Schichten und Klassen'“.(17) G. Gundlach sieht in der sozialen Gerechtigkeit eher eine den klassischen Arten der Gerechtigkeit übergeordnete Grundtugend, die einen dynamischen Charakter hat. Diese Konzeption ist das Rechtsprinzip des so genannten „Solidarismus“. Schließlich schließt sich O. von Nell-Breuning letztlich G. Gundlach an, wenn er die soziale Gerechtigkeit mit anderen als so etwas wie das rechtliche Band der Gesellschaft und das Einheitsprinzip des Gesellschaftskörpers erblickt.

Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, die wachsende Inanspruchnahme des Begriffs der „Sozialen Gerechtigkeit“ eingehender darzustellen. Aber der Begriff wird nun so etwas wie ein Gemeingut der Katholischen Soziallehre. So findet sich dieser Begriff in den späteren Enzykliken, z. B. Laborem exercens (Art. 44, 46, 51), in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils, wie z. B. Gaudium et spes (Art. 32, 36, 90), und auch im jüngsten „Kompendium der Soziallehre der Kirche“.(18) Aber auch in den Katechismus der katholischen Kirche hat der Begriff Aufnahme gefunden (Art. 1928-1942).(19) Die Reichweite wird besonders erkennbar in der Erklärung der Kirche über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate, wo es gerade auch im Blick auf die Gemeinsamkeit mit den Muslimen heißt: „Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“(20) So ist es auch nicht zufällig, dass die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit schon in der Botschaft der Konzilsväter vom 20. Oktober 1962, also zu Beginn des Konzils, unter Verweis auf die Enzyklika Mater et Magistra einen herausragenden Platz hat.(21)

III.
Dies zeigt, wie der Begriff der sozialen Gerechtigkeit dynamisch und kontinuierlich Aufnahme gefunden hat in die Sprache der Katholischen Soziallehre. Um so mehr muss nun danach gefragt werden, warum es aus inhaltlichen, vor allem auch historischen und sozialen Gründen einerseits zu einer so späten Rezeption des Begriffs gekommen ist, und warum er andererseits eine so große Bedeutung erhalten konnte.

Dies hat entscheidend mit der Entwicklung der deutschen Gesellschaftsgeschichte und der „sozialen Lage“ um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu tun.(22) In diese Zeit fällt vor allem die Industrialisierung, durch die die handwerksorientierte durch eine maschinenbestimmte Produktion wenn nicht abgelöst wurde, so doch an Bedeutung verlor. Bis heute ist die Deutung dieser Epoche in manchem umstritten. Nicht wenige sahen diesen gesellschaftlichen Wandel als eine Ursache des Pauperismus, in dem immer mehr Teile der Bevölkerung sich sozial schlechter stellten. Sie sahen in der Industrialisierung regelrecht die entscheidende Ursache. Andere wiederum erblickten in ihr eine notwendige Entwicklung, würdigten ihre Vorteile und sahen darin eher eine Möglichkeit, den Pauperismus zu überwinden. Jahrzehntelang hatte das Proletariat eine entwurzelte Masse ohne inneren Zusammenhang und ohne klares Selbstverständnis gebildet. Dabei waren nicht nur die Industriearbeiter, sondern vor allem auch verarmte Handwerker, Arbeitslose und andere Randgruppen betroffen. Die menschenunwürdige Lage des so genannten Proletariates hat schon relativ früh, nämlich vor dem Kommunistischen Manifest (1848), Leute wie Franz Joseph von Buß, den Präsidenten der ersten Generalversammlung der deutschen Katholiken (erster Katholikentag 1848 in Mainz), wachgerüttelt, nicht zuletzt auch Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, besonders im Blick auf seine Schrift, ursprünglich Predigten im Mainzer Dom: Die großen sozialen Fragen der Gegenwart (1848). In diesem Zusammenhang formulierte Ketteler: „Die Besitzenden und Nichtbesitzenden stehen sich feindlich gegenüber, die massenhafte Verarmung wächst von Tag zu Tag ... möchten wir durch die Kraft der Liebe die Welt uns unterwerfen und sie zu dem Kreuze zurückführen, von dem sie sich entfernt hat ... dann und nur dann behalten wir unseren Glauben; denn der Christusglaube kann nur bestehen, wo die Christusliebe mit ihm verbunden ist.“(23)

Das Eintreten der Kirche für die soziale Gerechtigkeit und Liebe ist für Ketteler nicht Politik, sondern Seelsorge. In seiner wohl bekanntesten Schrift „Die Arbeiterfrage und das Christentum“ (1864) präzisierte Ketteler sein Standpunkt: „Viele glauben vielleicht, ich hätte als Bischof keine Berechtigung ..., mich in derartige Dinge einzumischen ... Ich bin anderer Ansicht. Ich glaube schon insoweit ein Recht zu haben, über die Arbeiterfrage öffentlich mein Urteil abzugeben, als dieselbe sich mit den materiellen Bedürfnissen des christlichen Volkes beschäftigt ... Christus ist nicht nur dadurch der Heiland der Welt, dass er unsere Seelen erlöst hat; er hat auch das Heil für alle anderen Verhältnisse der Menschen, bürgerliche, politische und soziale gebracht. Er ist insbesondere auch der Erlöser des Arbeiterstandes.“(24) Noch intensiver hat der Mainzer Bischof sich in seinem Gutachten für die Fuldaer Bischofskonferenz im September 1869 ausgesprochen. Er war vollkommen davon bestimmt, dass die soziale Botschaft der Kirche zu ihrem Verkündigungsauftrag gehört. Darum genüge die „gewöhnlich hergebrachte Pastoration“ nicht mehr. Sonst werde der Arbeiter der Kirche zurufen: „Was helfen mir eure guten Lehren und eure Vertröstungen auf eine andere Welt, wenn ihr mich in dieser Welt mit Weib und Kind in Hunger und Not darben lasst. Ihr sucht nicht mein Wohl, ihr sucht etwas anderes.“(25)

Während bis 1850 die Überwindung des Pauperismus im Vordergrund der sozialen Bemühungen stand, sah man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die klassische „Soziale Frage“ vor allem in der Trennung von Kapital und Arbeit. In diese Zeit gehört Kettelers markige Polemik gegen den ökonomischen Liberalismus. Dazu gehören der freie Wettbewerb, die Gewinngier und die Ausbeutung. Gewiss muss das Urteil heute differenzierter sein. Die Motive sind vielfältig. Es gab damals eine unaufhörlich steigende Bevölkerungsentwicklung, die deutsche Industrie stand noch in den Anfängen, jedenfalls verglichen mit England.

Es fällt auf, dass Ketteler in dieser Zeit bis etwa 1860 das Entscheidende von der rechten christlichen Gesinnung der Liebe und von den Werken der Barmherzigkeit erwartete. Christus will eine gerechte Verteilung der Güter nicht durch Gewalt, sondern durch „Umänderung der Gesinnung“. „Ketteler suchte das soziale Helfen damals nicht unter das Gesetz des Rechtsanspruchs, sondern unter das Zeichen des Almosens zu stellen, dem im vorindustriellen Zeitalter und auch noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts soziologisch und moraltheologisch eine weit größere Bedeutung zukam als in unseren Tagen.“(26) Man hat dies Bischof Ketteler oft zum Vorwurf gemacht, er habe die karitative Fürsorge im Auge gehabt und das Heil in der Gesinnungsreform gesehen, anstatt in zielstrebiger Sozialreform und Sozialpolitik das Übel an der Wurzel zu fassen und die ärgerlichen Probleme zu ändern. Es besteht kein Zweifel, dass Ketteler die »Soziale Frage“ als das Problem und die Aufgabe seiner Zeit gesehen hat, übrigens auch die wahre Freiheit des Menschen und der Kirche. Zu beiden bedarf es demnach der Kräfte des Christentums und der Kirche. Die politische und soziale Krise ist für ihn zutiefst eine religiöse und ethische. Darum sieht Ketteler auch die Änderung der Einstellungen und Mentalitäten in der Änderung der Gesinnung durch die christliche Nächstenliebe.

