| Pressemeldung

Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 10.08.1995 zum Anbringen eines Kreuzes in den Unterrichtsräumen staatlicher Schulen

Mit Bezug auf das Grundgesetz (Art. 4 Abs. 1) und das bayerische Schulrecht (Paragraph 13, Abs. 1, Satz 3 der Volksschulordnung) hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes am 10. August eine Entscheidung veröffentlicht, wonach es mit der Religionsfreiheit unvereinbar sei, ein Kreuz oder Kruzifixe in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule anzubringen. Die Entscheidung erging mit der kleinsten Mehrheit (5 : 3), da drei abweichende Richter-Stimmen die Auffassung vertreten haben, das Anbringen eines Kreuzes verstoße nicht gegen die Religionsfreiheit und beeinträchtige nicht die gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates. Die Entscheidung erging aufgrund der Verfassungsbeschwerde eines anthroposophisch ausgerichteten Ehepaares.

Unbeschadet einer eingehenden Prüfung des umfangreichen Urteiles bekunden die deutschen Bischöfe bei allem Respekt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ihr Unverständnis für diese Entscheidung des Ersten Senats. Diese enthält nach dem Urteil der Bischöfe im Kern ein grundlegendes Mißverständnis der Religionsfreiheit und eine Wertung des Kreuzes im Sinne eines intoleranten Symbols mit Zwangselementen, die religiös-theologisch falsch ist und im übrigen die Kompetenz auch eines Verfassungsgerichtes weit überschreitet.

Gemäß unserer Verfassung hat die Religionsfreiheit nicht nur einen negativ-neutralen Charakter, sondern gibt z. B. den Christen das Recht, diese Freiheit inhaltlich positiv mit ihrer Glaubensüberzeugung zu realisieren. Durch das Anbringen eines Kreuzes identifiziert sich der Staat nicht mit einer christlichen Kirche und deren Bekenntnis. Unser Staat ist bei aller Freiheit des religiösen Bekenntnisses auch nach seinem Selbstverständnis nicht ohne Herkunft und Geschichte zu verstehen, zu denen das christliche Erbe entscheidend gehört. Auch wenn das Kreuz das zentrale Zeichen für den christlichen Glauben ist, so prägt es nicht weniger unsere gesamte Kultur und Rechtsordnung. Mit einer angeblichen "Profanisierung des Kreuzes" hat dies nichts zu tun. Man denke nur an die vielen Kreuzesdarstellungen in den Wappen von Städten und Gemeinden, an die Kreuzesdarstellungen der europäischen Kunst, in Bauwerken und Museen sowie an die Wegkreuze in unseren Landschaften. Sie sind sprechende Zeugnisse, erfüllen aber keinen missionarischen Zweck, der mit Zwangselementen verbunden ist. Für die meisten Menschen ist das Kreuz auch heute - gewiß in unterschiedlicher religiöser Intensität - ein sprechendes Symbol für Menschlichkeit, Solidarität, Hingabe, Opferbereitschaft und Versöhnung. Es ist erstaunlich, wie sehr diese positiven Aspekte vernachlässigt werden und negative Kennzeichnungen überwiegen.

Die deutschen Bischöfe werden sich mit diesem denkbar knapp ergangenen Urteil und vor allem mit seinen Grundlagen nicht abfinden. Es überrascht auch, wie sehr der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes angesichts der föderalen Struktur unseres Staates, die gerade in der Kulturhoheit der Länder zum Ausdruck kommt, und angesichts einer geschichtlich gewachsenen Kulturvielfalt, zu der auch religiöse Zeichen und Brauchtum gehören, in einer abstrakten Allgemeinheit überkommenes Länderrecht verwirft und für nichtig erklärt.

Die deutschen Bischöfe sind der festen Überzeugung, daß diese Entscheidung, gerade im Verständnis von Religionsfreiheit, eine einmalige Ausnahme darstellt und von den bewährten Grundlagen des Gefüges von Religion und Gesellschaft, Staat und Kirche nicht prinzipiell abrückt, die in vielen Entscheidungen ergangen sind und noch Gültigkeit haben. Dieses Urteil ist freilich, gemeinsam mit anderen jüngst ergangenen Urteilen desselben Senates, Ausdruck und Symptom für tiefgreifende Wandlungen unserer Gesellschaft. Die deutschen Bischöfe wehren sich nicht gegen eine veränderte Auslegung unserer Verfassung, wenn es sich um vertiefte, situationsgetreuere Gerechtigkeit handelt, aber sie warnen vor Verbeugungen gegenüber dem Zeitgeist. Das Entfernen von Kreuzen aus den Klassenzimmern erinnert an keine gute Vergangenheit in unserem Land. Es ist erstaunlich, wie wenig man offenbar daraus gelernt hat.

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