Im Lauf der Jahre erkennt jedoch Bischof von Ketteler, dass die karitative Fürsorge über sich hinaus zu sozialreformerischer Aktivität drängt, besonders in den 60er Jahren verlagert sich die „Soziale Frage“ von der religiös-sittlichen sowie karitativen auf die gesellschaftspolitische Ebene. Dies zeigt sich in Kettelers schon genannten Buch von 1864 „Die Arbeiterfrage und das Christentum“. Dort heißt es programmatisch, „dass nur das Christentum die Mittel bietet, um das Verhältnis des Arbeiterstands mit Erfolg zu bessern“.(27) Mit aller Klarheit sagt Ketteler aber auch, dass zwar das Christentum mit seinen schöpferischen Kräften viele große Fragen lösen kann und geradezu zu einem Lebensprinzip der Gesellschaft werden kann, so wenig aber können „das Christentum und die Kirche auf die sozialen Verhältnisse ... unmittelbar und durch äußere, mehr oder weniger mechanische Mittel und Einrichtungen (einwirken), so zunächst und vorzüglich durch den Geist ..., den es den Menschen einflößt. So hat es auch die alte Sklaverei lediglich dadurch abgeschafft, dass es den Menschen seine göttlichen Ideen und den Geist der Liebe mitteilte“.(28) Mit der notwendigen Gesinnungsreform, deren Wichtigkeit erhalten bleibt, ist aber noch kein sozialpolitisches Programm gegeben, freilich kann man durch die religiös moralische Erneuerung „die richtigen Prinzipien und die rechte Weise der Durchführung [finden], man wird mit der göttlichen auch die wahre politische und soziale Weisheit wiederfinden“.(29)

Ketteler denkt in dieser Zeit noch nicht an eine Staatshilfe. Er ist sogar ein dezidierter Gegner davon. Gerne überträgt er im Sinne des Organismus-Modells das Leib-Seele-Prinzip auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Deshalb hat er eine besondere Vorliebe für Assoziationen und Genossenschaften. Ketteler glaubt, dass die integrierende Kraft des Christentums solche gesellschaftlichen Vereinigungen begünstigt. Hier spielt bei ihm die Idee der Gründung von Produktiv-Assoziationen eine große Rolle, übrigens mit deutlichen Anleihen bei Lassalle. Dies bedeutet, dass der Arbeiter den Lohn erhält und ihm auch ein Anteil vom Kapitalgewinn zufällt. Die Arbeiter sollen selbst Unternehmer werden. Freilich war Ketteler von der Kraft dieser Idee bald nicht mehr so überzeugt, weil ihre Verwirklichung nur sehr sporadisch gelungen ist und nur einen kleineren Beitrag zur Lösung der „Sozialen Frage“ bieten konnte.(30)

Diese und andere Erfahrungen haben schließlich Ketteler dazu geführt, dass er immer entschiedener den Weg der Sozialpolitik gegangen ist. Dies waren vor allem ein gewerkschaftlicher Zusammenschluss der Arbeiter und die Einschaltung der staatlichen Gesetzgebung zur Ordnung und Humanisierung der industriellen Arbeitswelt. Dahinter steht eine prinzipiellere Annerkennung der modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, verbunden mit der Überzeugung, dass eine auf Einzelmaßnahmen gerichtete Sozialpolitik die entstandenen Nachteile wenigstens mildern kann. So hat Ketteler in einer Predigt aus dem Jahr 1865 formuliert: „Aber auch Religion und Sittlichkeit allein reichen nicht aus, um die Arbeiterfrage zu lösen. Gewiss, der Staat muss mithelfen, die Kirche muss helfen, die Gemeinde muss helfen. Alles muss die Hand dazu reichen, den Stand vor dem Verderben zu schützen, vor dem der Zahl nach alle anderen Stände zusammengenommen beinahe verschwinden ... Wenn der Staat sich verpflichtet hält, große und wichtige Unternehmungen durch Staatshilfe zu unterstützen und zu fördern, dann darf er sich auch der Unterstützung des Arbeiterstandes nicht entziehen.“(31)

Seit dem Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts hält Ketteler nicht mehr daran fest, dass die als notwendig erkannte Sozialreform von den Kräften der freien Gesellschaft, nicht zuletzt der Kirche, geleistet werden kann, sondern er sieht die Notwendigkeit der Sozialpolitik, die den direkten Einsatz der Mittel des Staates erforderlich macht.(32) Bischof Ketteler nennt auch sehr präzise die einzelnen Maßnahmen für diese Sozialpolitik. Berechtigte Forderungen sind die Erhöhung des Arbeitslohns, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Gewährung von Ruhetagen (besonders am Sonntag), Verbot der Fabrikarbeit von Kindern, Abschaffung der Fabrikarbeit von Müttern und auch von jungen Mädchen. Es handelt sich im Wesentlichen um Maßnahmen der Arbeiterschutzgesetzgebung, aber er setzte sich auch für Einrichtungen zur Hebung des Arbeiterstandes ein, wie Spar- und Konsumvereine, Partnerschaft, Gewinnbeteiligung und Eigentum.

Dies ist im Ganzen der Entwicklung Kettelers von größter Bedeutung, aber eben auch recht überraschend. Er verteidigt „das moderne Industriesystem“ und ist überzeugt, dass keine irdische Macht in der Lage sei, dieses System zu ändern. „Da (also) das ganze System nicht umzustoßen sei, so kommt es darauf an, es zu mildern, für alle einzelnen schlimmen Folgen derselben die entsprechenden Heilmittel zu suchen und auch die Arbeiter, soweit möglich, an dem, was an dem System gut ist, an dessen Segnungen Anteil nehmen zu lassen.“(33) In diesem Zusammenhang legt Ketteler auch die Grundlage für Maßnahmen der sozialen Sicherheit. Erst nach Kettelers Tod (1877) wurden diese Forderungen durch die Sozialversicherungs- und Arbeiterschutzgesetzgebung wenigstens gesetzgeberisch erfüllt. Dabei spielt ein Neffe von Kettelers, der Zentrumsabgeordnete Max von Galen, eine große Rolle, denn durch seinen Antrag wurde die „Soziale Frage“ zum ersten Mal in breiter Form Gegenstand der Verhandlung des Reichstages. Auch wenn dieser Antrag damals noch bespöttelt worden ist, so hat er doch den Anstoß für eine reiche sozialpolitische Gesetzgebung gegeben, für die das Zentrum eine sehr große Bedeutung hatte. Man darf wohl auch eine direkte Einflussnahme Kettelers auf den Antrag seines Neffen vermuten. Außerdem ist danach auch bald eine mächtige katholisch-soziale Bewegung aufgebrochen.
So hat Bischof Ketteler, selbst wenn er persönlich den Begriff der sozialen Gerechtigkeit nicht sehr programmatisch verwendet, eine große Bedeutung für die Geschichte der „Sozialen Frage“.

„Er hat dem deutschen Sozialkatholizismus den Weg gewiesen von der bloß karitativen Fürsorge, aber auch von einer systemändernden Sozialreform im Banne einer romantischen Kapitalismuskritik zu einer auf Einzelmaßnahmen gerichteten Sozialpolitik unter Zuhilfenahme staatlicher Gesetzgebung. Bei prinzipieller Hinnahme der modernen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung galt es, den lohnabhängigen Menschen vor ihrer negativen Auswirkung zu schützen und ihm den gebührenden Anteil an den Errungenschaften dieses Wirtschaftssystems zu sichern.“(34)

Diese Entwicklung ist von größter Bedeutung für das Verständnis des Begriffs der sozialen Gerechtigkeit. Jetzt ist deutlich geworden, warum der Begriff im 19. Jahrhundert erst mit der Zuspitzung der Situation im Zusammenhang der wachsenden Industrialisierung erscheint. „Die Idee der sozialen Gerechtigkeit (konnte) erst in einer Zeit hervortreten, da alles Wirtschaften einen gesellschaftlichen Charakter angenommen hatte, in einer Weise, wie dies früher nicht der Fall war.“(35) Deswegen tauchte der Begriff der sozialen Gerechtigkeit auch relativ spät und vor allem im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der „Sozialen Frage« Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Wenn der Begriff später für einige Zeit keine so zentrale Verwendung fand, so hing dies sicher mit der Klärung dieser Art von Gerechtigkeit im Verhältnis zur klassischen Bestimmung der legalen, distributiven und kommutativen Gerechtigkeit zusammen, wie wir schon gesehen haben. Es mag auch nicht ganz von der Hand zu weisen sein, dass die Indizierung von Antonio Rosmini, der 1848 in seinem Vorschlag einer idealen Staatsverfassung die soziale Gerechtigkeit als richtungsgebendes Prinzip aufstellte, eine gewisse Zurückhaltung verursachte.(36) Erst die Enzyklika Quadragesimo anno (1931) brachte den Durchbruch. Zur Überwindung der Klassengesellschaft sei eine „neue Gesellschaftsordnung“ notwendig, die auf der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Liebe als konstitutive Prinzipien aufbaue.

Jedenfalls ist die so hervorgetretene soziale Gerechtigkeit auf die Situation und Problematik der modernen Gesellschaft bezogen, die sich in Europa in einem langen Entwicklungsprozess herausgebildet hat. Die soziale Gerechtigkeit drängt dazu, die sozialen Regelungen und Normen zu überprüfen, ob sie der sozialen Wirklichkeit und den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Von da aus erklärt sich auch der heutige Stellenwert des Begriffs der „Sozialen Gerechtigkeit“, der eben keineswegs ein selbstverständlicher Begriff ist. Dabei kam es immer wieder auf die Struktur des Sozialen und der Gesellschaft, die auf Defizite und Fehlentwicklungen hin befragt werden musste, und besonders auch auf den Zusammenhang zwischen Person und Gesellschaft an. Immer stärker wurde auch die Einsicht in das Subsidiaritätsprinzip und die Solidarität als weitere Säulen, auf denen das Soziale aufbaut.

IV.
Es ist nicht verwunderlich, dass angesichts dieser genaueren Bestimmung des Begriffs „Soziale Gerechtigkeit“ mindestens ein doppeltes Problem entsteht. Im Blick auf die klassischen Bestimmungen des Begriffs der Gerechtigkeit beginnt nun die Problematik, wie diese neue Art der Gerechtigkeit in die klassische Einteilung von Formen der Gerechtigkeit eingeordnet werden soll. Wir haben dies schon zum Teil erörtert und gesehen, wie verschieden diese Zuordnung zur legalen, distributiven und kommutativen Gerechtigkeit versucht wird. Wir wollen auf dieser Ebene die Frage der Zuordnung nicht weiter verfolgen, sondern dürfen auf die eingangs erwähnten Verhältnisbestimmungen verweisen.(37) Es ist verständlich, dass diese Verhältnisbestimmungen zwar jeweils eine partikuläre Plausibilität erweisen, angesichts der dargestellten Entstehungsbedingungen des Begriffs aber auch ein Defizit nicht verbergen können, nämlich den Ausfall einer Darstellung der konkreten „geschichtlichen“ und „sozialen“ Konditionierung in einer bestimmten Zeit. Eben dies ist die zweite Schwierigkeit in der Bestimmung, wie nämlich bei dieser starken Kontextabhängigkeit historischer und gesellschaftlicher Art der Begriff noch eine Normativität in sich enthält, die auch für eine andere Zeitsituation Kriteriencharakter haben und behalten kann. Nicht zuletzt dies ist ja auch der Grund, warum der Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“ leicht nach mehreren Seiten hin zu einer Kampfparole und zu einem Schlachtruf werden konnte und kann.

Es ist in dieser Hinsicht auch verständlich, dass wichtige Grundsätze in der Theorie und Praxis der Gerechtigkeit nur einen bedingten Gebrauchswert haben, jedenfalls wenn man soziale Gerechtigkeit im engeren Sinne in den Blick nimmt. Ich denke an Grundsätze wie „Gewährleiste jedem das Seine!“.(38)

An dieser Stelle möchte ich einen Versuch unternehmen, den Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“ von der Neuinterpretation einer klassischen Bestimmung her zu erhellen. Dabei schließe ich mich zahlreichen Untersuchungen von O. Höffe an, die mir hier besonders erhellend zu sein scheinen.(39) Höffe greift dabei auf das Rechtsdenken des Aristoteles zurück.(40) Spricht man von Gerechtigkeit, denkt man sehr oft gerade heute an Verteilungsfragen. Man erwartet besonders von sozialer Gerechtigkeit eine Gleichverteilung oder wenigstens eine Verteilung nach den so genannten Bedürfnissen. „Die zu verteilenden Mittel müssen aber erst erarbeitet und im Falle einer Arbeitsteilung wechselseitig getauscht werden. Wegen dieser Binsenweisheit empfiehlt sich der erwähnte Paradigmenwechsel. Man beginnt nicht bei der Verteilung, sondern bei der Wechselseitigkeit oder dem Tausch - vorausgesetzt, dass man ... keinen nur ökonomischen Tauschbegriff verwendet.“ (41) Außer Geldwaren und Dienstleistungen gibt es im Tausch auch ideelle Vorteile: Macht, Sicherheit, gesellschaftliche Anerkennung. Mit Recht verweist Höffe auf die Forschungen des französischen Soziologen und Ethnologen Marcel Mauss, der gezeigt hat, dass der Austausch gerade in archaischen Gesellschaften ein gleichzeitig ökonomisches, juristisches, moralisches, ästhetisches, religiöses und gesellschaftliches Phänomen ist.(42) Das Wort Tauschgerechtigkeit verliert also rasch seine ausschließlich anmutende Verbindung zum ökonomisch verstandenen Tausch, wenn man an diese ganze Weite des lebendigen Austausches, einschließlich des Geschenkaustausches denkt. Der Tausch setzt eine elementare Wechselseitigkeit der Subjekte bzw. Partner voraus. Jeder hat ein grundlegendes Interesse am Austausch. Dabei wird auch vorausgesetzt, dass die meisten Partner auch ein Angebot erbringen können. Im Kern heißt dies, dass jeder Mensch auf seine Weise und in seinen Dimensionen etwas anbieten kann, zumal wenn er von der Gesellschaft in schwierigen Situationen unterstützt wird. Im Tausch herrscht eine strenge Äquivalenz.

Ich weiß, dass es verschiedene Einwände zu diesem Ansatz gibt.(43) Dennoch glaube ich, dass der Gedankengang dann richtig ist, wenn man verschiedene Nuancen in einem wirklich sensiblen Tauschbegriff akzeptiert. Dazu gehört z.B. auch die Phasenverschiebung. Dies gilt besonders im Blick auf die klassische soziale Aufgabe der Verantwortung für die ältere Generation. „Hier gibt es drei Grundformen von Tausch. Bei der einfachsten, positiven und synchronen Form tauschen die älteren und die jüngeren Menschen ihre altersspezifischen Fähigkeiten, Erfahrungen, auch Beziehungen aus. Der zweite, diachrone und negative Tausch erstreckt sich auf phasenverschobene Gewaltverzichte. Um heranwachsen zu können, haben die Kinder, um in Ehren alt zu werden, [und] die gebrechlich gewordenen Eltern [jeweils] ein Interesse, dass man ihre Schwäche nicht ausnützt. Da der Mensch nicht bloß machtlos, sondern auch extrem hilflos geboren wird und nach einer Zeit relativer Selbstständigkeit die Welt wieder hilflos verlässt, gibt es drittens den positiven diachronen Tausch: Die Hilfeleistungen, die man zu Beginn des Lebens erfährt, werden später durch eine Hilfe gegen die Älteren ,wiedergutgemacht'. Entwicklungsgeschichtlich gesehen findet der entsprechende Tausch zunächst innerhalb der Familie, in der Großfamilie, der Sippe, statt. Er entspricht einer Art von Eltern-Kinder-Vertrag, abgeschlossen über eine phasenverschobene und doch wechselseitige Hilfe.“ (44) Schon die antike Philosophie weiß, dass es bei aller hohen Gültigkeit des Gerechtigkeitspostulats auch ergänzende Gesichtspunkte gibt, die zum Teil auch eine regelrechte Korrektur mit sich bringen. So gibt es eine verbessernde Korrektur, insbesondere der Milderung eines strengen Gesetzes durch die „Billigkeit“ . »Die Billigkeit füllt Lücken im Gesetz, da dem Gesetzgeber beispielsweise eine Differenzierung entgangen ist und das allgemeine Gesetz nur das meistens, aber nicht in jedem Einzelfall, Richtige trifft. Die Billigkeit vermeidet eine ins Unendliche reichende Kasuistik ... Die Billigkeit hält bloße Fehler für nicht so schlimm wie unrechte Taten.“ (45) Freundschaft und Klugheit können ihrerseits eine hart erscheinende Gerechtigkeit mildern.(46)

Es braucht also eine ausgleichende Gerechtigkeit, besonders beim Tausch verschiedenartiger Dinge. Der Tausch ist dann gerecht, wenn die getauschten Dinge den gleichen Wert haben. So verlangt die Gerechtigkeit auch, verschuldete Schäden in der Höhe des Schadens wieder gut zu machen. Dies ist der Bereich der Entschädigung. Es gibt also durchaus auch eine korrektive Gerechtigkeit.
Die soziale Gerechtigkeit scheint mir zuerst wichtig zu sein im Bereich der fundamentalen Lebensmöglichkeiten, die von der nackten Existenz bis zu einem menschenwürdigen Leben reichen. Wenn ein Mitglied einer Gemeinschaft an einem grundsätzlichen Mangel hinsichtlich dieser elementaren Lebensmöglichkeiten leidet, dann ist die Gemeinschaft verpflichtet, ihm wenigstens im Sinne eines minimalen menschenwürdigen Lebens Hilfe zu leisten. Dies ist vor allem notwendig, um die Teilhabe eines jeden Menschen an der Entwicklung des menschlichen Lebens sicherzustellen. Durch die gemeinsame Menschennatur und die Gottesebenbildlichkeit bzw. Menschenwürde, die jedem zu Eigen sind, gibt es hier auch die Notwendigkeit, nicht nur den Menschen zu einem Existenzminimum zu verhelfen, sondern auch dafür zu sorgen, »dass möglichst viele Menschen tatsächlich in der Lage sind, ihre jeweiligen Begabungen sowohl zu erkennen, als auch sie auszubilden und schließlich produktiv für sich selbst und andere einsetzen zu können“ .(47) Deshalb ist die Chancengerechtigkeit wichtig.

In dieser Grundhaltung ist jede Form von Solidarität begründet.(48) Sie kann aber gerade im Horizont des wechselseitigen Nehmens und Gebens nie eine Einbahnstraße sein, sondern setzt immer schon bei der Partnerseite die Bereitschaft zum Geben voraus. Darum ist eine ausgleichende Teilgabe von Lebensmöglichkeiten zunächst auch immer auf die Wiederherstellung der eigenen Fähigkeiten gerichtet. Es ist eine Form der temporären Leihe von Kräften, so wie z. B. die Sozialhilfe ursprünglich eine Art Überbrückungsmöglichkeit ist. Man kann dafür auch das heute viel gebrauchte Wort von der „Eigenverantwortung« verwenden. An sich würde das Wort „Verantwortung“ schon genügen. Aber die Solidarität, die jemand selbst von anderen her erfährt, setzt voraus und hat zur Konsequenz, dass der von ihr Begünstigte auch seinerseits zu einem konkreten verantwortlichen Mitgestalten der Gemeinschaft bereit ist. Wenigstens in einem Minimum sollte erkennbar sein, dass dieses grundsätzliche Engagement überhaupt existiert. Sonst müsste man ja eher davon sprechen, dass jemand die Gemeinschaft rücksichtslos und schamlos ausnützt und so durchaus auch zu einem „Schmarotzer“ werden kann. Selbstverständlich ist dies niemals gegeben, wenn einer von Natur oder durch ein erlittenes Geschick schwach ist. Dann bedarf er der solidarischen Unterstützung. Dies wird vielleicht besonders deutlich an chronisch Kranken, an alten Menschen mit ihren Grenzen und nicht zuletzt an behinderten Menschen, die bestimmte Leistungen nicht erbringen können. Hier ist es ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, andere, die an einer solchen Schwäche leiden, an den eigenen Lebensmöglichkeiten teilhaben zu lassen und die Mängel im Rahmen und nach den Möglichkeiten einer Gemeinschaft zum Ausgleich zu bringen. Diese Verantwortung setzt aber voraus, dass auch der Empfänger zu einer -–und sei es noch so minimalen – Gegenleistung bereit ist. Der behinderte Mensch kann z. B. wenn er imstande ist, in einer Behindertenwerkstatt zu seinem Lebensunterhalt beitragen. Der Arbeitslose sollte nicht zögern, eine weniger attraktive Arbeit anzunehmen und auch vielleicht längere Entfernungen zu akzeptieren, wenn ihm ein Angebot gemacht wird. Es gibt gewiss noch viele Austauschmöglichkeiten im ideellen Bereich.

V.
Die verschiedenen Dimensionen im Verständnis der sozialen Gerechtigkeit kann man vielleicht in folgender Weise zu einer Synthese bringen, wobei ich mich von einigen Formulierungen und Assoziationen Oswald von Nell-Breunings leiten lasse, ohne sie jetzt im Einzelnen nachzuweisen.

Sozial gerecht ist ein Gemeinwesen, wenn es allen Bürgerinnen und Bürgern hilft beziehungsweise ermöglicht, durch ihr eigenes Handeln ihr Wohl zu erreichen. Sozial gerecht handeln Menschen, wenn sie bereit sind, in das Gemeinwesen all das einzubringen, was um des Gemeinwohls willen notwendig ist, ob es gesetzlich vorgeschrieben ist oder darüber hinausgeht. Soziale Gerechtigkeit ist nichts Statisches. Eine Gesellschaft muss sich vielmehr immer wieder vergewissern, was hier und jetzt gerecht ist.

Zunächst einmal enthält diese Definition wohl das, was die meisten unter sozialer Gerechtigkeit verstehen: Ich spreche von sozialer Gerechtigkeit als Eigenschaft eines Gemeinwesens. Doch geht es in diesem ersten Satz nicht um Leistungen allein des Gemeinwesens. Wesentlich ist, dass die Leistungen des Gemeinwesens an die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des Bürgers rückgebunden sind. Die Leistungen des Gemeinwesens unterstützen den Einzelnen und ermöglichen ihm, selbst dafür tätig zu werden, sein Wohl zu erlangen. Weiterhin geht es um das personale Wohl eines jeden Einzelnen, auf das das Gemeinwohl hingeordnet ist.
Die zweite Aussage betrifft das sozial gerechte Handeln des Menschen: Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur das Merkmal eines Gemeinwesens, sondern schließt auch das Handeln von Menschen ein. So wie das Gemeinwesen ist auch jeder Einzelne gefordert, nach seinen jeweiligen Möglichkeiten zum Gemeinwohl und dadurch auch zum Wohl der anderen beizutragen – mit anderen Worten: Solidarität zu üben.

Drittens: Soziale Gerechtigkeit ist nichts Statisches. Es ist für das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit zentral, dass die Bestimmung dessen, was sozial gerecht ist, niemals abschließend geschehen kann, sondern kontinuierlich und situationsbezogen vorgenommen werden muss. Für das politische Handeln bedeutet dies die Notwendigkeit einer fortlaufenden Analyse der sozialpolitischen Bemühungen und einer dauerhaften Bereitschaft zur Veränderung. Gerade um des angemessenen Verstehens von sozialer Gerechtigkeit, von Solidarität und Subsidiarität willen, darf man sich Reformen des Sozialen nicht verschließen.
Dass Reformen auch mit Einschränkungen für den Einzelnen verbunden sind, darf keinesfalls übersehen werden. Gerade die Kirche erwartet, dass Zumutungen auch zumutbar sind. Entscheidend ist letztlich nicht der Vergleich mit dem Besitzstand, sondern die Sensibilität für Leistungsfähigkeit einerseits und Bedürftigkeit andererseits. Ist unter diesem Blickwinkel wirklich jede Form von Eigenheimförderung unveränderbar, wirklich jede Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen unzumutbar? Absolut inakzeptabel ist aber gewiss die Tatsache, dass Kinder in vielen Fällen ein Armutsrisiko darstellen.

Damit bin ich bei den grundlegenden Strukturproblemen unseres Sozialstaates, welche der Impulstext der Deutschen Bischofskonferenz vom Dezember 2003 unter dem Titel Das Soziale neu denken benennt: Zum einen die verfestigte strukturelle Massenarbeitslosigkeit und zum anderen die strukturelle Benachteiligung der Familien.

Die Konsequenz aus den Strukturproblemen unseres Sozialstaates ist: Keine der großen Säulen des Sozialstaates ist ohne tief greifende Korrekturen weiter tragfähig. Dies ist eine harte Wahrheit, die bei einigen Erschrecken und Befürchtungen hervorgerufen zu haben scheint. Der Sozialstaat genießt in weiten Teilen der Bevölkerung zu Recht hohe Wertschätzung und Anerkennung. Dies nicht nur, weil sehr viele von ihm profitieren. Die Menschen wissen, dass für viele von denen, die seine Leistungen in Anspruch nehmen, der Sozialstaat die Voraussetzungen dafür schafft, das Leben eigenverantwortlich selbst gestalten und dabei auch Risiken eingehen zu können. Das muss in Zukunft – auch angesichts der dramatischen Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht – gewahrt bleiben.

Am Beginn des Impulstextes „Das Soziale neu denken. Für eine langfristig angelegte Reformpolitik«, steht eine Beobachtung: „Die Menschen machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Landes: Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor bedrückend hoch. Die sozialen Sicherungssysteme scheinen in der vorliegenden Form nicht mehr finanzierbar zu sein. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte steigt immer weiter an.“ Dieser Umstand lässt nur den Schluss zu, dass Reformen in Deutschland notwendig sind. Wir müssen den großen, untereinander verbundenen Herausforderungen des demografischen Wandels, der Aushöhlung von Solidaritätsräumen wie der Familie, der anhaltenden Arbeitslosigkeit, der europäischen Integration und der Globalisierung offensiv begegnen. Das erfordert grundlegende Veränderungen unserer sozialpolitischen Strukturen, insbesondere unserer sozialen Sicherungssysteme und unseres Steuersystems. Es gilt: Wenn wir nichts ändern, keine Reformen wagen, setzen wir den Sozialstaat aufs Spiel. Wenn nichts getan wird, werden im Ergebnis die Schwachen die Leidtragenden sein, weil sie in besonderer Weise auf die Förderung durch den Sozialstaat angewiesen sind. Aus dieser Perspektive sind Reformen eine Frage der Gerechtigkeit und nicht nur aus ökonomischen Gründen notwendig.(49)

Zu den Schwächsten, die in den Blick zu nehmen sind, und die die Kirche in besonderer Weise in den Mittelpunkt stellt, zählen die nachfolgenden Generationen,(50) die sich nicht selbst artikulieren können und denen die ungeheuren Schulden öffentlicher Haushalte und ein kollabierendes Sozialsystem zufallen. Aber auch im Blick auf die heute Aktiven gibt es Ungerechtigkeiten, die es zu bekämpfen gilt. Ich habe die schwierige Situation der Familien und die Lage der Langzeitarbeitslosen bereits benannt. Wie sind diese Ungerechtigkeiten mit der Tatsache zu vereinbaren, dass gleichzeitig die Sozialquote in Deutschland nahezu ein Drittel des Bruttosozialproduktes ausmacht? Offensichtlich ist der Sozialstaat mit seinem Finanzierungsaufwand so nicht zukunftsfähig, und trotz seines großen Verteilungsvolumens wird er denen nicht gerecht, die seiner bedürfen.

Dafür, dass diese Fehlstellungen des Sozialstaats entstanden sind und – obwohl zum Teil schon lange bekannt – nicht behoben wurden, sind in erster Linie zwei grundlegende Ungleichgewichte verantwortlich zu machen: Erstens das Ungleichgewicht im politischen Prozess zwischen gut organisierten und daher einflussreichen Interessen einerseits und schwierig oder schlecht organisierbaren, aber in besonderer Weise des Staates bedürfender Interessen andererseits; zweitens das Ungleichgewicht zwischen den aktuellen Problemen und Forderungen einerseits und den absehbaren, möglicherweise schwerer wiegenden Problemen und Forderungen der Zukunft andererseits. Hinzu kommen einige strukturelle Reformbarrieren: die stark korporatistische Prägung des politischen Systems der Bundesrepublik (Lobbywesen), die partikularen Interessen zu Dominanz verhilft; außerdem eine Verengung des Verständnisses von Sozialpolitik auf Verteilungspolitik, durch die ausgeblendet wird, dass vor allem Familien-, aber auch Bildungs- und Berufsbildungspolitik zukunftsorientierte Bereiche der Gesellschaftspolitik sind. Weiter können durch die heutige Verfassung unserer föderalen Ordnung Reformentscheidungen relativ leicht blockiert werden, was auch nach der entsprechenden Reform noch der Fall ist.(51) Schließlich fehlt es an Instanzen, die weitergehend den Blick auf das Ganze und auf eine nachhaltige, zukunftsorientierte Politik richten können. Gerade dieser letzte Punkt bedeutet im Zusammenhang mit der Dominanz der Partikularinteressen einen Mangel an Rationalität in der Fortentwicklung des Sozialstaates.

In der Neuen Zürcher Zeitung (Ausgabe vom 31. Juli/ 1. August 2004) hat der schwedische Ökonom Nils Karlson über die ethischen Folgen des lange Zeit vollumsorgenden – schwedischen – Wohlfahrtsstaates Folgendes ausgeführt: „Der schwedische Wohlfahrtsstaat und die hohe Steuerlast, die notwendigerweise mit ihm einhergeht, haben wahrscheinlich der menschlichen Würde schweren Schaden angetan. Die meisten Schwedinnen und Schweden sind vom Staat äußerst abhängig geworden und haben weder Mittel noch Fähigkeiten, um die Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen.“ Sicher ist dies eine stark zugespitzte Aussage, die nicht leichtfertig übernommen werden darf. Ich führe sie hier dennoch an, weil darin letztlich die Freiheitsfrage zum Ausdruck kommt, die auch uns bewegt: Wie viel Freiheit wollen und sollen die Menschen wahrnehmen, und wie viel Freiheit wollen und sollen sie zugunsten von sozialer Sicherheit abgeben?
Diesem Gedanken folgend treten die jüngeren Texte der Deutschen Bischofskonferenz für eine Stärkung der Eigenverantwortung ein: Eigenverantwortung nicht im Sinne von Eigenleistung, also höherer Zuzahlungen, höherem Selbstbehalt, sondern Eigenverantwortung in dem Sinne, dass man das eigene Leben stärker selbst in die Hand nimmt. Nicht eine größere Umverteilung – die im Übrigen größtenteils im Bereich der Mittelschicht stattfindet –, sondern ein verstärktes Ernstnehmen der Selbstständigkeit des Menschen ist die Zielrichtung der Texte. Hinsichtlich eines zukunftsfähigen Gesundheitssystems hat die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz (K. VI) gemeinsam mit der Kommission für karitative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz (K. XIII) dies bereits im Mai 2003 in ihrer Schrift „Solidarität braucht Eigenverantwortung“ anhand der Frage formuliert: „Welches Maß an Gesundheitsleistung kann und muss durch die Solidarität aller getragen werden, und welches Maß an Gesundheitsförderung können und müssen die Menschen selbst tragen?“

Zur Wahrnehmung ihrer Freiheit und damit zu eigenverantwortlichem Handeln müssen die Menschen fähig und befähigt werden. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Menschen an gesellschaftlichen Prozessen beteiligt werden. Ganz im Sinne des aus der Katholischen Soziallehre stammenden Subsidiaritätsprinzips muss es darum gehen, nicht Abhängigkeit, sondern Selbstständigkeit zu fördern. Das heißt: Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Er muss darum bemüht sein, die Eigenverantwortung der Bürger und den Aufbau von neuen Solidaritätsformen zu stärken. Auf dieser Basis muss ein bisher zu einseitiges Verständnis von Sozialpolitik weiterentwickelt werden, das die Nachwuchsförderung stärker in den Blick nimmt und Familienpolitik als elementare Querschnittsaufgabe in der Politik anerkennt. Ähnliches gilt für die Bildungspolitik, zumal ein erschwerter Zugang zu Bildung und Wissen den Zugang zur heutigen Arbeitswelt und damit die Teilhabechancen erheblich beeinträchtigt.

Diese sehr grundlegende Reformpolitik muss von einer Veränderung der Verfahrensweisen und einem Wandel der Mentalitäten begleitet werden. Wir alle müssen dazu beitragen, mentale Blockaden überwinden zu helfen. Unsere Texte sprechen deshalb auch von der „Entwicklungspolitik für ein entwickeltes Land“. Entwicklung darf aber nicht mit Abriss oder Abbau gleichgesetzt werden, wohl ist es mit einem Umbau verbunden. Eintreten für einen tief greifenden Umbau des Sozialstaats entspringt der uns aufgetragenen Sorge für die Armen. Für diejenigen, die der Unterstützung und auch des Schutzes, den der Sozialstaat gewährt, bedürfen, muss der Sozialstaat zukunftsfest gemacht werden.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedingungen unterliegen einem steten Wandel. Deshalb muss auch das Sozialdenken der Kirche stets weiter entwickelt werden, unter Wahrung der bewährten Prinzipien der Personalität, der Solidarität und der Subsidiarität. Im Zentrum der kirchlichen Aufmerksamkeit muss unverändert eine Option für die Armen stehen, die Sorge um die von aktiver Teilnahme Ausgeschlossenen und an den Rand Gedrängten unserer Gesellschaft. Vor allem sie sind der Grund für die Sorge der Kirche auch um den Sozialstaat, und um ihretwillen müssen wir klar benennen – ich wiederhole es: Wenn sich nichts ändert, wenn alles so bleibt, wie es ist, werden die Schwachen die Leidtragenden sein, weil sie in besonderer Weise auf die Absicherung eines funktionierenden Sozialstaates angewiesen sind. Systeme sozialer Sicherheit, die nicht mehr tragen, werden gerade für jene zum existenziellen Problem, die sie wirklich brauchen. Ich zitiere nochmals: Das Soziale neu denken: „Reformen sind notwendig. Deutschland verträgt keinen Stillstand mehr. Sollen Solidarität und Gerechtigkeit angesichts struktureller Massenarbeitslosigkeit und demografischen Wandels wieder hergestellt und gesichert werden, brauchen wir einen Aufbruch, der das Soziale neu denkt.“ Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

Eine Gesellschaft, die das Soziale nicht neu denkt, fügt sich und denjenigen, die auf ihre Hilfeleistung angewiesen sind, schweren Schaden zu. Es wäre dies ein schwerer Verstoß gegen die Pflicht des Gemeinwesens, allen seinen Bürgern ein Leben in Würde zu ermöglichen. Ein nicht weniger sträflicher Verstoß gegen dieses Gebot wäre es aber auch, wenn der Staat durch ein übermäßiges Versorgungsangebot die Freiheit des Einzelnen untergraben und ihm die Verantwortung für sein eigenes Leben entziehen würde. Schon 1991 hat Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika Centesimus annus(52) auf diesen Aspekt hingewiesen: „Der Wohlfahrtsstaat, der direkt eingreift und die Gesellschaft ihrer Verantwortung beraubt, löst den Verlust menschlicher Energie und das Aufblähen der Staatsapparate aus, die mehr von bürokratischer Logik als von dem Bemühen beherrscht werden, den Empfängern zu dienen.“

Das katholische Prinzip der Subsidiarität basiert auf dem Miteinander von Solidarität und Eigenverantwortung. In den letzten Jahrzehnten sind die Gewichte zwischen Solidarität und Eigenverantwortung einseitig zugunsten des Solidaritätsgedankens verschoben worden. Mit dem Impulstext „Das Soziale neu denken“ wollen wir dazu beitragen, Solidarität und Eigenverantwortung neu in Verhältnis zueinander zu bringen. Wenn wir wollen, dass die Solidarität aller weiterhin da einspringen kann, wo sie nötig ist, müssen wir den Sozialstaat so reformieren, dass sie nicht auch dort eingreifen muss, wo sie nicht nötig ist. Es geht darum, die notwendige Solidarität durch die mögliche und notwendige Wahrnehmung von Eigenverantwortung zu sichern. In diesem Sinn: Solidarität braucht Eigenverantwortung.(53) So kann soziale Gerechtigkeit zustande kommen.
Dieser Versuch, das Soziale gerade auch im Sinn der sozialen Gerechtigkeit neu zu denken, vor allem in einem wechselseitigen Geben und Nehmen, ist auch geeignet, eine Reihe von Gerechtigkeitsbeschreibungen, die die Bischofskonferenz in den letzten Jahren in ihren Schriften selbst versucht hat, zu integrieren. Ich denke dabei an folgende Stichworte: Chancengerechtigkeit, Beteiligungsgerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Familiengerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit. Vieles ließe sich noch anfügen.(54) Auch ist es ein erheblicher ökumenischer Gewinn, im Blick auf die Denkschrift des Rates der EKD zur Armut in Deutschland mit dem bezeichnenden Titel „Gerechte Teilhabe. Befähigung zur Eigenverantwortung und Solidarität.«(55)

VI.
Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, dass unsere Kirche sich schwer tut, die Grundsatzentscheidungen, die im Vorfeld der ersten Enzyklika zur Sozialen Frage Rerum novarum (1891) und in den folgenden Sozialenzykliken vorbereitet und entfaltet worden sind, in ihrem Gewicht voll wahrzunehmen und anzuerkennen. Dabei soll nicht verdunkelt werden, dass viele soziale Aktivitäten, die heute auch sehr stark globale Aufgaben darstellen und so etwas wie einen Weltgerechtigkeitssinn verlangen,(56) das Postulat sozialer Gerechtigkeit im praktischen Handeln zu erfüllen suchen. Aber es geht auch um eine theoretisch-reflexive Annahme der Grundsituation, wie es zu der fundamentalen Forderung sozialer Gerechtigkeit im Lauf des 19. Jahrhunderts gekommen ist, aber auch ein sensibles Gebot für unsere heutige Situation darstellt. Aus wirtschaftsliberalem Munde kann man auch durchaus von Katholiken hören, der Übergang in der Ära Kettelers von der karitativen Fürsorge zu dezidierter Sozialreform und Sozialpolitik sei eine Art von »Sündenfall« der Katholischen Soziallehre. Ich halte dies für einen grundlegenden Irrtum. Nicht zufällig sind es oft dieselben Leute, die auch die Soziale Marktwirtschaft als eine nichtssagende Formel abtun.(57) Umso wichtiger ist ein möglichst genaues Grundverständnis sozialer Gerechtigkeit, die freilich immer wieder an der konkreten Situation und auch an den finanziellen Ressourcen und Potenzialen des Staates und der Gesellschaft ausgerichtet werden muss, ohne jede normative Kraft zu verlieren.(58) Dabei darf vor allem auch der personale Faktor in der Sozialpolitik nicht unterbewertet werden, ein Gedanke, der Joseph Kardinal Höffner besonders teuer war.(59)

Dies erfordert eine ständige Unterscheidung der Geister, weil es viele destruktive Tendenzen in der gesellschaftlichen Entwicklung gibt.(60) Gleichgültigkeit und Müdigkeit sind den Christen angesichts der ihnen aufgegebenen Hoffnung jedoch nicht erlaubt.

(1) Von daher ist es auch verständlich, dass z.B. die Präambeln der Verfassung von Rheinland-Pfalz und ähnlich vom Freistaat Thüringen davon sprechen, „das Gemeinschaftsleben nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen«. Für Hinweise zu diesem Thema danke ich Herrn Prof. Dr. M. Wallerath (Universität Greifswald). Die Frage nach der „Sozialen Gerechtigkeit« in den Grundlagen-Texten der Europäischen Union übergehe ich in diesem Zusammenhang.

(2) F.A. v. Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus, Tübingen 1996, bes. 124-127.

(3) Vgl. F. A. von Hayek, Wissenschaft und Sozialismus. Aufsätze zur Sozialismuskritik, hrsg. von M. E. Streit, Tübingen 2004; hier bes. die Aufsätze: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit (1976), a.a.O., 186-196 und: Der Atavismus »soziale Gerechtigkeit« (1976), a.a.O., 197-208; vgl. auch: H. Kelser, Die Illusion der Gerechtigkeit. Eine kritische Untersuchung der Staatsphilosophie Platons, Wien 1985.

(4) Vgl. dazu H. Zacher, Das soziale Staatsziel, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Band 1, Karlsruhe 1987, § 25, Randnummer 47.

(5) Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Eingeleitet und kommentiert von M. Heimbach-Steins und A. Lienkamp, München 1997, 141 (zu Art. 112)

(6) Vgl. Cl. Sedmark (Hg.), Option für die Armen. Die Entmarginalisierung des Armutsbegriffs in den Wissenschaften, Freiburg i. Br. 2005.

(7) Vgl. E. Keim, Das Eigentum in der Naturrechtslehre Luigi Taparellis, St. Ottilien 1998; U. Nothelle-Wildfeuer, Taparelli d´Azeglio, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band IX, 3. Auflage, Freiburg i. Br. 2000, 1263-1264.

(8) Saggio teoretico di diritto naturale, appoggiato sul fatto, 5 Bände, Palermo 1840-1843, 11. Aufl. 1949; deutsch: Versuch eines auf Erfahrung begründeten Naturrechts, 2 Bände, Regensburg 1845.

(9) La costituzione secondo la giustiza sociale (1848), in: Scritti politici, Stresa 1997, 43-249; dazu M. Dossi, Antonio Rosmini, Stuttgart 2003; Münchner Theologische Zeitschrift, Themenheft «Rosmini», Heft 1, 2005.

(10) Vgl. O. von Nell-Breuning SJ, Die soziale Enzyklika, Köln 1932, 249.

(11) Vgl. die Nummern 10, 58 f., 109, vgl. AAS 197 (1931), 10, 87, 125, 137.

(12) Die Begriffsgeschichte hat wohl als erster ausführlich beschrieben der spätere Kardinal und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Joseph Höffner, Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe. Versuch einer Bestimmung ihres Wesens, Diss. theol., Pont. Univ. Gregoriana, Saarbrücken 1935 (104 Seiten). Es mag zum 100. Geburtstag J. Höffners erlaubt sein, ganz besonders auf diese frühe Arbeit, die vor mehr als 70 Jahren abgeschlossen worden ist, hinzuweisen. Sie ist allerdings wenig verbreitet und kaum bekannt. Erste Hinweise darauf verdanke ich A. Rauscher. Vgl. dazu A. Rauscher, Kirche in der Welt. Beiträge zur christlichen Gesellschaftsverantwortung, IV. Band, Würzburg 2006, Kapitel I, II und V.

(13) Vgl. dazu J. Höffner, Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe, 11 ff.

(14) Ebd., 17.

(15) Nachweise ebd., 18.

(16) Nachweise bei J. Höffner, ebd., 18 ff.

(17) Nachweis bei J. Höffner, ebd., 20.
(18) Freiburg i. Br. 2006 (Vatikan 2004), vgl. das Register: 466-468, vgl. S. 81 f., 167, 171, 201, 564.

(19) Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche (Neuübersetzung), München/Vatikan 2003, 501 ff.

(20) NA 3.

(21) Vgl. den lateinischen Text in der offiziellen Ausgabe der Konzilstexte: Constitutiones Decreta Declarationes, Città del Vaticano 1966 u.ö., 877.

(22) Vgl. dazu Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte: 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983; H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band I bis Band III, München 1987 ff.; vgl. auch: Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus, hrsg. von A. Rauscher, Paderborn 1988 ff., darunter besonders die Bände: G. Gundlach 1892-1963 (1988); Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1990); Deutscher Katholizismus und Sozialpolitik bis zum Beginn der Weimarer Republik (1991); Katholizismus und Sozialismus in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert (1992); Katholizismus und wirtschaftlicher Liberalismus in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert (1998); Franz Joseph von Buß 1803 bis 1878 (1994); zu den übrigen Quellen vgl. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, hrsg. von R. A. Müller, Band 7, Stuttgart 1997 u.ö.

(23) Schriften, Aufsätze und Reden 1848-1866 = Sämtliche Werke und Briefe Abt. I, Band 1, Mainz 1977, 26-33. Die Zitate wurden in die aktuelle Rechtschreibung transkribiert.

(24) Ebd., 369 f.

(25) Sämtliche Werke I/2 (1978), 432, 437.

(26) J. Kardinal Höffner, Bischof Kettelers Erbe verpflichtet. Eröffnungsreferat bei der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 1977 in Fulda = Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 5, Bonn 1977, 22.

(27) Sämtliche Werke I/1, 371; 455 ff.

(28) Ebd., 430.

(29) Ebd., 431.

(30) Vgl. dazu insgesamt Beteiligung am Produktiveigentum, hrsg. vom Kirchenamt der EKD und vom Sekretariat der DBK, Hannover/Bonn 1993.

(31) Sämtliche Werke I/1, 687 f.

(32) Diesen Wandel Kettelers hat E. Iserloh oft beschrieben; die Beiträge sind gesammelt in: Kirche - Ereignis und Institution. Aufsätze und Vorträge. Band I: Kirchengeschichte als Theologie, Münster 1985, vgl. dort besonders »Die soziale Aktivität der Katholiken im Übergang von caritativer Fürsorge zu Sozialreform und Sozialpolitik, dargestellt an den Schriften Wilhelm Emmanuel von Kettelers«, 266-284, vgl. aber auch 285 ff., 309 ff. Der Haupttext »Die soziale Aktivität ...« entstammt einem Vortrag in der Plenarsitzung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz aus dem Jahre 1974. In dieser Zeit hat die gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland sehr mit dem Thema »Kirche und Arbeiterschaft« gerungen, vgl. Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg i. Br. 1976, 313-364, vgl. besonders 324. Dazu auch die Einleitung zum Beschluss mit Literaturangaben von W. Wöste, 313 ff.

(33) Sämtliche Werke I/2, 438 (Referat vor der Bischofskonferenz im September 1869).

(34) So E. Iserloh als Herausgeber, in: Sämtliche Werke und Briefe I/1 IX (1977).

(35)J. Messner, Zum Begriff der sozialen Gerechtigkeit, in: Die soziale Frage und der Katholizismus, Paderborn 1931, 416 f.; vgl. J. Messner 1891-1984, hrsg. und erläutert von A. Klose = Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus 5, Paderborn 1991, bes. 79 ff., 125 ff., 147 ff. (Lit.).

(36) Ich verdanke diesen Hinweis Herrn Prof. P. Dr. A. Rauscher SJ, Mönchengladbach. Vgl. dazu schon J. Höffner, Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe, 10.

(37) Von den unzähligen Abhandlungen zur Gerechtigkeit möchte ich nur wenige erwähnen. Zur ersten Information vgl. O. Höffe, Lexikon der Ethik, 5. Aufl. München 1997, 91-95; J. Pieper, Über die Gerechtigkeit, sehr oft selbstständig erschienen, z.B. 4. Aufl. München 1965, aber auch gemeinsam mit den anderen Kardinaltugenden, z.B. Das Viergespann. Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß, München 1964, 65-171. Die entsprechenden Schriften von J. Pieper, gerade auch die früheren, sind nun gesammelt in: Werke in acht Bänden, hrsg. von B. Wald, Hamburg 1995 ff., Band 4: Über die Gerechtigkeit (43-112); Band 5: Grundformen sozialer Spielregeln (1-47); Band 8,1: Gerechtigkeit (256-265, 287-306, 377 f.); Ergänzungsband 1: Frühe soziologische Schriften (bes. 1 ff., 61 ff., 157 ff., 196 ff., 405 ff., 416 ff.); O. Höffe, Gerechtigkeit, München 2001, 2. Aufl. 2004; E. Brunner, Gerechtigkeit. Eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung, Zürich 1943; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a.M. 1975 (englisch 1971); Ders., Gerechtigkeit als Fairness. Ein Neuentwurf, hrsg. von E. Kelly, Frankfurt a.M. 2003 (englisch 2001); P. Prodi, Eine Geschichte der Gerechtigkeit. Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat, München 2003; H. Schmiedinger (Hg.), Gerechtigkeit heute. Anspruch und Wirklichkeit = Salzburger Hochschulwochen 2000, Innsbruck 2000; W. Kersting, Theorien sozialer Gerechtigkeit, Stuttgart 2000; W. Huber, Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, Gütersloh 1996; Recht-Macht-Gerechtigkeit, hrsg. von J. Mehlhausen = Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 14, Gütersloh 1998; J. Assmann/B. Janowski/M. Welker (Hg.), Gerechtigkeit, München 1998; H. Kellsen, Was ist Gerechtigkeit?, Stuttgart 2005 (Erstdruck 1953); R. Weiler/A. Mizunami (Hg.), Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung. Die Tugend der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung = Beiträge zur politischen Wissenschaft 105, Berlin 1999; P. Fischer (Hg.), Freiheit oder Gerechtigkeit. Perspektiven politischer Philosophie, Leipzig 1995; A. Honneth, Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie, Frankfurt a.M. 2000; J. Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt a.M. 1991, 49-76; W. Kersting, Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, Frankfurt a.M. 1997. Von den kirchlichen Dokumenten seien hier zunächst nur genannt: Gerechtigkeit in der Welt. Römische Bischofssynode 1971, hrsg. unter dem Titel »Der priesterliche Dienst. Gerechtigkeit in der Welt« von der Deutschen Bischofskonferenz, Trier 1972, 71-105; Gerechte Teilhabe. Befähigung zur Eigenverantwortung und Solidarität. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Armut in Deutschland, Gütersloh 2006; zur gegenwärtigen Diskussion vgl. auch F. Hengsbach, Gerechtigkeit - Auf den Spuren der Gleichheit, in: Stimmen der Zeit 131 (2006), 516-530. Überall findet sich weitergehende Literatur.

(38) Dazu O. Höffe, Gerechtigkeit, 52 f., aber auch schon 49 ff.

(39) Außer den schon genannten Titeln vgl. Politische Gerechtigkeit, Grundlegung einer kritischen Philosophie von Recht und Staat. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1987; Kategorische Rechtsprinzipien. Ein Kontrapunkt der Moderne, Frankfurt a.M. 1994 u.ö.; Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, 2. Aufl. München 2002; Moral als Preis der Moderne, Frankfurt a.M. 1993; Medizin ohne Ethik, Frankfurt a.M. 2002; Tauschgerechtigkeit und korrektive Gerechtigkeit. Legitimationsmuster für Staatsaufgaben, in: D. Grimm (Hg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden 1994, 713-737; Strategien der Humanität, Freiburg i. Br. 1975; Gerechtigkeit als Tausch?, Baden-Baden 1991; Vernunft und Recht, Frankfurt a.M. 1996; Ethik und Politik, 3. Aufl. Frankfurt a.M. 1987. Zur Grundidee von O. Höffe vgl. auch Gerechtigkeit als Tausch? Auseinandersetzungen mit der politischen Philosophie O. Höffes, hrsg. von W. Kersting, Frankfurt a.M. 1997.

(40) Vgl. dazu auch neben den bisher schon genannten Werken O. Höffe, Aristoteles, 3. Aufl. München 2006, 228 ff.; Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, 130-136; G. Bien, Gerechtigkeit bei Aristoteles, in: Aristoteles, Die Nikomachische Ethik, hrsg. von O. Höffe, Berlin 1995, 135-164, F. Ricken, Aristoteles über Gerechtigkeit und Gleichheit, in: Theologie und Philosophie 73 (1998), 161-172.

(41) O. Höffe, Gerechtigkeit, 85. Vgl. zur Sache M. Schefczyk, Umverteilung als Legitimationsproblem = Praktische Philosophie 71, Freiburg i. Br. 2003; N. Fraser/A. Honneth, Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse, Frankfurt a.M. 2003.

(42) Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a.M. 1968, 2. Aufl. 1990. Dazu auch das erhellende Nachwort von H. Ritter, 188-208.

(43) Vgl. F. Hengsbach, Gerechtigkeit - Auf den Spuren der Gleichheit, 518; J. Habermas, O. Höffes politische Fundamentalphilosophie, in: Politische Vierteljahresschrift 30 (1989), 320-327.

(44) O. Höffe, Gerechtigkeit, 86.

(45) Aristoteles-Lexikon, 199.

(46) Vgl. Näheres bei O. Höffe, Aristoteles, 204 ff., 234, 241, 249 ff., 256; zur Billigkeit (Epikie), 233 f., 263; Ders., Gerechtigkeit, 58 f.,

(47) Gerechte Teilhabe, 11.

(48) Vgl. dazu R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, Frankfurt a.M. 2000; K. Bayertz (Hg.), Solidarität, Frankfurt a.M. 1998; K. Deufel/M. Wolf (Hg.), Ende der Solidarität?, Freiburg i. Br. 2003; H. E. Richter, Lernziel Solidarität, Reinbek bei Hamburg 1974; A. Baumgartner/W. Korff, Das Prinzip Solidarität, in: Stimmen der Zeit 208 (1990), 237-250; Paul M. Zulehner u.a. (Hg.), Solidarität. Option für die Modernisierungsverlierer, Innsbruck 1996; K. Hilpert/Th. Bohrmann (Hg.), Solidarische Gesellschaft. Christliche Sozialethik als Auftrag zur Weltgestaltung im Konkreten. Festschrift für Alois Baumgartner, Regensburg 2006, J. K. Galbraith, Die solidarische Gesellschaft. Plädoyer für eine moderne soziale Marktwirtschaft, Hamburg 1998.

(49) Ich fasse mich hier sehr kurz. Dies ist auch deshalb möglich, weil ich auf einige eigene Texte verweisen kann, in denen vieles zur Sprache kam. Vgl. vor allem: Ist der Sozialstaat am Ende?, Hildesheimer Universitätsreden. Neue Folge Heft 3, Hildesheimer Universitätsverlag, Hildesheim 2005 (Lit.); Soziale Gerechtigkeit in Zeiten des Umbruchs. Vortrag bei der Klausurtagung der CSU am 8. April 2006 im Kloster Banz (14 Seiten); Das Recht des Schwächeren. Vortrag beim zweiten Kontaktseminar mit Juristen, Fachrichtung Sozialrecht im deutschen Anwaltsverein, und Leitungen der Werkstätten für behinderte Menschen in der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. am 31. August 2006 in Oberursel (jeweils neuere Literatur).

(50) Dazu ausführlich K. Lehmann, Zusammenhalt und Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung zwischen den Generationen. Anthropologische und theologische Klärungsversuche zur aktuellen Diskussion um die Sozialsysteme, in: Zuversicht aus dem Glauben. Die Grundsatzreferate des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit den Predigten der Eröffnungsgottesdienste, Freiburg i. Br. 2006, 440-471 (Lit.).

(51) Zu den einzelnen Fragen vgl. H. Lampert, Kann der Sozialstaat gerettet werden? = Institut für Volkswirtschaftslehre, Universität Augsburg, Augsburg 2003, Beitrag Nr. 247 (Lit.), vgl. die Zusammenfassung: 1 f.; Ders., Krise und Reform des Sozialstaates = Finanzwissenschaftliche Schriften 82, Frankfurt a.M. 1997; A. Rauscher (Hg.), Probleme der sozialen Sicherungssysteme, Köln 1993; Ders., (Hg.), Die soziale Dimension menschlichen Lebens, St. Ottilien 1995; Ders., (Hg.), Grundlagen des Sozialstaats, Köln 1998; Ders., Der Sozialstaat am Scheideweg, Köln 2004; J. Althammer, Die deutsche Sozialversicherung - eine historische Fehlentscheidung = Kirche und Gesellschaft 314, Köln 2004. Grundlegend H. Lampert/J. Althammer, Lehrbuch der Sozialpolitik, 7. Aufl. Berlin 2004; H. Lampert/A. Bossert, Die Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union (15. Auflage), München 2004. In diesem Zusammenhang möchte ich zur tieferen Durchdringung auf die besonders bedeutsamen Arbeiten von F. X. Kaufmann hinweisen: Herausforderungen des Sozialstaates, 3. Auflage, Frankfurt a.M. 1998; Varianten des Wohlfahrtsstaats, Frankfurt a.M. 2003; Sozialpolitisches Denken, Frankfurt a.M. 2003; Die Entstehung sozialer Grundrechte und die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung = Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften 387, Paderborn 2003; Schrumpfende Gesellschaft, Frankfurt a.M. 2005.

(52) Vgl. Nr. 48.

(53) Entgegen mancher Behauptungen ist dies auch bereits im Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland im Jahr 1997 gesagt worden, vgl. Nr. 26 f., 109, 120, 149, 257. Manche Deutungen und einige politische Instrumentalisierungen im Kontext des Entstehens und der öffentlichen Beratung haben dies eher verwischt (vgl. auch zur sozialen Gerechtigkeit 14, 31, 111 f., 114, 121, 146, 184, 191 f.), vgl. auch das Vorwort zum »Sozialhirtenbrief«. Zur Interpretation vgl. auch mein Eröffnungsreferat am Vorabend der Verabschiedung durch die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz: »Vergiss nie die Armen und die Kranken, die Heimatlosen und die Fremden«. Über den eigenen Auftrag der Kirche zwischen Wohlstand und Armut angesichts der heutigen Sozialstruktur und veränderter Lebenslagen, in: Zuversicht aus dem Glauben, 243-263.

(54) Vgl. in ähnlicher Richtung: A. Glück, B. Vogel, H. Zehetmair (Hg.), Solidarische Leistungsgesellschaft, Freiburg i.Br. 2006.

(55) Gütersloh 2006.

(56) Vgl. dazu unter dem Stichwort »Globale Gerechtigkeit« O. Höffe, Gerechtigkeit, 96-112.

(57) Dazu neuerdings kritisch W. Münchau, Das Ende der Sozialen Marktwirtschaft, München 2006; M. Heidenreich (Hg.), Die Europäisierung sozialer Ungleichheit, Frankfurt a.M. 2006; H. Müller-Vogg, Unsere Unsoziale Marktwirtschaft. Vom guten Modell zur traurigen Praxis, Köln 1998; P. Nolte, Generation Reform, München 2004; Ders., Riskante Moderne, München 2006; Themenband »Europäische Wohlfahrtsstaatlichkeit« = Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 46 (2005), Münster 2005; K. Biedenkopf, Die Ausbeutung der Enkel. Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunft, 2. Aufl. Berlin 2006; V. R. Berghahn, S. Vitols (Hg.), Gibt es einen deutschen Kapitalismus?, Frankfurt a.M. 2006.

(58) Vgl. im Ganzen dazu R. Marx/H. Wulsdorf, Christliche Sozialethik = AMATECA XXI, Paderborn 2002, Teil III, bes. 156 ff.; R. Marx, Wirtschaftsliberalismus und Katholische Soziallehre = Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 06/3, Freiburg i. Br. 2006 (Walter Eucken Institut).

(59) Vgl. dazu K. Gabriel/H.-J. Große Kracht (Hg.), Joseph Höffner (1906-1987), Soziallehre und Sozialpolitik. »Der personale Faktor ...«, Paderborn 2006, vgl. Teil II - Originaltexte von Joseph Höffner, 107-254, besonders 139-155; zu Höffner als Sozialethiker außerdem M. Hermanns, Sozialethik im Wandel der Zeit. Geschichte des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre in Münster (1893-1997), Paderborn 2006, 227-308, 474-481 (Lit.).

(60) Vgl. dazu A. Honneth (Hg.), Pathologien des Sozialen, Frankfurt a.M. 1994; Ders., Desintegration, Frankfurt a.M. 1994; Ders., Die zerrissene Welt des Sozialen. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1999; Ders., Leiden an Unbestimmtheit, Stuttgart 2001; Verdinglichung, Frankfurt a.M. 2005; dazu Chr. Halbig/M. Quante (Hg.), Axel Honneth: Sozialphilosophie zwischen Kritik und Anerkennung = Münsteraner Vorlesungen zur Philosophie 5, Münster 2004.

Cookie Einstellungen

Wir verwenden Statistik Cookies um zu verstehen, wie Sie mit unserer Webseite interagieren.

Anbieter:

Google

Datenschutz

Matomo

Datenschutz

Diese Cookies sind für den Betrieb der Webseite zwingend erforderlich. Hier werden bspw. Ihre Cookie Einstellungen gespeichert.

Anbieter:

Deutsche Bischofskonferenz

Datenschutz